Die Korrekturvorschriften für bestandskräftige Steuerbescheide


Masterarbeit, 2014

86 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Zielsetzung
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Der Verwaltungsakt und der Anwendungsbereich der Korrekturvorschriften
2.1 Der Verwaltungsakt
2.1.1 Besondere Steuerverwaltungsakte
2.1.2 Der Steuerbescheid
2.1.3 Wirksame Steuerbescheide
2.2 Allgemeine Korrekturvorschriften des steuerlichen Verwaltungsakts
2.3 Nichtigkeit des Verwaltungsakts (§ 125 AO)

3 Bestandskraft
3.1 Formelle Bestandskraft
3.2 Materielle Bestandskraft
3.2.1 Einschränkung der materiellen Bestandskraft des Steuerbescheids
3.2.2 Einschränkung der materiellen Bestandskraft des sonstigen steuerlichen Verwaltungsakts

4 Berichtigung offenbarer Unrichtigkeit (§ 129 AO)
4.1 Anwendungsbereich
4.2 Tatbestandsvoraussetzungen
4.3 Rechtsfolgen
4.3.1 Ermessensentscheidung
4.3.2 Zeitlicher Rahmen der Berichtigung
4.3.3 Sachlicher Umfang der Berichtigung

5 Korrektur unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO)
5.1 Anwendungsbereich
5.2 Tatbestandsvoraussetzungen
5.3 Wirkung des Vorbehalts
5.4 Aufhebung des Vorbehalts
5.5 Wegfall des Vorbehalts

6 Korrektur vorläufiger Festsetzung (§ 165 AO)
6.1 Tatbestandsvoraussetzungen
6.2 Umfang und Wirkung der Vorläufigkeit
6.3 Aufhebung und Änderung der Vorläufigkeit
6.4 Aussetzung der Steuerfestsetzung
6.5 Verhältnis zwischen den §§ 165 und 164 AO

7 Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden (§ 172 AO)
7.1 Anwendungsbereich
7.2 Korrekturtatbestände
7.2.1 Verbrauchssteuerbescheide (§172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO)
7.2.2 Bescheide über andere Steuern
7.3 Aufhebung oder Änderung von Ablehnungsentscheidungen (§ 172 Abs. 2 AO)
7.4 Zurückweisung von Anträgen durch Allgemeinverfügung (§ 172 Abs. 3 AO)

8 Korrektur wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel (§ 173 AO)
8.1 Bedeutung der Vorschrift
8.2 Anwendungsbereich
8.3 Tatbestandsvoraussetzungen
8.3.1 Tatsachen
8.3.2 Beweismittel
8.3.3 Nachträgliches Bekanntwerden
8.3.4 Grobes Verschulden
8.4 Korrektur zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen
8.4.1 Korrektur zuungunsten des Steuerpflichtigen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO)
8.4.2 Korrektur zugunsten des Steuerpflichtigen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO)
8.5 Änderungssperre nach Außenprüfungen (§ 173 Abs. 2 AO)

9 Widerstreitende Steuerfestsetzungen (§ 174 AO)
9.1 Mehrfache Berücksichtigung zuungunsten des Steuerpflichtigen (§ 174 Abs. 1 AO)
9.2 Mehrfache Berücksichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen (§174 Abs. 2 AO)
9.3 Nichtberücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts (§ 174 Abs. 3 AO)
9.4 Folgeänderung aufgrund eines Rechtsbehelfs oder Antrags (§ 174 Abs. 4 AO)
9.5 Betroffenheit Dritter (§ 174 Abs. 5 AO)
9.6 Umfang der Korrektur

10 Aufhebung oder Änderung in sonstigen Fällen (§ 175 AO)
10.1 Änderung von Folgebescheiden (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO)
10.2 Änderung wegen steuerlich rückwirkender Ereignisse (§175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO)
10.3 Verbleibensvorschrift (§ 175 Abs. 2 AO)
10.4 Folgen für die Festsetzungsfrist

11 Umsetzung von Verständnisvereinbarungen (§ 175a AO)

12 Vertrauensschutz bei Korrekturen des Verwaltungsakts (§ 176 AO)
12.1 Bedeutung und Anwendung der Vorschrift
12.2 Vertrauensschutztatbestände
12.2.1 Nichtigkeit eines Gesetzes (§ 176 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 AO)
12.2.2 Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO)
12.2.3 Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO)
12.2.4 Rechtswidrigkeit von Verwaltungsvorschriften (§ 176 Abs. 2 AO)

13 Saldierung gegenläufiger materieller Fehler (§ 177 AO)
13.1 Materieller Fehler (§ 177 Abs. 3 AO)
13.2 Umfang der Saldierung
13.3 Verhältnis zu anderen Vorschriften
13.4 Praxisbeispiel

14 Kritische Würdigung und Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

1 Einleitung

Um eine Steuererklärung abgeben zu können, muss man Philosoph sein; es ist zu schwierig für einen Mathematiker.

Albert Einstein, dt. Mathematiker und Nobelpreisträger (1879–1955)

Nicht erst Albert Einstein hat festgestellt, dass das Steuerrecht eines der komplexesten, umfangreichsten und damit auch fehleranfälligsten Rechtsgebiete im deutschen Recht ist. Ursprünglich kommt das Wort „Steuern“ aus dem althochdeutschen „Stiura“ und wurde von den herrschenden Landesherren als Beihilfe oder zur Unterstützung der Verwaltung des Gemeinwesens auferlegt.1 Der Begriff „Steuern“ wird in § 3 Abgabenordnung geregelt. Die Abgabenordnung gehört zum Verwaltungsrecht und bildet den allgemeinen Teil des Steuerrechts ab. Unter den Fachkundigen wird sie auch als steuerliches Grundgesetz bezeichnet und dient im engeren Sinne als Bedienungsanleitung sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für die Finanzbehörden. Sie enthält Vorschriften für die Ermittlung, Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung der einzelnen Steuern, sowie Gesetzesnormen und Korrekturvorschriften für den Fall von Rechtstreitigkeiten.

Festgesetzt wird die Steuer mit Hilfe eines sogenannten Verwaltungsakts. Durch eine ordnungsgemäße Bekanntgabe erlangt dieser Bindungswirkung für seine Betroffenen und zwar unabhängig davon ob er fehlerbehaftet ist oder nicht. Wird der Verwaltungsakt anschließend nicht durch einen Einspruch angefochten, erwächst er in Bestandskraft und begründet somit die Rechtssicherheit des gewünschten Regelungsinhalts. Aufgrund der Tatsache, dass Verwaltungsakte in Massenverfahren durch die Finanzämter abgefertigt werden und Fehler beinhalten können, ist das Bedürfnis des Steuerpflichtigen sehr hoch, auch nach Inkrafttreten der Unanfechtbarkeit von Steuerbescheiden eine Korrektur herbeizuführen. Aber auch die Finanzverwaltung hat ein berechtigtes Interesse, unanfechtbare Steuerbescheide durch etwaige Fehler des Steuerpflichtigen zu korrigieren. Der Gesetzgeber hat diesen Forderungen Rechnung getragen und eine Anzahl von gesetzlichen Korrekturvorschriften in der Abgabenordnung verankert, wobei er sich vom Grundsatz der Rechtssicherheit, aber auch der materiellen Rechtsrichtigkeit leiten ließ.

1.1 Zielsetzung

Ziel dieser Arbeit ist es, dem Leser ein Nachschlagewerk für das Umfeld der Korrekturen von Verwaltungsakten, insbesondere Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide zur Verfügung zu stellen. Für diesen Bereich werden nicht nur Eindrücke vermittelt, sondern durch Beispiele ein Werkzeug der täglichen Praxis für den Steuerpflichtigen geschaffen.

Mit Hilfe der nachfolgenden Ausführungen soll eine steuerliche Beratung für Zwecke der Korrekturen von Steuerbescheiden vermieden werden. Um dieses fehlerfrei umsetzen zu können, wird ein gewisses steuerrechtliches Grundwissen des Steuerpflichtigen vorausgesetzt.

1.2 Aufbau der Arbeit

Nachfolgend werden in Kapitel 2 der verwendete steuerrechtliche Begriff des Verwaltungsakts, sowie der in dieser Arbeit aufgeführte Anwendungsbereich der Korrekturvorschriften näher beschrieben.

Im Anschluss wird in Kapitel 3 auf die Bestandskraft und deren materielle Einschränkung als zentraler Bestandteil für die Anwendung von Korrekturvorschriften eingegangen. Unterschieden werden dabei in die zwei wesentlichen Arten:

Die formellen und die materiellen Bestandskraft.

Das Kapitel 4 befasst sich mit einer Korrekturvorschrift für offenbare Unrichtigkeiten beim Erlass eines Verwaltungsakts. Dabei werden unter anderem die Besonderheiten des Anwendungsbereichs, der Umfang der Korrektur und die Rechtsfolgen aus diesen dargestellt.

In Kapitel 5 und 6 wird der Frage nachgegangen, wann und in welchem Umfang der Eintritt der materiellen Bestandskraft durch Vorläufigkeits- und Vorbehaltsvermerke verzögert werden kann und welche Folgen daraus für die Korrekturen entstehen.

Der wohl wichtigste und umfangreichste Teil erstreckt sich zunächst in den sogenannten aktiven Korrekturvorschriften der §§ 172 bis 175a AO. Mit diesen wird sich daher ausführlich in den Kapiteln 7 bis 11 auseinandergesetzt.

Danach befasst sich das Kapitel 12 mit der sogenannten Schutzvorschrift des § 176 AO, welche dem Steuerpflichtigen als Kodex für die Rechtssicherheit bei Korrekturen von Steuerbescheiden dient.

Zuletzt wird im Kapitel 13 dem Grundsatz der materiellen Rechtsrichtigkeit durch Saldierung von materiellen Fehlern Rechnung getragen, bevor das Kapitel 14 mit der kritischen Würdigung und Zusammenfassung aus dieser Thesis abschließt.

2 Der Verwaltungsakt und der Anwendungsbereich der Korrekturvorschriften

In den und nachfolgenden Ausführungen werden steuerliche Grundbegriffe verwendet, welche nicht immer den einwandfreien herrschenden Definitionen der deutschen steuerrechtlichen Literarien gerecht werden. So wird im Folgenden des Öfteren der Begriff Verwaltungsakt zu lesen sein. Dabei sind nicht die Masse aller Verwaltungsakte gemeint, sondern hauptsächlich die steuerlichen Verwaltungsakte. Im Wesentlichen geht es um Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide. Daneben wird immer wieder der Begriff materielle Bestandskraft als „Verbindlichkeit“ des Regelungsinhaltes verwendet. In den für diese Arbeit verwendeten Literarien, werden verschiedene Synonyme für die materielle Bestandskraft genannt. Die „Verbindlichkeit“ des Regelungsinhalts hat sich als zutreffendste herauskristallisiert.

2.1 Der Verwaltungsakt

Der Verwaltungsakt ist das zentrale rechtliche Instrument der Verwaltung. Die Judikative kann mit einem Verwaltungsakt getroffenen Gesetzesnormen in konkrete Einzelakte umsetzen. Er dient vornehmlich dazu, schwebende Verwaltungsverfahren zwischen den Betroffenen und den Behörden zum Abschluss zu bringen.2 Allgemein können Verwaltungsakte in begünstigte und nicht begünstigende Verwaltungsakte unterteilt werden.3 Im Steuerrecht findet man den Begriff des Verwaltungsakts im

§ 118 AO. Hierbei ist zwischen den allgemeinen Steuerverwaltungsakten und den besonderen Steuerverwaltungsakten zu unterscheiden. Diese Trennung kommt wegen der unterschiedlichen Korrekturvorschriften für die einzelnen Gruppierungen große Bedeutung zu. Besondere Steuerverwaltungsakte können daneben mit gesonderten Formen der Nebenbestimmungen des § 120 AO, wie bspw. Vorläufigkeits- oder Vorbehaltsvermerke versehen werden. Dieses ist bei allgemeinen Steuerverwaltungsakten nicht möglich. Des Weiteren können allgemeine Steuerverwaltungsakte schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Besondere Steuerverwaltungsakte sind ausschließlich schriftlich zu erteilen.4

2.1.1 Besondere Steuerverwaltungsakte

Unter den besonderen Steuerverwaltungsakt fallen Steuerbescheide gemäß

§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO, Steueranmeldungen gemäß § 168 Satz 1 AO, Feststellungsbescheide gemäß § 181 Abs. 1 AO, Steuermessbescheide gemäß

§ 184 Abs. 1 AO, Zerlegungsbescheide gemäß § 185 AO und Zinsbescheide gemäß

§ 239 Abs. 1 AO. Den bedeutendsten Steuerverwaltungsakt stellt der Steuerbescheid dar, zumal dieser die konkrete Steuerschuld von Seiten der Finanzbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen festsetzt.5

2.1.2 Der Steuerbescheid

Der Steuerbescheid wird in Hinblick auf seine Art in die Kategorie der nicht begünstigenden Verwaltungsakte eingeteilt werden. Dieser legt dem Steuerpflichtigen eine „Erfüllungsverpflichtung“ auf, die im Wesentlichen darin besteht, die Steuerschuld gegenüber dem Staat zu begleichen. Der Steuerbescheid ist ein Einzelakt und muss, um seine Wirksamkeit zu entfalten, bestimmte Bestandteile beinhalten. § 157 Abs. 1 AO schreibt vor, dass der Bescheid die Angaben des Steuerpflichtigen trägt, somit die des Steuerschuldners. Desweitern müssen die Art und Höhe der festgesetzten Steuer angegeben werden. Unter Art der Steuer versteht man die der Festsetzung zu Grunde liegenden Steuerarten, wie bspw. die Ertragssteuern; Einkommensteuer, Körperschaftsteuer oder die Verkehrssteuer; Umsatzsteuer. Weiterhin muss die Belehrung, der zulässig Rechtsbehelf und binnen welcher Frist der Steuerbescheid, bei der zutreffenden Behörde einzureichen ist, aufgeführt werden. Dieses ist der Tatsache geschuldet, dass dem Steuerpflichtigem die Möglichkeit eingeräumt werden soll, sich gegenüber der Behörde Gehör zu verschaffen. Sind die oben stehenden Angaben nicht kumulativ erfüllt, so liegt ein schwerwiegender Fehler nach § 125 Abs. 1 AO vor, welcher zur Nichtigkeit des Steuerbescheids führt.6

2.1.3 Wirksame Steuerbescheide

Der Steuerbescheid erlangt nur dann Rechtsbindungswirkung, wenn er wirksam ergangen ist. Dabei ist unter dem Wortlaut „wirksam ergangen“ nicht bereits die Bearbeitung, Fertigstellung und Abgabe zur Post durch die Finanzbehörde zu verstehen, sondern erst die Zustellung und das Eintreffen in den Machtbereich des Steuerpflichtigen. Gemäß § 122 AO erreicht der Steuerbescheid den Machtbereich des Steuerpflichtigen nachdem er drei Tage Postweg, nach Absendung der zuständige Finanzbehörde absolviert hat.

2.2 Allgemeine Korrekturvorschriften des steuerlichen Verwaltungsakts

Grundsätzlich können alle steuerlichen Verwaltungsakte unter bestimmten Voraussetzungen durch Korrekturvorschriften geändert werden. Jedoch können nicht alle Korrekturvorschriften auf alle Arten von steuerlichen Verwaltungsakte angewandt werden. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber auch bei den Korrekturmöglichkeiten eine Allgemein- und einzelne Spezialvorschriften für Verwaltungsakte erlassen. Es ist daher erforderlich, Verwaltungsakte in drei wesentliche Gruppen einzuteilen. Als erste Gruppe lassen sich die Steuerbescheide, wie bspw. der Einkommensteuerbescheid identifizieren. Zum Zweiten gehören die den Steuerbescheid gleichgestellte Bescheide, welche wie Steuerbescheide behandelt werden. Als Beispiel hierfür können Feststellungsbescheide genannt werden. Die dritte Gruppe bezeichnet die sonstigen Verwaltungsakte. Hierbei handelt es sich unter anderem um Verspätungszuschläge.

In der Abgabenordnung gelten für alle Steuerverwaltungsakte allgemeine Korrekturvorschriften.7 Die Spezialkorrekturvorschriften für Steuerbescheide beziehungsweise (bzw.) bestandskräftige Steuerbescheide beinhalten die zentrale Thematik dieser Arbeit. Daher wird dies in den weiteren Ausführungen näher erläutert.

2.3 Nichtigkeit des Verwaltungsakts (§ 125 AO)

Leiden Verwaltungsakte an schwerwiegenden Fehlern, sind sie nach § 125 AO nichtig und in Folge dessen nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam. Weil sie keinerlei Rechtswirkung entfalten, müssen sie daher auch nicht korrigiert werden. Zu unterscheiden ist im Wesentlichen, ob bei einem erlassenen Steuerverwaltungsakt eine Rechtswidrigkeit oder eine Nichtigkeit vorliegt.8

Der § 125 Abs. 1 AO beinhaltet eine Generalklausel, welche „einen besonders schwerwiegenden Fehler“ als Tatbestandsvoraussetzung für die Nichtigkeit aufführt. Zu diesem Zweck führt der § 125 Abs. 2 AO einen Positivkatalog und der

§ 125 Abs. 3 AO einen Negativkatalog auf. Somit ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn

- die erlassene Finanzbehörde nicht erkennbar ist,
- Niemand den Verwaltungsakt aus tatsächlichen Gründen befolgen kann,
- die Umsetzung eine rechtswidrige Tat verursacht oder
- die Ausführung einen Verstoß gegen die guten Sitten zur Folgehaben.

Die Tragweite der Nichtigkeit auf einen Teil oder auf den gesamten Verwaltungsakt ist unerheblich, da dieser nach § 125 Abs. 4 AO im Gesamten nichtig wird.

Ein Verwaltungsakt ist nicht nichtig, sondern nur rechtswidrig, wenn

- die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten wird,
- ein bestimmter ausgeschlossener Personenkreis nach § 82 AO mitgewirkt hat,
- ein vorgeschriebener Beschluss durch einen mitwirkenden Ausschuss nicht gefasst wurde oder
- die Mitwirkung einer durch Rechtsvorschriften erforderliche Behörde unterblieben ist.

Mit der Folge, dass der Verwaltungsakt Bindungswirkung entfaltet.

Im steuerlichen Umfeld sind nichtige Verwaltungsakte eher eine Randerscheinung.

3 Bestandskraft

Die Steuerfestsetzung eines Steuerbescheids erfolgt durch seine Bekanntgabe gegenüber dem Steuerpflichtigen und erreicht dadurch Wirksamkeit. Dem gegenüber steht die sogenannte Bestandskraft von Steuerbescheiden, welche die Grundlage im Bedürfnis der Rechtssicherheit bzw. im Vertrauensschutz wieder finden.9 Die Rechtssicherheit ist stützt sich auf eine grundsätzliche „Änderungssperre“ von bestandskräftigen Verwaltungsakten. Analog der Definitionen der formellen und materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen muss bei Verwaltungsakten ebenso zwischen der formellen und materiellen Bestandskraft unterschieden werden. Alle wirksam bekanntgegebenen Verwaltungsakte erwachsen zunächst in formelle Bestandskraft und daran anknüpfend in materielle Bestandskraft, unabhängig davon, ob sie fehlerhaft oder rechtmäßig sind,10 es sei denn sie sind nichtig.11

3.1 Formelle Bestandskraft

Unter formeller Bestandskraft versteht man das Eintreten der Unanfechtbarkeit von Verwaltungsakten, welche dem Zustand der Unanfechtbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen gleich steht. Sie besagt, dass ein Steuerbescheid nach wirksamer Bekanntgabe nicht oder nicht mehr mit Rechtsmitteln oder dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen angefochten werden kann.12 Gemäß § 355 AO tritt die formelle Bestandskraft unter anderem durch Ablauf der einmonatigen Rechtsbehelfsfrist nach wirksamer Bekanntgabe des Steuerbescheids ein. Des Weiteren erwachsen Steuerbescheide in formelle Bestandskraft, wenn seitens des Steuerpflichtigen ein Rechtsbehelfsverzicht gegenüber dem Finanzamt erklärt wird. Dieses bedeutet, dass der Steuerpflichtige auf seine Möglichkeit verzichtet, gegen den Steuerbescheid einen Einspruch einzulegen. Weitere Eintrittsgründe können unter anderem die Rücknahme des Einspruches bis zur Bekanntgabe der Entscheidung seitens der Finanzbehörde sein. Aber auch das Ausschöpfen aller möglichen Rechtsinstanzen und eine formell rechtskräftig gewordene Entscheidung gegen den Verwaltungsakt.13 Ist der Verwaltungsakt in formelle Bestandskraft erwachsen, so kann sein Widerruf, seine Aufhebung oder seine Änderung nur durch die im Gesetz verankerten Korrekturvorschriften erfolgen, welche im Zuge dieser Arbeit näher erläutert werden.14

3.2 Materielle Bestandskraft

In den verschiedenen steuerlichen Literarien herrscht über den Begriff der materiellen Bestandskraft nicht immer Einigkeit bezüglich dessen Definition. Es werden unter anderem Begriffsvarianten wie Selbstbindung, Maßgeblichkeit, Bindungswirkung, Rechtsbeständigkeit, Unabänderlichkeit oder Verbindlichkeit des Regelungsinhalts verwendet.15 In den nachfolgenden Ausführungen wird sich wie bereits im Kapitel zwei erwähnt, auf das Synonym „Verbindlichkeit“ des Regelungsinhalts beschränkt.

Ist der Verwaltungsakt bzw. der Steuerbescheid in formelle Bestandskraft erwachsen und somit unanfechtbar geworden, so tritt unverzüglich die materielle Bestandskraft ein. Folglich ist der Inhalt des Steuerbescheids sowohl gegenüber dem Steuerpflichtigen, als auch gegenüber der Finanzbehörde verbindlich.

Diese Verbindlichkeit ist mit den allgemeinen Gerichtsentscheidungen vergleichbar. Das Gericht ist nach gefällten Urteil auf Dauer daran gebunden und kann nur bei Vorliegen enger gesetzlicher Voraussetzungen in einem erneuten Verfahren korrigiert werden.16 Selbst im Falle einer Gesetzesänderung oder einer Nichtigkeitserklärung eines bestehenden Gesetzes durch das Bundesverfassungsgesetz wird die erwachsene Bestandskraft nicht angegriffen. Somit haben nachträgliche Änderungen von Gesetzen keinen rückwirkenden Einfluss auf die Bestandskraft bzw. auf die Verbindlichkeit von Steuerbescheiden.17 Grundlage für die Verbindlichkeit des Regelungsinhalts ist die geschuldete Rechtssicherheit und Verlässlichkeit des Staates gegenüber dem Steuerpflichtigen, welche in Artikel 20 Absatz 3 GG befindlichen zweiten Halbsatz „… die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“ verankert ist.18

Diskutant dazu steht die Rechtsicherheit gegenüber dem Staat, die auf der Annahme des § 90 Abs. 1 AO beruht. Dieser beinhaltet, dass der Steuerpflichtige seine Angaben in der Steuererklärung wahrheitsgemäß und vollständig darzustellen und offen zu legen hat. Demnach trägt die materielle Bestandskraft nicht nur zur Rechtssicherheit, sondern auch zum Rechtsfrieden im deutschen Steuerrecht bei und hat grundsätzlich Vorrang vor der Einzelfallgerechtigkeit eines Sachverhaltes.19

Die materielle Bestandskraft wirkt allgemein auf den verfügenden Teil des Steuerbescheids. Das bedeutet, dass nur die festgesetzte Steuer als Streitgegenstand in Bestandskraft erwächst. Einzelne Besteuerungsgrundlagen hingegen bestehen aus tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen und sind somit für die Besteuerung maßgebend. Diese können unter anderem der Jahresarbeitslohn eines Steuerpflichtigen oder der Überschuss einer Gewinneinkunftsart sein und bilden gemäß § 157 Abs. 2 AO keinen selbständigen, sondern nur einen begründeten Teil des Verwaltungsaktes. Sie sind daher auch nicht mit einem Einspruch anfechtbar.20 Fehlerhafte Steuerbescheide, die ihren Fehler in den Besteuerungsgrundlagen haben, sich jedoch nicht auf die festgesetzte Steuer auswirken, können nicht mit einem Einspruch angefochten werden.

Eine Ausnahme diesbezüglich befindet sich im § 179 Abs. 1 AO. Im Gegensatz zu den „normalen“ Steuerbescheiden erwachsen bei gesonderten und einheitlichen Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen einzelne Besteuerungsmerkmale in materielle Bestandskraft. Diese sind z.B. die Höhe und die Verteilung des Gewinns auf die einzelnen Gesellschafter.21 Als Folge können gesonderte und einheitliche Besteuerungsgrundlagen einzeln angefochten werden, auch wenn sich ihr Fehler nicht auf die Höhe der Steuerlast auswirkt.

3.2.1 Einschränkung der materiellen Bestandskraft des Steuerbescheids

Prinzipiell haben Verwaltungsakte, nachdem sie in Bestandskraft erwachsen sind, den verbindlichen Regelungsinhalt gegenüber dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde als Folge. Jedoch kann, wie bereits in Kapitel 3.2 erläutert, ein Steuerbescheid Fehler in seiner Besteuerungsgrundlage enthalten.

Unabhängig davon, ob der Fehler fahrlässig oder vorsätzlich in den für die Besteuerung erheblichen Tatsachen und Beweismitteln gemacht worden ist oder versehentlich von der Finanzverwaltung verursacht wurden, hat der Gesetzgeber grundsätzlich ein berechtigtes Interesse richtige und damit fehlerfreie Verwaltungsakte zu erlassen. Die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfrieden sollen so gewahrt werden. Dazu stehen der Finanzverwaltung Vorschriften zur Verfügung, um die materielle Bestandskraft von Anfang an teilweise oder in vollen Umfang mit Nebenbestimmungen des § 120 Abs. 2 AO einzuschränken.

Um die materielle Bestandskraft partiell von Beginn an einzuschränken, bedient sich die Finanzbehörde des § 165 Abs. 1 AO, welcher den Verwaltungsakt mit einem Vorläufigkeitsvermerk beschwert. Die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung streckt sich nicht auf den gesamten Bescheid, sondern nur auf einzelne Punkte und basiert auf dem Tenor, dass zum einen Sachverhalte im Bescheid und zum anderen Gesetzestatbestände ungewiss sein können. Exemplarisch für einen ungewissen Sachverhalt im Steuerbescheid kann die fehlende Gewinnerzielungsabsicht bei Einkünften aus Gewerbebetrieb sein, welche eine rückwirkende Nichtberücksichtigung der erklärten Verluste zur Folge hat.

Des Weiteren kann die Finanzverwaltung jederzeit - auch ohne Begründung - Steuerbescheide mit dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß 164 Abs. 1 AO versehen. Vorausgesetzt, dass der Steuerbescheid noch nicht abschließend geprüft ist. Anders als beim Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 AO, wirkt sich der Vorbehalt der Nachprüfung auf den gesamten Steuerbescheid aus.22 Das hat zur Folge, dass der Verwaltungsakt jederzeit aufgehoben, geändert oder für endgültig erklärt werden kann. Die materielle Bestandskraft und die ursprünglich daraus resultierende Rechtssicherheit werden ausgehebelt.23

Die §§ 164 und165 AO werden im Verlauf dieser Arbeit näher betrachtet.

3.2.2 Einschränkung der materiellen Bestandskraft des sonstigen steuerlichen Verwaltungsakts

Diese Arbeit befasst sich mit den Korrekturvorschriften von bestandskräftigen Steuerbescheiden, darum soll an dieser Stelle nur kurz auf die materielle Bestandskraft von sonstigen Steuerverwaltungsakten eingegangen werden. Ähnlich der Bestandskraft von Steuerbescheiden erlangt auch der Inhalt der sonstigen Steuerverwaltungsakte mit Eintritt der materiellen Bestandskraft Verbindlichkeit gegenüber der erlassenen Behörde und dem Steuerpflichtigen. Auch können sonstige Steuerverwaltungsakte nach § 120 Abs. 2 AO mit Nebenbestimmungen beschwert werden.

Ist dies der Fall, gilt für nicht begünstigende Steuerbescheide der Grundsatz, dass sie jederzeit wiederrufen und zurückgenommen werden können und das sowohl auf die Zukunft, als auch auf die Vergangenheit bezogen. Darunter fallen bspw. Pfändungsbescheide, Prüfungsanordnungen oder Haftungsbescheide. Hingegen können begünstigende sonstige Steuerverwaltungsakte nach Eintritt der materiellen Bestandskraft wegen der geschuldeten Rechtssicherheit nur eingeschränkt mit Hilfe der §§ 130 Abs. 2 AO und 131 Abs. 2 AO korrigiert werden.24

4 Berichtigung offenbarer Unrichtigkeit (§ 129 AO)

Dem Gesetz nach können Fehler beim Erlassen eines Verwaltungsakts jederzeit berichtigt werden, sofern der Fehler auf Schreibfehlern, Rechenfehlern oder ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten basiert und die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Angesichts dieser Formulierung dürfte gerade deswegen die Vorschrift nicht als klassische Korrekturvorschrift des steuerlichen Verwaltungsakts verstanden werden, sondern sich eher in die Kategorie der „Berichtigungsvorschriften“ eingliedern. Im steuerrechtlichen Sinne ist „berichtigen“ mit „beseitigen“ gleichzusetzen. Der wirksam bekannt gegebene Regelungsinhalt des Verwaltungsaktes soll hier nicht im Ganzen korrigiert, sondern durch die Berichtigung des bestehenden Fehlers beibehalten werden.25

4.1 Anwendungsbereich

Die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 129 AO findet sich in der Gruppe der allgemeinen Korrekturvorschriften für alle Steuerverwaltungsakte wieder und kommt somit bei allgemeinen, als auch für besondere Steuerverwaltungsakte zur Anwendung.26 Allgemeine Steuerverwaltungsakte sind unter anderem die Festsetzung von Verspätungszuschlägen (§ 152 AO), Haftungs- und Duldungsbescheide (§191 AO), Abrechnungsbescheide (§ 218 Abs. 2 AO), Ablehnung eines Stundungsantrages (§ 222 AO), Ablehnung eines Erlassantrages (§ 227 AO), Aufteilungsbescheide (§§ 279 und 280 AO) sowie die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen. Als besondere Steuerverwaltungsakte können Steuerbescheid (§ 155 AO), Freistellungs- und Ablehnungsbescheide (§ 155 AO) sowie deren gleichgestellte Bescheide, wie bspw. die Steueranmeldung (§ 168 AO), Festsetzung einer Steuervergütung (§ 155 AO), Feststellungsbescheide (§ 181 AO), Zinsbescheide (§ 239 AO) und alle sonstigen Bescheide genannt werden, für welche die Steuervergütung geltenden Vorschriften sinngemäß anwendbar sind.27

4.2 Tatbestandsvoraussetzungen

Nach § 129 Satz 1 AO können mechanische Fehler, wie bspw. Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit - bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist - berichtigt werden.

Um von der Unrichtigkeit des Verwaltungsakts überhaupt Kenntniss zu erlangen, muss dieser dem Steuerpflichtigen wirksam bekannt geworden sein.28 Wie bereits erwähnt, muss dazu der Verwaltungsakt tatsächlich den persönlichen Machtbereich des Steuerpflichtigen erreichen. Gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 1 AO geschieht dieses nach drei Tage mit Aufgabe zur Post durch das zuständige Finanzamt.

Dem ungeachtet wird durch die Überschrift des § 129 AO deutlich „Offenbare Unrichtigkeiten beim Erlass eines Verwaltungsakts“, dass alle offenbaren Unrichtigkeiten, die von der Bildung des Entscheidungswillens der Finanzbehörde, bis zur Bekanntgabe des Verwaltungsakts unterlaufen sind, berichtigt werden können.29 Folglich können aber auch nur solche Fehler berichtigt werden, welche der Finanzbehörde zuzurechnen sind. Fehler des Steuerpflichtigen scheiden grundsätzlich aus. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch zwei Ausnahmen. Zum einen handelt es sich um „Übernahmefehler“, d.h. dass ein offenbar zu erkennender Fehler aus der eingereichten Steuererklärung, ohne großes Nachforschen vom Sachbearbeiter zu eigen gemacht wird.30 Zum anderen handelt es sich um Steueranmeldungen. Weil diese einem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (siehe Kapitel fünf), können sie jederzeit nach § 129 AO geändert werden.

Um Schreibfehler handelt es sich, wenn Wörter bzw. die Verwechslung oder das Auslassen von Buchstaben, nicht der Norm der deutschen Rechtschreibung entsprechen. Diese Art von Fehlern kommen in Verwaltungsakten regelmäßig vor, verändern aber den gewollten Regelungsinhalt für gewöhnlich nicht. Von einer Berichtigung wird daher meist abgesehen.

Rechenfehler treten bei Anwendung der Grundrechenarten oder beim Prozentrechnen auf. Bei Rechenfehlern muss differenziert werden, ob es sich um einen Denkfehler bei Aufstellen der Gleichung, oder einen rein mechanischen Fehler, wie bspw. beim Eingeben der Daten, Übertragungs-, Hardware- oder auch Codierfehler handelt.

Die Berichtigung nach § 129 AO greift nur auf den rein mechanischen bzw. rechnerischen Fehler. Denkfehler können nach § 129 AO nicht berichtigt werden.31

Kann man den bestehenden Fehler nicht direkt der Kategorie Schreib- oder Rechenfehler zuordnen, stellt sich die Frage, ob es sich um ähnliche Unrichtigkeiten handelt. Dazu gehören Flüchtigkeitsfehler, die auf Unachtsamkeit beruhen. Diese sind bspw. Übersehen, Vergreifen, falsches Ablesen, falsches Übertragen, Verwechseln oder Vertauschen. Ein hieraus entstehender Fehler muss mechanisch, sofort erkennbar und berichtigungsfähig sein.32

Werden auf eindeutige Sachverhalte Rechtsnormen nicht richtig angewendet oder fehlerhaft ausgelegt, hat dies einen Rechtsirrtum zur Folge, welcher nicht nach

§ 129 AO berichtigt werden kann. Des Weiteren können Tatsachenirrtümer, die auf mangelnde Sachverhaltsaufklärung oder sonstige sachverhaltsbezogene Denk- oder Überlegungsfehler beruhen, ebenfalls nicht nach § 129 berichtigt werden.33

Die wichtigste Voraussetzung für die Anwendung des § 129 AO ist die offenbare Unrichtigkeit. Das heißt, dass sie für alle Beteiligten und für jeden unvoreingenommenen Dritten ohne großes Nachforschen erkennbar ist. Nach herrschender Meinung kann der Steuerpflichtige nur die ihm vorliegenden Dokumente als Nachweis über eine bestehende offenbare Unrichtigkeit verwenden. 34 Die Rechtsprechung weitet dieses auf alle Unterlagen aus. Also auch auf interne Arbeits- und Dienstanweisungen, welche nur dem Sachbearbeiter zur Verfügung stehen.35

4.3 Rechtsfolgen

4.3.1 Ermessensentscheidung

Der Finanzbehörde wird durch das Wort „kann“ im § 129 Satz 1 AO eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung für die Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit eingeräumt.36 Wirkt sich der Fehler jedoch auf die festgesetzte Steuer aus, wird die Ermessensentscheidung durch den Grundsatz der Steuergerechtigkeit gemäß § 85 AO eingeschränkt. Die Finanzämter haben sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt und zu Unrecht erhoben werden37 oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden. Somit bekommt der Ermessensausübung nur dort Bedeutung zugesprochen, in der sie keinerlei steuerliche Auswirkung bewirkt.38

Hat der Steuerpflichtige ein berechtigtes Interesse an einer Berichtigung des Verwaltungsakts, hat die Finanzbehörde gemäß § 129 Satz 2 AO dieses zu erfüllen. Ein berechtigtes Interesse liegt immer dann vor, wenn der fehlerbehaftete Bescheid bindend für andere Feststellungen ist oder sich die Unrichtigkeit auf die Höhe der Steuerfestsetzung zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt. Das Interesse muss nicht rechtlicher Natur sein. Sobald dem Betroffenen Nachteile oder Beeinträchtigungen entstehen, bewirken diese bereits ein berechtigtes Interesse.

Am berechtigten Interesse des Steuerpflichtigen fehlt es, wenn sich der Fehler nicht auf die Höhe der Steuerfestsetzung auswirkt oder es sich lediglich um bloße Schreibfehler handelt. Die Finanzbehörde besitzt den Ermessensspielraum den Fehler zu beheben.39

4.3.2 Zeitlicher Rahmen der Berichtigung

Nach § 129 AO kann eine Berichtigung jederzeit erfolgen, d.h. auch nach Eintritt der Bestandskraft, während eines Einspruchsverfahrens oder eines gerichtlichen Verfahrens.40

Bei Steuerbescheiden und ihnen gleichgestellten Bescheiden ist eine Berichtigung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich. Geht dem Steuerpflichtigen der Bescheid erst kurz vor oder nach Ablauf der Festsetzungsfrist zu, hätte dieser zeitlich eine schlechtere Stellung sich seiner steuerlichen Rechte zu bedienen. Der Gesetzgeber hat daher im § 171 Abs. 2 AO eine Ablaufhemmung mit aufgenommen, welche die Festsetzungsverjährung nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Steuerbescheids ablaufen lässt. Erfolgt die offenbare Unrichtigkeit in einem Änderungsbescheid, beginnt die Ablaufhemmung erst ab Bekanntgabe des Änderungsbescheids zu laufen.41

Eine Berichtigung ist nicht mehr möglich, sobald der Verwaltungsakt erledigt und nicht mehr Gegenstand einer Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren ist. Dieses ist gegeben, wenn bspw. eine Prüfungsanordnung durch eine Außenprüfung abgeschlossen wird oder ein Vorauszahlungsbescheid sich durch eine Jahressteuerfestsetzung erledigt.42

4.3.3 Sachlicher Umfang der Berichtigung

Der Umfang der Berichtigung erstreckt sich nur auf die offenbare Unrichtigkeit, die sogenannte „Punktberichtigung“,43 und zwar in vollem Umfang des Fehlers. Selbst dann wenn sich der Regelungsinhalt des ursprünglichen Bescheids in sein Gegenteil umwandelt.44 Parallel zur Berichtigung nach § 129 AO, können auch andere Korrekturvorschriften angewendet werden, sofern hierfür die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.45

Strittig ist die Frage, ob im Fall der Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeiten

§ 177 AO anwendbar ist. Das Finanzamt darf bei materiellen Fehlern eine Berichtigung nach § 129 AO zugunsten des Steuerpflichtigen ablehnen, wenn sich diese auf die Saldierungsmöglichkeiten mit Steuernachzahlungen gemäß

§ 177 Abs. 3 AO beruft.46

5 Korrektur unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO)

Bereits bevor der Steuerpflichtige eine Prüfungsanordnung vom Finanzamt erhält, gibt es Hinweise die auf eine drohende Außenprüfung hindeuten können. Erhalten Gewerbetreibende, Freiberufler oder Land- und Forstwirte einen Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO, ist dies ein typisches Indiz für eine drohende Außenprüfung.47

Der Vorbehalt der Nachprüfung ist nach § 120 AO eine Nebenbestimmung des Verwaltungsakts und stellt eine der am häufigsten vorkommenden Vorschriften der Abgabenordnung dar. Nach seiner Art der Festsetzung, zählt er zu den „nicht endgültigen Steuerfestsetzungen“. Generell wird er auch als Vorbehaltsfestsetzung bezeichnet und dient dem Zweck, eine schnelle Steuerfestsetzung ohne sofortige Überprüfung der durch den Steuerpflichtigen eingereichten Unterlagen durchführen zu können. Mit dem Vorbehalt der Nachprüfung behält sich die Finanzbehörde das Recht vor, eine festgesetzte Steuer zu überprüfen bzw. zu berichtigen. Ob ein Verwaltungsakt mit einer Vorbehaltsfestsetzung behaftet wird, liegt prinzipiell im Ermessen des Sachbearbeiters, sofern es nicht schon von Gesetzeswegen geregelt ist.48

5.1 Anwendungsbereich

§ 164 AO ist nach seinem Wortlaut grundsätzlich auf solche Verwaltungsakte anzuwenden, bei denen eine Steuerfestsetzung nach § 155 AO erfolgt oder die Besteuerungsgrundlage gemäß § 162 AO geschätzt werden muss.49 Differenziert wird in zwei Arten von Vorbehaltsfestsetzungen. Zum einen unterscheidet man Vorbehaltsfestsetzungen kraft ausdrücklichen Vermerks gemäß

§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO und zum anderen Vorbehaltsfestsetzungen kraft Gesetz ohne besonderen Vermerk gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 AO.50 Betroffen sind demnach alle Steuerbescheide, Steuervoranmeldungen, Vorauszahlungsbescheide und Folgebescheide. Bei den Folgebescheiden bedarf es wegen der Auswirkung der Grundlagenbescheide gemäß § 175 Abs. 1 AO keiner Vorbehaltsfestsetzung.51 Weiterhin kann der Vorbehalt der Nachprüfung auch auf Freistellungsbescheide

(§ 155 Abs. 1 Nr. 3 AO), Bescheide über gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen (§ 181 Abs. 1 AO), Steuermessbescheide

(§ 184 Abs. 1 Nr. 3 AO), Zerlegungs- und Zuteilungsbescheide (§ 185 Abs. 1 AO,

§ 190 Abs. 1 Satz 2 AO), Zinsbescheide (§ 239 Abs. 1 AO) sowie Vergütungsbescheide (§ 155 Abs. 4 AO) versehen werden.52

Verwaltungsakte, welche einen anderen Regelungsinhalt als die Steuerfestsetzung besitzen, dürfen nicht unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt werden. Hierunter falle z.B. Bescheide über Verspätungszuschläge oder Haftungsbescheide.53

5.2 Tatbestandsvoraussetzungen

Die alleinige Tatbestandsvoraussetzung für die Erteilung einer Vorbehaltsvoraussetzung gemäß § 164 AO ist der noch nicht abschließend geprüfte Steuerfall durch die Amtsstelle oder durch eine Außenprüfung. Die Prüfung durch die verwaltungsinterne Dienstaufsicht ist hiervon nicht betroffen.54

Der Umfang des Vorbehalts befasst sich immer mit der Steuerfestsetzung, d.h. der Steuerbescheid im Ganzen. Eine Beschränkung auf Einzelpunkte oder einzelne Besteuerungsgrundlagen, wie bspw. nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb, ist grundsätzlich nicht zulässig, auch wenn diese von der Finanzverwaltung so gewollt ist.55 Analog dazu, ist eine spätere Teilaufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auf Einzelpunkte oder Besteuerungsgrundlagen ebenfalls nicht möglich.56

Die Prüfung eines Steuerfalls kann für gewöhnlich als abgeschlossen angesehen werden, wenn eine Außenprüfung oder eine Prüfung durch die Amtsstelle stattgefunden hat. Selbst dann wenn nur bestimmte Schwerpunkte oder Themengebiete geprüft worden sind. Die Außenprüfung ist prinzipiell auf eine abschließende Prüfung angelegt und bezieht sich auf den gesamten Steuersachverhalt. Das gilt auch bei einer verkürzten Prüfung nach § 202 AO.57

Dahingegen liegt keine abschließende Prüfung vor, wenn das Finanzamt die Angaben des Steuerpflichtigen auf Plausibilität überprüft und für Zwecke der Steuerfestsetzung davon abweicht.58 Darüber hinaus liegt keine abschließende Prüfung vor, wenn ein Steuersachverhalt durch einen Einspruch in vollem Umfang wieder aufgerollt wird.59

Wird der Umfang der Prüfung bei Bekanntgabe der Prüfungsanordnung eingeschränkt oder findet eine Sonderaußenprüfung auf eingegrenzte Sachgebiete statt – wie bspw. eine Umsatzsteueraußenprüfung - kann der Vorbehalt der Nachprüfung auch nach abschließender Prüfung aufrecht erhalten werden.60

Die Nebenbestimmung des Vorbehalts der Nachprüfung begründet aber nicht automatisch eine Prüfungsanordnung bzw. eine Außenprüfung. Es handelt sich vielmehr um eine Ermessensvorschrift. Die Finanzverwaltung behält sich das Recht vor einen Sachverhalt abschließend zu prüfen.61

Grundsätzlich muss ein Vorbehaltsvermerk als Nebenbestimmung auf dem Steuerbescheid mit hinreichender Bestimmung angegeben werden. Seine Wirksamkeit entfaltet er daher nur, wenn die Kennzeichnung des Vorbehalts für den Steuerpflichtigen eindeutig erkennbar ist.62 Fehlt eine solche Benennung, ist eine nachträgliche Vorbehaltsstellung nur mit Zustimmung des Steuerpflichtigen möglich.63 Hat die Finanzbehörde jedoch beabsichtigt, einen Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen, kann sie sich dennoch des

§ 164 AO bedienen. Dafür muss allerdings aus den internen Unterlagen hervorgehen, dass das Fehlen eines Vorbehaltsvermerks nach § 129 AO offenbar unrichtig unterlassen wurde.64 Eine Begründung der Finanzverwaltung für die Beschwerung mit dem Vorbehalt der Nachprüfung, braucht es gemäß § 164 Abs. 1 AO nicht.

Ein Steuerbescheid darf jedoch nicht deshalb mit einem Vorbehaltsvermerk versehen werden, nur um den Steuersachverhalt willkürlich offen zu halten.65 Nach einer abschließenden Prüfung muss der Vorbehaltsvermerk gemäß § 164 Abs. 3 AO aufgehoben werden. Ist dieses nicht der Fall, wird der Verwaltungsakt zwar rechtswidrig, jedoch ohne Auswirkungen auf den Vorbehalt. Dieser bleibt bestehen und hat zur Folge, dass der Steuerbescheid weiterhin geändert werden kann.66

5.3 Wirkung des Vorbehalts

Ein Steuerbescheid, welcher unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergeht, entfaltet zunächst die gleichen Wirkungen wie Steuerbescheide, die endgültig ergangen sind. Somit bilden sie mit wirksamer Bekanntgabe die Grundlage für die Erhebung der Steuer und deren Vollstreckung.

Weiterhin kann ein Einspruch gegen die Vorbehaltsfestsetzung nur innerhalb der einmonatigen Einspruchsfrist gemäß § 355 AO eingelegt werden.67 Eine unter Vorbehaltsvermerk festgesetzte Steuer wird nach Ablauf der Einspruchsfrist formell bestandskräftig. Weil die Steuerfestsetzung allerdings nicht endgültig ist, erwächst sie zunächst nicht in materielle Bestandskraft. Somit ist eine Änderung zugunsten, wie auch zuungunsten des Steuerpflichtigen gemäß § 164 Abs. 2 AO jederzeit möglich.68

Die Korrekturvorschrift des § 164 AO geht den Korrekturvorschriften der

§§ 172 ff. AO vor, da sie keine weiteren Voraussetzungen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen benötigt. Anders als bei der Korrektur nach § 172 AO, braucht für eine Korrektur nach § 164 AO keine nachträglich bekannt gewordene Tatsachen oder Beweismittel vorliegen. Daher ist es unerheblich ob zum Zeitpunkt der Vorbehaltsveranlagung die Änderungstatbestände bereits bekannt oder erkennbar waren.69 Neue Tatsachen und Beweismittel müssen genauso berücksichtigt werden, wie anders ausgeübte Wahlrechte. Gerichtsurteile des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesfinanzhofes müssen bzw. können für das Änderungsjahr mit berücksichtigt werden. Allerdings ist der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß

§ 176 AO zu beachten. Die Wirkung eines Gerichtsurteils zuungunsten des Steuerpflichtigen, im Vergleich zur Rechtslage zum Zeitpunkt der Vorbehaltsfestsetzung, darf bei der Änderung eines Steuerbescheids nicht berücksichtigt werden.70

Wird der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben, kann eine Änderung nur noch mit Hilfe der §§ 129 und 172 ff. AO erfolgen. Für § 173 AO gilt dann, dass alle ab der Aufhebung des Vorbehaltsvermerks bekannt gewordenen Vorgänge, neue Tatsachen oder Beweismittel im Sinne des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind.71

5.4 Aufhebung des Vorbehalts

Eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung, ist jederzeit ohne besondere Begründung seitens der Finanzbehörde, 72 als auch auf Antrag des Steuerpflichtigen möglich. Dagegen ist eine Aufhebung des Vorbehalts vorzunehmen, wenn das Finanzamt ihrer Amtsermittlungspflicht nachgekommen ist und eine abschließende Amts-, bzw. Außenprüfung vorgenommen hat.73

Hat sich nach einer Außenprüfung keine Änderung gegenüber der Vorbehaltsfestsetzung ergeben, ist gemäß § 164 Abs. 3 Satz 3 AO der Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben. Dasselbe gilt für Außenprüfungen, bei denen Ergebnisse des Prüfers zu Änderungen der Steuerfestsetzung führen.74

Wird nach einer abschließenden Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben, gilt der Steuerbescheid zwar als rechtswidrig, jedoch ohne Folgen für den Vorbehalt. Wie bereits unter Kapitel 5.2 näher erläutert führen Sonderprüfungen bzw. vorab bekannt gegebene eingeschränkte Prüfungen nicht zu einer abschließenden Prüfung, mit der Folge, dass der Vorbehalt weiter aufrecht gehalten wird.

Gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO kann der Steuerpflichtige einen Antrag auf Aufhebung (oder Änderung) der Vorbehaltsfestsetzung stellen. Eine Bearbeitung dieses Antrags kann bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls hinausgeschoben werden. Es sollte nur innerhalb eines angemessenen Zeitraums darüber entschieden werden. Was unter angemessen zu verstehen ist, bestimmt sich im Einzelfall. Somit lässt sich eine zeitliche Aussage über die Dauer der Antragsentscheidung nicht abschließend beantworten. Dem Finanzbeamten steht es frei zeitlich angemessen zu handeln.75

Die Aufhebung muss in Schriftform entweder postalisch oder auf elektronischen Weg bekannt gegeben und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen werden.

Solange der Vorbehaltsvermerk nicht ausdrücklich revidiert wird, bleibt er weiterhin bestehen. Wird bspw. ein Änderungsbescheid erlassen, welcher nicht mit einem Vorbehaltsvermerk versehen ist und basiert dieser Änderungsbescheid auf einem unter Vorbehalt stehenden Erstbescheid, so trägt dieser das Schicksal des Erstbescheids weiter. 76 Dasselbe gilt für Steuerbescheide, die zwar abschließend geprüft sind, die Aufhebung der Vorbehaltsfestsetzung aber nicht explizit vermerkt wird.77

Eine Aufhebung des Vorbehalts hat zur Folge, dass der Steuerbescheid nach

§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO und mit seinem materiellen Regelungsinhalt endgültig ergeht. Eine ausdrückliche „Endgültigkeitserklärung“ bedarf es hierfür nicht. Gegen die Änderung kann ein Einspruch eingelegt werden, mit der Folge, dass

§ 351 Abs. 1 AO „soweit die Änderung reicht“ nicht greift und der Steuerfall im vollen Umfang erneut aufgerollt wird.78 Der Einspruch bezieht sich nicht nur punktuell auf einzelne Sachverhalte, sondern auf den gesamten Steuerbescheid.79 Darüber hinaus darf eine Korrektur nicht mehr auf § 164 AO gestützt werden. Hierfür können nur noch die §§ 129 und 172 ff. AO herangezogen werden.

Steuervoranmeldungen bleiben von der Aufhebung des Vorbehalts unberührt und das unabhängig davon ob eine abschließende Prüfung stattgefunden hat oder nicht.80

5.5 Wegfall des Vorbehalts

Gemäß § 164 Abs. 4 AO entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung mit Ablauf der Festsetzungsfrist. Für die Berechnung der Festsetzungsfrist ist § 169 AO in Verbindung mit § 171 AO entscheidend. Die Vorbehaltsfestsetzung verjährt bei Verbrauchssteuern innerhalb eines Jahres unter Berücksichtigung etwaiger Ablaufhemmungen. Bei allen anderen Steuerarten nach vier Jahren. Für den Beginn der Frist sind die Voraussetzungen des § 170 AO zu beachten. Bei Steuerhinterziehungen und leichtfertig verkürzten Steuern verlängert sich zwar die Festsetzungsfrist auf fünf bzw. zehn Jahre, dieses hat allerdings keine Auswirkung auf den Wegfall des Vorbehalts. § 164 Abs. 4 Satz 2 AO verweist explizit auf eine Nichtanwendung der §§ 169 Abs. 2 Satz 2 und 171 Abs. 7,8,10 AO. Der Ablauf der Festsetzungsfrist tritt nicht ein. Dem Steuerpflichtigen können dann aufgrund fehlender Rechtsschutzmöglichkeiten Nachteile entstehen. Aber die Finanzbehörde kann aufgrund eingeschränkter Korrekturmöglichkeiten Beeinträchtigungen erleiden. Der Wegfall des Vorbehalts durch Ablauf der Festsetzungsfrist hat zur Folge, dass der Steuerbescheid nicht endgültig ergeht.81

6 Korrektur vorläufiger Festsetzung (§ 165 AO)

Unter dem Mantel der vorläufigen Festsetzung von Steuerbescheiden verbirgt sich der Gedanke, dass eine Steuerschuld ermittelt, festgesetzt und durchgesetzt werden kann, auch wenn im Zeitpunkt der Festsetzung Einzelheiten der Steuertatbestände oder der Rechtskonformitäten noch nicht abschließend geklärt sind. Im Allgemeinen handelt es sich um Sachverhalte, welche Gegenstand eines anderen Verfahrens sind. Um die Anzahl der laufenden Einspruchsverfahren zu verringern, setzt das Finanzamt die Steuern vorläufig fest. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass eine Vielzahl der Steuerpflichtigen in eigener Sache ein Einspruchsverfahren einleitet. Mit Hilfe eines Vorläufigkeitsvermerks wird auf bestehende ansässige Verfahren verwiesen.82 Somit ist eine Verfahrensbeschleunigung möglich, weil das Finanzamt die Steuerfestsetzung für endgültig erklären kann und nur in einzelnen Fällen aufgrund der bestehenden Ungewissheiten offen lässt.83 In diesen offenen Punkten wird der Steuerbescheid nicht bestandskräftig und kann jederzeit durch einen entsprechenden Antrag geändert werden.84

6.1 Tatbestandsvoraussetzungen

Steuerbescheide können mit Vorläufigkeitsvermerken versehen werden, wenn die Finanzbehörde Ungewissheit über die Voraussetzung der Entstehung eines Steueranspruches hat.

Der Wortlaut „kann“ des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet der Finanzbehörde einen Ermessensspielraum, ob und in welchem Umfang ein Verwaltungsakt mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wird.

Die Aufklärungspflicht nach § 88 AO bleibt aber weiterhin bestehen.85

Bei den ungewissen Voraussetzungen muss es sich um subjektive ungewisse Tatsachen handeln, die sich im Rahmen zumutbarer Ermittlungshandlungen nicht eindeutig beseitigen lassen. Anwendungen oder Auslegungen von Rechtsfragen dürfen dabei nicht berücksichtigt werden.86

Unter Ungewissheit versteht man, dass bei der Steuerfestsetzung zwar objektiv feststeht, welcher Sachverhalt und welche Besteuerungsgrundlagen der Festsetzung zu Grunde liegen, die Voraussetzungen sich aber der subjektiven Kenntnis der Finanzbehörde entziehen. Für die subjektive Unkenntnis gilt, dass sie im Zeitpunkt der Festsetzung mit zumutbaren Aufwand nicht zu beseitigen ist.87

Beispiele hierfür sind die Frage der Gewinnerzielungsabsicht bei erwirtschafteten Verlusten in den Gewinneinkunftsarten, Liebhaberei, ausstehende (Grundstücks-) Gutachten für steuerliche Bemessungsgrundlagen, nicht geklärte Erbenstellungen und anderes.88

Beschwert die Finanzbehörde einen Verwaltungsakt mit einem Vorläufigkeitsvermerk aufgrund von bereits feststehenden Tatsachen, nur um sich eine Auslegung von Rechtsfragen offen zu halten, entfaltet der Vorläufigkeitsvermerk keine Wirkung. Unter feststehenden Tatsachen versteht man unter anderen richterliche Urteile, welche in Rechtskraft erwachsen sind und somit Bindungswirkung erlangt haben. Eine vorläufige Festsetzung für die Beurteilung von Sachverhalten aufgrund von Verwaltungsanweisungen oder zukünftiger Entscheidungen der Gerichte ist ebenfalls unzulässig.

Des Weiteren sind Vorläufigkeitsvermerke rechtswidrig, wenn die ungewissen Tatsachen nicht nur vorübergehender Natur sind bzw. die Finanzbehörde die Ungewissheit nicht beseitigen kann. Für diesen Fall muss das Finanzamt die Besteuerungsgrundlage nach § 162 AO schätzen und für endgültig erklären.89 Mit der Schätzung endet auch die Aufklärungspflicht nach § 88 AO.

[...]


1 Vgl. Andrascek-Peter/Braun/Friemel/Schirnl: Lehrbuch Abgabenordnung, 2007, S.2, Rdn. 4

2 Vgl. Haug: Staats- und Verwaltungsrecht, 2008, S.144, Rdn. 230

3 Vgl. Beeck: Grundlagen der Steuerlehre, 2012, S.117

4 Vgl. Gress / Dornheim: Steuerverfahrensrecht, 2006, S.9 Rdn. 38 - 42

5 ebd. S.10 f.

6 Vgl. Bornhofen: Steuerlehre 1, 2012, S. 79

7 Vgl. Fetzer / Arndt: Einführung in das Steuerrecht, 2012, S.60

8 ebd.

9 Vgl. Kreft: Steuerrecht schnell erfasst, 2012, S.65

10 Vgl. Andrascek-Peter/Braun/Friemel/Schirnl: Lehrbuch Abgabenordnung, 2007, S.167, Rdn. 329

11 Vgl. Schemmer: Formelle Bestandskraft, Rdn. 20

12 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S.449, Rdn. 1979

13 Vgl. Domke: Rechtsfragen der Bestandskraft von Verwaltungsakten, 1989, S.10

14 Vgl. Saßenroth: Bestandskraft deutscher Steuerbescheide, 2009, S.42

15 Vgl. Holz: Zur materiellen Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten, 1993, S.24

16 Ebd. S.18

17 Vgl. Niedersächsisches FG vom 15.12.2005, 11 K 50/05, EFG 2006, S. 544

18 Vgl. Holz: Zur materiellen Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten, 1993, S.20-21

19 Vgl. Fetzer/Arndt: Einführung in das Steuerrecht, 2012, S.54

20 Vgl. http://de.mimi.hu/finanz/besteuerungsgrundlage.html (19.05.2013)

21 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S.450, Rdn. 1980

22 Ebd, S.92, Rnd. 250

23 Vgl. Jakob: Abgabenordnung, 2010, S.93, Rnd. 251

24 Vgl. Holz: Zur materiellen Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten, 1993, S.65-66

25 Vgl. Jakob: Abgabenordnung, 2010, S.186, Rnd. 558

26 Vgl. Sikorski/Wüstenhofer: Einführung in das Steuerrecht, 1990, S. 135

27 Vgl. Becker: Die Korrektur von Steuerbescheiden, 2009, S.5f.

28 ebd. S.6

29 Vgl. Bundestags-Drucksache vom 07.11.1975, 7/4292, S. 1-145, S. 29

30 Vgl. BFH vom 31.07.1990,I R 116/88in BStBl II 1991, S. 22

31 Vgl. FG Kassel vom 09.11.1989 EFG 1990, S. 278

32 Vgl. BFH vom 27.05.2009, X R 47/08,in BStBl II 2009, S. 946

33 Vgl. BFH vom 19.03.2009, IV R 84/06, BFH/NV 2009, S.1394

34 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S.456, Rdn. 1995

35 Vgl. BFH vom 13.06.2012, VI R 85/10 in BStBl II 2013, S. 5

36 Vgl. Wienbracke: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2012, S. 216, Rdn. 297

37 Vgl. Tipke in: Tipke / Kruse: Abgabenordnung, 2011, § 129 AO, S. 153, Rdn. 31

38 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S. 457, Rdn. 1996

39 Vgl. Helmschrott / Schaeberle / Scheel: Abgabenordnung, 2012, S. 241

40 Vgl. FG Baden-Württemberg vom 30.05.2005, 4 K 157/00, EFG 2006, S. 310

41 Vgl. BFH vom 03.03.2011, III R 45/08, in BStBl 2011, S. 673

42 Vgl. Seer in: Tipke / Kruse: Abgabenordnung, 2011, § 129 AO, S. 151, Rdn. 29

43 Vgl. ebd. S. 150, Rdn. 27

44 Vgl. BFH vom 28.11.1985, IV R 178/83, in BStBl II 1986, S. 293

45 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S. 458, Rdn. 1998

46 Vgl. Helmschrott / Schaeberle / Scheel: Abgabenordnung, 2012, S. 242

47 Vgl. Buchert/Gnauck-Stuwe/Heller/Niederreiter: Betriebsprüfung, 2005, S.22

48 Vgl. Bundestag-Drucksache VI/1982, S. 148

49 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S. 350, Rdn. 1503

50 Vgl. Seidel, G.: Betriebliche Steuerlehre: Arbeitsbuch, 2002, S. 357

51 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.924 Rdn. 5

52 Vgl. Seer in: Tipke / Kruse: Abgabenordnung, 2011, § 164 AO, S. 65, Rdn. 4

53 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.924, f. Rdn. 5

54 Vgl. Birk /Desens / Tappe: Steuerrecht, 2010, S. 158, Rdn. 518

55 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S. 351, Rdn. 1504

56 Vgl. Seer in: Tipke / Kruse: Abgabenordnung, 2011, § 164 AO, S. 72, Rdn. 48

57 ebd.

58 Vgl. BFH vom 04.08.1983, IV R 79/83, in BStBl II 1984, S. 6

59 Vgl. Jakob: Abgabenordnung, 2010, S.98, Rdn. 253

60 Vgl. BFH vom 30.04.1987 (V R 29/79), in BStBl II 1987, S. 486

61 Vgl. Seer in: Tipke / Kruse: Abgabenordnung, 2011, § 164 AO, S. 66, Rdn. 16

62 Vgl. BFH vom 02.12.1999, V R 19/99, in BStBl II 2000, S. 284

63 Vgl. BFH vom 12.06.1980, IV R 23/79, in BStBl II 1980, S. 527

64 Vgl. Nieland: Bescheidänderung nach § 164 Abs. 2 AO trotz fehlenden Nachprüfungsvorbehalt, S.104-106

65 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.926, Rdn. 13

66 Vgl. Thomas/Windhorst: Steuerbescheide in der Praxis, 2007, S.94, Rdn. 2

67 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S. 352, Rdn. 1506

68 Vgl. Thomas/Windhorst: Steuerbescheide in der Praxis, 2007, S.94, Rdn. 1

69 Vgl. Jakob: Abgabenordnung, 2010, S.98 f., Rnd. 264 f.

70 Vgl. Seer in: Tipke / Kruse: Abgabenordnung, 2011, § 164 AO, S. 70 f., Rdn. 35-38

71 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.928 Rdn. 21

72 Vgl. BFH vom 28.05.1998, V R 100/96, in BStBl. II 1998, S. 502

73 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.932 Rdn. 37 f.

74 Vgl. Thomas/Windhorst: Steuerbescheide in der Praxis, 2007, S.96, Rdn. 4

75 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.930 Rdn. 33

76 Vgl. BFH vom 14.09.1993, VIII R 9/93, in BStBl. II 1995, S. 2

77 Vgl. BFH vom 15.12.1994, V R 135/93 in BFH/NV 1995, S. 938

78 Vgl. Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler: Abgabenordnung, 2010, S. 353, Rdn. 1507

79 Vgl. Thomas/Windhorst: Steuerbescheide in der Praxis, 2007, S.96, Rdn. 4

80 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.932, Rdn. 42

81 Vgl. Frotscher in: Schwarz – Kommentar zur Abgabenordnung, 2011, § 164 AO, S 26, Rdn. 119

82 Vgl. Grashoff / Kleinmanns: Aktuelles Steuerrecht 2013, 2013, Rdn. 621

83 Vgl. Kreft: Steuerrecht schnell erfasst, 2012, S.54

84 Vgl. Meier/Spohrer: Der Einspruch im Steuerrecht: Grundlagen und Praxis, 2012, S. 74

85 Vgl. BFH vom 26.09.1990, II R 99/88, in BStBl. II 1990, S. 1043

86 Vgl. BFH vom 25.04.1985, IV R 64/83, in BStBl. II 1985, S. 648

87 Vgl. Lammerding: Abgabenordnung und FGO, 2005, S. 404

88 Vgl. Jakob: Abgabenordnung, 2010, S.94, Rnd. 253

89 Vgl. Rüsken in: Klein: Abgabenordnung – einschließlich Steuerstrafrecht, 2006, S.939 Rdn. 6

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Die Korrekturvorschriften für bestandskräftige Steuerbescheide
Hochschule
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg  (Steuern)
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
86
Katalognummer
V294393
ISBN (eBook)
9783656919711
ISBN (Buch)
9783656919728
Dateigröße
799 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
korrekturvorschriften, steuerbescheide
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Joseph Schmid (Autor:in), 2014, Die Korrekturvorschriften für bestandskräftige Steuerbescheide, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/294393

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