Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. So lautet die Beschreibung der Heterotopie, dessen Konzept Michel Foucault in seinem Vortrag Von anderen Räumen (1967) im Cercle d’études architecturales vorstellt.
Darin richtet Foucault sein Augenmerk auf die Bedeutung und Konstruktion von Räumen, die in der Moderne an Gewicht gewinnen und die Epoche der Zeit als dominantes Paradigma zurücklassen. Allerdings widmet sich Foucault Räumen besonderer Art, die weder ganz Utopie sind, noch einen alltäglich erfahrbaren Raum darstellen. Diese nennt er, aufgrund ihrer Andersartigkeit, Heterotopien. Es sind Räume, die sich dem alltäglichen und flüchtigen Blick entziehen, aus den gewohnten Mustern ausbrechen und für jene erfahrbar werden, die sich den konventionalisierten Orten und der Dominanz der Zeit zu widersetzen. Nach Foucault schafft sich jede Gesellschaft solche Räume, die zwar mit den konventionellen Räumen in Verbindung stehen, diese jedoch «suspendieren, neutralisieren oder in ihr Gegenteil verkehren».
Diese Heterotopien sind als Utopien zu begreifen, die tatsächlich in der Gesellschaft verwirklicht wurden, sich aber trotzdem von konkreten Räumen abheben. Dieser Abriss der foucaultschen Heterotopie ist anwendbar auf das Medium Film und dessen Erlebnisqualitäten, denn der Film als Reproduktionsmedium ist in der Lage, nicht nur bestehende Räume abzubilden, sondern darüber hinaus neue mediale Räume zu generieren. Vor allem besitzt der Film die Eigenschaft, Raum- und Zeitstrukturen visuell darzustellen, diese zu verändern oder aufzulösen. Will man, wie in der vorliegenden Arbeit, das Konzept der Heterotopie für den Film fruchtbar machen und es aus dem sozio-kulturellen und philosophischen Kontexten lösen und auf den Film übertragen, ist hierfür das Werk des Regisseurs Wes Anderson prädestiniert. Wes Anderson verfährt nicht nur auf formalen Ebene heterotopisch, sondern auch inhaltlich thematisiert er eine räumliche Andersartigkeit. Er schafft nicht nur einen heterotopischen Raum mit den Mitteln der Montage, der Mis-en-scène und der Kadrierung, sondern zeigt auch auf
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Konzept der Heterotopie (Foucault)
- Das Kino als Heterotopie par excellence
- Das Kino zwischen Utopie und Heterotopie
- Das filmische Prinzip der Verfremdung als heterotopes Verfahren
- Andersartigkeit der Figuren bei Wes Anderson
- Figurenzeichnung
- Zeitliche Verkehrung des Rollenverhaltens als liminale Phase
- Aus- und Aufbruch aus der bestehenden Ordnung
- Symbolische Bedeutung des Familienhauses
- Das Haus als Pars pro Toto des filmischen Raums am Beispiel von MOONRISE KINGDOM
- Heterotope Orte bei Wes Anderson
- Heterotopien als Orte des Zwischen- und Übergangsraumes
- Die Suche nach dem heterotopen Anderen bei MOONRISE KINGDOM
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit filmischen Räumen als Heterotopien im Schaffen von Wes Anderson. Sie zielt darauf ab, Foucaults Konzept der Heterotopie auf das Medium Film zu übertragen und zu analysieren, wie Wes Anderson filmische Räume als Heterotopien gestaltet.
- Die Anwendung des Heterotopie-Konzepts auf filmische Räume
- Die Analyse der formalen und inhaltlichen Gestaltungsmittel von Wes Anderson
- Die Rolle der Figurenzeichnung und des Rollenverhaltens in der Konstruktion heterotoper Räume
- Die Untersuchung von spezifischen Filmen wie MOONRISE KINGDOM, THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU und THE DARJEELING LIMITED
- Die Bedeutung von Bewegung und Ortsverlagerung für die Erzeugung heterotoper Erfahrungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Konzept der Heterotopie nach Foucault und erörtert dessen Relevanz für das Medium Film. Anschließend wird das Kino als Heterotopie par excellence untersucht, indem die Eigenschaften des Kinos mit Foucaults Grundsätzen der Heterotopie abgeglichen werden. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Andersartigkeit der Figuren bei Wes Anderson, indem die Figurenzeichnung und das besondere Rollenverhalten analysiert werden. Im vierten Kapitel wird die Bedeutung des Familienhauses als symbolischer Ort in Wes Andersons Filmen beleuchtet, wobei das Haus als Pars pro Toto des filmischen Raums dient. Das fünfte Kapitel widmet sich der Untersuchung heterotoper Orte in Wes Andersons Filmen, wobei das Schiff in THE LIFE AQUATIC und der Zug in THE DARJEELING LIMITED sowie die Flucht von Sam und Suzy in MOONRISE KINGDOM im Mittelpunkt stehen. Die Arbeit endet mit einem Fazit, das die zentralen Ergebnisse und Erkenntnisse zusammenfasst.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Heterotopie, filmischer Raum, Wes Anderson, Figurenzeichnung, Rollenverhalten, Liminalität, Ortsverlagerung, Bewegung, THE LIFE AQUATIC, THE DARJEELING LIMITED, MOONRISE KINGDOM.
- Arbeit zitieren
- Claudia Jaworski (Autor:in), 2014, Filmische Räume als Heterotopien im Schaffen von Wes Anderson, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/294629