Was bedeutet Armut als relationales Konzept?


Hausarbeit, 2011

18 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Armut als Konzept
1.1 Wozu überhaupt ein Konzept von Armut?
1.2 Das offizielle Konzept: zu viel verdeckte Armut
1.3 „arm sein“ ist etwas anderes als Armut
1.4 „arm sein“ in der eigenen Schicht

2. Ursachen
2.1 Die Feinen Unterschiede: Abgrenzung oder Ausgrenzung?
2.2 Der gesellschaftlich überholte Habitus
2.3 Widersprüche und Brüche in der Sozialstruktur

3. Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Prof. Dr. Barlösius legte in dem 2001 erschienen Buch „Die Armut der Gesellschaft“ einen Text vor, der zu einer neuen „theoretischen Konzeption einer Soziologie der Armut“ anregt. Die vorliegende Hausarbeit wird dieses Konzept vorstellen. Zunächst wird die Frage aufgeworfen, wozu und für wen Konzepte von Armut entwickelt werden und welches Konzept sich gesellschaftlich und sozialpolitisch in Wohlfahrtsstaaten durchgesetzt hat. Andere Konzepte der Armut werden nicht erwähnt, da die Beschreibung des offiziellen Konzepts lediglich begründen soll, warum Barlösius es für nötig hält, zu einem neuen Verständnis von Armut zu gelangen. Der Fokus bleibt somit beim Konzept relationaler Armut.

Zur Bearbeitung des Themas stützt sich die Hausarbeit im wesentlichen auf die Auslegung dreier Texte: „Das gesellschaftliche Verhältnis der Armen – Überlegungen zu einer theoretischen Konzeption einer Soziologie der Armut“ von Barlösius und Vesters Texte „Soziale Milieus zwischen Individualisierung und Deklassierung“ und „Soziale Milieus in gesellschaftlichem Strukturwandel“.

1. Armut als Konzept

1.1 Wozu überhaupt ein Konzept von Armut?

Die Mehrzahl der Definitionen und Konzepte von Armut bilden die Grundlagen sozialstaatlicher Maßnahmen. Verschiedene Interessengruppen wollen Armut, so wie sie sie abbilden und präsentieren, zu einem öffentlichen, politischen Thema machen. Für die Entwicklung von Forschungsmethoden und zur Erhebung von Daten brauchen die Beauftragten Konzepte. Es ist wichtig, sich klar zu machen, wer die Akteure sind, die ihre Sichtweise auf Armut durchsetzen wollen. Denn daran lässt sich erkennen, mit welcher Zielsetzung diese Konzepte entwickelt werden.

Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Kirchen sind unmittelbar mit den Folgen von Armut konfrontiert und wollen mit ihren Erhebungen Einfluss auf die Politik nehmen. Die Motivation der politischen Führung ist freilich eine andere. Sie will ihren spezifischen Blick auf Armut durchsetzen, um Maßnahmen begründen zu können (vgl. Barlösius 2001, S. 78).

In Wohlfahrtsstaaten sei der Anspruch auf soziale Hilfe beinahe vollständig auf staatliche Einrichtungen, nachgeordnete Institutionen oder staatsähnliche Vereinigungen übergegangen, so Barlösius. Unterstützung werde vom Staat jedoch nicht aus Mitleid gegenüber Not leidenden Mitmenschen gewährt, wie dies zum Beispiel bei kirchlichen Institutionen der Fall sei, sondern diene dem Erhalt der Gemeinschaft; nämlich um jene extreme Formen der Armut abzufedern, die das Gesamtgefüge der Gesellschaft gefährden, weil etwa soziale Unruhen drohen würden oder eine gesellschaftliche Übereinkunft über das legitime Ausmaß sozialer Ungleichheiten in Frage gestellt werde (vgl. Barlösius 2001, S. 74). Wie das nächste Kapitel zeigen wird, lässt das offizielle Konzept der Armut viele Menschen und Gruppen unbeachtet.

1.2 Das offizielle Konzept: zu viel verdeckte Armut

Statistiken haben in modernen Staaten u.a. eine symbolische Bedeutung, denn sie werden als „die einzig akzeptable Form von Wissen über die soziale Welt“ angesehen. Die konkreten Erscheinungen sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung werden für die Statistik enorm abstrahiert und in Zahlen übersetzt. Nur derartiges nach wissenschaftlichen Methoden erstelltes Wissen über Armut gilt als wirklichkeitsgerecht, repräsentativ und gesellschaftspolitisch relevant. Alltägliches, aus unmittelbarem Erleben oder Anschauung gewonnenes Wissen wird dagegen als subjektiv, punktuell und deshalb wenig realitätshaltig abgewehrt (vgl. Barlösius 2001, S. 78). Moderne Wohlfahrtsstaaten nutzen Daten und Statistiken, um „staatliche Interventionen zu legitimieren, oder um die Nichtdurchführung von sozialen Maßnahmen zu begründen.“ (Barlösius 2001, S. 78).

Denn sobald ein staatlich garantierter Anspruch auf soziale Hilfe besteht, wird es notwendig, diese Unterstützung zu reglementieren und zu regulieren. Jeder Bürger eines Wohlfahrtsstaates muss schließlich verbindliche Aussagen darüber erhalten, wann ihm Hilfe zusteht und in welchem Ausmaß. Diese Verbindlichkeit ist nur durch eine festgelegte Armutsgrenze zu erreichen, die für alle gilt. Es werde demnach eine Messlatte, „ein Umschlagpunkt“ für Merkmale wie Einkommen, Bildung, Gesundheit, Wohnung, etc. festgelegt, um eine Klassifizierung in „arm“ oder „nicht arm“ vornehmen zu können“ (vgl. Barlösius 2001, S. 76). Das heißt, dass in politisch durchgesetzten bzw. offiziellen Armutskonzepten alle sozialen Lagen nach „einem einzigen Bezugspunkt“ beurteilt werden (vgl. Barlösius 2001, S. 76).

Politisch motivierte Konzepte zur Ermittlung von Lebenslagen sind in Krisenzeiten hauptsächlich auf Sparmaßnahmen hin ausgerichtet. Paradoxerweise werde so ein Maßstab für Verarmung von der Politik festgelegt, der einen gesellschaftlichen Common Sense darüber beinhalten soll, was in der Gesellschaft als notwendig gelte, der aber die Erfahrungen von Ausgrenzung, die Wahrnehmungen und Kriterien der in Not Lebenden selbst völlig ignoriere. Es werde eine Fremdklassifikation vorgenommen, die mit der Zuweisung einer sozialen Position verbunden sei. Dies könne von den Klassifizierten zurecht als Beitrag zu ihrer sozialen Ausgrenzung verstanden werden (vgl. Barlösius 2001, S. 76f). Mit anderen Worten: die Einordnung in „arm“ oder „nicht arm“ wirkt an sich schon diskriminierend.

Barlösius (2001, S. 75) sagt, wenn „konkrete Erscheinungsformen von Entbehrung und Bedürftigkeit und alle sinnlichen Eindrücke von Not und Mangel“ aus den politisch motivierten statistischen Untersuchungen getilgt sind, gerät der „relationale Charakter von Armut aus dem Blickfeld.“ Extreme alltägliche Benachteiligungen würden nämlich erst dann gesellschaftlich wahrgenommen, wenn sie statistisch erhoben und quantitativ belegt seien (vgl. Barlösius 2001, S. 78).

Die überwiegende Mehrzahl der berufsmäßigen Produzenten von Wissen über Armut sind Armutsforscher, die in der staatlichen Administration, dem sozialstaatlichen Sicherungssystem tätig oder freien Wohlfahrtsträgern verpflichtet sind. Ihre objektivierten Repräsentationen der sozialen Welt entscheiden darüber, ob und wie Armut öffentlich registriert, wahrgenommen und bewertet wird (vgl. Barlösius 2001, S. 78).

Die Folge sei, „dass einige sich zu unrecht als 'arm' klassifiziert sehen, andere ihre Lebenslage als defizitär wahrnehmen, aber in den gängigen Armutsdefinitionen nicht entsprechend repräsentiert sind (vgl. Barlösius 2001 S. 71).

Als weiterer Nachteil der offiziellen Armutsdefinition ist zu erwähnen, dass „eine ganze Reihe von [...] Gruppen, die unter die offizielle Armutsdefinition fallen, in der Statistik jedoch selten „mehr als erwähnt werden.“ (Barlösius 2001, S. 80) Unter anderem illegale Einwanderer, Straßenkinder, Asylbewerber und Obdachlose. (vgl. Barlösius 2001, S. 80). Ihre soziale Lage wird gesellschaftspolitisch nicht thematisiert, weil ihnen aus diversen Gründen die Unterstützungsberechtigung fehlt (vgl. Barlösius 2001, S. 82).

Doch nicht nur Vertreter der untersten Schichten, die von der Gesamtgesellschaft abgelehnt und als nicht zugehörig erachtet werden, sind von verdeckter Armut betroffen. Es leben auch in höheren Schichten Menschen in Grauzonen: sie haben zu viel um offiziell als „arm“ zu gelten, das heißt, sie genießen aufgrund ihres vermeintlichen Wohlstands keine Unterstützungsberechtigung. Andererseits besitzen sie aber zu wenige Ressourcen, um sich tatsächlich der Gesellschaft zugehörig zu fühlen, denn sie wollen nicht irgendeiner abstrakten Gesellschaft angehören, sondern dem Milieu, dem sie angehören wollen oder dem sie bislang angehört haben. Und dafür reichen ihre Mittel nicht (mehr). Sie empfinden sich selbst als arm und werden von ihrem Umfeld als arm wahrgenommen, obwohl sie in niedrigeren Milieus durchaus als wohlhabend gelten. Warum das so ist, wird in folgerndem Kapitel vertieft.

1.3 „arm sein“ ist etwas anderes als Armut

Simmel machte bereits 1908 in seinem Artikel „Der Arme“ auf den relationalen Charakter von Armut aufmerksam: „Nun scheinen diese Bestimmungen nicht für die Armen überhaupt zu gelten, sondern nur für einen gewissen Teil derselben: diejenigen, die Unterstützung empfangen - während es doch genug Arme gibt, die nicht unterstützt werden. Das letztere weist auf den relativistischen Charakter des Armutsbegriffes hin.“ (Simmel 1908, S. 370) Diese „Bestimmungen“ sind die zuvor beschriebenen offiziellen, gesamtgesellschaftlichen Armutsdefinitionen: Zum Beispiel das durchschnittliche Einkommen Deutschland als Markierung für „oben“ oder „unten“.

[...]

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Details

Titel
Was bedeutet Armut als relationales Konzept?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V295032
ISBN (eBook)
9783656927891
ISBN (Buch)
9783656927907
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Armut, relationales Konzept, Soziologie der Armut, Barlösius
Arbeit zitieren
Esther Kurzok (Autor:in), 2011, Was bedeutet Armut als relationales Konzept?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295032

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