Compliance-Management-Methode(n)

Verhinderung und Aufklärung von Wirtschaftskriminalität, vornehmlich Korruption, unter Berücksichtigung der Corporate Responsibility


Masterarbeit, 2015

87 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Einführung in die Thematik
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Grundlagen von Wirtschaftskriminalität und Korruption
2.1 Die Herausforderungen bei der Begriffsfindung für Wirtschaftskriminalität und Korruption
2.2 Ausgesuchte Argumente für und gegen Korruption
2.2.1 Gesamtgesellschaftliche Argumente
2.2.2 Individuelle und unternehmensspezifische Argumente

3 Unterschiedliche Erklärungsansätze für Korruption
3.1 Ökonomische Theorien
3.1.1 Beckers ökonomisches Handlungskonzept des Verbrechens
3.1.2 Einfaches und erweitertes Prinzipal-Agent-Modell
3.2 Managementtheorien
3.2.1 Der Einfluss der Persönlichkeit
3.2.2 Der Einfluss der Organisation
3.3 Das Betrugsdreieck nach Donald Cressey als verbindendes Element

4 Handlungsvorschläge für Compliance-Management-Maßnahmen
4.1 Ökonomische Theorie der Kriminalität
4.2 Prinzipal-Agent-Theorie
4.3 Persönliche und organisationale Einflüsse der Managementtheorien
4.4 Zwischenfazit: Praktische Compliance-Umsetzungen

5 Corporate Responsibility – nicht nur ein theoretisches Ethik-Konzept
5.1 Was ist Corporate Responsibility und wie ist ihre Verbindung zum Compliance-Management?
5.2 Wertemanagement – Wenn Compliance allein nicht mehr ausreicht
5.2.1 Grundlagen des „Wertemanagementsystems“
5.2.2 Werteprogramm zur Korruptionsbekämpfung
5.2.3 Zwischenfazit: Werteprogramm als Antikorruptionswerkzeug

6 Beispiele realer Antikorruptionsprogramme
6.1 Beispiel Deutsche Telekom AG
6.2 Beispiel Fraport AG
6.3 Beispiel ThyssenKrupp AG
6.4 Einordnung von zwölf Großunternehmen anhand ihrer gewählten Korruptionsstrategie

7 Fazit
7.1 Schlussfolgerungen betreffend der Fragestellung
7.2 Schlussfolgerungen betreffend die These:
7.3 Kritik an der eigenen Vorgehensweise
7.4 Letzte Worte

Literaturverzeichnis

Zeitschriftenartikel

Internetquellen

Anhang
Anhang 1 - § 74c Abs. 1 Nr. 1-6b Gerichtsverfassungsgesetz
Anhang 2 – Auszug: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Fraud-Triangel, nach D. Cressey, eigene Darstellung, 2014

Abbildung 2: Beispiel für Anwendung des Fraud Triangle, eigene Darstellung, 2014

Abbildung 3: Einordnung der theoretischen Compliance-Ansätze in das Fraud Triangle, eigene Darstellung, 2014

Abbildung 4: Zusammenhang von CR, CSR, CC, CG und Compliance, eigene Darstellung, 2014

Abbildung 5: Compliance- und Wertemanagement als Bestandteil von Corporate Governance und Corporate Responsibility, eigene Darstellung, 2014

Abbildung 6: Einordnung der theoretischen Compliance-Ansätze und Werteprogramme in das Fraud Triangle, eigene Darstellung, 2014

Abbildung 7: Vergleich der Orientierung der Antikorruptionsmaßnahmen der Unternehmen, nach Claussen, 2011, S. 356

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Formen von Korruption in Organisationen, vgl. Grieger, 2012,

Tabelle 2: Übersicht der klassischen Lösungsstrategien der Rational-Choice-Ansätze und die Umsetzung der Compliance-Abteilungen, eigene Darstellung, 2014

Tabelle 3: Übersicht der klassischen Agenturprobleme und Lösungsstrategien der Compliance-Abteilungen, vgl. Steßl, 2012

Tabelle 4: Übersicht über den Zusammenhang von Ursache und Praxisumsetzung für persönliche und organisationale Einflüsse der Management-Ansätze, eigene Darstellung, 2014

Tabelle 5: eigene Darstellung, nach Wieland, 2004,

Tabelle 6: Zusammenhang zwischen Tätertypus, Maßnahmen und voraussichtlicher Korruptionswirkung, eigene Darstellung, 2014

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Einführung in die Thematik

Eine spezielle Spielart wirtschaftskrimineller Handlungen, die nicht selten im Verborgenen und in den eher unbedeutend erscheinenden Bereichen des alltäglichen Gebarens ansässig ist und im Vergleich zu den großen Skandalen und Bedrohungen unserer Zeit geradezu banal erscheint, ist die Korruption. Korruption ist allgegenwärtig und findet sich auf allen Ebenen von Parteien, Behörden, Unternehmen, Non-Governmental Organizations (NGOs), in großen wie kleinen Staaten, in armen wie reichen Gesellschaften und in alten wie neuen Organisationsformen. Korruptes Handeln ist kein naturgegebenes Leiden und kein unabwendbares Schicksal, von dem ausschließlich Wirtschaftsbosse, Politiker und andere hochgestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gefährdet sind. Korruption ist überdies kein „Kavaliersdelikt“ und gehört auch nicht zum vermeintlich guten Ton wirtschaftlich bessergestellter Bevölkerungsteile. Sie ist gefährlich und besitzt durch ihr vermeintlich harmloses Erscheinungsbild die Fähigkeit, sich heimlich, still und leise zu verbreiten, bis Art und Umfang ein Maß erreichen, das die Kraft besitzt, ganze Gesellschaften in den Abgrund zu ziehen. Transparency International beschreibt die Auswirkungen von Korruption im aktuellen Korruptionsbericht 2014 mit den folgenden Worten: „[…] Bribes and backroom deals don’t just steal resources from the most vulnerable – they undermine justice and economic development, and destroy public trust in government and leaders. […] Corruption is a problem for all countries. “ (Transparency International, 2014) Sind die Menschen damit zwangsläufig und unwiderruflich schutzlos einer immer mehr um sich greifenden Korruption ausgeliefert? Erfreulicherweise ist Korruption „nur“ eine konkrete Ausprägung kriminellen Handelns und lässt sich, zumindest laut Fachliteratur, durch eine ganze Reihe an Kriterien identifizieren und durch ebenso viele Maßnahmen bekämpfen.

Welche Maßnahmen im Einzelnen getroffen werden können, wie diese greifen und ob Compliance-Management-Methoden auf sich allein gestellt so effizient sind wie oftmals dargestellt, ist neben weiteren Aspekten ein wesentlicher Bestandteil der folgenden wissenschaftlichen Untersuchung.

1.2 Aufbau der Arbeit

Das Ziel dieser Master-Arbeit mit dem Titel: „Compliance-Management-Methode(n) – Verhinderung und Aufklärung von Wirtschaftskriminalität, vornehmlich Korruption, unter Berücksichtigung der Corporate Responsibility“ ist die Beantwortung der folgenden Frage: „Was besagt die Fachliteratur mit ihren Modellen und Theorien über die Möglichkeiten der unterschiedlichen Compliance-Management-Ansätze zur Bekämpfung von Korruption sowie die Bedeutung ihrer Methoden im Rahmen einer Corporate-Responsibility-Strategie?“.

Es ist ferner zu prüfen, ob anhand geeigneter Theorien (Kapitel 3) und der hieraus abgeleiteten Handlungsvorschläge (Kapitel 4) die These „Den gewählten Verhinderungstaktiken dolosen Handelns droht die Gefahr der Ineffizienz und somit auch ein mögliches Versagen der korruptionsspezifischen Corporate-Responsibility-Strategie, wenn zur Bekämpfung von Korruption ausschließlich Methoden eines Compliance- oder Werteprogramms in dem entsprechenden Maßnahmenkatalog einer Organisation Berücksichtigung finden“ entsprechend den Aussagen der herangezogenen Fachliteratur bestätigt werden kann. Diese Untersuchung erfolgt unter Betrachtung des Zusammenhangs von Compliance Management und Corporate Responsibility inklusive der Berücksichtigung weiterer Antikorruptionsmethoden der Corporate Governance (Kapitel 5) sowie einiger ausgesuchter Praxisbeispiele (Kapitel 6). Den Schluss dieser Arbeit bildet das persönliche Fazit des Autors (Kapitel 7).

Um dem Leser den Einstieg in diese nicht unbedingt alltägliche Thematik zu erleichtern, erfolgt im kommenden Abschnitt (Kapitel 2) zunächst eine Definition der Begriffe „Wirtschaftskriminalität“ und „Korruption“ sowie ein Überblick über die unterschiedlichen Ansichten über das „Für und Wider“ korrupten Handelns.

2 Grundlagen von Wirtschaftskriminalität und Korruption

2.1 Die Herausforderungen bei der Begriffsfindung für Wirtschaftskriminalität und Korruption

„Kennen Sie ein anderes Wort für Wirtschaftskriminalität?“ Eigentlich ist dies eine einfache Frage, aber forschen Sie doch einmal in Ihrem Bekanntenkreis nach einem Synonym für diesen Begriff – Schulterzucken oder aber längere Erklärungsversuche sind vermutlich das Resultat. Ein einziges Wort oder zumindest ein feststehender Begriff – meist Fehlanzeige. Völlig gegensätzlich verhält es sich hingegen bei der Frage nach einem anderen Begriff für „Korruption“: „Bestechlichkeit“, „Käuflichkeit“, „Verführbarkeit“, „unmoralisches“ oder „amoralisches“ Handeln werden voraussichtlich zu den genannten Antworten zählen. Hinzu gesellen sich nicht weniger häufig Begriffe, die mit korruptem Handeln in einem engen inhaltlichen Zusammenhang stehen, wie etwa „Steuerhinterziehung“, „Geldwäsche“, „Unterschlagung“ und – anscheinend besonders beliebt – „Politik(er)“. Woran es nun genau liegt, dass Menschen für Korruption gleich einen ganzen Schwall von möglichen Synonymen parat haben, die ihnen für den Begriff der Wirtschaftskriminalität nicht einfallen, soll im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung jedoch nicht weiter interessieren. In keiner Weise zu vernachlässigen ist hingegen die Suche nach geeignet erscheinenden Definitionen für die Begriffe „Wirtschaftskriminalität“ und „Korruption“, die es erlauben, beides in einen logischen Zusammenhang zu setzen, voneinander abzugrenzen und einen für diese Arbeit gültigen Konsens zu generieren.

Beginnen wir bei der Suche nach einer geeigneten Definition für Wirtschaftskriminalität bei der deutschen Legislative. Leider ist die Rechtsprechung bis heute nicht in der Lage (oder willens), den Begriff als einen eigenständigen Straftatbestand zu definieren. Nach wie vor orientieren sich Juristen dabei an den in § 74c Abs. 1 Nr. 1-6b Gerichtsverfassungsgesetz genannten Formen delinquenten Handelns – für den vollen Wortlaut siehe Anhang 1 (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, 17.10.2014, 15:40 Uhr). Hier zeigt sich, dass neben einer Fülle von Tatbeständen des Strafgesetzbuches eine nicht mindere Anzahl von Deliktbeschreibungen und Normen anderer Gesetzesquellen hinzutritt, die das wirtschaftliche Handeln vom Eintritt bis zum Austritt aus dem Wirtschaftskreislauf regulieren und bestimmte Verfehlungen dem Bereich der Wirtschaftskriminalität zuschreiben. Als Versuch einer aussagekräftigen und möglichst universellen Definition für Wirtschaftskriminalität als solcher erscheinen sie allerdings ungeeignet. Ein anderer Ansatz, vermutlich einer der bekanntesten Definitionsversuche für Wirtschaftskriminalität, entstammt der Feder Edwin Sutherlands und lautet: „ White collar crime may be defined approximately as a crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation. […] “ (Sutherland, 1983, S. 291 ff.) Sutherland zeichnet mit dieser Definition einen auf den Täter bezogenen Gegenentwurf zum „gewöhnlichen Kriminellen“, der aufgrund seines sozialen (i.d.R. niederen) Status jenem Typus des wirtschaftskriminellen „Ehrenmannes“ – mit dem für ihn typischen fehlenden Unrechtsbewusstsein – diametral gegenübersteht. Es wird deutlich, dass auch dieser Versuch einer Erklärung aufgrund seines ausschließlichen Täterbezugs und der fehlenden Berücksichtigung der Tat als solcher keine hinreichende Aussagekraft bietet. Um den Begriff Wirtschaftskriminalität dennoch verständlich näherzubringen, soll für den Fortlauf dieser Arbeit die recht allgemein gehaltene Definition des „Forum Wirtschaftskriminalität“ Gültigkeit haben: „Wirtschaftskriminalität ist die Summe der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die in Organisationen, an Organisationen und durch Organisationen begangen werden. Hierbei wird die Mitarbeiterkriminalität mit eingeschlossen.“ (Forum Wirtschaftskriminalität, 21.10.2014, 15:09 Uhr). Zusätzlich sind folgende von Peermöller und Hofmann festgelegten Anzeichen[1] als weitere Indikatoren für dolose Handlungen zu berücksichtigen (vgl. Peermöller/Hofmann, 2005, S. 20):

- Verstoß gegen eine gültige Rechtsnorm (Tatbestand muss erfüllt sein)
- Vertrauensmissbrauch (Grundprinzip Treu und Glauben muss verletzt sein)
- Fachwissen und betriebswirtschaftliche Kenntnisse müssen vorhanden sein
- physische Gewalt ist kein primäres Handlungsziel des Täters
- keine oder nicht nennenswerte Wahrnehmung des Opfers durch den Täter

Ähnlich kompliziert wie juristische Definitionsversuche für Wirtschaftskriminalität gestalten sich diese für den Begriff „Korruption“. Auch hier kennt das (deutsche) Recht keinen eigenständigen Straftatbestand, sondern behandelt jede mögliche Ausprägung korrupten Verhaltens als separates Vergehen, z.B. mit den Paragraphen 229 (Bestechung im Geschäftsverkehr), 332 (Bestechlichkeit von Amtsträgern), 261 (Geldwäschegesetz), 263 (Betrug), 266 (Untreue) u.v.m. (vgl. Dejure.org, 20.10.2014, 16:31 Uhr).

Im Unterschied zur juristischen Betrachtung erweisen sich andere Quellen als geeigneter. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse verschiedener Wissen-schaftsgebiete – wie etwa Psychologie, Soziologie, Ökonomie und Rechtswissen-schaft – sind zum Teil sehr ähnlich lautende Definitionen für Korruption entstanden, die sich stellenweise lediglich in inhaltlichen Nuancen unterscheiden. Eine häufiger zitierte Definition für korruptes Verhalten ist die des Bundeskriminalamtes der Bundesrepublik Deutschland:

„Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft)“ (BKA, 1995, S. 20 f.)

Inhaltlich sehr ähnlich und mit einem etwas stärker betonten Fokus auf die individuelle Komponente formuliert Tanja Rabl den Begriff Korruption folgendermaßen:

„Korruption ist von der Norm abweichendes Verhalten, das sich im Missbrauch einer Funktion in Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft zugunsten einer anderen Person oder Institution äußert. Dieser Funktionsmissbrauch erfolgt auf Initiative eines anderen oder aus Eigeninitiative, um einen Vorteil für sich oder einen anderen zu erlangen. Zwischen den Partnern in der Korruptionsbeziehung wird dabei ein Tausch von Leistung und Gegenleistung vollzogen. Als Ergebnis wird ein Schaden oder Nachteil für Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft erwartet oder tritt tatsächlich ein. Die korrupten Handlungen werden geheim gehalten. (Rabl, 2012, S. 31-32)

Erstaunlicherweise beschreiben beide Definitionen ethisch-moralisch verwerfliche Praktiken, die allerdings nicht zwangsweise strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die strafrechtliche Relevanz kann in beiden Beschreibungen nur zwischen den Zeilen gelesen werden. Als Merkmale korruptem Handelns können folgende gemeinsame Indikatoren festgehalten werden (vgl. Steßl, 2012, S. 58 ff.):

- vorteilhaftes Handeln für beide Seiten
- kein wahrnehmbares Opfer
- Verstoß gegen Rechtsnormen
- Macht-/Vertrauensmissbrauch
- Verschwiegenheit
- freiwillige, auf beidseitigem Einverständnis beruhende Austauschhandlungen

Was haben Wirtschaftskriminalität und Korruption miteinander zu tun, sind sie vielleicht ein und dasselbe? Die Antwort lautet „Jein“. Korruption wird durchaus als ein eigenständiges Vergehen betrachtet, sie ist allerdings gleichermaßen neben Geldwäsche, Steuerhinterziehung oder Bilanzfälschung ein möglicher, aber nicht zwangsweise notwendiger Bestandteil von Wirtschaftskriminalität. Sie dient darüber hinaus oftmals als Wegbereiter und Katalysator für weitere Formen doloser Handlungen. Ein denkbares Beispiel sind Akteure, die sich durch korruptes Handeln in Zukunft erpressbar machen und so Gefahr laufen, auf diesem Wege weiteren (Wirtschafts-)Straftaten Vorschub zu leisten (vgl. Ziercke, 2008, S. 37).

2.2 Ausgesuchte Argumente für und gegen Korruption

„Du sollst keine Bestechung annehmen, denn die Bestechung blendet Klarsehende und kann die Worte Gerechter verdrehen“ (Altes Testament, 2. Mose 23:8).

Bereits im frühen Altertum waren sich die Menschen des Problems der Korruption und ihrer Auswirkungen auf das alltägliche Leben bewusst. Auf die Frage, warum Menschen sich der Korruption hingeben, wurden die Ursachen solchen Tuns vornehmlich in der Existenz von Habgier und Selbstsucht verortet. In der heutigen Zeit gilt eine solche, in ihrer letzten Konsequenz auf die Existenz übernatürlicher Einflüsse oder des „Bösen“ zurückzuführende Antwort als wenig zufriedenstellend und bedarf einer (vielleicht) objektiveren Auseinandersetzung.

2.2.1 Gesamtgesellschaftliche Argumente

Zunächst einmal ist auch ohne empirische Untersuchung anzunehmen, dass der überwiegende Teil unserer Gesellschaft Korruption nach wie vor als etwas Negatives und wenig Erstrebenswertes ansieht und deshalb ablehnt. Die Argumente hierfür sind in unserer Zeit allerdings vornehmlich ökonomisch, soziologisch oder ethisch und weniger religiös begründet und berufen sich dabei nicht selten auf unerwünschte Eingriffe in den Marktmechanismus. Dieser modernen „Tradition“ zufolge führt Tanja Rabl Störungen für den freien und transparenten Wettbewerb und eine Aushöhlung geltenden Rechts in Verbindung mit einem damit einhergehenden Vertrauensverlust in das jeweilige Wirtschafts- und Rechtssystem als wesentliche Gründe zur Bekämpfung von Korruption an (vgl. Rabl, 2008, S. 59 ff.). Ein weiteres, wiederum ökonomisch zuzuordnendes Argument sind die Gefahren für eine Volkswirtschaft durch eine Erhöhung der Transaktionskosten bedingt durch Korruption – ein Prozess, der in seiner Wirkung einer zusätzlich eingeführten (irregulären) Steuer gleicht und das Potenzial besitzt, das eigentliche Steueraufkommen einer Volkswirtschaft zu senken[2] (vgl. Claussen, 2011, S. 58 f.). Neben diesen eher wirtschaftsbezogenen Argumenten existieren allerdings auch andere, weniger ökonomische Gründe. Hervorgehoben werden soll hier vornehmlich die Bedrohung durch den „Verlust der Kernwerte in einer Demokratie“ hervorgerufen durch Vertrauensverluste in die staatlichen Institutionen und deren Mitarbeiter sowie die (zusätzlichen) Benachteiligungen von weniger privilegierten Schichten unserer Gesellschaft, die sich Bestechungsgelder nicht oder nicht in ausreichender Höhe leisten können (vgl. Rabl, 2008, S. 60).

Dieser Argumentation wiederspricht die Rechtfertigung durch eine positive, nutzenstiftende Wirkung von Korruption. Robert Klitgaard verteidigt in seinem Werk „Controlling Corruption“ doloses Handeln in Fällen, in denen durch „Second-Best-Strategien“ ein größerer gesamtgesellschaftlicher Nutzen erzielt werden kann als ohne Korruption, etwa für potenzielle Effizienzsteigerungen in einem Wirtschaftsraum durch die Umgehung überbordender und schwerfälliger Bürokratie(n) oder hinsichtlich der Chance politischer Mitbestimmung benachteiligter Bevölkerungsteile in undemokratischen oder despotischen Gesellschaftsformen (vgl. Klitgaard, 1991, S. 31-32). Frei nach Machiavellis „Der Zweck heiligt die Mittel“ wird hier zur Erreichung sog. höherer Ziele Korruption als Mittel zum Zweck bewusst in Kauf genommen. Ob diese Sichtweise vom Standpunkt einer ethisch-moralischen Betrachtung verwerflich ist oder nicht, dürfte von den Umständen im konkreten Einzelfall und den jeweiligen Normen, Sitten und Gebräuchen einer Gesellschaft abhängen und lässt sich daher nur schwer für alle Länder, Regionen und Kulturkreise gleichermaßen pauschalisieren.

2.2.2 Individuelle und unternehmensspezifische Argumente

Als eine der wichtigsten, wenn man so will, individuell positiv betrachteten Motivationsschübe lassen sich jegliche Formen monetärer Anreize benennen, die mithilfe von Korruption (vermeintlich) leichter erreicht werden können. Hierzu zählt z.B. eine Steigerung der Umsätze und Gewinnmargen für Unternehmen durch die (illegale) Sicherung von Aufträgen oder die individuelle Gehaltsaufbesserung einzelner Mitarbeiter durch Annahme von Bestechungsgeldern (vgl. Claussen, 2011, S. 67 f.). Dem gegenüber stehen wie bereits zuvor genannt eine ganze Reihe negativ assoziierter Argumente. Bereits ohne die drohende Gefahr der Aufdeckung korrupter Machenschaften sind höhere Transaktionskosten bei der Suche nach geeigneten Geschäftspartnern, der Kontrolle der Partner und der notwendigen Geheimhaltung zu erwarten, welche die zusätzlichen Gewinne aus Korruption nicht nur zu senken vermögen, sondern diese vollständig negieren können. Darüber hinaus wird eine möglichst effiziente Unternehmenskontrolle durch notwendig gewordene „kreative“ Buchführungsmethoden erschwert und kann zu einer stärkeren emotionalen Belastung des Personals führen: Nicht jeder ist gern korrupt und beteiligt sich freiwillig an entsprechenden Handlungen. Hat sich erst einmal ein bewusst implementiertes oder hingenommenes korruptes System im Unternehmen etabliert, besteht ferner das Risiko, dass dieses auch auf die einzelnen Mitarbeiter abfärbt und diese sich ihrerseits korrupt gegenüber ihrem Arbeitgeber verhalten. Um dies zu vermeiden, wird der zusätzliche Einsatz von Ressourcen nötig, um die Mitarbeiter entweder mit Druck und Repression oder mit weiteren Zuwendungen und Geschenken davon abzuhalten. Bei Aufdeckung krimineller Handlungen des Unternehmens und/oder seiner Mitarbeiter drohen konkrete Strafzahlungen und Sanktionen, in schwerwiegenden Fällen Strafverfahren, aus denen teilweise hohe Gefängnisstrafen folgen können (vgl. Claussen, 2011, S. 69 ff.).

Es zeigt sich, dass die gesamtgesellschaftlichen und individuellen Negativargumente sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer potenziellen Tragweite augenscheinlich überwiegen. Dennoch ist Korruption unter Berücksichtigung der dargelegten Argumente nicht nur ein widersprüchliches, sondern auch nach wie vor ein weit verbreitetes Phänomen.

3 Unterschiedliche Erklärungsansätze für Korruption

Um die Beweggründe korrupter Transaktionen nachvollziehen zu können, ist es unumgänglich, sich mit einem breiteren Spektrum wissenschaftlicher Betrachtungs-weisen auseinanderzusetzen. Alle Theorien beschreiben für sich genommen spezifische Aspekte von Korruption und begrenzen gleichzeitig die Gültigkeitsparameter ihrer Ansätze. Auch in dieser Arbeit wird es nicht möglich sein, Korruption und ihre Bekämpfung in Gänze zu analysieren. Der Fokus liegt deshalb auf einigen der gängigsten ökonomischen und managementorientierten Erklärungsmodelle.

3.1 Ökonomische Theorien

Eine wesentliche Gemeinsamkeit wirtschaftswissenschaftlicher Ansätze ist die auf freiwilligem Tausch zwischen zwei oder mehreren Partnern basierende Interaktion. Kernelemente sind weiterhin unterstellte nutzenmaximierende Handlungen der beteiligten Tauschpartner und die häufige Nichtberücksichtigung möglicher Auswirkungen auf Dritte (externe Effekte). Zudem wird nicht selten bereits in den grundlegenden Annahmen festgelegt, ob Handlungen unter (Un-)Sicherheit bzw. Risiko getroffen werden (können) und ob, und wenn ja, von welchen hierarchischen Beziehungen inklusive der damit in Zusammenhang stehenden Informationsunterschiede ausgegangen wird.

3.1.1 Beckers ökonomisches Handlungskonzept des Verbrechens

Die oben beschriebenen Gemeinsamkeiten ökonomischer Theorien gelten mit Ausnahme der Berücksichtigung von Hierarchien und Informationsunterschieden gleichfalls für das ökonomische Modell nach Becker.

Es gelten folgende grundlegende Präferenzen (vgl. Becker, 1968, S. 172 ff.):

- nutzenmaximierendes Verhalten der Akteure
- Marktgleichgewicht von Kriminalitätsnachfrage und -angebot
- Präferenzstabilität, die keine wechselnden Präferenzen bezüglich des Nutzens der zur Wahl stehenden Alternativen zulässt

Das aus dem allgemeinen Modell abgeleitete Handlungskonzept beschreibt die Umstände, die einen Menschen dazu bewegen, sich für oder gegen Korruption oder zwischen mehreren zur Auswahl stehenden Handlungsalternativen zu entscheiden. Basierend auf den grundlegenden Prämissen des allgemeinen Rational-Choice-Ansatzes gilt für den Fall von korruptem Handeln (vgl. Becker, 1982, S. 48 ff.):

- Korrupte Akteure verfügen über vollständige Informationen bezüglich der Handlungsalternativen, der Umwelt und des zu erwartenden Nettonutzens.
- Unvollständige Informationen werden als Kosten/Aufwendungen betrachtet und entsprechend berücksichtigt.
- Es besteht freie Wahl zwischen legalen und illegalen Handlungsalternativen.
- Die Entscheidung zwischen den Handlungsalternativen unterliegt einem gewissen „Risiko“, ausgedrückt in Aufdeckungs- bzw. Nichtaufdeckungswahr-scheinlichkeit.

In Beckers Model gibt es keine Unterscheidung zwischen Wahlhandlungen von korrupten oder nicht korrupten Akteuren und der Wahl zwischen zwei legalen oder einer legalen und einer illegalen Handlung. Entscheidend ist bei allen zur Wahl stehenden Handlungsalternativen, dass letztlich ein erwarteter Ertrag „erwirtschaftet“ werden muss, der größer ist als der zu erwartende Aufwand, z.B. in Form von Bestechungsgeldern, Zeitaufwand für Suche und Überprüfung geeigneter Partner oder drohenden Strafen. Stehen mehrere Alternativen mit positivem Ertrag zur Auswahl, wird dem ökonomischen Prinzip zufolge die Handlungsalternative gewählt, welche die den größten Nettoertrag verspricht (Prämisse der Nutzenmaximierung). Vereinfacht ausgedrückt wird dies am Beispiel von Bestechung in den folgenden beiden Trivialgleichungen:

Profit durch Bestechung – zu erwartender Aufwand = Nettoertrag

Nettoertrag aus Handlungsalternative A Nettoertrag aus Handlungsalternative B Nettoertrag aus Handlungsalternative C à Wahl fällt auf Handlungsalternative A

Formal lässt sich das Handlungsprinzip wie folgt darstellen (vgl. Becker, 1968, S. 177):

Erwarteter Nutzen aus Bestechung: EUi = (1-pi) Ui(Yi) + piUi (Yi-fi)

wobei (EU) für den erwarteten Nutzen aus (korrupten) Handlungen einer Person (i), (Yi) für den (positiven oder negativen) Ertrag, (pi) für die Aufdeckungswahr­scheinlichkeit, (1-pi) für die Nichtaufdeckungswahrscheinlichkeit und (fi) für die zu erwartende Strafe bei Aufdeckung (in Geldeinheiten) steht. Bei Ableitung nach Aufdeckungswahrscheinlichkeit (pi) und erwarteter Strafe bei Aufdeckung (fi) gilt:

Aufdeckungswahrscheinlichkeit: ∂EUi/∂pi = Ui(Yi-fi) – Ui(Yi) < 0

Erwartete Strafe: ∂EUi/∂fi = -piU´i (Yi – fi) < 0

Dieser Logik zufolge führt sowohl eine höhere Strafe als auch eine gestiegene Aufdeckungswahrscheinlichkeit zu einem verringerten Nettonutzen und damit letztlich zu weniger Korruption. Dieses Handlungsprinzip gilt analog für den Akteur, der sich bestechen lässt.

Kritische Würdigung der ökonomischen Theorie der Kriminalität nach Becker:

Es ist auffällig, dass neben der fehlenden Berücksichtigung von individuellen Moralvorstellungen und gesellschaftlichen Normen gegenüber Korruption ausschließlich von Entscheidungen unter Risiko ausgegangen wird. Und dass die individuell unterschiedlichen Fähigkeiten, Informationen zu verarbeiten, sowie der Grad der Informiertheit, der Aussagen darüber zulässt, ob eine Person eine Entscheidung unter Sicherheit, Unsicherheit oder Risiko fällt, keinerlei Berücksichtigung erfährt. Ein „Risiko“ einzugehen bedeutet in dem Modell die Wahl zwischen zwei oder mehreren Alternativen, die sich durch unterschiedliche Erfolgswahrscheinlichkeiten differenzieren. Dabei sind objektive Wahrscheinlichkeiten (die sich z.B. auf Erfahrungen mit Korruption stützen) von subjektiven Wahrscheinlichkeiten (beruhend auf individuell unterschiedlichen Einschätzungen einer Situation) zu unterscheiden. Wichtige Kennzahlen bei der Einschätzung von Risikoentscheidungen sind zum einen der Erwartungswert, der den mit den Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichteten Durchschnitt aller möglichen Ergebnisse darstellt, und zum anderen die Variabilität, die das Ausmaß kennzeichnet, mit der sich die Differenz zwischen erwartetem und tatsächlichem Ergebnis unterscheidet: Je größer die Differenz, desto größer das zu tragende Risiko einer Entscheidung (vgl. Pindyck/Rubinfeld, 2003, S. 222-225). Korrupte wie nicht korrupte Individuen bewerten Risikoentscheidungen zudem subjektiv unterschiedlich und können anhand ihrer Präferenzen in risikoavers, risikofreudig oder risikoneutral differenziert werden. Risikoaverse Personen ziehen bei gleichem Erwartungswert ein sicheres Einkommen einem Einkommen unter Risiko vor. Dies zeigt sich durch einen abnehmenden Grenznutzen bei steigendem Einkommen. Anders ist dies bei risikofreudigen Personen, die ein risikobehaftetes Einkommen einem Einkommen ohne Risiko vorziehen – auch bei einem höheren Erwartungswert des risikolosen Einkommens (der Grenznutzen nimmt bei steigendem Einkommen zu). Risikoneutrale Personen hingegen bleiben bei mehreren Alternativen mit gleichem Erwartungswert völlig indifferent, solange das zu erwartete Einkommen gleich bleibt (vgl. Pindyck/Rubinfeld, 2003, S. 229-231). Von den Entscheidungen unter Risiko sind ferner die Entscheidungen, die unter Unsicherheit getroffen werden, abzugrenzen. Der Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit liegt in dem unterschiedlichen Informationsgehalt der zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen. In der wissenschaftlichen Literatur wird generell der Informationsgehalt einer Alternative unter Risiko als exakter angenommen, da bestimmte z.B. auf objektiver oder subjektiver Erfahrung beruhende Eintrittswahrscheinlichkeiten der Umweltzustände angenommen werden können. Der Informationsgehalt einer Alternative unter Unsicherheit lässt hingegen keine Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Umweltzustände zu. Beim Handeln unter Risiko existiert ferner im Gegensatz zum Handeln unter Unsicherheit kein einheitliches Entscheidungskriterium, sondern es stehen mehrere Entscheidungskriterien zu Verfügung, etwa nach der Laplace- oder der Savage-Niehans-Regel, was eine Entscheidungsfindung zusätzlich verkompliziert (vgl. Krom­mes, 27.10.2014, 18.38 Uhr). Nach Beurteilung der gesichteten Literatur ist davon auszugehen, dass ein wesentlicher Teil korrupter Handlungen unter Handlungsunsicherheit vorgenommen wird (vgl. Graeff, 2009, S. 70), sodass die Aussagekraft der ökonomischen Kriminalitätstheorie nach Becker in Bezug auf ihre Allgemeingültigkeit bereits in einer ihrer Grundannahmen auf wackeligen Füßen steht.

3.1.2 Einfaches und erweitertes Prinzipal-Agent-Modell

Im Unterschied zum ökonomischen Handlungskonzept nimmt das Prinzipal-Agent-Modell (PAM) konkret Stellung zu den Auswirkungen, die sich aus den unterschiedlichen Positionen in der Organisationshierarchie und den asymmetrisch verteilten Informationen der beteiligten Akteure ergeben.

Grundlagen des Prinzipal-Agent-Modells:

In seiner Grundform existieren lediglich zwei mit einander agierende Akteure, der „Prinzipal“ (Auftraggeber, Vorgesetzter) und der „Agent“ (Auftragnehmer, Untergebener). Der Prinzipal im Besitz von Eigentums- und/oder weitergehenden Nutzungsrechten delegiert im Rahmen eines Tauschvertrages (z.B. Geld gegen Arbeit) einen Teil seiner Nutzungsrechte an den Agenten, die diesen befähigen, innerhalb festgelegter Grenzen im Auftrag des Prinzipals zu handeln. Durch den Umstand, dass der Agent im Vergleich zum Prinzipal oftmals über die besseren Informationen und spezifischeres Wissen (hidden information) verfügt und es Letzterem durch zumeist unverhältnismäßig hohe Kosten nicht möglich ist, den Agenten vollständig zu kontrollieren bzw. zu überwachen (moral hazard), bieten sich dem Agenten bei Interessenunterschieden mit dem Prinzipal Gelegenheiten, sich zu seinem eigenen Nutzen korrupt zu verhalten (hidden action) (vgl. Kistner/Steven, 2002, S. 319). Die einzige Möglichkeit, den Agenten an solch opportunistischem Verhalten zu hindern, besteht für den Prinzipal in einer entsprechenden Ausgestaltung des zugrunde liegenden Vertrages. Hierzu besitzt der Vorgesetzte im Wesentlichen drei Möglichkeiten: Anreize setzen, Einwirken auf die Einsicht des Agenten (Überreden) und klare Weisungen in Form von Ge- und Verboten (vgl. Pindyck/Rubinfeld, 2003, S. 852 ff.).

Die oben beschriebenen Beziehungen gelten für das Agieren zwischen zwei Akteuren. Korruptionsfälle, in die aber mindestens drei Beteiligte involviert sind, erscheinen nicht nur denkbar, sondern auch durchaus realistisch. Neben den beiden bereits genannten Akteuren gesellt sich in diesem Fall der „Klient“ in Form eines Bestechungsinitiators hinzu, der eine Tauschbeziehung mit dem Agenten zulasten des Prinzipals eingeht (vgl. Beck/Nagel, 2012, S. 34 f.).

Formale Darstellung mit zwei Akteuren (vgl. Groenendijk, 1997, S. 211 ff.):

Die zugrunde liegenden Nutzenfunktionen beider Akteure unterscheiden sich durch ihre voneinander abweichenden Interessen (a bis f).

Nutzen/Interessen des Prinzipals:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nutzen/Interessen des Agenten:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für Prinzipal und Agenten kommen zwei alternative Handlungen (H1: kooperativ; H2: unkooperativ) in Betracht, die der Prinzipal beide nicht (vollständig) überwachen kann. Beiden Akteuren wird wie bisher ein nutzenmaximierendes Verhalten unterstellt. Für den Prinzipal ist ein unkooperatives Verhalten des Agenten (H2) keine wirkliche Alternative, weshalb er versuchen wird, H1 durchzusetzen.

Nutzenmaximum Prinzipal:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anders verhält es sich für den Agenten: Für ihn ist sowohl H1 als auch H2 eine denkbare Alternative, je nachdem, welche Alternative in der Situation den größeren Nutzen verspricht.

Nutzenmaximum Agent gegenüber Prinzipal: UAH1 ; UAH2 oder UAH2 ; UAH1

Ein Nutzenmaximum für beide Akteure wäre gegeben, wenn sich der Agent kooperativ zeigt und Handlung H1 wählt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dies kann der Prinzipal zusätzlich zu beeinflussen versuchen, indem er entweder eindeutige Weisungen erteilt oder positive Anreize für H1 setzt. Am einfachsten erscheint dabei die Methode einer eindeutigen Weisung, bei der die Alternative H2 schlichtweg verboten wird. Ob sich der Agent an dieses Verbot hält, ist allerdings fraglich, besonders wenn von einem Korruptionsgeschäft ausgegangen wird, was unterstellt, dass ein unkooperatives Verhalten den größeren Erwartungsnutzen verspricht. Sollte sich der Vorgesetzte dazu entscheiden, anstelle des Verbotes lieber auf Anreize für H1 (wird zu H1+) zu setzen, würden sich die Präferenzen des Agenten in diesem Fall nicht ändern, aber die Wahrscheinlichkeit würde steigen, dass der Agent auch sicher die Handlung Ua1 (bzw. Ua1+) wählt: à UAH1 ; UAH2 wird zu à UAH1+ ; UAH2.

Formale Darstellung mit drei Akteuren auf Basis der vorherigen Überlegungen:

Zu den Interessen der zwei bekannten Akteure (a bis f) gesellen sich die neuen Interessen (x, y, z) des Klienten (K).

Nutzen/Interessen des Klienten: UK = U(x, y, z)

Wie im vorherigen Fall hat der Agent auch hier die beiden zur Wahl stehenden Möglichkeiten, sich kooperativ (H1) oder unkooperativ (H2) gegenüber seinem Vorgesetzen zu verhalten, was im Umkehrschluss das gegenteilige Verhalten gegenüber dem Klienten nach sich zieht, d.h. falls der Agent sich kooperativ gegenüber dem Klienten zeigt, bedeutet dies zwangsweise ein unkooperatives (korruptes) Verhalten gegenüber dem Prinzipal. Der Klient hat ein starkes Interesse daran, dass der Agent gegenüber seinem Prinzipal die unkooperative Alternative H2 wählt. Dieses Interesse spiegelt sich in der eigenen, kooperativen Alternative des Klienten UKH1 wider:

Nutzenmaximum Klient: UKH1 ; UKH2

Diese ist durch Kooperation mit dem Agenten UAH1 gekennzeichnet.

Nutzenmaximum Agent gegenüber Klient: UAH1 ; UAH2

Die nutzenmaximierende Strategie des Agenten gegenüber dem Prinzipal ändert sich auf UAH2.

Nutzenmaximum Agent gegenüber Prinzipal: UAH2 ; UAH1

Das Nutzenmaximum des Prinzipals bleibt bei UPH1 konstant.

Nutzenmaximum Prinzipal: UPH1 ; UPH2

Damit ergeben sich folgende beiden Gleichungen:

Klient und Agent kooperieren: UKH1 = UAH1

Prinzipal und Agent kooperieren nicht mehr: UAH2 ≠ UPH1

Auch in diesem Fall kann der Prinzipal durch entsprechende Weisungen und Anreize versuchen, den Agenten in der Wahl seiner Handlungsalternative zu beeinflussen. Allerdings müssen die gewählten Instrumente in ihrer Wirkung mindestens genauso stark sein wie der zu erwartende Nutzenzuwachs aus korruptem Verhalten zwischen Agent und Klient, damit sich dieser unter der Annahme nutzenmaximierenden Verhaltens nicht korrumpieren lässt.

Kritische Würdigung des PAM:

Die Prinzipal-Agent-Theorie ist aufgrund ihrer mannigfaltigen (theoretischen) Anwendungsgebiete in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur für viele Entscheidungsprozesse in Unternehmen von Bedeutung. Sie erscheint durch ihre Eigenschaft, korruptes Handeln als Folge von Informationsasymmetrien in Organisationen nachvollziehbar erklären zu können, als ein durchaus attraktiver Ansatz. Im Unterschied zur ökonomischen Theorie nach Becker, die generell ein Handeln unter Risiko voraussetzt, differenziert das PAM je nach betroffenem Akteur zwischen Handeln unter Risiko oder unter Unsicherheit. Demnach werden zumindest in der 2-Parteien-Version des Modells Handlungen des Agenten als Handlungen unter Risiko mit einem konkreten Erwartungsnutzen betrachtet, während die Handlungen des Prinzipals unter Unsicherheit und in Abhängigkeit von nur schwerlich vorhersehbaren Umwelteinflüssen und Verhaltenszügen des Agenten erfolgen (vgl. Fischer, 2004, S. 253 f.). Ein Kritikpunkt ist auch in diesem Modell die fehlende Berücksichtigung der individuellen Bereitschaft, risikofreudig, -avers oder -neutral zu handeln und die Nichtberück­sichtigung gesellschaftlicher Erwartungen und weiterer individueller (z.B. psychologischer) Aspekte.

3.2 Managementtheorien

Schon die Begriffe „Managementtheorien“ und „ökonomische Theorien“ lassen einen inhaltlichen Zusammenhang erahnen, der zumindest in gewissen Grenzen Bestätigung findet. Im Unterschied zu den ökonomischen Theorien berufen sich Managementansätze zur Erklärung doloser Handlungen allerdings nicht (ausschließlich) auf Annahmen wie etwa Nutzenmaximierung oder rationale Wahlhandlungen der Akteure, sondern schließen vielmehr aus den Einflüssen der Faktoren „Persönlichkeit“, „Organisationsstruktur“ und „Umwelt“ auf die Ursachen unerwünschten Verhaltens (vgl. Rabl, 2012, S. 32-35).

3.2.1 Der Einfluss der Persönlichkeit

Die Berücksichtigung persönlicher Ursachen für Korruption in den Managementwissenschaften gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an Substanz. Dies ist möglicherweise der gewonnenen Erkenntnis geschuldet, dass korruptes Handeln letzt­endlich immer auf individuelle (bewusste) Entscheidungen zurückzuführen ist. Rabl beschreibt hierzu unterschiedliche persönliche Einflussfaktoren und differenziert diese in „soziodemographische Faktoren“, „Persönlichkeitsvariablen“ und „individuelle Einstellung zur Korruption und Motivation“ (vgl. Rabl, 2012, S. 38 f.):

- Soziodemographische Faktoren: Mit Bezug u.a. auf Coleman und Bannenberg charakterisiert Rabl den „typisch“ korrupten Akteur vornehmlich als eine männliche, nicht vorbestrafte, karriereorientierte, fachlich kompetente und sich im Vergleich zur Bezugsgruppe durch einen hohen Lebensstandard auszeichnende Person.

- Persönlichkeitsvariablen: Korrupte Personen sind aus psychologischer Sicht i.d.R. nicht auffällig oder krankhaft, sie ähneln in ihren Eigenschaften vielmehr erfolgreichen Managern. Allerdings lassen sich bestimmte persönliche Merkmale mit einer individuellen Neigung zu korruptem Verhalten in Verbindung bringen. Hierzu zählen u.a. die Angewohnheit, andere Personen zum eigenen Vorteil zu hintergehen oder zu täuschen, fremden Personen die Schuld für eigenes Versagen oder Handeln zuzuschreiben, eine hohe Risikobereitschaft und ein gewisses Maß an Selbstsucht/Egoismus.

- Individuelle Einstellung und Motivation: Die individuelle Einstellung zur Korruption ist ein wesentlicher Faktor für oder gegen dolose Handlungen. Je positiver die Einstellung zur Korruption, desto eher besteht die Gefahr, sich auch entsprechend zu verhalten. Verstärkend bzw. hemmend wirken sich vor allem das direkte persönliche Umfeld mit seinen Erwartungen und Normen aus, aber auch die individuellen Einschätzungen, wie erfolgreich und selbstbestimmt das eigene korrupte Handeln sein wird. Einen zusätzlichen Motivationsschub kann hier der Wunsch nach persönlicher Bereicherung oder nach mehr Macht und Einfluss bieten.

So bezieht sich Tanja Rabl in ihren Schlussfolgerungen für die Erklärung individueller, korrupter Handlungsmuster denn auch wieder auf die bereits bekannten Erklärungsansätze rationaler Wahlhandlungen und des Handelns unter Risiko. Ganz im Sinne Gary Beckers schreibt sie:

„Die Täter wollen ihren Eigennutz maximieren und stellen Kosten-Nutzen-Überlegungen an. Voraussetzung für das Zustandekommen einer korrupten Transaktion ist, dass die daraus resultierenden erwarteten Erträge sowohl für den Korrumpierenden als auch für den Korrumpierten die von ihnen erwarteten Kosten übersteigen. Der Anreiz, einen korrupten Vertrag einzugehen, steigt, wenn der Wert der Leistung steigt, das Aufdeckungs- und Ahndungsrisiko, das Strafmaß und die Transaktionskosten der Korruption aber sinken.“ (Rabl, 2009, S. 27)

Im direkten Vergleich zur ökonomischen Kriminalitätstheorie wird eine persönliche Bevorzugung bzw. Festlegung auf eine bestimmte Präferenz als grundlegend angenommen – in diesem Fall der Wunsch, antisozial zu handeln, um ein berufliches oder persönliches Ziel (leichter) zu erreichen. Dabei ist ausschließlich die Intention des Wunsches nach Korruption abhängig von der individuellen Einstellung und Motivationslage einer Person, nicht aber die „Neigung“ zu korruptem Handeln an sich. Durch diese Sichtweise wird aus einem „rational handelnden Verbrecher“ kurzerhand ein „geborener Verbrecher“, was trotz der erkennbaren Nähe zu den Rational-Choice-Ansätzen einen gravierenden Unterschied darstellt (vgl. Rabl, 2009, S. 29).

Bezüglich der Praktikabilität dieser persönlichkeitsorientierten Überlegungen bleibt anzumerken, dass es sich als kompliziert herausstellen kann, die gewünschten bzw. unerwünschten individuellen (Charakter-)Eigenschaften eines (neuen) Mitarbeiters (im Vorfeld) herauszufiltern, zumal einige dieser Eigenschaften mit denjenigen erfolgreicher Geschäftsleute und Manager identisch – und möglicherweise nicht ganz unerwünscht – sind (vgl. Coenen, 2008, S. 26 f.). Unter der Annahme, es gelänge, alle charakterlich geeigneten Personen von den ungeeigneten zu trennen, ist die Frage der charakterlichen Eignung immer auch eine Frage des Handlungskontextes. Gleiche Personen nehmen in unterschiedlichen Situationen verschiedene soziale Rollen ein, sodass die Beantwortung der Frage „Wer ist wann und unter welchen Bedingungen (noch) charakterlich geeignet?“ im Vorfeld äußerst schwierig zu beantworten ist (vgl. Claussen, 2011, S. 129 f.).

[...]


[1] Je mehr Indikatoren zutreffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für dolose Handlungen.

[2] Finanzmittel für Bestechung etc. lagern häufig auf geheimen Konten und entziehen sich auf diese Art und Weise einer Besteuerung.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Compliance-Management-Methode(n)
Untertitel
Verhinderung und Aufklärung von Wirtschaftskriminalität, vornehmlich Korruption, unter Berücksichtigung der Corporate Responsibility
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung (AOG))
Note
1,5
Autor
Jahr
2015
Seiten
87
Katalognummer
V295100
ISBN (eBook)
9783656929383
ISBN (Buch)
9783656929390
Dateigröße
791 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Compliance, Management, Anti-Fraud, Fraud, Corporate Responsibility, Korruption, Integrity, Integration, Triangle
Arbeit zitieren
Stephan Ackerschott (Autor:in), 2015, Compliance-Management-Methode(n), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295100

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