Lessings 'Minna von Barnhelm' als Anleitung zur Toleranz?


Seminararbeit, 2003

17 Seiten, Note: sehr gut (1,0)


Leseprobe


Inhalt

1. Hintergründe zu “Minna von Barnhelm“ im Hinblick auf die Entstehungszeit

2. Die sächsische Typenkomödie
2.1 Die enttäuschte Erwartung

3. Aufhebung der Ständegesellschaft
3.1 Minna und Franziska
3.2 Tellheim, Paul Werner und Just

4 Aufwertung der Frauenrolle
4.1 Die Stellung der Frau in der Aufklärungsgesellschaft
4.2 Die Stellung der Frau in “Minna von Barnhelm“
4.2.1 Minna
4.2.2 Franziska

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Hintergründe zu „Minna von Barnhelm“ im Hinblick auf die Entstehungszeit

“Minna von Barnhelm“ wird als der Höhepunkt von Lessings Komödienschaffen angesehen und wird auch heute noch gerne aufgeführt.

Das Stück erscheint 1767 unter dem Titel „Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Lustspiel in 3 Aufzügen“.[1] Die Anmerkung “Verfertigt im Jahre 1763“ deutet den hohen Realitätsgehalt des Stückes an. Es ist das Jahr des Hubertusfriedens, der zeitgeschichtliche Hintergrund ist der Siebenjährige Krieg. Zu der Zeit ist Lessing Gouvernementsekretär und hat so Kontakt mit der “Politik der Großen.“[2]

Durch diese offenkundige Nähe zu den politischen Zeitereignissen wäre das Stück beinahe zensiert worden. Es wird aber schließlich doch am 30.09.1767 uraufgeführt.

Durch die Neuartigkeit des Realitätsbezuges hat es auch Auswirkungen auf die Tradition der Lustspiele. Auch wenn sich noch viele Parallelen zu der sächsischen Typenkomödie finden, so zeigt sich doch, dass für Lessing die Individualisierung eine große Rolle spielt. Die Charaktere in diesem Stück stehen nicht als Typen, sondern als Individuen auf der Bühne.[3]

Diese Tatsachen bilden den Hintergrund für die vorliegende Arbeit. Es soll untersucht werden, inwieweit das Stück als Anleitung zur Toleranz gesehen werden kann.

Dazu werden drei Punkte näher betrachtet: die sächsische Typenkomödie, die Ständegesellschaft und die Rolle der Frau zu jener Zeit.

2. Die sächsische Typenkomödie

Lessing benutzt das damals gängige Muster der sächsischen Typenkomödie, um den Leser zu mehr Toleranz zu bewegen. Um das deutlich zu machen, werden die wichtigsten Hintergründe dargelegt.

Im frühen 18. Jahrhundert gibt es in Deutschland kaum eine sozial anerkannte Komödienform, noch ein entsprechendes Theater. Diese Situation wird erst durch Johann Christoph Gottsched geändert. Er legt mit seiner Critischen Dichtkunst ein Regelwerk vor, das von nun an für die Erstellung von Komödien gelten soll.[4]

Dabei ist Gottsched nicht nur die Anhebung der Komödie auf ein gesellschaftlich anerkanntes Niveau wichtig. Er will ihr auch einen sozialerzieherischen Zweck im Sinne der Aufklärung geben.

Die Komödie ist für ihn „die Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann“[5]. Durch die Einführung von Gottscheds Komödientheorie ähneln sich die einzelnen Komödien in ihrem Aufbau sehr stark. Sie werden meist nach dem folgenden Schema konstruiert:

Eine Person, aus mäßigem Stand oder niederem Adel stammend, hat eine menschliche Schwäche. Diese ist meist bis ins Lächerliche übertrieben und macht es der Person unmöglich, sich in ihrer Umwelt zu etablieren.

Die typisierte Umwelt handelt aus der Vernunft heraus und versucht den Charakter des lasterhaften Menschen zu bessern.[6]

Da die guten und schlechten Charaktere so eindeutig dargestellt sind, fällt es dem Zuschauer nicht schwer, zwischen richtigem und falschem Handeln zu unterscheiden.

Er wird so auf unterhaltsame Weise über anzustrebendes Verhalten und abzulehnendes Verhalten belehrt.[7] Der Sinn der Komödie nach Gottsched ist erfüllt.

Es kommt also nicht auf eine reale Darstellung des menschlichen Charakters mit seinen negativen und positiven Eigenschaften an. Die Figuren werden auf das Laster reduziert, das ihnen anscheinend, z. B. aufgrund ihres Alters oder ihres Berufes, anhaftet. Es steht immer die einzelne Figur für ein soziales Allgemeines ein und ist so von einer weiteren Gesellschaft ausgeschlossen.

Dass dadurch die gängigen Meinungen über abweichendes Verhalten verstärkt und soziale Vorurteile und Stereotypen unterstützt werden, liegt auf der Hand.[8]

Genau das kritisiert Lessing und bringt es in der Figur Tellheim auf den Punkt.

Er stellt mit ihm, wie auch mit den anderen Figuren, reale Personen auf die Bühne, die durch konkrete Besonderheiten ihrer Lebenssituation individuelle Züge erhalten.

Das macht für Lessing eine wahre Komödie aus: “Ja, ich getraue mir zu behaupten, dass nur dieses allein wahre Komödien sind, welche sowohl Tugenden als Laster, sowohl Anständigkeit als Ungereimtheit schildern, weil sie eben durch diese Vermischung ihrem Originale, dem menschlichen Leben, am nächsten kommen.“[9]

Für ihn kann nur diese Komödienform einen Nutzen für das ganze Volk haben, denn „was sie bei dem einen nicht durch Scham erlangt, das erlangt sie durch die Bewunderung; und wer sich gegen diese verhärtet, dem macht sie jene fühlbar“[10].

Ein weiterer wichtiger Punkt, den Lessing an der sächsischen Typenkomödie kritisiert, ist die Einstellung zum Lachen. In der sächsischen Typenkomödie rückt der Aspekt des Auslachens in den Vordergrund. Der Zuschauer/Leser erlebt seine eigene Überlegenheit angesichts der Schwäche des anderen, der ihm so unwert erscheint.[11]

So entstehen zwei Parteien, einmal ein Zusammenschluss derer, die verlachen dürfen, und auf der anderen Seite die Person, die ausgelacht wird.

“Was in der Gottschedschen Komödie zum Spielen kommt, ist ohne

Zweifel der gruppendynamische Verhaltenstypus des

integrativ-dissoziativen Lachens: Integrativ und stabilisierend

hinsichtlich der vorgefaßten Meinungen und Wertvorstellungen

der Zuschauer, dissoziativ und ausschließend gegenüber der

komischen Figur auf der Bühne.“[12]

Lessing will dieses Lachen, das soziale Unterschiede bestärkt und intolerantes Verhalten fördert, aus der Komödie entfernen. Die Komödie soll zwar noch durch Lachen bessern, aber eben nicht durch das Verlachen, sondern durch das Lachen an sich. Es dient nicht mehr der sozialen Kontrolle von abweichendem Verhalten,

sondern dient als Mittel der Selbstkontrolle.[13]

Man lacht über die Schwächen der Menschen allgemein, aber schätzt auch gleichzeitig ihre guten Eigenschaften. Denn erst dadurch, dass man die guten Eigenschaften neben den schlechten sieht, wird der Zuschauer sich Letzterer bewusst und kann sie ändern.[14]

[...]


[1] Vgl. Fick, Monika: Lessing Handbuch, S. 242.

[2] Vgl. ebenda, S. 242.

[3] Vgl. ebenda, S. 243.

[4] Vgl. Brenner, Peter J.: Gotthold Ephraim Lessing, S. 85.

[5] Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 643.

[6] Vgl. Barner, W.; Grimm, Gunter E.; Kiesel, Helmuth; Kramer, M.: Lessing, Epoche - Werk - Wirkung, S. 128.

[7] Vgl. ebenda, S. 128.

[8] Vgl. Böhler, M.: Lachen oder verlachen? S. 252.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Lessings 'Minna von Barnhelm' als Anleitung zur Toleranz?
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Einführungsseminar
Note
sehr gut (1,0)
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V29502
ISBN (eBook)
9783638309943
ISBN (Buch)
9783640774852
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Hausarbeit zum Thema Komödie und ihre Theorie.
Schlagworte
Lessings, Minna, Barnhelm, Anleitung, Toleranz, Einführungsseminar
Arbeit zitieren
Ruth Sagafe (Autor:in), 2003, Lessings 'Minna von Barnhelm' als Anleitung zur Toleranz?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29502

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