"Und nichts wird fortan so sein wie früher.“ Die Folgen einer Frühtraumatisierung


Referat (Ausarbeitung), 2014

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Trauma - Was ist das?

3 Neurobiologische Auswirkungen eines Traumas
3.1 Hirnentwicklung als ein sich selbst organisierter aber durch Interaktion mit der Umwelt gelenkter Prozess
3.2 Hirnentwicklung als von außen störbarer Prozess
3.3 Auswirkungen eines traumatischen Geschehens auf die Hirnentwicklung

4 Auswirkungen im Verhalten

5 Die Bewältigung der Folgen: Sozialpädagogische Interventionen

6 Schlussbemerkung

7 Literaturliste

1 Einleitung

Einnässen, schwieriges soziales Verhalten, Lernschwierigkeiten, motorische Unruhe, fehlende Ausdauer oder Konzentrationsschwäche und andere Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen, sind Phänomene, die ich in meiner beruflichen Praxis als Fachberater für Erziehungsstellen häufig antreffe. Meist sind die Bezugspersonen oder Fachleute – in meinem Fall die Facheltern von Erziehungsstellen- mit diesem Verhalten überfordert oder fragen sich, warum sich das Kind den jetzt so verhält. Beschäftigt man sich näher mit den Biografien dieser Kinder, erfährt man zum Teil haarsträubende seelische und körperliche Misshandlungen und erhebliche Verlusterfahrungen.

In diesem Referat beschäftige ich mich mit den Folgen einer Frühtraumatisierung. Mir geht es hier nicht darum, welche Geschehnisse zu einer Traumatisierung führen. Auch die Bearbeitung der Folgen und die Fragen nach dem konkreten Handeln werde ich nur kurz am Ende behandeln. Es geht mir darum, auf zu zeigen, welche gravierenden und weitreichenden Folgen z.B. selbst eine einmalige seelische oder körperliche Misshandlung haben kann und was es zu einem frühkindliches Trauma werden lässt. In der Praxis erleben wir die Symptome einer Traumatisierung, ohne sie als solche zu erkennen. Hier geht es darum zu zeigen, wie dieses Verhalten entsteht, wie es sich aufgrund komplexer Vorgänge im Gehirn als Überlebensstrategie entwickelt. Die Folgen einer Frühtraumatisierung zu verstehen und das Verhalten als Überleben zu begreifen, geht daher nicht ohne die hirnorganischen und neurobiologischen Prozesse zu betrachten. Dies wird der Schwerpunkt sein.

Nachdem ich im 3. Kapitel die neurobiologischen Zusammenhänge aufzeige, geht es im 4. Kapitel um die Auswirkungen im Verhalten der Kinder. Ich habe dabei bewusst auf konkrete Fallbeispiele verzichtet, um den Rahmen dieses Referats einhalten zu können. Auf die Frage, was das für unser sozialpädagogisches Handeln bedeutet, werde ich am Ende nur kurz eingehen und die m.E. wichtigsten 10 Interventionen vorstellen. Im Anhang füge ich für Interessierte eine umfangreiche Literaturliste an, auch mit Titeln die diesem Referat nicht zu Grunde liegen.

„und nichts wird fortan so sein wie früher“

2 Trauma - Was ist das?

Der Begriff des Trauma oder traumatisierten Kindes wird in der Diagnose heutzutage immer häufiger verwendet. Es hat sie immer schon gegeben Trauma bedeutet: jedoch wurden Symptome anders verstanden und es wurde dementsprechend auch anders damit umgegangen. Heute gibt es weitaus mehr Erkenntnisse über die Dynamik eines Trauma und seiner Folgen für den Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen.

Ein schlimmes Ereignis wird nicht automatisch für jeden Menschen zu einem Trauma. Eine große Rolle spielt

- das Alter,
- der Entwicklungsstand,
- positive oder belastende Beziehungen,
- die individuelle Resilienz ( seelische Widerstandsfähigkeit)
- und liebevolle Bezugspersonen

Alle Faktoren beeinflussen die Bewältigung von extremen Erlebnissen.

Von einem Psychotrauma ist dann auszugehen, wenn ein Erlebnis die persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten derart überfordert, dass der Betroffene über keinerlei vertraute Bewältigungsmöglichkeit mehr verfügt. Das bedeutet, nicht die Situation als solche ist traumatisch, sondern die Unfähigkeit der Bewältigung (vgl. Dreiner 2013,S.26).

Die internationalen Klassifikationen von Krankheiten (International Classification of Disease kurz: ICD) benennen Faktoren die zur Erkennung eines Traumas vorliegen müssen. Diese Belastungen sind hierbei auf das kindliche Erleben herunter gebrochen. Danach spricht man von einem frühkindliches Trauma (vgl. ICD 10 DSM IV) bei folgenden Kriterien:

A. Erleiden oder Beobachten einer Situation, die nachvollziehbar extrem belastend ist und mit dem Gefühl von intensiver Angst (Todesangst), existenzieller Bedrohung und dem Gefühl „ Ich sterbe jetzt“, sowie dem Gefühl von völligem Ausgeliefert sein. Beispiel: Ein Kind sieht mit an wie seine Mutter misshandelt wird, oder wird selbst Opfer einer Misshandlung

B. Ständiges Wiedererleben von belastenden Erinnerungen in Form von :

Wiederholen des Erlebtem im Spiel

Alpträumen mit Schreien, oft ohne aufzuwachen

Verhalten oder Gefühle, als ob die belastende Situation gerade wieder geschieht (Reinzenierung, Trigger) Beispiel:

C. Vermeidungsverhalten. Vermeiden von :

Personen und Orten die im Zusammenhang mit der Situation stehen

Sprechen über das Ereignis

Gedanken an das Ereignis

Erinnern an das Ereignis (bis hin zur Regression, bereits erworbene Fertigkeiten werden aufgegeben, z.B. sprechen in Babysprache, Einnässen oder Einkoten, auch Rückzug aus gewohnten Beziehungen oder Abflachen von Gefühlen)

D. Übererregbarkeit die sich zeigt in:

Schlafstörungen

Konzentrationsschwäche

Starke motorische Unruhe

Erhöhte Schreckhaftigkeit

Es ist nicht immer eindeutig von diesen Kriterien auf ein Trauma zu schließen. Unstrittig ist, dass ein Erlebnis in früher Kindheit immer mit Todesangst für das Kind verbunden ist und zwangsläufig zu einer Unterbrechung der Entwicklung führt. Es verändert nachhaltig das Verhalten, unabhängig ob es sich um ein einmaliges Ereignis oder sich wiederholende traumatische Erfahrungen handelt. Warum das so ist erklärt sich auf anatomischer Ebene an den hirnorganischen Prozessen(s. dazu Kapitel 3). Uexküll und Wesiack haben diesen Zusammenhang auf Verhaltenspsychologischer Ebene sehr gut an ihrem Situationskreislauf dargestellt, den ich hier kurz vorstelle.

Verhalten ist die Reaktion auf unsere (selektive) Wahrnehmung. Wir nehmen unsere Umgebung wahr, schätzen sie ein und reagieren anhand bereits abgelegter Muster. Ziel ist dabei die Wiederherstellung eines Gleichgewichtes, einer Harmonie zwischen dem Erleber und seiner Umgebung( vgl.Uexküll und Wesiack, 1988,S. 209f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung: vereinfachter Situationskreis nach Uexküll und Wesiack

In der ersten Abbildung entsteht ein geschlossener Kreislauf. Die Situation steuert das Verhalten. Durch Handeln wird ein Gleichgewichtszustand zwischen Erleber und Umwelt hergestellt.

In der zweiten Abbildung wird durch die erlebte Situation die Wahrnehmung überflutet. Handeln zielt nur auf das Überleben ab. Ein Gleichgewicht kann nicht entstehen, der Kreislauf ist gestört.

Durch die emotionale Überwältigung (Todesangst) ist die Wahrnehmung des Erlebers (hier ist das Kind gemeint) eingeschränkt auf die Außenwelt (Bedrohung). Anstelle der Bewältigung kommt es zu einem Abschaltpunkt (vgl. Hochauf 2006, S.99) zu einer Art Filmriss(vgl. Unfried 2006, S.189) Der Handlungsaspekt kann nicht mehr erfolgen. Man spricht dann auch von einer unterbrochenen Handlung (vgl. Dreiner 2013, S.30).Der Betroffene (in dem Falle das Kleinkind) erlebt das Ende der traumatischen Situation nicht bewusst mit, sie wird quasi eingefroren und bleibt aktiv. Dies ist im Beurteilen von Situationen im Alltag von traumatisierten Kindern von entscheidender Bedeutung. Kommt es zu einer Situation, die dem Erlebten ähnelt (Trigger), verhält sich das Kind als sei es noch immer im Trauma. Ein pädagogischer Mitarbeiter oder eine Pflegemutter, die z.B. das Händewaschen einfordert wird dann u.U. nicht als Person wahrgenommen, sondern als die Person die das Trauma, z.B. schwerste Misshandlungen, verursacht hat. Das Kind setzt alle seine kompensatorischen Mechanismen in Kraft, ohne zu realisieren, dass die Situation längst vorbei ist. Pädagogische Mitarbeiter oder Pflegeeltern erkennen diese Zusammenhänge i.d.R. nicht und reagieren mit Unverständnis, da sie sich selbst nicht in der Rolle als Täter sehen, sondern dem Kind helfen wollen. Sie erkennen in dem Verhalten des Kindes nicht seine Überlebensstrategie (s.a. Kapitel 4).

3 Neurobiologische Auswirkungen eines Traumas

Um das Überleben sicherzustellen, reagiert der gesamte Organismus auf diese Belastung. Er passt sich der äußeren Situation an. Diese Anpassung erfolgt nicht nur im Verhalten, sondern auch durch körperliche Reaktionen. Sie sind nicht beeinflussbar, sorgen aber durch das einfache Schema „Lernen aus Erfahrung“ für zentrale Folgen. Ich halte daher einen Exkurs in die biologischen Zusammenhänge zum Verständnis der daraus entstehenden Folgen für unabdingbar.

Ein erhöhter Stresszustand führt in der Folge zu einer gesteigerten Produktion von Stresshormonen. Steigt der Stress weiter (z.B. wenn die Situation lebensbedrohlich wird) erhöht sich auch die Konzentration der Hormone (Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin) im Blut. Die Folge ist eine Wahrnehmungskonzentration auf die Umwelt, es geht nur noch um das Überleben. Alles andere, z. B. eigene Gefühle oder wie im voran genannten Beispiel das Händewaschen wird nachrangig. Sind keine Personen anwesend, die die akute Not des Kindes erkennen und entsprechend regulierend eingreifen, oder sind diese Personen selbst von der Situation überwältigt (z.B. weil sie ebenfalls von einem gewalttätigen Ehemann bedroht sind) steigt der Stress inklusive der einhergehenden Reaktionen weiter an. Die Wucht der Affekte sorgt für eine Notfallreaktion des Organismus. Es kommt zum Abschaltpunkt. Der Cortex wird abgeschaltet, der Organismus schaltet in den Überlebensmodus. Arbeiten im normalen Erleben verschiedene Hirnareale zusammen und sorgen für eine umfassende Verarbeitung der Wahrnehmung, werden diese Areale jetzt abgekoppelt. Es ist Teil des Überlebensmodus und sorgt dafür, dass z.B. unser Gedächtnis von dieser Lebensbedrohung geschützt wird. Eingehende Informationen (Thalamus) werden nicht mehr an verarbeitende Areale (Neocortex für die Gefühle, Hippocampus für das Gedächtnis) weitergeleitet (vgl. Unfried 2006, S.194f).

Ein Teil des Überlebensmodus ist also die Fähigkeit das Erlebnis zu vergessen!

Schaubild aus: Neurobiologie des Traumas (s. M.Dreiner, 2013, S.32)

Informationen werden vom Thalamus an die weiterverarbeitenden Areale verteilt Diese Erfahrungen sind als Erinnerung abrufbar. Bei einem Trauma wird sowohl die Weiterleitung zur Hirnrinde (Neocortex) als auch zum Hippocampus unterbrochen. Körpererinnerungen werden im Mandelkern (Amygala) bewertet und z.B. bei negativer Bewertung nicht an den Hippocampus weitergeleitet, also nicht als Erinnerung gespeichert. Traumatische Erfahrungen können nicht gezielt abgerufen werden, aber durch innere und äußere Reize ausgelöst (getriggert) werden.

3.1 Hirnentwicklung als ein sich selbst organisierter aber durch Interaktion mit der Umwelt gelenkter Prozess

Kinder kommen bereits mit sehr unterschiedlichen Anlagen zur Welt. Diese Unterschiede sind nur teilweise genetisch bedingt, da sie abhängig sind von den sozialen und kulturellen Bedingungen die vorgefunden werden. Alle Reifungsprozesse sind das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Anlagen und Optionen möglicher Entwicklung einerseits und den vorgefunden äußeren Bedingungen, Anforderungen, Anregungen andererseits (vgl. G.Hüther, 2013, S.12).

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
"Und nichts wird fortan so sein wie früher.“ Die Folgen einer Frühtraumatisierung
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
24
Katalognummer
V295328
ISBN (eBook)
9783656932420
ISBN (Buch)
9783656932437
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trauma, Traumatisierung, Frühtraumatisierung, Kinder
Arbeit zitieren
Stefan Cornelius (Autor:in), 2014, "Und nichts wird fortan so sein wie früher.“ Die Folgen einer Frühtraumatisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295328

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