"Das Jahr 2011 wird als ein Jahr der Demokratie in die Geschichte eingehen. Die Suche nach Freiheit und politischer Selbstbestimmung hat Menschen überall auf der Welt aufgerührt und auf die Straßen getrieben. Diktatoren wie Gaddafi sind gestürzt, autoritäre Regierungen vertrieben worden. Und doch lassen sich die Proteste nicht als ein strahlender Triumphzug der Demokratie lesen. [...] Neben der Hoffnung auf freie Verhältnisse und bessere Zeiten, neben einem unbändigen Optimismus standen tiefe Ängste und Sorgen angesichts demokratischer Zustände."
Liest man diese einleitenden Zeilen aus Paul Noltes Buch "Was ist Demokratie?", so wird deutlich, dass die gegenwärtige Lage der Demokratie alles andere als eindeutig ist. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Debatte um den Zustand des politischen Systems aktueller denn je ist. Die Diskussion ist selbstverständlich nicht ganz neu, dennoch hat sie - nicht zuletzt durch die großen Massenproteste der letzten Jahre - einen erneuten Aufschwung erlebt. Immer häufiger taucht in diesem Zusammenhang ein noch recht junger Begriff auf: "Postdemokratie". Dieser Terminus wurde entscheidend geprägt durch den englischen Sozialwissenschaftler Colin Crouch, welcher sein gleichnamiges Buch erstmals im Jahr 2001 in Italien veröffentlichte. Der Begriff stellt sich geradezu provokant der Selbstbeschreibung moderner politischer Systeme entgegen. Er scheint weiterhin der - zumindest in Teilen - euphorischen Stimmung der aktuellen Demokratiedebatte zu widersprechen, indem er das Ende der Demokratie postuliert.
Besonders vor dem Hintergrund der arabischen Revolutionen, den weltweiten Massenprotesten im Rahmen der Occupy-Bewegung und auf nationaler Ebene den Demonstrationen hunderttausender Bürger_innen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 - um nur einige der prominentesten Beispiele zu nennen - scheint es interessant, sich eingehender mit dem Konzept auseinanderzusetzen.
Vor Colin Crouch, benutzte der bereits Philosoph Jacques Ranciere den Begriff. Auch in den lateinamerikanischen Sozialwissenschaften existieren seit Ende der 1990er Jahre Theorien der Postdemokratie.3 Dem Begriff werden dabei sehr unterschiedliche Deutungen zugeschrieben. Daher beschränke ich mich in der vorliegenden Arbeit auf die Betrachtung der Theorie von Colin Crouch. Hier sind die Überlegungen zur Postdemokratie am systematischsten ausgearbeitet. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Colin Crouchs Theorie der Postdemokratie
- Was ist Postdemokratie?
- Symptome der Postdemokratie
- Die globalen Unternehmen als Gewinner des postdemokratischen Trends
- Zwischen Marketing und Lobbyismus - Zur Lage der Parteien
- Privatisierung als Fetisch? - Die Kommerzialisierung öffentlicher Dienste
- Staatlicher Autoritätsverlust
- Therapievorschläge und Gegenbewegungen
- Kritische Analyse
- Analyse der Begriffe Demokratie und Postdemokratie
- Demokratie bei Crouch
- Das Ende der Demokratie? - Kritik der Postdemokratie
- Crouchs Zeitdiagnose
- Parabel-Modell
- Der Höhepunkt der Demokratie?
- Eurozentrismus
- Analyse der Begriffe Demokratie und Postdemokratie
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Theorie der Postdemokratie, die vom englischen Sozialwissenschaftler Colin Crouch geprägt wurde. Ziel ist es, Crouchs Konzept zu analysieren und zu bewerten, ob es geeignet ist, die gegenwärtigen Veränderungen des demokratischen Systems zu erfassen und Prognosen über die zukünftige Entwicklung zu liefern.
- Definition und Merkmale der Postdemokratie
- Symptome der Postdemokratie, wie z.B. der Einfluss globaler Unternehmen, die Rolle von Lobbyismus und die Kommerzialisierung öffentlicher Dienste
- Kritik an Crouchs Theorie und alternative Perspektiven auf die Demokratie
- Die Zeitdiagnose und die Frage, ob die Demokratie ihren Höhepunkt erreicht hat
- Die räumliche Dimension des Begriffs und die Frage seines Geltungsbereiches
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Postdemokratie ein und stellt Crouchs Theorie vor. Es werden die zentralen Elemente seiner Konzeption erläutert, insbesondere die Definition der Postdemokratie und die Symptome, die er dieser Entwicklung zuschreibt. Außerdem werden Crouchs Therapievorschläge und Gegenbewegungen kurz umrissen.
Das zweite Kapitel widmet sich einer kritischen Analyse von Crouchs Theorie. Es werden die Begriffe "Demokratie" und "Postdemokratie" genauer betrachtet und verschiedene Kritiker des Ansatzes zu Wort kommen. Außerdem wird Crouchs Zeitdiagnose und die Frage, ob die Demokratie ihren Höhepunkt erreicht hat, diskutiert. Abschließend wird die räumliche Dimension des Begriffs und die Frage seines Geltungsbereiches behandelt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Postdemokratie, Colin Crouch, Demokratie, Globalisierung, Lobbyismus, Privatisierung, Zeitdiagnose, Kritik, Eurozentrismus.
- Quote paper
- Christoph Lammert (Author), 2012, Postdemokratie? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ansatz von Colin Crouch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/294822