Losses Brief als Texttyp "Brief". Ein mittelalterlicher Versliebesbrief


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

12 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Einleitung

Im Mittelalter bedeutet das Wort „brief“ soviel wie „Zuschrift, Urkunde, Geschriebenes“.1 Es gibt Briefe sowohl in der Verwaltung als auch in der Dichtung. Der dieser Arbeit zugrunde liegende Brief besitzt eine literarische Funktion.

Grundsätzlich lassen sich zwei Verwendungsformen von Briefen unterscheiden: die primäre Verwendung als tatsächlich verschickter Brief und die sekundäre Verwendung als der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Brief, z.B. in einer Briefsammlung.

In der vorliegenden Arbeit soll der Texttyp „Brief“ in der Form, wie er in Losses Brief vorliegt, näher untersucht werden.

Verfasser

Rudolf Losse (* ~1310, ‚ 1364) war ein hoher Verwaltungsbeamter des

Erzbischofs Baldewin von Trier und ist einer der wenigen historisch fassbaren

Personen des mittelalterlichen Literaturbetriebs. Er bietet durch seine Sammlung neben einem allgemeinen Einblick in seine literarische (höfische) Umwelt im 14. Jahrhundert auch die Möglichkeit, seinen persönlichen Geschmack kennenzulernen.2 Auf den Sieg der Luxemburger über die Habsburger nimmt Losse durch seine Tätigkeit als Notar des Erzbistums erheblichen Einfluss.3

Überlieferung des Liebesbriefs

Liebesbriefe sind als Einzelblätter, als Broschüren oder in Sammlungen überliefert.

Losses Brief gehört der Kasseler Losse-Handschrift 2° Ms. Iurid. 25 an und stellt einen Teil einer Sammlung dar, deren Entstehungsprozess Stengl nachvollziehbar gemacht hat4: Die zunächst einzeln verfassten oder erworbenen Blätter fügte Losse zu einer Gruppe und diese wiederum zu einer Sammlung zusammen. Die Vereinigung der Sammlungen liegt heute in der oben genannten Handschrift vor. Der Brief, um den es sich in der vorliegenden Arbeit handelt, ist Nummer 4 der deutschen Verstexte.5

Ein leicht nachzuvollziehender Grund, weshalb nachweislich mehr Sammlungen als Einzelblätter überliefert sind6, liegt wohl darin, dass zusammengebundene Sammlungen für Zeiten des Krieges und der Not deutlich höhere Überlebenschancen haben.

Die Losse-Sammlung ist insofern für die Forschung von besonderem Interesse, als sie „zu den ältesten und bemerkenswertesten Zeugnissen spätmittelalterlicher Liebesbriefdichtung“7 zählt. Sie zeugt nicht nur von einem eindeutig historisch greifbaren Sammler, sondern auch von einer Adressatin („Alkelin“)8. Die späte Entdeckung der Sammlung, so Schulz-Grobert, ist der Tatsache geschuldet, dass sie sich inmitten eines Aktenbandes befand, wo niemand dergleichen vermuten würde. Die Sammlung umfasst neben den deutschen Gedichten und Minnereden auch lateinische Gedichte.

Der Texttyp „Brief“

Nikisch definiert einen Brief als kommunikativen Vorgang, der zwischen zwei konkreten Individuen stattfindet und dialogisch konzipiert ist. Die Kommunikation muss dabei sowohl eine räumliche als auch eine zeitliche Distanz überbrücken, die durch die Tatsache, dass der Brief versendet werden muss, gegeben ist.9

Formal besteht ein Brief aus einer Anrede, dem eigentlichen Inhalt und einem Schlussteil. In dieser Dreiteilung sind Anrede und Schlussteil oftmals formelhaft.10 Eine typische Schlussformel lautet beispielsweise „'Geschrieben ylewyse min myner hende'“.11

Inhaltlich „informiert (sach-orientiert), appelliert (partner-orientiert) oder manifestiert (selbst-orientiert)“12 der Brief. Die ersten beiden Funktionen betreffen den Adressaten, die letzte den persönlichen Ausdruck des Verfassers. Der Versliebesbrief zeichnet sich dann noch genauer dadurch aus, dass er in Paarreimen gedichtet ist und die Minne zu einer Frau zum Thema hat. Schaut man sich zunächst die formalen Kriterien an, so lässt sich feststellen, dass Losses paargereimter Brief zwar keine formelhafte Anrede an eine konkrete Dame, aber dennoch eine Geste der Gesprächseröffnung aufweist (Nim mich, frowe, in dine hant. (St/V 1956, 1)). Leider bleiben weitere kommunikationstypische Merkmale wie eine Bitte um Antwort oder ein Abschiedsgruß aus, was den Brief eher als literarischen denn als privaten Brief kennzeichnet.13

Inhaltlich informiert der Brief über den Gefühlszustand des Absenders (Zware ez wart nie manne so we / von kenem wibe als [im] nach dir. (St/V 1956, 10f.)), appelliert aber auch an die Dame, ihn von diesem Leid zu erlösen (Frowe maniger tůgenden vol, / daz wende mit der helfe din (St/V 1956, 40f.). Dass das Hauptanliegen des Absenders darin liegt, sich selbst auszudrücken, zeigen die genannten Zitate deutlich.

Wenn der Inhalt zwar die Grundfunktionen eines Briefes aufweist, so sind diese doch sehr knapp und indirekt gehalten. Die Frage, ob es sich um einen Brief in primärer Verwendung handelt, wirft es auf formaler Ebene viele Probleme auf. Der materialisierte Absender14 bleibt ebenso wie die adressierte Dame anonym.

[...]


1 Vgl. Wand-Wittkowski, Christine: Briefe im Mittelalter. Der deutschsprachige Brief als weltliche und religiöse Literatur. Herne 2000, S. 34

2 Vgl. Schulz-Grobert, Jürgen: Deutsche Liebesbriefe in spätmittelalterlichen Handschriften. Untersuchungen zur Überlieferung einer anonymen Kleinform der Reimpaardichtung. In: Fromm, Hans / Mähl, Hans-Joachim (Hg.): Hermaea, Bd. 72. Tübingen 1993, S. 106.

3 Vgl. Holtorf, Arne: [Art.] 'Losse, Rudolf'. In: Ruh, Kurt et. al. (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearbeitete Auflage Bd. 5 Berlin 1985, Sp. 913-919 (hier Sp. 913f.).

4 Schulz-Grobert. S. 108.

5 Holtorf, Sp. 916.

6 Schulz-Grobert, S. 14.

7 Schulz-Grobert, S. 105.

8 Vgl. Schulz-Grobert, S. 109ff., der dort darauf näher eingeht.

9 Vgl. Nikisch, Reinhard M. G.: Brief. Stuttgart 1991, S. 9.

10 Ebd., S. 10.

11 Wand-Wittkowski, S. 109.

12 Nikisch, S. 12.

13 Vgl. Wand-Wittkowski, S. 111.,

14 Näheres dazu in der Analyse.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Losses Brief als Texttyp "Brief". Ein mittelalterlicher Versliebesbrief
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Deutschsprachige Briefe im Mittelalter (Prof. Dr. Ch. Wand-Wittkowski)
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V295160
ISBN (eBook)
9783656929246
ISBN (Buch)
9783656929253
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
losses, brief, texttyp, versliebesbrief
Arbeit zitieren
B.A. Sarah K. Weber (Autor:in), 2015, Losses Brief als Texttyp "Brief". Ein mittelalterlicher Versliebesbrief, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295160

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