Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Politische Strategie
2.1. Innerer strategischer Prozess
2.2. Äußerer strategischer Prozess
2.3. Strategische Erfolgsfaktoren
3. Wahlkampfkommunikation und Kommunikationsstrategien
4. Die Ausgangslage vor der Bundestagswahl 2013
4.1. Themenagenda
4.2. Mobilisierungsdefizite der SPD
4.3. Konsequenzen für den SPD-Wahlkampf
5. Die Wahlkampfstrategie der SPD
5.1. Strategiefähigkeit
5.2. Strategie
5.3. Strategische Steuerung
5.3.1. Image-Konstruktion
5.3.2. Themen- und Ereignismanagement
5.3.3 Einsatz zielgruppenorientierter Instrumente
5.3.4. Abgrenzung von der Konkurrenz und Negative-Campaigning
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das schlechte Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2013 wirft sowohl für Politikwissenschaftler als auch für politische Entscheider Fragen auf. Wie konnte aus einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Union ein Jahr vor der Wahl ein 15-prozentiger Vorsprung der Christdemokraten am Wahltag werden? Warum konnte die SPD aus ihren Erfolgen auf Landesebene in der vergangenen Legislaturperiode keinerlei Vorteile für die Bundestagswahl ziehen? Während die historische Wahlniederlage von 2009 zu einem Großteil auf die Beteiligung der Sozialdemokraten an der Großen Koalition und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für die Kampagnenführung zurückgeführt werden kann, so drängt sich mit Blick auf den Wahlkampf 2013 eine weitere Frage auf: Wie war es möglich, aus einer Angriff vermeintlich begünstigenden Ausgangsposition als Oppositionspartei sich um lediglich zwei Prozentpunkte im Vergleich zu 2009 zu verbessern und somit das zweitschlechteste Ergebnis bei Bundestagswahlen in der Parteigeschichte zu erzielen?
Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es einerseits einer Analyse der Wahlkampfstrategie der SPD und andererseits einer sehr genauen Beleuchtung der äußeren Zwänge, die unweigerlich auf die strategischen Entscheidungen politischer Akteure einwirken. Diese beiden Aspekte sind untrennbar voneinander zu betrachten, wenn man Erfolg und Misserfolg von Wahlkämpfen erklären will. Im Falle der SPD-Wahlkampagne gilt es in dieser Arbeit zu klären, inwieweit der Misserfolg der Partei bei der Bundestagswahl durch nur bedingt beeinflussbare Faktoren vorprogrammiert oder das Resultat einer misslungener Wahlkampfstrategie war. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, wird zunächst der Begriff der politischen Strategie durchleuchtet und auf den besonderen Fall der Wahlkampfkommunikation übertragen. Bevor dann die Wahlkampfstrategie der SPD ausführlich analysiert wird, werden die Ausgangsbedingungen des Bundestagswahlkampfs 2013 geschildert. Die anschließende Untersuchung der SPD-Kampagne erfolgt auf der Basis des von Joachim Raschke und Ralf Tils entwickelten Katalogs von Erfolgsfaktoren strategischen Handelns. Im Mittelpunkt der Analyse stehen dabei die Kommunikationsleistungen der Partei im Rahmen der strategischen Wahlkampfsteuerung. Darunter fallen die Konstruktion eines Kandidatenimages, das Themen- und Ereignismanagement, die Abgrenzung vom politischen Gegner und dessen Schwächung durch gezielte Angriffe (Negative-Campaigning). Es gilt herauszufinden, ob und mit welchem Erfolg diese Elemente einer Kommunikationsstrategie im SPD-Wahlkampf umgesetzt wurden.
2. Politische Strategie
Untersucht man die Wahlkampfstrategie einer Partei aus politikwissenschaftlicher Sicht, so kommt man nicht um den wegweisenden Beitrag zu politischer Strategie von Joachim Raschke und Ralf Tils herum. Raschke und Tils definieren Strategien als „erfolgsorientierte Konstrukte, die auf situationsübergreifenden Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulationen beruhen.“1 Auf die Praxis übertragen bedeutet dies, dass ein strategischer Kollektivakteur (Partei, Regierung, Opposition usw.) Ziele, Mittel und Umwelt rational abwägend verknüpft und auf der Basis dieser Kalkulation sein strategisches Handeln ausrichtet.2 Raschke und Tils unterscheiden in ihrem Ansatz zwischen einem äußeren und einem inneren strategischen Prozess. Der äußere Prozess, den sie Strategy-Making nennen, setzt sich aus den drei Elementen Strategiefähigkeit, Strategiebildung und strategischer Steuerung zusammen. Der innere Prozess beinhaltet eine strategische Denkweise, die sich hauptsächlich in zwei Formen strategischen Denkens äußert: Orientierungsschema und Kalkulationen.3 Diesen inneren Prozess bezeichnen sie in späteren Arbeiten – analog zum äußeren Prozess des Strategy-Making – Strategy-Thinking.4
2.1. Innerer strategischer Prozess
Ein wesentliches Element des Strategy-Thinking bildet das Orientierungsschema, das als eine „Komplexität reduzierende Orientierungshilfe“5 dient. Das Orientierungsschema enthält die wichtigsten Bezugsgrößen strategischer Politik. Für Regierungssysteme, in denen Parteien die zentrale Rolle zukommt, identifizieren Raschke und Tils folgende zehn entscheidende Bezugsgrößen: Zeit, Arenen, Themen, Personen, Symbole, Organisation, Problempolitik. Konkurrenzpolitik, Öffentlichkeit, Wähler.6 Die Bedeutung des Orientierungsschemas im strategischen Prozess wird dann deutlich, wenn man es auf die oben angeführte Definition von Strategien als situationsübergreifende Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulationen bezieht. Die einzelnen Bezugsgrößen lassen sich als konkrete Ausprägungen der recht allgemein gefassten Strategieelemente auslegen. Die Dimension Zeit stellt dabei das situationsübergreifende Moment dar, das es zu gestalten gilt.7 Arenen sind Aspekte der strategischen Umwelt, die in Form von Rahmenbedingungen, Akteurkonstellationen und Arenenlogiken noch deutlichere Gestalt annehmen. „Themen, Personen und Symbole können als Mittel aufgefasst werden, mit denen strategische Akteure versuchen, Verhältnisse [...] in ihrem Sinne positiv zu beeinflussen. Sie tun das mit Blick auf ihre zentralen Umweltreferenzen, die aus einem Spannungsverhältnis von Problem- und Konkurrenzpolitik bestehen, das im Medium der Öffentlichkeit ausgetragen wird.“8 Die Organisation fungiert dabei als Mittel zur Beeinflussung der externen Umwelt, deren zentrale Bezugsgröße in demokratischen Systemen der Wähler ist.9
Der innere strategische Prozess äußert sich des Weiteren in den Kalkulationen, die der strategische Akteur anstellt. „Die Kalkulationen stellen gedachte Wirkungszusammenhänge zwischen den angesteuerten Zielen, vorhandenen Mitteln und relevanten Umweltausschnitten her.“10 Sie bilden das zentrale Element der Strategiedefinition und dienen dazu, unter den gegebenen Ausgangsbedingungen die angemessenen Mittel zum Erreichen der aufgestellten Ziele zu ermitteln.11 Die Rolle der Kalkulationen im strategischen Prozess wird insbesondere bei der Anwendung des Orientierungsschemas sowie im äußeren Prozess bei Strategiebildung und strategischer Steuerung am deutlichsten.12
2.2. Äußerer strategischer Prozess
Der Prozess des Strategy-Making besteht, wie oben bereits angeführt, aus den Kernelementen Strategiefähigkeit, Strategiebildung und strategischer Steuerung.
Strategiefähigkeit stellt die Voraussetzung für die beiden anderen Elemente dar. Sie setzt sich wiederum aus drei Bestandteilen zusammen: Führung, Richtung und Strategiekompetenz. Diese drei Komponenten müssen vom Kollektivakteur entwickelt und aufeinander abgestimmt werden, um überhaupt strategiefähig zu sein.13 Unter Führung versteht man die Klärung der Führungsfrage in zweierlei Hinsicht: die Bildung eines strategischen Zentrums und die Etablierung einer Führungshierarchie mit einer klaren Nummer 1 an der Spitze.14 Bezogen auf Wahlkämpfe wäre dies die Nominierung des Spitzenkandidaten einer Partei. Die Klärung der Richtungsfrage erfolgt, indem durch Themen, Positionen und Symbole einen inhaltlichen Korridor festgelegt wird.15 Mit Strategiekompetenz ist der Aufbau von strategischem Know-how gemeint, das vor allem die Bereiche Problemlösung, Konkurrenz und Öffentlichkeit abdeckt. Raschke und Tils beschreiben Strategiekompetenz als eine dauerhafte Leistung strategischer Akteure, deren Bedeutung etwa darin besteht, „die wichtigen von den weniger wichtigen Themen zu unterscheiden, sachlich und instrumentell adäquate Problemlösungen zu entwickeln, tragfähige Bündnisse aufzubauen, erfolgreich öffentlich zu kommunizieren, Bürger- und Wählererwartungen zu erfüllen.“16
Der nächste Schritt im Strategy-Making ist die Strategiebildung. Hierbei kommt es darauf an, „die Handlungskapazitäten und die Ziele des Akteurs in einem angemessenen Verhältnis zu Mitteln und Umweltkonstellationen“17 zu setzen. Wenn Ressourcen und Umweltbedingungen falsch eingeschätzt werden, kann dies zum Scheitern des gesamten Strategiekonzepts führen.18 Raschke und Tils definieren in diesem Zusammenhang falsche Strategien als „Konstrukte, die den Realitäts- und Erfolgsbedingungen nicht entsprechen.“19
Der Prozess der strategischen Steuerung umfasst die Umsetzung der bereits entwickelten Strategie, ihre Anpassung sowie gegebenenfalls ihre Revision.20 In aller Regel kann eine herausgearbeitete Strategie nicht eins zu eins implementiert werden, da der Politikprozess dafür viel zu dynamisch und schwer vorhersehbar ist. Die Dynamik des politischen Geschehens erfordert vom strategischen Akteur eine gekonnte Navigation der eigenen Strategie sowie ihre Anpassung an die sich verändernde Lage. Bei der strategischen Steuerung orientieren sich die Akteure an drei zentralen Bezugsgrößen: den aktuellen Machtkonstellationen, den Erwartungen der Wähler sowie den eigenen Leistungen.21 Im Steuerungsprozess kommt es für den strategischen Akteur darauf an, die Strategie unter Berücksichtigung dieser Bezugsgrößen in den Kernbereichen der Problem- und Konkurrenzpolitik im Medium der Öffentlichkeit zu navigieren. Die Steuerung von Organisation, Kommunikation, Problem- und Konkurrenzpolitik ist die zentrale Aufgabe, die bei der Strategieumsetzung und -anpassung erfüllt werden sollte.22 Der Bereich der Kommunikationssteuerung ist für die vorliegende, auf den spezifischen Fall der Wahlkampfstrategie bezogene Arbeit von herausragender Bedeutung. Kommunikationssteuerung bedeutet nach Raschke und Tils „den Versuch politischer Akteure, öffentliche Kommunikationsprozesse inhaltlich und prozedural so zu beeinflussen, dass sie das Erreichen der eigenen Ziele unterstützen.“23 Von einer gelungenen Kommunikationssteuerung kann man dann sprechen, wenn der Akteur die Aufmerksamkeit für ein Thema und die Zustimmung für die eigene Position innerhalb der öffentlichen Meinung erlangen konnte.24
Am Ende des gesamten Strategieprozesses steht das Resultat strategischen Handelns. Eine Strategie ist dann erfolgreich, wenn die aufgestellten Ziele erreicht werden.25 So einleuchtend das auch sein mag, ist es für eine tiefgehende Analyse politischer Strategien hilfreich, wenn man auf ein „Messinstrument“ zurückgreifen kann, das eine Lokalisierung der Stärken und Schwächen im strategischen Prozess ermöglicht. Zu diesem Zweck schlagen Raschke und Tils einen Katalog von Faktoren vor, die bei der Erklärung von Erfolg und Misserfolg politischer Strategien Abhilfe leisten sollen.
2.3. Strategische Erfolgsfaktoren
Die Erfolgsfaktoren „beziehen sich auf den Akteur und die Umwelt.“26 Sie stellen praktisch die erfolgreiche Umsetzung der Elemente des Strategy-Making und des Orientierungsschemas dar. Um strategisch erfolgreich zu sein, benötigt man demnach: Aufbau und Erhalt von Strategiefähigkeit, eine passende Strategie sowie gekonnte strategische Steuerung. Der letzte Faktor kann wiederum in vier weiteren Faktoren untergliedert werden: Führung, Problemlösungsperformanz, Konkurrenz- und Kommunikationsstärke.27
Der Faktor entwickelter Strategiefähigkeit umfasst die Führungs- und Richtungsbestimmung sowie eine ausreichende Strategiekompetenz. Eine erfolgreiche Strategie bedarf einer geklärten Führungsfrage und eines funktionsfähigen strategischen Zentrums. Des Weiteren soll die Richtungsfrage geklärt werden. Hierbei spielen Themen und zentrale Begriffe eine herausragende Rolle. Sie helfen einen einheitlichen Kurs zu identifizieren, so dass eine dominante politische Linienführung gelingt.28 „Am besten gelungen ist solch eine hergestellte Wahrnehmung, wenn Parteiakteure, Wähler und Medien darin übereinstimmen.“29 Das dritte Element einer entwickelten Strategiefähigkeit ist die vorhandene Strategiekompetenz, die es dem Akteur ermöglicht, in zentralen Kompetenzfeldern strategiefähig zu bleiben.30
Als „passend“ gilt „eine Strategie, bei der vorhandene Fähigkeiten des kollektiven Akteurs und Anforderungen bzw. Chancen der relevanten Umwelt korrespondieren.“31
Gekonnte strategische Steuerung meint schließlich die gelungene Umsetzung des entwickelten Konzepts. Diese ist dann erfolgreich, wenn die herausgearbeitete Strategie zwar konsequent angewandt wird, zugleich aber offen bleibt für Veränderungen, die der Politikprozess mit sich bringt.32 Hierbei ist es wichtig, ein positives Image vom eigenen Handeln zu kreieren, das sich vor allem in den Führungs- und Problemlösungsleistungen sowie in der Konkurrenz- und Kommunikationsstärke des strategischen Akteurs manifestiert.
Zu den Leistungen der Führung gehören die Führungssicherung, die Richtungsnavigation, die Durchsetzung von Entscheidungen, die Mobilisierung und die Orientierung. Diese Aufgaben müssen von dem Spitzenkandidaten und dem strategischen Zentrum im Spannungsverhältnis von Individuum und Kollektiv erfüllt werden.33
Problemlösungsperformanz ist in der Politik von herausragender Bedeutung und für den strategischen Erfolg unerlässlich. Für die Fragestellung dieser Arbeit sind Leistungen adäquater Problemlösung der Oppositionsseite von besonderer Relevanz. Oppositionsakteure müssen „substantielle Kompetenz- und Lösungsangebote unterbreiten, die sie als regierungsfähig erscheinen lassen.“34
Dem Faktor Konkurrenzstärke kommt insbesondere in Wahlkampfzeiten eine zentrale Bedeutung zu. Hierbei kommt es für den Akteur darauf an, sich durch Angebote in den Bereichen Führung, Richtung und Kompetenz von der politischen Konkurrenz positiv abzugrenzen. Das Angebot muss den politischen Akteur für die Wähler attraktiv machen. Zusätzlich braucht man, um konkurrenzstark zu sein, eine günstige Wettbewerbsposition, die von Umweltfaktoren wie Bündniskonstellationen, Schwäche der politischen Wettbewerber oder ökonomischer Ausgangslage abhängt.35
Kommunikationsstärke hängt eng mit der Konkurrenzstärke zusammen. Auch hierbei ist das erwünschte Ergebnis eine größtmögliche Wählerattraktivität, auf deren Optimierung mit Mitteln der politischen Kommunikation hingearbeitet werden muss. „Kommunikationsstärke trägt zum Erfolg bei, wenn es dem Kollektivakteur gelingt, die eigene Politik überzeugend zu kommunizieren.“36 Dies gelingt am besten, wenn eine Kommunikationslinie erkennbar ist, die Themen, Personen und Symbole in eine prägnante, überzeugende Botschaft bündelt.37 Eine Kommunikationslinie wird in der Regel für einen begrenzten Zeitraum entwickelt, etwa für einen Wahlkampf. Die Kommunikationslinie als „wichtiges Mittel der Differenzgestaltung“38 braucht eine Botschaft. Die Botschaft ist das zentrale Element jeder Kampagne.39 Sie muss allgemein und speziell zugleich sein, d. h. themenübergreifend, aber keine verschwommene politische Floskel.40 Die Botschaften müssen inklusiv und exklusiv zugleich sein. Sie müssen möglichst breite Wählerschichten ansprechen, dürfen aber das Profil der Partei nicht verwischen.41 Botschaften müssen zudem glaubwürdig sein. „Dazu müssen Personen, Programm und Botschaft in sich stimmig sein.“42 Damit eine Botschaft auch öffentlich wahrgenommen werden kann, muss sie wiederholt werden. Und sie muss von Relevanz für die persönliche Lebensführung der Adressaten sein.43 Nicht zuletzt bedarf eine Botschaft Personalisierung, denn Personen verkörpern politische Inhalte und geben den Wählern Orientierung.44
Für die Zwecke dieser Arbeit ist der Erfolgsfaktor Kommunikationsstärke, der als das Resultat einer gelungen strategischen Kommunikationssteuerung zu verstehen ist, von zentraler Bedeutung. Es sind die Kommunikationsleistungen der Partei im Prozess der strategischen Steuerung, die hierbei den zentralen Untersuchungsgegenstand bilden. Die Kommunikationsleistungen im Wahlkampf als Spezialfall der politischen Kommunikation werden mit Blick auf ihren Beitrag zum Erfolg bzw. Misserfolg der Kampagne untersucht.
3. Wahlkampfkommunikation und Kommunikationsstrategien
Am Anfang jeder Überlegung zu strategischer Wahlkampfkommunikation steht die Frage nach dem Stellenwert von Kommunikationsleistungen für den Erfolg bzw. Misserfolg von Strategien. Wie viel Kommunikation steckt in einer Strategie? Wie ausschlaggebend sind kommunikative Fehlleistungen für das Scheitern einer Wahlkampfstrategie? Wie wichtig ist eine gelungene Kommunikation für den Wahlsieg?
Die Bedeutung von Kommunikation als strategischer Erfolgsfaktor ist nicht unumstritten. Rüdiger Schmitt-Beck benennt Kommunikation in seiner Kategorisierung von Wahlerfolg begünstigenden Bedingungen nicht explizit.45 Kommunikation wird eher selten als eigenständiger, ausschlaggebender Erfolgsfaktor aufgeführt, sondern vielmehr als ein „integraler Bestandteil aller strategischen Wahlhandlungen“46, der nicht als eine vom strategischen Entscheidungsprozess entkoppelte, ihm nachgeschaltete Vermittlungsleistung zu betrachten ist.47 In diesem Sinne erscheint eine in der Forschung oft anzutreffende Differenzierung zwischen Entscheidungs- und Darstellungspolitik im Kontext einer strategisch betriebenen Politik nicht angemessen.48 Dieser Sichtweise widersprechen jedoch manche Autoren, die strategische Kommunikation eher in den Bereich der Darstellungspolitik verorten.49 Eine solche Interpretation suggeriert eine vornehmlich instrumentelle Funktion von Kommunikation, die – insbesondere in Wahlkampfzeiten – darin besteht, die öffentliche Meinung im Sinne des strategischen Akteurs zu beeinflussen. Der strategische Einsatz politischer Kommunikation kann im Ziel-Mittel-Umwelt-Geflecht als Mittel zum Erreichen eines Ziels, etwa des Wahlsiegs, aufgefasst werden.50 In diesem Zusammenhang kann man von Kommunikationsstrategien sprechen, die von Parteien eigens dafür entwickelt und angewandt werden, um „mit einer akzeptanzsteigernden und legitimationswirksamen Darstellung der eigenen Position im Wettbewerb mit politischen Konkurrenten“51 die eigene Realitätsinterpretation durchzusetzen. Kommunikationsstrategien zielen auf die Aufmerksamkeit der Wähler ab. Sie sollen positive Images der eigenen Partei und Kandidaten erzeugen und die Themen der öffentlichen Auseinandersetzung bestimmen oder zumindest beeinflussen, so dass die eigene Partei als kompetent in den relevanten Themenfeldern wahrgenommen wird.52
Kommunikationsstrategien streben zwar die Beeinflussung der Wählermeinung an. Unter den Bedingungen der heutigen Mediengesellschaft können Parteien jedoch breite Teile der Wahlbevölkerung nur über die Massenmedien erreichen. Aufgrund der abnehmenden Bedeutung traditioneller Parteistrukturen und Kommunikationswege, fand eine „Substitution organisationszentrierter durch medienzentrierte Parteikommunikation“53 statt. Im Zuge dessen wurden direkte Formen der politischen Kommunikation weitgehend durch indirekte, medial vermittelte Kommunikation ersetzt.54 Für die Parteien bedeutet das, dass sie ihre Kommunikationsstrategien an die Präsentations- und Selektionskriterien der Massenmedien anpassen sollen.55 Über die Medien vermittelte Massenkommunikation wird zum zentralen Bezugspunkt der Kommunikationssteuerung von Parteien.56
Raschke und Tils räumen zwar einerseits ein, dass politische Kommunikation keine politischen Leistungen ersetzt. Diese könnten aber andererseits unter den Bedingungen der medialisierten Gesellschaft ohne erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit nicht richtig vermittelt werden.57
Im Wahlkampf gewinnt Kommunikation noch stärker an Bedeutung, da es sich hierbei um die intensivste Form der politischen Kommunikation handelt.58 Wahlkämpfe sind die Phasen im Parteienwettbewerb, in denen Parteien „über den Politikalltag hinausgehende organisatorische, inhaltliche und kommunikative Leistungen erbringen, um Wähler für sich zu mobilisieren und Stimmen zu gewinnen.“59 Kommunikationsstrategien in Wahlkampfphasen orientieren sich in besonderem Maße an die Medienlogik, da im Kampf um Wählerstimmen die durch Medienpräsenz erlangte öffentliche Aufmerksamkeit zum wichtigsten Vorteil wird.60 Die Medienpräsenz muss idealerweise um einen positiven Tenor der Berichterstattung über die Partei oder die Kandidaten ergänzt werden, da starke mediale Beachtung gepaart mit negativem Tenor zu einem wesentlichen Nachteil für die Kampagne werden kann.
Zusammenfassend kann man in Anlehnung an Jun unter anderem folgende wichtige Elemente von Kommunikationsstrategien festhalten: (1) Image-Konstruktion, (2) Ereignis- und Themenmanagement, (3) zielgruppenorientierter Einsatz von Instrumenten, Themen und Inhalten und (4) Abgrenzung von der politischen Konkurrenz.61 Von einer erfolgreichen Umsetzung der einzelnen Elemente kann man dann sprechen, wenn es gelingt, ein positives (Kandidaten)Image aufzubauen62 und man die Themenagenda im eigenen Sinne zu beeinflussen vermag. Hierbei kommt es darauf an, erfolgreiches Agenda-Setting zu betreiben. Das heißt, jene Themen auf die Tagesordnung zu setzen, bei denen die eigene Partei als kompetent angesehen wird.63 Zudem ist es von Vorteil, wenn man jene Themen von der öffentlichen und medialen Agenda fernhält, die der eigenen Seite im Wettbewerb schaden könnten oder bei denen der politische Konkurrent als kompetenter wahrgenommen wird (Agenda-Cutting).64 Wichtiger Erfolgsfaktor einer Kommunikationsstrategie ist „die Dominanzposition bei der Deutung oder Interpretation von politischen Themen.“65 Zum Erfolg kann auch die gezielte Schwächung des politischen Konkurrenten durch „Negativ-Campaigning“ beitragen.
Im Folgenden wird die Wahlkampfstrategie der SPD für die Bundestagswahl 2013 anhand der hier angeführten Erfolgsfaktoren untersucht. In einem ersten Schritt werden die Strategiefähigkeit und das strategische Konzept der SPD vorgestellt, bevor dann die strategische Steuerung der Partei mit Blick auf ihre Kommunikationsleistungen analysiert wird. Zunächst aber richtet sich der Blick auf die Ausgangslage des Wahlkampfs.
4. Die Ausgangslage vor der Bundestagswahl 2013
Wenn man die Ausgangsbedingungen eines Wahlkampfs untersucht, stellt sich die berechtigte Frage nach der zeitlichen Eingrenzung. Wann beginnt der Wahlkampf und was gilt in diesem Zusammenhang als Ausgangslage? In Anlehnung an die Strategiedefinition wird die Ausgangslage des Wahlkampfs hierbei als die relevante Umwelt betrachtet, die es bei der Strategiebildung und –steuerung zu berücksichtigen gilt. Die zeitliche Dauer eines Wahlkampfs ist nicht genau festgelegt. Je nach Forschungsinteresse kann sich die Wahlkampfanalyse entweder auf die sogenannte „heiße Phase“ des Wahlkampfs beschränken oder aber einen längeren Zeitraum umfassen. Im ersten Fall handelt es sich in der Regel um die letzten drei Monate vor dem Wahltermin, während im zweiten Fall bestimmte Eckpunkte der Kampagne – wie die Benennung der Spitzenkandidaten oder der Aufbau der Organisationstruktur für den bevorstehenden Wahlkampf – als Ausgangspunkt dienen.66 Im Fall des SPD-Bundestagswahlkampfs bietet sich als Ausgangspunkt der Untersuchung die Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur Peer Steinbrücks knapp ein Jahr vor dem Wahltag, im September 2012, an.
Die relevante Umwelt muss immer im Zusammenhang mit dem aufgestellten strategischen Ziel analysiert werden. Die Ausgangslage spielt eine herausragende Rolle bei der Zielsetzung.67 „Ziele setzen an bei einem Ist‐Zustand, von dem aus ein gewünschter Soll‐Zustand fixiert wird, in den der Ist‐Zustand überführt werden soll. Sind strategische Akteure sich nicht über die Umstände klar, die verändert werden sollen, können auch keine realistischen und klar umrissenen Ziele formuliert werden.“68 Das Ziel der SPD bei der Bundestagswahl 2013 war klar definiert: Regierungswechsel mit SPD an der Spitze einer rot-grünen Koalition.
Wichtig bei der Lageanalyse sind – sowohl für die Parteiakteure selbst als auch für die außenstehenden Beobachter – zum einen die Lage des strategischen Akteurs und zum anderen die Lage der strategischen Umwelt.69 „Am Ende einer Strategie sollen zielorientierte Akteure und relevante Umwelten durch korrespondierende Strategien verbunden werden.“70 Bei der Akteursanalyse spielen der Zustand der Partei (Geschlossenheit, Entscheidungsfähigkeit, Ressourcenstärke) und die tatsächliche oder zugeschriebene Problemlösungskompetenz eine wichtige Rolle. Bei der Umweltanalyse sind Bündniskonstellationen, dominante Themen und Diskurse, das Stimmungs- und Meinungsklima sowie die Lage der eigenen Wählerschaft von Relevanz.71
[...]
1 Raschke, Joachim / Tils, Ralf (2007): Politische Strategie. Eine Grundlage, S. 127.
2 Vgl. ebd., S. 140.
3 Vgl. Raschke, Joachim / Tils, Ralf (2008): Politische Strategie, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 21 (1), 2008, S. 11 – 24, S. 12.
4 Vgl. Raschke, Joachim / Tils, Ralf (2011): Politik braucht Strategie - Taktik hat sie genug. Ein Kursbuch. Frankfurt: Campus Verlag, S. 77f.
5 Ebd., S. 81.
6 Vgl. Raschke / Tils (2007), S. 162.
7 Vgl. Raschke / Tils (2011), S. 83.
8 Raschke / Tils (2008), S. 15, Hervorhebung im Original.
9 Vgl. ebd, S. 15.
10 Raschke / Tils (2008), S. 15.
11 Vgl., ebd., S. 15.
12 Vgl., ebd., S. 15.
13 Vgl., ebd., S. 18.
14 Vgl., ebd., S. 18.
15 Vgl., ebd., S. 18.
16 Ebd., S. 18.
17 Ebd., S. 19.
18 Vgl. ebd., S. 19.
19 Raschke / Tils (2007), S. 128.
20 Raschke / Tils (2011), S. 193f.
21 Vgl. Raschke / Tils (2008), S. 20.
22 Vgl. ebd., S. 20.
23 Raschke / Tils (2007), S. 388.
24 Vgl. ebd., S, 388.
25 Vgl. Raschke / Tils (2007), S. 439.
26 Raschke / Tils (2011), S. 214, Hervorhebung im Original.
27 Vgl. ebd., S. 216.
28 Vgl. ebd., S. 215.
29 Ebd., S. 215.
30 Vgl. ebd., S. 215
31 Raschke / Tils (2007), S. 245.
32 Vgl. Raschke / Tils (2011), S. 216.
33 Vgl. Raschke / Tils (2007), S. 396 – 401.
34 Raschke / Tils (2011), S. 217.
35 Vgl. Raschke / Tils (2007), S. 246.
36 Raschke / Tils (2011), S. 217.
37 Vgl. ebd., S. 217.
38 Raschke / Tils (2007), S. 241.
39 Vgl. Kriesi, Hanspeter / Bernhard, Laurent / Hänggli, Regula (2009): The Politics of Campaigning – Diminsions of Strategic Action, in: Marcinkowski, Frank / Pfetsch, Barbara (Hrsg.) (2009): Politik in der Mediendemokratie, S. 345 – 365, S. 352.
40 Vgl. ebd., S. 242.
41 Vgl. Machnig, Mathias (2002): Strategiefähigkeit in der beschleunigten Mediengesellschaft, in: Nullmeier, Frank / Saretzki, Thomas (Hrsg.) (2002): Jenseits des Regierungsalltags. Strategiefähigkeit politischer Parteien, S. 167 – 178, S. 172.
42 Ebd., S. 172.
43 Vgl. Raschke / Tils (2007), S. 242.
44 Vgl. Machnig (2002)., S. 172.
45 Vgl. Schmitt-Beck, Rüdiger (2007): New Modes of Campaigning, in: Dalton, Russel J. / Klingemann, Hans-Dieter (Hrsg.) (2007): The Oxford Handbook of Political Behavior, S. 744 – 764, S. 757f.
46 Raschke /Tils (2011), S. 210.
47 Vgl. ebd., S. 210. Vgl. auch Marcinkowski, Frank (2001): Politische Kommunikation und Politische Öffentlichkeit. Überlegungen zur Systematik einer politikwissenschaftlichen Kommunikationsforschung, in: Marcinkowski, Frank (Hrsg.) (2001): Die Politik der Massenmedien. Heribert Schatz zum 65. Geburtstag, S. 237 – 256, S. 242.
48 Vgl. Raschke / Tils (2007), S. 235.
49 Vgl. Sarcinellli, Ulrich (2010): Strategie und politische Kommunikation. Mehr als die Legitimation des Augenblicks, in: Raschke, Joachim / Tils, Ralf (2010): Strategie in der Politikwissenschaft. Konturen eines neuen Forschungsfeldes, S. 267 – 299, S. 274.;Vgl. auch Jun, Uwe (2004): Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich, S. 311.
50 Vgl. Sarcinelli (2010), S. 271.
51 Jun (2004), S. 307.
52 Vgl. ebd., S. 307.
53 Ebd., S. 304.
54 Vgl. ebd., S. 304.
55 Vgl. ebd., S. 308f.
56 Vgl. Raschke / Tils (2011), S. 209.
57 Vgl. ebd., S. 209f.
58 Vgl. Jun (2004), S. 317.
59 Ebd., S. 315.
60 Vgl. Schulz, Winfried (2008): Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung, S. 260.
61 Vgl. Jun (2004), S. 308.
62 Vgl. ebd., S. 310.
63 Vgl. Brettschneider, Frank (2002a): Die Medienwahl 2002: Themenmanagement und Berichterstattung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49 – 50/2002, S. 36 – 47, S. 38.
64 Vgl. ebd., S. 38
65 Jun (2004), S. 310.
66 Vgl. ebd., S. 316.
67 Vgl. Wiesendahl, Elmar (2010): Rationalitätsgrenzen politischer Strategie, in: Raschke , Joachim / Tils, Ralf (Hrsg.): Strategie in der Politikwissenschaft. Konturen eines neuen Forschungsfelds, , S. 21 – 44, S. 25.
68 Ebd., S. 25.
69 Vgl. Raschke / Tils (2007), S. 356f.
70 Ebd., S. 356.
71 Vgl. ebd., S. 357.