Zwischen nationalem Pop und World Music. Zur Entwicklung von Son in der Musiklandschaft der Dominikanischen Republik


Masterarbeit, 2006

109 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Son im afroamerikanischen Raum, theoretischer und historischer Kontext
1.1 Merkmale des Genrekomplexes son
1.1.1 Polyrhythmik
1.1.2 Die Struktur des son montuno
1.2 Bolero son und guaracha son
1.3 Höhepunkte der Popularisierung des kubanischen son

2. Son und die beginnende Industrialisierung dominikanischer Populärmusik
2.1 Die Diskussion zum nationalen Ursprung des son
2.2 Die Musiklandschaft Santo Domingos
2.3 Die Entwicklung von Radio und Tonträgerindustrie im Kontext der Trujillo-Diktatur
2.4 Fazit

3. Son und die Modernisierung dominikanischer Populärmusik
3.1 Entwicklungsschritte der dominikanischen son -Tradition
3.1.1 Umdeutungen dominikanischer bachata und dominikanischen sons
3.1.2 Das Publikum und die Kommerzialität des lokalen son
3.2 Fazit

Schlussteil

Appendices*

CDI: Audiobeispiele*

CDI-1: P. Valerio: „La Mulatona“, Grupo Dominicano (RCA Víctor, 1927).

CDI-2: L. Peralta: „Te fuiste, perdon y olvido“, Los Soneros de Borojol (Bartolo, 1981).

CDI-3: Bartolo del Rosario: „Villa Mella“, Bartolito y los Bravos del Son (Platano Records, 1984).

CDI-4: J. Minier: Audiobeispiel son guaracha o

CDI-5: J. Minier: Audiobeispiel traditioneller son mit gesteigertem Tempo

CDI-6: J. Minier: Audiobeispiel romantische son- Form

CDI-7: Maniel: „Playa de Higüey“ (Kubaney, 1996)

Band II (Anhang)*: Transkriptionen der persönlichen Gespräche

CDII: Originaltranskriptionen der persönlichen Gespräche digital (CDII-1), musikalische Darbietungen aus den persönlichen Gesprächen (CDII-2)

*Nicht in dieser Veröffentlichung enthalten!

Zwischen nationaler Partikularität und World Music - Zur Entwicklung von son im musikalischen Panorama der Hauptstadt der Dominikanischen Republik

Den thematischen Gegenstand der vorliegenden Magisterarbeit bilden die Formen der karibischen Populärmusik son innerhalb des musikalischen Panoramas der dominikanischen Hauptstadt. Der regionale Fokus der Betrachtung liegt auf der Hauptstadt Santo Domingo, die sowohl Industrie- und Kulturstandort ist, als auch als Zielpunkt einer ständigen Migrationsbewegung eine besonders vielfältige Bevölkerungsstruktur aufweist. Son gilt in der Musikwissenschaft neben Jazz und samba als ein Paradigma der afroamerikanischen Musik, die Kreolität versinnbildlicht und demzufolge eine transnationale Popularität erreicht hat.[1] Die Integration des allgemein der Nachbarinsel Kuba zugeordneten Genres son und die Beschaffenheit einer sogenannten dominikanischen son -Tradition[2] sollen untersucht werden. Die Musikwissenschaftlerin M. E. Davis bezeichnet son als karibisches Genre, von dem eine lokale Tradition im Bezirk Villa Mella[3], im Norden Santo Domingos, gepflegt werde.[4] Die nicht zutreffende Terminologie einer nationalen Tradition muss in der durch die internen und externen Relationen geprägten Karibikregion einmal mehr hinterfragt werden.[5] Der dominikanische Historiker und Schriftsteller M. Veloz Maggiolo fasst den Begriff der Tradition beispielhaft im Sinne Ludwig Wittgensteins:[6]

Ich würde sagen, dass ein Großteil der Tradition ein durch kulturelle Abfolgen erlerntes Produkt verschiedenster Herkunft ist. Damit möchte ich ausdrücken, dass wenn wir „dominikanische Traditionen“ sagen, wir uns auf einen Brauch, nicht auf eine Herkunft beziehen. Aufgrund der Tatsache, dass nicht alle Traditionen endogen sind, analysieren wir oftmals, wie sie sich seit ihrem Auftauchen zu einem bestimmten Zeitpunkt durch den dominikanischen Umgang verhalten haben. (M. Veloz Maggiolo 1996:197)

Das Entstehungsmoment und die Wege der Aneignung und lokaler Gestaltung von son in der Dominikanischen Republik sind bislang nur zu geringem Masse bekannt und erforscht. Die Popularität von son im Nachbarland Kubas scheint durch die in gegenseitiger Berührung verlaufenden Geschichten[7] der beiden Länder, sowie durch die bereits ab 1920 eintretende Dominanz kubanischer Musikproduktionen im karibischen Raum erklärbar. Jedoch, bis zu welchen Formen musikalischer Korrelation führten die kubanisch-dominikanische Beziehungen? Basierte diese Beziehung wirklich vor allem auf den sichtbaren Fakten wie Nachbarschaft, spanische Kolonialisierung und Handel? Als Ergebnis der speziellen historischen Konstitution der Dominikanischen Republik verbreitete sich, basierend auf vereinzelten Quellen, die These, dass son dominikanischen Ursprungs sei. Die interne Debatte hat in den letzten Jahren zu ständiger Präsenz des Genres in den dominikanischen Medien geführt. Dieser Umstand regte die vorliegende Untersuchung an. Welche Argumente begründen die These des dominikanischen Ursprungs von son durch Kulturschaffende und Theoretiker in Santo Domingo? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarinseln? Wie eng war und ist die Musiklandschaft der dominikanischen Hauptstadt mit dem Genre verbunden?

Als nationale Kulturgüter wurden in der Dominikanischen Republik bis zu den 1960er Jahren vor allem merengue, bolero und mangulina gepflegt. Der Musikethnologe P. Manuel spricht jedoch in einer Untersuchung zur Aneignung von kubanisch-internationalem son in Puerto Rico von einer langjährigen Koexistenz von son und merengue in der Dominikanischen Republik, in der es son beinahe gelungen sei, sich als Nationalmusik gegen merengue durchzusetzen.[8] Auch D. Pacini Hernández spricht von einer langjährigen, autochthonen son- Tradition in der Dominikanischen Republik.[9] Inwiefern diese Koexistenz auf Santo Domingo zutrifft, gilt es zu untersuchen. Eine son -Form, der bolero son, gilt heute als Essenz der sich seit den 1980er Jahren auch international verbreitenden dominikanischen bachata fina und bachata popular.[10] Aufgrund der musikalischen und kontextuellen Ähnlichkeit der Genres ist zu vermuten, dass son analog zu bachata in Dichotomien erfasst wurde. Welche Komponenten führen jedoch zu einer unterschiedlichen musikalischen Klassifizierung der beiden Genrekomplexe und wie ist diese zu deuten? Über generelle Fragen nach den Berührungspunkten der populären dominikanischen Genres hinausgehend, soll hier nach ihren Ausübungskontexten und nach Repräsentationsformen bestimmter sozialer Gruppen durch Musikstile oder einzelne musikalische Elemente gefragt werden. Welche Motivationen haben dominikanische Musiker über einen Zeitraum von 90 Jahren zu son geführt? Seit den 1990er Jahren ist von Auswirkungen des son- Booms in der World Music und seinem internationalem Revival auf die Musiker in Santo Domingo auszugehen. Anhand der bereits erwähnten Popularität des Themas in der dominikanischen Presse ist davon auszugehen, dass sich die Bedeutung, eine eventuell speziell „dominikanische“ Symbolik der Musikrichtung durch ihren erneuten internationalen Erfolg verstärkt hat.

Die theoretische Ausgangsposition für die Thematik dieser Arbeit stützt sich insbesondere auf die Definitionen von Transkulturationsprozessen nach F. Ortiz und N. García Canclini. Canclini nennt in Culturas Híbridas drei Prozesse, die einer kulturellen Hybridisierung zugrundeliegen:

[…] Aufbrechen und Vermischung der Ansammlungen, worin kulturelle Systeme organisiert wurden, Deterritorialisierung der symbolischen Prozesse und die Expansion von nicht puren Genres. (1992:264)

In Bezug auf Nationalitätskonzepte, wonach die spanische Karibik[11] zu keiner Zeit als Einheit zu betrachten ist, basieren die Ausführungen auf theoretischen Texten von H. Hoetink, B. Ander son, E. Hobsbawm, O. Ette, K. Bilby und A. Benítez Rojo.[12] Theoretische Ansätze zur musikalischen Definition des Genres son müssen vorwiegend auf den Erkenntnissen kubanischer[13] und US-amerikanischer Musikwissenschaftler basieren, da die wenigen verfügbaren dominikanischen Werke das Thema son nicht untersuchen.[14] Für das allgemeine Verständnis dominikanischer Populärmusik[15] sind hilfreiche Forschungsarbeiten US-amerikanischer Wissenschaftler entstanden. Von besonderer Relevanz für diese Magisterarbeit sind die Untersuchungen von D. Pacini Hernández, P. Austerlitz und M. Ellen Davis.[16]

Diese Arbeit möchte einen Beitrag zur Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Musikkultur und gesellschaftlicher Entwicklung in der spanischsprachigen Karibik leisten. Aufgrund der thematischen Komplexität müssen sich Aussagen zu regionalen Wechselbeziehungen auf die spanische Karibik mit den USA beschränken. Bedauerlicherweise muss die haitianische Musikkultur ausgeklammert werden. Die vorliegende Magisterarbeit basiert auf Ergebnissen aus Lektüre, Recherche, teilnehmender Beobachtung und persönlichen Gesprächen, die im Zeitraum von Januar bis April 2006 in der Dominikanischen Republik geführt wurden. Die Recherche vor Ort hat nachhaltigen Einfluss auf die Verfügbarkeit musikalischer Quellen. Der Großteil der hier thematisierten dominikanischen Musik ist außerhalb des Landes nicht erhältlich. Bei den transkribierten Gesprächen[17] handelt es sich um narrative Interviews. Die Eingangsfragen bezogen sich auf die Situation des son in der Dominikanischen Republik und zum subjektiven Verständnis des Begriffs. Im Verlauf der Schilderungen gelangten die Interviewpartner zur Darstellung biografischer Erfahrungen, die mit son in Verbindung standen. Zu Schwerpunkten der Gespräche wurden nationale Vorstellungen, und das damit behaftete Verständnis von Musikstilen. Bei aktiven son -Musikern ergaben sich zusätzliche Fragen nach dem Grund für die Auswahl des Genres, der nationalen Marktsituation und nach lokalen Informationen. Schwierigkeiten bestanden durch das hohe Alter und die Schwächlichkeit der meisten Gesprächspartner. Die Vorgehensweise der Befragung erfüllt daher nicht die Anforderungen der Standardisierung. Wenn nicht anders angegeben, stammen Übersetzungen längerer Zitate und erklärende Fussnoten zu spanischen Begriffen von der Verfasserin. Die zu Übersetzungen verwendeten Hilfsmittel sind im Literaturverzeichnis angegeben.

1. Son im afroamerikanischen Raum, theoretischer und historischer Kontext

Der Begriff son stammt von sonus - lateinisch für Klang - und ist mit dem spanischen Wort sonido – auf deutsch Klang, Laut, Ton verwandt. Der dominikanische Musikgeschichtsforscher F. Casado fasst als Ergebnis seiner Untersuchung der literarischen Quellen zusammen, dass das Wort son sich durchgängig auf einen Rhythmus beziehe, der zu Beginn mit maracas gespielt wurde.[18] Verschiedene Musikforscher vertreten ein Verständnis von son, das von einer die Pole der Kreolität symbolisierenden Zweierkombination ausgeht. Die Musik bestehe aus Rhythmus- und Saiteninstrument, eines afrikanischen und eines europäischen Anteils, deswegen sei die peruanische Form , die mit einer Violine gespielt werde, ebenso son.[19] Ausgehend von dieser Definition wären die instrumentalen Pole des Genres in der spanischen Karibik auf der einen Seite eine bereits transkulturierte westafrikanische Rhythmik, die auf einem Perkussionsinstrument gespielt wird, und auf der anderen Seite eine transkulturierte spanische Gitarrenmusik.[20] Dabei würde der Gesang irrelevant, der son als sozialkritisches Vokalgenre dominiert, sowie seine Funktion als Tanzmusik. Der kubanische Musikwissenschaftler S. Feijóo zitiert ein kubanisches Lexikon, worin son als Volkstanz und Volkslied in Kuba definiert wird.[21] G. Béhague verweist auf die überregionale Spannbreite eines heterogenen Genre-Komplexes:

[…] Im weiteren Sinne wird der Begriff auf verschiedenartige Volksmusikgattungen in Lateinamerika angewandt. Es fallen darunter Liedtexte in copla - oder décima -Form[22], meist mit Liebes-Thematik; tonale oder modale Melodien mit einer geläufigen hemiolischen Rhythmusbegleitung; Instrumentalensembles mit verschiedenen Gitarrentypen; und dazugehörige Tanzensembles mit den charakteristischen tap -Schritten. Am weitesten verbreitet sind die Gattungen son mexicano mit seinen verschiedenen regionalen Varianten […], son guatemalteco und der son cubano. (G. Béhague 1988a:159)

Für die Entwicklung der Populärmusik der spanischen Karibik innerhalb des 20. Jahrhunderts schreibt G. Béhague dem son cubano die größte Bedeutung zu.[23]

Eine Kuriosität des Terminus „son“ ist die Übereinstimmung mit der dritten Person Plural des Verbs ser - sein, im Unterschied zu estar - sich befinden. Der kubanische Musikwissenschaftler A. León hat das erstgenannte Verb für ein Bildnis antillianischer Identität aufgegriffen, das son- ähnliche Musikstile in der spanischen Karibikregion umschließt:

Diese antillische Enklave der lo son [wörtlich: sie sind es, meint mit son verwandte Genres] schließt die Musikarten tamborito in Panama, porro in Kolumbien, sucu sucu auf der Isla de Pinos [heute Isla de la Juventud, Teil Kubas], son und changüí in der Ostprovinz, merengue in Haiti und Santo Domingo [meint das gesamte Gebiet der Dominikanischen Republik, alle Anm. KB], plena in Puerto Rico ein. (A. León 1984:127)

A. León beschränkt die umfassende Wesenverwandtschaft der Musikkulturen, mit Ausnahme Haitis, auf spanischsprachige Nationen des Karibikraumes. Der Musikwissenschaftler H. Vargas plädiert für son als Genrestruktur auch der kleinen Antillen, zudem unterstreicht er eine distinktive Intensität afroamerikanischer Elemente in son und rumba:

Trotz seiner kubanischen Abstammung ist son kein isolierter Musikkomplex, sondern eine Struktur, die durch Hybridisierung verschiedener Elemente produziert wurde, die durch afrikanischen Ursprung verbunden sind. Die claves [24] stellen, in verschiedenen Mustern, wichtige karibische Musikgenres oder Richtungen, wie den porro aus Kolumbien, die plena aus Puerto Rico, den merengue in Haiti und der Dominikanischen Republik, calypso auf den Antillen usw. Ein paralleler Prozess ergab sich auch mit anderen Genres, wie rumba, bolero und contradanza, all dies Früchte der Mischung von europäischen (am direktesten am bolero und der contradanza abzulesen) und afrikanischen Wurzeln (bei son und rumba). (H. Vargas 2004:4)

Es ist deutlich ersichtlich, dass der Terminus son nicht ausschließlich für die Bezeichnung eines kubanischen Musikstils verwendet wird. Es treten diverse nationale als auch instrumentale Zuschreibungen auf, wodurch sich die Auslegung literarischer Quellen, insbesondere aus dem Zeitraum vor der Popularisierung der Genrenezeichnung kompliziert gestaltet. Als generisches label bezieht sich der Begriff son auf Anhäufungen musikalischer Charakteristiken und Genrekomplexe ähnlicher Form. Die lange, vor allem jedoch vielfältige Geschichte karibischer sones, die nur mit wenig Material aus der Entstehungsphase rekonstruierbar ist, macht eine Definition beinahe unmöglich. Es kann sich bei dem sich anschließenden Deutungsversuch von über Kubas Grenzen hinaus verbreiteten sones nur um eine Zusammenfassung geteilter und populärer Charakteristika handeln, denn auch während der Phase der Kommerzialisierung bildete sich kein festes Musterwerk, es existiere kein Super-son, der die Karibik beherrscht, wie D. Orozco hervorhebt.[25] Der Terminus wurde in transnationalen Zusammenhängen umso vieldeutiger und ungenauer. P. Manuel beobachtete beispielsweise, dass für die Mehrheit der Lateinamerikaner ausserhalb von Kuba „Cuban Music“ mit der populären Stilistik der 1940er und 1950er Jahre konnotiert sei.[26] Dies begründe sich durch die aus dem US-Embargo resultierende Isolation der kubanischen Gruppen. In Abgrenzung zu logistischen Innovationen wie chachachá wird son in der Musikliteratur häufig als Bezeichnung für traditionellere kubanische Populärmusik verwendet. Zwischen danzón, bolero und son wird bei den meisten Produktionen unterschieden, in Hinblick auf rumba und guaracha bleiben Deutungen unscharf. Mit Aufkommen der salsa verlor der Terminus son in den 1970er Jahren seine Allgemeingültigkeit, umfasst jedoch im transnationalen Zusammenhang immer, wie anhand des vielfältigen Repertoires des Buena Vista Social Club erkennbar ist, diverse musikalische Strukturen, sowie traditionelle und moderne Ensemble- und Fusionsformen.

In den verschiedenen, in Kuba zu son führenden Komplexen, wurden ähnliche, einfache Instrumente verwendet: Der tres [27], zwei oder drei kleine Trommeln[28], aus denen später Bongos[29] hervorgingen, eine botijuela [30], der bajo en tierra [31], die marímbula [32], der guayo [33] und die maracas.[34] Die claves [35] kamen in den 1910er Jahren hinzu.[36] Die Trompete integrierten die kubanischen soneros [37] um 1918.[38] Im Verlauf der Entwicklung wurde ein weiteres afrokaribisches Instrument aus der Karnevaltradition als Rhythmusinstrument in sones aufgenommen, der cencerro.[39] Eine zweite, sechssaitige Gitarre spielte eine zweite Stimme . In Havanna benutzten die Musiker in größeren Besetzungen bald paarweise Stehtrommeln, die international als Congas bekannt sind. D. Orozco kommt in seinen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Instrumente mit wesentlicher Bedeutung für die Integration des son- Komplexes in die kubanische Gesamtbevölkerung die tumbadora [40] und der tres waren.[41]

In Havanna wurde son zu Beginn des 20. Jahrhunderts in kleiner Besetzung, beispielsweise vom Trío Oriental, das in kurzer Zeit zum Cuarteto Oriental erweitert wurde, gespielt.[42] Mithilfe des umfangreichen verfügbaren Instrumentariums etablierten sich in Havanna größere Formationen.[43] Sextette und Septette bildeten die urbane son -Besetzung der 1920er und 30er Jahre.[44] Neben Solo- und Chorstimme waren in diesen Formationen der Kontrabass, der die marimba aus kleinerer Besetzung ablöste, tres, Gitarre, maracas, Bongos, cencerro, claves, bis zu einer Trompete enthalten.[45] In den 1940er Jahren weiteten sich die bereits üppigen Besetzungen zu kompletten Tanzorchestern mit Bläser- und Perkussionssektionen aus, conjuntos genannt.[46] Diese Expansionen entsprachen der fortschreitenden internationalen Kommerzialisierung kubanischer Musik, der damit einhergehenden Erweiterung des Publikums und des dafür benötigten Klangvolumens.[47] Ein interessanter Aspekt afrokubanischer Kultur ist die teilweise unbekannte Vergangenheit der kubanischen soneros als rumberos, so dass die Perkussionserweiterung innerhalb des conjunto als Plädoyer der Musiker für die eigentliche rumba verstanden werden kann.[48] Auffällig ist die bis in die 1930er Jahre reichende strikte Trennung von der in der europäisch orientierten Salonmusik danzón [49] verbreiteten charanga -Besetzung, die Klarinette und Hörner enthält.[50]

Das ländliche, einfache Instrumentarium bildetet auch in anderen Nationen der spanischen Karibik ein Standardensemble für verschiedene Musikformen.[51] Zeitgleich zu den kubanischen bungas verbreitete sich in der Dominikanischen Republik eine einfache Formation, worin vor allem der viersaitige cuatro gespielt wurde.[52] Der guayo aus einer Kalabasse war bis ca. 1910 üblich, in Standardbesetzungen etablierte sich der güiro, eine Küchenreibe aus Metall.[53] Nur im son wird gelegentlich die ältere Form gespielt.[54] In der Dominikanischen Republik ist das gängigste Rhythmusinstrument die tambora. Es handelt sich um eine Trommel, die der Musiker quer auf seinen Oberschenkeln positioniert und mit einem Stock und einer Hand spielt. Die tambora wird im son zum Teil statt Bongos eingesetzt. Ihre nationale Herkunft bleibt wie bei der Mehrheit der in der Karibik verbreiteten Instrumente strittig.[55]

1.1 Merkmale des Genrekomplexes son

Zu den weltweit populärsten son -Formen gehört der son montuno, der hier als Beispiel der Fusionsweisen von sones mit anderen Genrekomplexen fungieren soll. In Havanna fusionierten Musiker den heterogenen son- Komplex um 1900 mit Formen des rumba -Komplexes.[56] Als dem populären son ähnlichster Form ist die rumba guaguancó von Bedeutung.[57] Die Präsenz der in beiden Musikformen enthaltenen clave gilt Wissenschaftlern häufig als Erkennungsmerkmal des son. D. Orozco unterscheidet jedoch grundlegend anhand der clave -Funktion und des leicht abgewandelten Pattern. Das zweitaktige Schema wird in beiden Genrekomplexen ebenso in der umgekehrten Reihenfolge gespielt.[58]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abb.1 Differenz der claves in son und guaguancó. Quelle: D. Orozco 2004:597)

Der nur feine Unterschied des rhythmischen Grundpatterns der clave symbolisiert die Verwandtschaft der beiden Musikformen. Doch anhand der rhythmischen Funktion der clave unterscheiden sie sich grundlegend. Es existiere häufig die Vorstellung von der den son einleitenden clave mit determinierender Rhythmusfunktion, es komme ihr jedoch innerhalb des populären karibischen son nur selten eine solche Bedeutung zu.[59] Im Zusammenspiel erweise sich die clave erst dann als wichtige Leitfigur, wenn die Beziehung zu den anderen Instrumenten hergestellt sei. Sie richte sich nach der Figur des tres und der Akzentverteilung in der Führungsmelodie. Die leitende rhythmisch-akzentuierende Funktion, die ihr im son oft zugeschrieben wird, besitze sie eher in der rumba guaguancó.[60] Diese rumba -Form zeichnet sich, ebenso wie die populärsten son -Formen, durch eine starke Bindung an Gesangsabschnitte aus.[61] Anhand des Patternvergleichs wird der Umstand sichtbar, dass das populäre Genre son habanero sich in regionalen Fusionen entwickelte.[62] Son- Musiker integrierten im Umfeld der Schwarzenviertel Havannas die clave de la rumba, offenbar ohne unbedingt deren rhythmisch-leitende Funktion zu übernehmen. Die abgebildete Form der rumba - clave findet sich jedoch auch in zahlreichen montuno [63] - Sektionen von sones montunos und salsa. Aus einer inhärenten clave de rumba könnte sich die dem son zugeschriebene Spielweise des Verzögerns am Ende des Taktes erklären. Wenn die clave nicht mitgespielt wird, bildet sie ein inhärentes rhythmisches Gestaltungselement. Die clave -Pattern und die gespielte clave bilden jedoch keine distinktiven Merkmale des son. Die claves im cinquillo -Format wurden im danzón und im bolero, außerdem bei dominikanischen merengue -Formen[64] gespielt. Eine inhärente clave bildet die rhythmische Grundlage zahlreicher weiterer afroamerikanischer Musikstile, wie zum Beispiel der dominikanischen mangulina und der puertorikanischen plena.

1.1.1 Polyrhythmik

Die bekannten son -Formen werden in binären Taktarten, mit 2/4 oder 4/4, notiert. Wie in weiteren Musikformen, die auf einer afrikanisch geprägten metrischen Gestaltung basieren, spielen die Instrumentalisten jedoch eigenständige rhythmische Muster, die innerhalb des okzidentalen Taktsystems nicht exakt wiederzugeben sind. A. Carpentier spricht von Polyrhythmik, die einer allgemeinen Tempoeinheit unterworfen ist.[65] H. Orovio beschreibt die besondere Polyrhythmik des in Havanna popularisierten son in seinem Lexikon kubanischer Musik:

Zusammengefasst kann man sagen, dass der instrumentale Komplex des son in der Besetzung eines Sextetts oder Septetts eine konstante Nebeneinanderpositionierung dreier Rhythmikräume aufweist, die voneinander unabhängig in der dynamischen Ausführung sind. (H. Orovio 1986:392f.)

Die erste Linie der den son konstituierenden Polyrhythmik bildet der Bass. Der ab den 1930er Jahren im son etablierte Kontrabass spielt eine konstante ostinato -Begleitung, meist im pizzicato. Seine Figur, sein tumbao, bildet neben der clave ein Erkennungsmerkmal des Genres. Hierin spiegele sich eine son hafte Spielweise, worin das Spiel der Zählzeiten und des off-beats durch leichte Verzögerung oder Antizipation vermieden werde.[66] Der cencerro spielt die Figur des Basses teilweise direkt mit.[67] Die zweite rhythmische Linie entsteht durch das invariable Begelitmuster der Gitarre mit gezupfter, teils geschlagener Spielweise.[68] Maracas und Bongos verdoppeln H. Orovio zufolge die jeweilige Figuration der Gitarre.[69] Die Bongos treten im Thema oft mit dem martillo [70] auf, im Verlauf eines son werden sie jedoch meist zum Improvisationsinstrument. Sie führen eine ambivalente musikalische Funktion zwischen rhythmischer Leitfigur und einer rhythmischen Funktion mit improvisatorischem Charakter aus.[71] Die Bongos erhalten demzufolge im rhythmischen Zwischenraum von Bass und tres -Spiel diverse Funktionen. Die dritte Linie innerhalb des Schemas H. Orovios bildet das zweitaktige Modul der inhärenten oder tatsächlich gespielten claves.[72] H. Orovio zufolge bedingt das clave -Pattern die beiden erstgenannten Rhythmiklinien und tres und Gitarre seien zu einem Metrum verschmolzen.[73] Der tres spielt perkussive Motive, die aus arpeggierten Dreiklängen in Auf- und Abwärtssprüngen bestehen.[74] Das Saiteninstrument hat eine ambivalente Funktion, die analog zu den Bongos ausgeübt wird. Die beschriebene polyrhythmische Gestalt konstituiert in bestimmten Kontexten ein distinktives Merkmal des son -Komplexes, während Übereinstimmungen in Bezug auf äußere Struktur, Instrumentierung, und Funktionen der einzelnen Instrumente ebenso in diversen verwandten Genres zu finden sind.[75]

Bei der charakteristischen Bassfigur des son handelt es sich um die Spielweise des bajo anticipado.[76] Die Bezeichnung antizipiert meint, dass bereits auf dem letzten Schlag des Taktes die Harmonie des Folgetaktes erklingt.[77] Das tumbao stellt sich folgendermaßen dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abb.2 Tumbao des antizipierten Basses des son montuno. Quelle: D. Orozco 2004:597)

Durch den vorgezogenen Harmoniewechsel wird eine momentane Dissonanz erzeugt, die jedoch nicht auf der ersten Viertel des Folgetaktes aufgelöst, sondern ohne betonten Schlag überschwebt wird. Auch dieses Bass- tumbao bildet kein distinktives Merkmal des son, wie sich im Verlauf dieser Arbeit anhand des Vergleichs mit anderen populären Genres verdeutlicht. Von der Bezeichnung Synkope wäre aufgrund der implizierten Annahme einer ursprünglich binären Grundstruktur und darin inhärenten Verhältnissen von starken und schwachen Teilen eines Taktes grundsätzlich abzusehen. Die Bezeichnung wird jedoch in Texten kubanischer Musikwissenschaftler häufig verwendet und hat sich demnach in beschreibender Funktion musikalischer Sachverhalte etabliert.[78]

Allgemein besteht son klanglich aus zwei Hauptregistern, Klangfolgen tiefer und hoher Bereiche.[79] Der helle prägnante Klang des tres oder eines anderen hoch gespielten Saiteninstruments, der Bongos und der claves machen den son erkennbar. Das tres -Spiel basiert in den klassischen sones habaneros auf einfachen Harmoniefolgen. Kennzeichend ist neben Tonika, Subdominante und Dominante das häufige Vorkommen phrygischer Wendungen wie Am-G-F-E bei E als Tonika, die sogenannte andalusische Kadenz.[80] Der Text wird häufig mit hohem Gesang interpretiert. Diese Stimmgestaltung diene dem Verständnis des Textes und sei deshalb im Repertoire der älteren trovadores ein etabliertes Stilmittel.[81] Dem gegenüber bilden der Bass und die tumbadora die tiefe Sektion. Beschleunigungen zur Einleitung des montunos setzen scheinbar synchron ein, die clave konstituiert sich dementsprechend.

1.1.2 Die Struktur des son montuno

Der außerhalb Kubas als Symbol des Ursprungs- son adaptierte son montuno, sei in den vermeintlichen Gebieten seiner Herkunft überraschenderweise kaum zu finden, stellt D. Orozco fest.[82] Es handelt sich um eine durch son- Interpreten im urbanen bzw. transnationalen Kontext konsolidierte Struktur.[83] Dieses Grundmuster des Genrekomplexes besteht formal aus dem largo, canto [84], oder auch copla -Teil[85], und dem montuno.[86] Der Strophenteil fungiert als Exposition in Bezug auf den harmonischen Rahmen und der Thematik des Textes. Der canto- Teil besteht nicht unbedingt aus ständiger Abwechslung von Strophe und estribillo [87], weist die beiden Abschnitte jedoch häufig auf. Der estribillo ergänzt die Strophe mit responsorischem Gesang zwischen Chorgesang und Solostimme. Diese Form, das Frage-Antwort-Prinzip bestimmt die Struktur, gestaltet das Instrumentalspiel und ist Grundlage der Improvisation. Der montuno bildet den Improvisationsteil.[88] Das häufig den Gesang im montuno bildende kurze Chormotiv wird motivo del son genannt.[89] Die Sektionen unterscheiden sich im Tempo, der Melodieführung und der Perkussionsbegleitung. Der montuno ist eher länger als der canto und das Spiel schneller, rhythmisch akzentuierter. Dem kubanischen sonero A. Rodríguez zufolge ist ein montuno eine aus dem formalen Blickwinkel primitive Ausdrucksform, eine „musikalische“ Anarchie in bestimmten Tempo.[90] Der montuno ist demnach als Moment der Klimax des son zu verstehen. Der montuno basiert musikalisch auf einer kurzen Akkordfolge, die ad libitum wiederholt werden kann.[91] Die Improvisationen innerhalb dieser Sektion bestehen aus einer Kombination aus tres, Trompete, Bongos, Sänger und Chorus.[92] Der erste Teil des son montuno ist ein fast eigenständiger Song. Der canto -Teil in der Form AABA besteht häufig aus 32 Takten.[93] Es erfolgt nach ein- bis zweimaliger Wiederholung meist eine Überleitung mit einem kurzen estribillo, bevor die Strophe mit einer zweitaktigen, improvisativen Überleitung variiert wird. In der Überleitung zur montuno -Sektion, worin das Tempo gesteigert wird, ist der Einsatz des cencerro üblich.[94] Der ehemals offene und längere montuno schließt sich an.[95] Die Sektionsform der sones montunos charakterisiert eine Vielzahl weiterer afroamerikanischer Genres und dominierte seit den 1920er Jahren ebenso in Mischgenres von son mit danzón, bolero und guaracha, auch mit guajira und criolla. [96] Der montuno besteht dabei teilweise aus separierten, variierenden Abschnitten.

1.2 Bolero son und guaracha son

Bereits im 19. Jahrhundert migrierten ländliche trovadores [97] in die Metropolen der spanischen Karibik. Dort boten sie, häufig auf Marktplätzen, der Öffentlichkeit ihre improvisierte Volkspoesie dar. Das dominikanische trova -Repertoire enthielt den kubanischen ähnliche Genre-Komplexe, insbesondere bolero [98] - und guaracha -Formen.[99] Auch son -Formen kamen in der Dominikanischen Republik und Puerto Rico zeitnah zu Kuba auf.[100] Ein gleichbleibendes Instrumentarium diente in der gesamten Region der Darbietung diverser trova -Stile. Aus Transformationsprozessen, die sich oft an den jeweiligen spielerischen Fähigkeiten und Vorlieben des Musikers orientierten, ergaben sich zahlreiche Mischgenres.

Unter dem Einfluss von son entstanden Genremischungen, in denen die einzelnen Elemente zu ausgeprägter Spannung oder Konkurrenz tendieren, d.h. sie kontrastieren mit anderen. Irgendein Element - in vielen Fällen aus den son- Formen - fungiert als Bindeglied in diesen Prozessen. Daraus resultiert ein „prägnantes Mischgenre“, das in nur wenigen Punkten anderen Mischgenres gleicht. (D. Orozco 2004:173)[101]

Die in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts dem son- Einfluss am stärksten erliegenden Musikstile sind bolero und guaracha.[102] Der lateinamerikanische bolero und die guaracha befanden sich schon im 19. Jahrhundert in ständigen Vermischungsprozessen mit Salontänzen und den rumba -Formen des teatro bufo.[103] Innerhalb der beginnenden Kommerzialisierung kubanischer Musik gehörten die Liedstile zum Repertoire der verschiedenen son -Ensembles.[104] Die folgenden Ausführungen zu guaracha und bolero beziehen sich auf die kubanische Musikgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts mit Havanna als Fokus. D. Orozco verweist jedoch auf frühe Beziehungen der guaracha und des bolero zu anderen Inseln der Karibik.[105] Anhand von verfügbaren Aufnahmen ist erkennbar, dass bolero, son und guaracha in den urbanen Zentren der Dominikanischen Republik als Genre-Kombination auftraten.[106] Es ist davon auszugehen, dass dieses Phänomen durch das Repertoire der kubanischen Interpreten beeinflusst wurde.

Das rhythmische Grundmuster des bolero ist der gespielte cinquillo, der eine Parallele zum danzón herstellt.[107] Der cinquillo war in den frühen boleros auch im Rhythmus der Gesangsstimmen durchgehend präsent. Ein weiteres Merkmal des Genres ist eine rhythmisch-harmonische Stabilität der Instrumentalbegleitung.[108] Die Struktur des bolero ist dreiteilig, er enthält zwei Teile gleicher Länge, die von einem Zwischenspiel unterbrochen werden.[109] Gesungen wurden boleros nicht selten im Duett zu Terzen und Sexten.[110] Tanzbar wurde das Genre mit der verstärkten Perkussion in der Besetzung der son-conjuntos.[111] In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts entstand darüber hinaus ein elaborierter pan-lateinamerikanischer bolero, der mit Streichern und Klavier dargeboten wurde.[112] Die Mehrzahl der bolero- Texte bieten sich für die internationale Verbreitung geradezu an, da sie sich oft von einem lyrischen Ich an ein unbekanntes Du richten, ohne spezielle lokale Bezüge herzustellen.[113]

Die guaracha ist ein Streitfall in der kubanischen Musikwissenschaft, die sie als Genre oder als tanzbare Liedform betrachtet.[114] Zunächst sei sie im Repertoire des teatro bufo von einem einfachen Instrumentarium dargeboten worden, mit einem Klavier, Blasinstrumenten oder Gitarre, maracas und güira.[115] Der soziale Kontext der Populärmusik ärmerer Gesellschaftsschichten bildete für die Formierung der tanzbaren guaracha den Mittelpunkt.[116] G uaracha ist in Kuba lange Zeit als Musik der Bordelle abgelehnt worden. Sie besass jedoch ebenso Präsenz in den Salontänzen. Insgesamt kommt guaracha eine wichtige Funktion im Entstehungsprozess des kubanischen Nationalismus zu.[117] Verschiedene Autoren beschreiben einen grundsätzlichen Wandel der guaracha -Form gegen Ende des 19. Jahrhunderts, worin eine Binarisierung des ehemals ternären Rhythmus vollzogen wurde.[118] Entwickelt habe sich die Liedform mit einem angezogenen Tempo und mehr Bewegung zu einem fröhlichen, auf die habanera zurückzuführenden Rhythmus[119] im 2/4-Takt.[120] A. León vermerkt, dass die guaracha eine zweiteilige Struktur annahm, in der der erste Abschnitt aus einer teils narrativen, teils gesungenen Einführung bestand und der zweite aus Alternanz von Chor und Solist mit Improvisationen.[121] Diese Struktur weist deutliche Übereinstimmung mit dem son montuno auf. In den 1930er Jahren habe sich eine Transformation der guaracha zu son verdeutlicht, zudem habe es Verbindungen zur rumba gegeben.[122] In den 1940er Jahren sei die guaracha in das Repertoire der Jazzbands eingedrungen.[123] Da diese Liedform in Fusionen meist als Bestandteil schwer auszumachen ist, bilde sie kein prägnantes Mischgenre.[124] Sie sei ausschließlich anhand von vieldeutigen Texten und beschwingtem Tempo in Mischgenres zu vermuten.[125] Auch is der Musikstil Guaracha ist in heute nicht mehr an ein bestimmtes Ensemble-Format gebunden. Die Sprachcodes der canciones und boleros unterscheiden sich deutlich von denen der guaracha- Texte. Im Unterschied zum bolero erscheinen die Texte der frühen guarachas nur verständlich, wenn sie in Verbindung mit ihrem zeitlichen und lokalen Kontext rezipiert werden. M. T. Linares de León zufolge müssen Interpretationen von guaracha -Texten das Vorhandensein bestimmter volkstümlicher Charaktere berücksichtigen. Die Funktion der Texte läge in der Ironisierung der sozialen Klischees.[126] Der inhärente Doppelcharakter als Lied- und Tanzgenre, worin häufig gesellschaftliche Kritik vorgebracht wird, sei prägnanter als beim bolero. Diese zweifache Funktion manifestiere sich im Textinhalt, womit zum einen bewusstes Zuhören provoziert, zum anderen im Duktus tanzbare Elemente enthalten seien.[127]

Der kubanische Musikwissenschaftler J. Loyola Fernández erhielt in einer Untersuchung zur Fusionsbereitschaft zwischen bolero und son zwei verschiedene Modalitäten, den bolero soneado und den bolero son. Es handelt sich um zwei Arten der Verknüpfung von bolero- Gesangsstil mit der polyrhythmischen Konzeption des son. Dabei entstehe beim bolero soneado eine Rondo-ähnliche Form mit instrumentaler Einleitung, auf die eine bolero -Strophe, ein instrumentales Zwischenspiel, eine zweite Strophe und im Anschluss entweder ein da capo, völlig neues instrumentales, thematisches Material, oder eine instrumentale Wiederholung des ersten oder zweiten bolero -Teils folgt. Der Schlussteil gestalte sich durch eine coda.[128] Insbesondere die bolero -Sektion könne sich dabei auf diverse Arten präsentieren, da sie von der entweder zwei- oder dreiteiligen Struktur des Ausgangswerkes abhinge. Die Modalität innerhalb der zweiteiligen Verbindung von bolero und son ergäbe sich in einer neuen Struktur aus zwei Sektionen, die durch die Temposteigerung zu più mosso im montuno -Abschnitt agogisch seien. Son sei durch den montuno -Teil und eventuell durch ein angezogenes Gesamttempo prägnant.[129] Der montuno schließt meist mit einer kurzen Wiederholung der Strophe ab. Beide Varianten erscheinen unter dem Genrebegriff bolero son gefasst.[130] Aufgrund ihrer Struktur ist der Modalität des bolero soneado Ähnlichkeit mit dem danzón und der danzonete zuzuschreiben.[131] Mithilfe der verschiedenen Ausformungen wurde auf der einen Seite die in der kubanischen Oberschicht beliebte Rondo-Struktur und auf der anderen die zweiteilige Form der populären Musikstile aufgegriffen. Die Polyhythmik des son montuno habe als rhythmisch-harmonischer Überbau oder Bindeglied für diverse bereits bekannte boleros und weitere cinquillo -basierte Lieder gedient.[132] Zugunsten von melodischer und harmonischer Ausweitung verliert das charakteristische Spiel des tres und die polyrhythmische Gestalt des son innerhalb der Kombinationen mit bolero häufig an Prägnanz.

Die Musikwissenschaftlerinnen N. González Bello und L. Casanella Cué sehen eine Verwandlung der kubanischen guaracha mit ihrem ursprünglich segmentierten Rhythmus hin zu einem son mit schnellerem Tempo und einem lustigen, höchst schelmischen Text, der sich von den typischen son- Texten der 1920er Jahre noch stark unterscheidet. Durch Interpreten habe sich im folgenden ein stilistischer Kanon gebildet.[133] Der auch guaracha son bezeichnete guaracha hafte son konstituiert sich demzufolge aus einem Strophenteil mit den Eigenschaften des Mischgenres und einer montuno -Sektion. M. T. Linares de León erwähnt, dass die verschiedenen son -Formen häufig anhand der Einleitung zu identifizieren waren.[134] Guaracha sones werden eher mit einem perkussiv gespielten Saiteninstrument eingeleitet, bolero sones häufig mit einer Trompetenmelodie. Generell ergibt sich, dass der son- Komplex innerhalb der lateinamerikanischen trova mit diversen durch Saiteninstrumente begleitete Liedformen fusioniert wurde, wobei sein Einfluss häufig dem montuno und dem durchgehenden bajo anticipado zugeschrieben wird.

1.3 Einzelne Eigenschaften und Auswirkungen der Popularisierung des kubanischen son

Die Entwicklung des son von einem ländlichen Musikstil zur etablierten Essenz der kubanischen Musik verlief innerhalb eines kurzen Zeitraums umfassend und erfolgreich. Als Ursprungsort des son gelten die ländlichen Regionen Ostkubas mit der Hauptstadt Santiago de Cuba . [135] Das Genre festigte sich während der rassenübergreifenden Unabhängigkeitskriege Kubas zum Ende des 19. Jahrhunderts.[136] Im Repertoire des „Ejército Permanente“ und der trovadores eingebunden, habe son an Popularität bei den ländlichen und urbanen Bevölkerungsschichten, auch in der Hauptstadt Havanna, gewonnen.[137] Der Weg in die kubanische Oberschicht sei als Tanzmusik der Bordelle und Bierbrauereien erfolgt.[138] Son bildete dabei zunächst den Schlussteil des etablierten Salontanzes danzón.[139] Das Aufkommen des Radios und der victrolas [140] in den 1920er Jahren habe die nationale Verbreitung des son unterstützt.[141] Die Radiosender stellten ihre Musikprogramme bevorzugt aus Lifedarbietungen lokaler Musiker, da dies gegenüber importierten Musikaufnahmen kostengünstiger war.[142] Die kubanische Musikwissenschaftlerin M. T. Linares de León hebt die Bedeutung der Massenmedien wie Radio, Kino und später Fernsehen für die internationale Popularität kubanischer Musikstile hervor und betont, dass die großen Plattenfirmen[143], um ihre Position zu festigen, Kulturgüter brauchten, die sie in vielen Ländern verkaufen konnten. Dabei habe insbesondere das Genre des bolero den Vorteil gehabt, dass man ihn bereits in vielen Teilen des lateinamerikanischen Kontinents kannte.[144]

Ab den 1930er Jahren sei son als karibisch zu bezeichnen.[145] In diesem Zeitraum wurden Aufnahmen diverser kubanischer son -Gruppen weltweit populär, zum Beispiel des Sexteto Habanero und des Septeto Nacional, Vertreter des son habanero, kleine Besetzungen des son oriental präsentierten das Trío Matamoros und das Duo Los Compadres. Auf den Aufnahmen dieser Gruppen sind zu großem Anteil die Mischgenres bolero son und guaracha hafter son enthalten. Die internationale Kommerzialisierung der kubanischen sones [146] war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von lokalen Repressionsversuchen begleitet. Ein Beispiel für den ambivalenten Umgang mit afrokubanischen Bevölkerungsteilen ist, dass noch 1915 tausende Schwarze verschiedener Bildungsgrade von der kubanischen Armee niedergeschossen wurden, weil sie versuchten, eine politische Partei für ihre Interessen zu gründen.[147] Problematisch war insbesondere der Umgang der kubanischen Behörden mit santería. E. Leaf weist darauf hin, dass die Mehrheit der Polizeimassnahmen sich gegen jegliche religiöse und traditionelle afrokubanische Ausdrucksform richtete, nicht aber gegen die der Bordelle.[148] Trotz einer ambivalenten Wertung brachte son nach Ansicht kubanischer Wissenschaftler erstmals konträre Prinzipien sozialer Struktur in Kommunikation zueinander. Ergebnis verschiedener Untersuchungen ist, dass son für die Kubaner identitätsstiftend war.[149] Das Phänomen des son steht stärker als der besonders im urbanen Raum populäre danzón für rassenübergreifende Popularität und kubanische Identität.[150] Die schichtenübergreifende Popularisierung des kubanischen son ist nicht getrennt von danzón und rumba zu betrachten. Diese Genre-Komplexe stellten in Kuba offensichtlich ehemals Pole des Kreolischen dar, in deren Zwischenraum sich der son- Komplex positionieren konnte. Neben Jazz und brasilianischer samba bilde son ein zeitloses Paradigma der ersten einflussreichen, ehemals von Schwarzen gespielten, afroamerikanischen Populärmusiken.[151] Berühmte Werke der kubanischen poesía negrista wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als son- Texte verfasst, wodurch das Genre zu einer explizit afroamerikanischen Ausdrucksform wurde.[152] A. Carpentier beschreibt den besonderen Charakter des son, der sich ihm zufolge am internationalen Einfluss des Genres versinnbildlicht:

[...]


[1] Vgl. L. Acosta (1982:208).

[2] Erwähnt von der Musikologin M. E. Davis in Garland Enzyklopädie, Bd.2: South America, Mexico, Central America, and the Caribbean (1998:861).

[3] Villa Mella ist ein Schwerpunkt afrodominikanischer Tradition am Nordrand Santo Domingos. Die synkretische Musikkultur der Congos de Villa Mella gehört seit 2002 als Masterpiece zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe. In dem Stadtteil leben zahlreiche Nachkommen ehemaliger Sklaven.

[4] M. E. Davis (1998:861).

[5] Vgl. O. Ette (2005:23).

[6] M. Veloz Maggiolo in Trujillo, Villa Francisca y otros fantasmas-Trujillo, Villa Francisca und andere Fantasmen (1996:197). Villa Francisca ist ein um 1912 gegründetes Arbeiterviertel Santo Domingos mit son- Publikum und Veranstaltungsorten. Dem dominikanischen Musikwissenschaftler T. García zufolge ist der Raum Villa Francisca ein dominikanischer polo sonero - Pol des son (vgl. T. García in El Siglo, 1998b). T. García bezieht sich mit dem Terminus auf die voneinander separierten Schwerpunkte der dominikanischen son -Tradition.

[7] Nach V. Gómez / E. Rodríguez (1989:83).

[8] P. Manuel (1994:275).

[9] D. Pacini Hernández (1991:121).

[10] Gemeint sind eine elaborierte und eine populäre Form von bachata, eines Gitarrenmusikstils, der in Musiklandschaft der Dominikanischen Republik seit den 1980er Jahren Verbreitung gefunden hat.

[11] Kuba und die Dominikanische Republik werden generell der spanischen Karibik zugeordnet. Nach D. Pacini Hernández schließt dieser Kulturraum Puerto Rico und die Karibikküsten von Kolumbien, Panama, Mexiko und Venezuela ein (1993a:48f). Eine ständig wachsende Bedeutung erhalten die Dominican Yorks, Rückkehrer aus den USA in Santo Domingo. Lateinamerikanisch dominierte Viertel New Yorks und Miamis sind zur spanischen Karibik zu zählen. M. E. Davis weist daraufhin, dass es sich bei der Makrokultur der spanischen Karibik um eine linguistische Zuordnung und keinesfalls um homogene ethnische Zusammenstellungen in Form von Nationen handele. Die spanische Karibik sei jedoch stärker mit dem Rest Lateinamerikas verbunden, als mit den sie umgebenden karibischen Inseln. Diese Verbindung sei als antillanismo zu bezeichnen (1994b:120).

[12] K. Bilby und A. Benítez Rojo definieren in La isla que se repite - Die Insel, die sich wiederholt -, die rhythmischen Produktionen der Karibik als intellektuelle Aneignung des musikalischen swings der Popularkultur (K. Bilby / A. Benítez Rojo, 1998). J. O. Garabís betont den ökonomischen Kontrast mit der Aussage, dass die Faszination für Musik den einen eine finanzielle Überlebensmöglichkeit, den anderen häufig utopische intellektuelle Konzepte gebracht hätte (J. O. Garabís 2000:35).

[13] Grundlegende Werke zu Entstehung und Verbreitung des son auf Kuba stammen von L. Acosta, A. Carpentier, S. Feijóo, Z. Gómez und V. E. Rodríguez, A. León, M. T. Linares de León, H. Orovio und D. Orozco González.

[14] Dominikanische Musikwissenschaftler sind J. Arzeno, J. del Castillo, E. Garrida de Boggs, B. Jorge, F. Lizardo, F. de Nolasco, J. C. Paulino, C. Pérez de Cuello und R. Solano; ethnologische Forschungen stammen von C. Hernández Soto, E. Sánchez und E. Rodríguez Demorizi, soziologische Betrachtungen von J. Guerrero, D. Tejeda Ortiz und D. Tejeda. Es ist nur eine geringe Zahl von wissenschaftlichen Untersuchungen zu Populärmusik unternommen worden, mit Ausnahme des Themas merengue (Vollständige Angaben, auch zur vorangehenden Fussnote s. Literaturverzeichnis).

[15] In dieser Arbeit wird Populärmusik als Übersetzung des spanischen Terminus música popular verwendet. Im lateinamerikanischen Spanisch bildet música popular einen Überbegriff für mit Folklore verbundener Musik. Er umschließt die verschiedensten Kategorien, von den Liedern, die noch ursprünglichen Mustern folgen, bis zu kommerzieller Popmusik. Der Gebrauch des Begriffs Populärmusik als deutsches Pendant begründet sich darin, dass „Volksmusik“ von mehrheitlich europäischem Einfluss ausgeht und der Begriff „volkstümlich“ abwertende Nuancen hat (vgl. B. Rospek 1991:31).

[16] D. Pacini Hernández: Bachata, 1995; P. Austerlitz: Merengue, 1997, M. E. Davis: “Music and black ethnicity in the Dominican Republic”, 1994a sowie ”Bi-Musicality” in the cultural configurations of the Caribbean”, 1994b. Die Anthropologin D. Pacini Hernández hat die erste wissenschaftliche Feldforschung zum Thema bachata in der Dominikanischen Republik unternommen (Dissertation 1989, Veröffentlichung 1995). Die Autorin ist US-Kolumbianerin. Zu son und rumba in der spanischen Karibik veröffentlichten P. Manuel, S. Floyd und J. S. Roberts diverse Artikel (siehe Literaturverzeichnis). Musikethnologische Untersuchungen zu dominikanischer Folklore stammen auch von der bereits verstorbenen J. Rosenberg.

[17] Die persönlichen Gespräche sind zwischen Januar und April 2006 geführt worden. Eine Liste der Interviewpartner mit relevanten Daten befindet sich im Anhang, so dass die Namen jederzeit nachgeschlagen werden können. Im Band II dieser Arbeit finden sich Transkriptionen der längeren persönlichen Gespräche vor Ort. Aus Platzgründen beschränke ich mich auf diese längeren Interviews. Auch weil die Mehrzahl der Kontakte über ein einmaliges Interview hinausgingen, wird eine geringe Anzahl von Aussagen nicht durch Transkriptionen ganzer Gespräche belegt. Es handelt sich dann um Notizen, die ich mir während Festen oder Konzerten gemacht habe. Diese Notizen fließen als Bestätigung aus schriftlichen Quellen entnommener Daten in die Arbeit ein. Einige Gesprächspartner wollten nicht aufgenommen werden und konnten somit nur stichworthaft transkribiert werden. Ich fasse spontanen, kurzen Informationsaustausch und mit Notizblock geführte Gespräche unter dem Begriff Kurzinterview zusammen.

[18] Es diente jedes Instrument dafür, der wichtige Punkt ist, dass man es mit den Rhythmusinstrumenten asoziierte. (F. Casado, Bd.II, S.3, Z.45).

[19] G. Santana (Bd.II, S.29, Z.192ff.). Der Definitionsansatz der Fusion von afrikanischer und europäischer Hälfte findet sich auch bei Autoren wie P. Manuel (1985:259), A. León (1984:126) und H. Orovio (1986:391).

[20] In Kuba als guajira bezeichnet, Musik der Kleinbauern - guajiros (M. T. Linares de León 2004:137).

[21] A. Francés: Cervantes: Diccionario manual de la lengua española (1979:770f).

[22] In Lateinamerika verbreitete Versmaße, die im Verlauf des Kapitels benannt werden.

[23] G. Béhague (1988:1569). Dieses Phänomen kubanischer Musikprägung des lateinamerikanischen Raums hatte bereits im 19. Jahrhundert mit der habanera eingesetzt.

[24] Als claves bezeichnet man in der kubanischen Musikwissenschaft die von der contradanza abstammenden Genres (vgl. A. Carpentier 1979:101).

[25] D. Orozco (2004:165 und 168). D. Orozco umreißt die Vielgestaltigkeit eines kubanischen son - Komplexes in seiner Dissertation. Im son -Komplex träfe man vor allem auf ein breites Spektrum aus Gestaltungen, Typen und Formen: [..] Der Komplex umschließt die bis heute nur wenig bekannten oder unbekannten Schöpfungen der Übergangsetappen. Die ursprünglichen sones (ländliche und städtische), die zur Tradition geworden sind, sowie verschiedene zeitgenössische Formen, tanzbare und nicht tanzbare. Der son-Komplex verfügt außerdem über ein ganzes Umfeld an Aktion und Interaktion mit anderen Komplexen. Zusammengefasst legt D. Orozco der kubanischen Musikentwicklung während der Übergangsetappe zur Nationenbildung vier Komplexe zugrunde, die aus son -Komplexen, ausserdem rumba-, canción- und danzón -Komplexen bestehen (D. Orozco 1987:11f).

[26] Vgl. P. Manuel (1994:269).

[27] Eine kleinere Gitarre mit drei Doppelsaiten (die höheren werden oktaviert gestimmt) mittlerweile aus Metall, die einen Dreiklang bilden: sol mi si oder sol mi do (vgl. G. Béhague 1998b:1569).

[28] Eine dieser einzelnen Rundtrommeln war die mongó- Trommel, die im Sitzen gespielt wurde.

[29] Die Bongos wurden ab ca. 1900 gespielt (F. Ortiz 1996:416).

[30] Ein Blasinstrument in Form eines ausgeblasenen Gefässes, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts im son gespielt wurde (vgl. G. Béhague 1998b:1569).

[31] Der sogenannte Erdbass, ein doppelter Holzbogen mit einem Erdloch als Resonanzraum. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde er durch einen Kontrabass ersetzt. Nach A. León spielten der bajo en tierra, mehr noch die marímbula oder marimba in einigen son- Formen einen harmonischen Bass mit den Tönen der Subdominante, Dominante und Tonika des Grundtons (1984:120). D. Orozco spricht dagegen von einer rhythmisch-klanglichen, aber nicht harmonischen Basis, die diese beiden Instrumente boten (2004:165).

[32] In Puerto Rico wird das Instrument ebenso bezeichnet, in der Dominikanischen Republik hat sich die Bezeichnung marimba etabliert; es handelt sich um einen Resonanzkasten mit Metallzungen vor einer Öffnung; ein Instrument mit deutlich erkennbarem afrikanischen Ursprung, oft verglichen mit dem Daumenpiano mbira (vgl. G. Béhague (1998b:1569) und A. León (1984:141).

[33] Schrapinstrument aus Kalabasse (F. Lizardo 1976:52).

[34] Rasseln aus higüero, Schüttelidiophone (F. Lizardo 1988:210f).

[35] Gegenschlagidiophon aus zwei Harthölzern (G. Béhague 1998b:1569).

[36] D. Orozco (2004:171). M. T. Linares de León zufolge sagen ältere Musiker aus Havanna aus, dass die clave vom bolero stamme (2000:149).

[37] Die Bezeichnung sonero meint in der Dominikanischen Republik Musiker und Anhänger des son, generell Personen, die zu son- Veranstaltungen gehen. Insbesondere dient sonero als Bezeichnung für son- Tänzer. Jedoch möchte sich nicht jeder Musiker, der son spielt, selbst als sonero bezeichnen, denn der Begriff bezeichnet im speziellen eine starke Verbundenheit mit dem son und seinem Entstehungskontext in der Unterschicht und, nicht unerheblich, im Tanz. Desweiteren wird das Attribut sonero bei einer ganz besonderen musikalischen Leistung, die meist im Bereich des Gesanges liegt, verwendet. Auf Kuba hat der Begriff ähnliche Bedeutungen (vgl. C. Schlicker 2005:14 und J. Robbins 1990:194).

[38] D. Orozco (2004:173).

[39] Kuhglocke aus Metall, auf die mit einem Holzstöckchen geschlagen wird. Ab den 1940er Jahren wird dieses Instrument in Teilen des son anstelle der claves gespielt.

[40] Die Bezeichnung tumbadora meint auf Kuba ein dreiteiliges Trommelensemble, das nach seiner tiefsten Trommel benannt ist. Conga bezeichnet die mit dem mittleren, quinto die mit dem hellsten Klang. Es handelt sich um hölzerne Stehtrommeln, die zumeist fassförmig sind und an der Oberseite mit einem Fell bespannt und unten offen sind. Ausschliesslich die tiefste Trommel, die tumbadora, wurde in den kubanischen son integriert. Nach L. Acosta geschah dies erst nach 1939 (2004:280), nach G. Béhague um 1940 mit Arsenio Rodríguez, der den ersten son-conjunto gründete (eine größere Besetzung, die im Folgenden erklärt wird, vgl. G. Béhague 1988a:1570). Die tumbadora ist inzwischen mit der international als Conga bekannten Paartrommel gleichzusetzen.

[41] D. Orozco (1987:35).

[42] Die Besetzung bestand in zwei Stimmen, tres, Gitarre und maracas, beim cuarteto kamen Bongos hinzu (M. T. Linares de León 2000:151).

[43] G. Béhague nennt das Sexteto Habanero und das Sexteto Boloña als führende Vertreter des son in den 1920er und 1930er Jahren (1998b:1570).

[44] Von 1920-1940 erstreckt sich die klassische Periode des son in Kuba (vgl. Gómez / Rodríguez 1989:91).

[45] Die Ungenauigkeiten der Zählweise erklären sich dadurch, dass einige Instrumente teilweise dem Gesang oder der Perkussion zugerechnet werden. Das Instrumentarium des Septetts wurde demzufolge bei einigen Autoren mit Piano und Trompete definiert, teilweise ohne Piano. Die Besetzung des Sextetts definiert sich ebenso ohne und mit Trompete. Unterschied ist in den meisten Fällen das Piano (vgl. J. Robbins 1990:187, G. Béhague 1998a:1570 und M. T. Linares de León 1998:152). L. Acosta betont, dass man es mit Musikstilen zu tun habe, die keine festen musikalischen Formate benötigen (1983:38). D. Orozco verweist auf die Abhängigkeit der Gruppenformate vom jeweiligen Zeitalter, der Situation und Persönlichkeiten der Musiker. Als Beispiel zieht er die Spielweise des Klaviers und des Synthesizers hinzu. In einigen der mit den son- Formen verwandten oder daraus entstandenen Musikstilen spielten die Tasteninstrumente tumbaos, die von den vom tres bekannten Mustern abgeleitet seien, in anderen schöpften sie eigene Möglichkeiten aus und bildeten spezifische Spielweisen, die wiederum in das Erbe des tres integriert würden (2004:165).

[46] Die Erweiterung des Septetts zum conjunto wird dem blinden tres -Spieler A. Rodríguez (1911-1970) zugeschrieben. Zwei Trompeten, Piano und tumbadora waren in seinem conjunto Standard (G. Béhague 1998b:1570).

[47] M. T. Linares de León nennt als Gründe für diese Veränderung das erwünschte Klangvolumen in den größeren Salons und verweist auf die klangliche Hinterlassenschaft der Formation jazzband des US-amerikanischen fox trot (1998:169). Diese Formation aus Piano, Saxophon, Posaune und Trompeten sei mit tumbadora, Bongos und spanisch- anstelle englischsprachigem Gesang kubanisiert worden (ebd.).

[48] R. Moore zitiert Francisco Grillo als Beispiel (1995:181f.), M. T. Linares de León verweist auf Ignacio Piñeiro (Direktor des Septeto Nacional) als rumbero (1998:155), L. Acosta auf Benny Moré (1983:67). Rumba wird verglichen mit son durch starke Perkussionsbesetzung mit einer Mastertrommel stärker mit Afrika assoziiert.

[49] Danzón wird als kubanischer Nationaltanz angesehen. N. Galan versteht das Genre als eine Mischung aus danza, bolero, habanera (contradanza habanera) und lied (1983:201).

[50] Die Instrumentierung des charanga -Orchesters spiegelt sich in der militärischen Marschband wieder, die sich während der Unabhängigkeitskriege in Kuba, der Dominikanischen Republik, Haiti und Puerto Rico ausbreiteten (vgl. P. Austerlitz (1997:23) und E. Rodríguez Demorizi (1971:152f.).

[51] Die Bezeichnung dieses kubanischen Ensembles war bunga (vgl. D. Orozco 2004:164f). Eine bunga war die kleinste Musikergruppe, die teilweise nur aus tres und Gesang bestand, als Trio mit Gitarre, maracas und Bongotrommel (C. Borbolla 1975:153).

[52] Die traditionellere Form ist ein dreieckiger tres, der banza (E. Sánchez 2005:29).

[53] Beide Formen werden in Gesprächen als güira bezeichnet.

[54] Das Kalabasseninstrument lässt für einen Musiker weniger rhythmische Feinheit zu als der Metall- güiro (D. Honoret Bd.II, S.91, Z.264f.).

[55] Es ist in vielen Fällen schwierig, eine genaue Herkunft zu bestimmen. Im Fall der tambora wird von der Insel Quisqueya, folglich Haiti und die Dominikanische Republik, als Ursprungsort, in Bezug auf die anderen Instrumente wird mit Ausnahme der maracas von einer kubanischen Herkunft ausgegangen (vgl. F. Lizardo: Instrumentos Musicales Folklóricos Dominicanos Vol.1 und 2 (1988) und F. Ortiz Los instrumentos de la música afrocubana, Vol. 1 und 2 (1996).

[56] Vgl. D. Orozco (1987:10f).

[57] Guaguancó ist die Abkürzung für rumba guaguancó, dem Nachfolger der zunächst populären rumba -Untergruppierung rumba yambó (H. Orovio 2004:124). Der guaguancó entwickelte sich in Havanna etwas früher als der populäre son (P. Manuel (1985:252).

[58] Der zweite Takt in der Abbildung der clave del son zeigt eine der verbreiteten Notationsformen des tresillo -Moduls (3-3-2). Die gesamte Figur wird auch 2 zu 3-Pattern genannt (P. Manuel 1985:251). Der tresillo gilt als Teil des cinquillo -Pattern (cinco - fünf), wird jedoch auch oft als cinquillo bezeichnet. Im bolero ist die definierte komplette Form des cinquillo zu finden, eine Alternanz von unterschiedlich langen Notenwerten (2-1-2-1-2 mit einem zählzeitbetonenden Folgetakt). P. Manuel sieht den tresillo als Vereinfachung des cinquillo und als wegweisend für kubanische Musik, in die er um 1910 eingeführt worden sei (1985:252f). Die Herkunft des cinquillo ist umstritten, wird jedoch meist dem heutigen Haiti (ehemals Saint-Domingue) zugeschrieben.

[59] Die clave der klassischen son- Formen der 1920er Jahre würde nur deshalb clave de primer tiempo - clave der ersten Zählzeit - genannt, weil sie bereits in der Einleitung einsetze (vgl. D. Orozco, der ein Unterkapitel mit Das clave-Dilemma betitelt, 2004:171). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf seinen Artikel „Einheit in der Vielfalt. Die verschiedenen Formen des son in der kubanischen Musik“, im Jahr 2004 auf Deutsch erschienen.

[60] Vgl. D. Orozco (2004:171f).

[61] Vgl. L. Acosta, der diesem Vokalcharakter die Beliebtheit des Genres zuschreibt (1983:34), sowie H. Orovio (2004:125). Neben boleros stellt der guaguancó innerhalb des aktuell unter dem Oberbegriff son gefassten Repertoires zahlreiche Themen des internationalen Revivals kubanischer Musik in den 1990er Jahren. Beispiel für ein guaguancó -Thema ist das bekannte „Chan Chan“ des Buena Vista Social Club (World Circuit, 1997).

[62] Einige Musikwissenschaflter schreiben die von D. Orozco als clave del son angegebene Figur dem guaguancó zu (vgl. P. Manuel 1985:253). Von Bedeutung bleibt weniger der Rhythmus, als die bereits in den 1920er Jahren im Vergleich geringere rhythmisch-leitende Funktion der clave in sones.

[63] Es handelt sich um eine Improvisationssektion, die sich an die Strophensektion anschließt (s. 1.1.2).

[64] Der merengue pambiche ist in der Dominikanischen Republik um 1916 bekannt geworden (C. Pérez de Cuello in C. Pérez de Cuello / R. Solano 2003:282, vgl. 2.).

[65] Vgl. A. Carpentier (1979:116).

[66] Vgl. E. Llerenas (Booklet Septetos de Cuba, 1985).

[67] Der cencerro, das Klavier und der Chorus etablieren oft zweitaktige Figuren. P. Manuel plädiert für ein Verständnis von Zeitspannen wie auch bei afrikanischer Musik (P. Manuel 1985:256). Der cencerro kommt keineswegs durchgängig zum Einsatz.

[68] Nach H. Orovio verläuft dieses Muster innerhalb binärer Taktarten in identischen Notenwerten, bei einem 2/4-Takt handelt es sich um vier Sechzehntelnoten. Darin werden auf einzigartige Weise konstant Akzente verändert, eine Spielweise, die nur die beherrschen, die das Genre wirklich kennen (H. Orovio 1986:393).

[69] H. Orovio (1986:393).

[70] Ein martillo meint eine Bongofigur aus Achtelnoten, die durch Anwendung verschiedener Schlagtechniken charakteristische Akzente erhält (vgl. C. Schlicker 2005:11). M. T. Linares de León schreibt die Entwicklung dieser Figur dem Bongospieler Agustín Gutiérrez zu, der u.a. beim Sexteto Habanero spielte. Der martillo sei besser für das Spielen von bolero son geeignet, worin schnelle, segmentierte und sprechende Figuren aus son und rumba unpassend waren (M. T. Linares de León 1998:151f.).

[71] Dies bildet eine deutliche Parallele zum changüí, ebenso Genre des son- Komplexes (A. Casanova 2004:158 und H. Orovio 1986:392).

[72] Vgl. H. Orovio (1986:393).

[73] H. Orovio (1986:396).

[74] M. T. Linares de León spricht von einer generellen Abwärtsbewegung des tres bei Improvisationen (1988:148). Das Spiel des tres enthält in typischen sones selten Tonleiterausschnitte (vgl. A. León 1984:119).

[75] G. Béhague bezeichnet die Struktur als Konzept einer matriz –Teppich -, als eine Gesamttextur, die aus vielfältigen Patterns der einzelnen Instrumente bestehe (1988a:1570).

[76] Spanisch für antizipierter Bass. Diese Form ist in weiteren Genres wie Walzer, Polka und pasodoble präsent, jedoch im son von besonderer Prägnanz (C. Borbolla 1975:152). P. Manuel sieht die Anlage der Figur in den Vorgängern des son, der rumba guaguancó und der contradanza habanera (auch einfach habanera genannt) angelegt (1985:259). C. Borbolla erhielt in einer Untersuchung von klassischen sones verschiedene Antizipationsebenen innerhalb des sich konsolidierenden Genres, worin mal höher klingende Instrumente antizipiert spielen, während tiefere den ersten Schlag betonen und umgekehrt, bis die vollständige Vermeidung der ersten Zeit des Taktes etabliert wurde (1975.154f.).

[77] P. Manuel (1985:249) und C. Borbolla (1975:152). In einigen Formen würde die Harmonie auf dem ersten Schlag des Folgetaktes wiederholt (P. Manuel 1985:254). In sones verbreitete sich ab den 1930er Jahren eine strukturelle Pause in jedem zweiten Takt des bajo anticipado, die in den 1940er Jahren zum Standard in guarachas und mambos wurde (ebd.).

[78] Vgl. u .a. die zitierten Werke von H. Orovio (1986:391-396).

Die Verteilung der Akzente innerhalb des Patterns mit einem oder zwei Schlägen als „Zentrum“ desselben bewirkt den berühmten Effekt, der in der westlichen Musik als Synkope bekannt ist. […] in den […] Pattern von bantu- und dahomey-Herkunft gibt es keine rhythmisch-metrische Abfolge, sondern eine offene Abfolge, in der die Akzente so angeordnet werden und ihre Funktion untereinander so wechseln können, dass sie einzelnen Patterns jeweils nur in Beziehung zu den anderen Instrumenten bestimmt werden können. Dies alles führt dazu, dass in den Verbindungen mit europäischen Musikformen in der Regel die afrikanischen Elemente die Quelle bilden, anhand derer man die neu entstandenen afroamerikanischen Stile definieren kann. In diesen Entwicklungen erreicht die Verteilung der Akzente einen Standard, der es erlaubt, etwas als Synkope zu definieren, was im eigentlichen musikalischen Prozess dieser Bezeichnung nicht entspricht. (D. Orozco 2004:170).

[79] Vgl. L. Acosta (zit. in R. Giro 2004:253).

[80] P. Manuel (1995:14).

[81] Vgl. Prisco Hernández (1993:27).

[82] D. Orozco (2004:163).

[83] Die Form des son montuno, oft nur montuno genannt, wurde beispielweise durch das Sexteto Habanero verbreitet und stabilisiert (vgl. G. Béhague 1988a:1570 und M. T. Linares de León1998:155).

[84] Spanisch für langer Teil und Gesangsteil. Gemeint ist das Thema im Sinne von Exposition der harmonischen Basis (vgl. A. León 1984:175).

[85] Eine son- Strophe besteht aus den iberischen Formen der copla oder décima. Eine décima besteht aus zehn aufeinanderfolgenden achtsilbigen Verse, eine copla aus vier achtsilbigen Versen. Eine cuarteta ist eigentlich eine andere Bezeichnung für copla, werde jedoch hauptsächlich als abwertende Bezeichnung aller viersilbigen Strophen verwendet (N. González Bello / L. C. Cué 2004:216 und P. Pasmanick, Latin American Music Review, 1997, S.252-277).

[86] Die Bezeichnung m ontuno bezieht sich auf das spanische monte und meint die Bergregion Guantánamos im Osten Kubas (C. Schlicker 2005:11 und A. León 1984:28). A. León ordnet die Entstehung des ehemals eigenständigen Genres montuno zeitlich dem 18. Jahrhundert zu, als in Kuba durch die Expansion der Tabakindustrie Agrargebiete verlegt wurden und die Landbevölkerung ins Inland ausweichen musste (ebd.). Das ehemals eigenständige Genre montuno ist nicht mehr bekannt.

[87] Spanisch für Refrain.

[88] Diese zweiteilige Formierung nähere son der Liedform an (vgl. A. León 1984:175).

[89] Spanisch für Motiv des son (vgl. M. T. Linares de León 2000:150).

[90] Zit. in R. Giro (2004:249).

[91] Vgl. J. S. Roberts (1985:229).

[92] A. Casanova bezeichnet die Improvisation im son als kombinatorischen Effekt (2004:159).

[93] Vgl. G. Béhague (1998b:1570) und P. Manuel, der auf die Parallele zur typischen Form der amerikanischen songs hinweist (1995:9).

[94] M. T. Linares de León zitiert das Septeto Munamar und das Cuarteto Machín als erste Gruppen, die in den 1930er Jahren den cencerro integrierten (1998:172).

[95] P. Manuel (1995:37).

[96] Vgl. E. Rodríguez Demorizi (1971:19) und P. Austerlitz (1997:38).

[97] Der Begriff trovadores wird in der spanischen Karibik nicht im europäischen Verständnis vom mittelalterlichen Minnesänger oder den trouvéres verwendet, sondern bezieht sich auf Sänger des einfachen Volkes, die sich manchmal mit einem Saiteninstrument begleiteten und sonst a capella auftraten. Ihre Musik wird als trova bezeichnet, womit generell kreolisierte Lieder gemeint sind (vgl. D. Cañizares 2004:197). Die meist autodidaktischen Interpreten adaptierten durch Nachahmung diverse Stile. Der Begriff trova nimmt Bezug auf eine öffentliche, inprovisierte Form der Darbietung mit aktiver Beteiligung der Anwesenden, und auf die durch den Text entstehende kommentierende Funktion, die oft Raum für soziale Kritik bot. Durch Landflucht und Verarmung der Städte vergrößerte sich die Präsenz der trovadores in den Metropolen. Moderne trovadores werden in Lateinamerika auch cantautores -Liedermacher genannt.

[98] Nicht gleichzusetzen mit dem spanischen bolero, der einem ternären Rhythmus folgt (vgl. R. Martínez Rodríguez (2004:231), H. Orovio (1994:126).

[99] Besonders verbreitet sind die generischen Ausformungen von bolero, guaracha, criolla, son und danza. Diese Auflistung ist überregional und deswegen allgemein. Für Kubas Trios wären zumindest noch nengón, changüí, pregón, rumba und guajira hinzuzufügen. Für die Dominikanische Republik gelten die oben genannten Genres in ihrer jeweiligen Ausformung, und es kommen verwandte Genres wie merengue, carabiné und mangulina hinzu (B. Jorge 1982:30ff., vgl. 2.). Ein Teil des trova - Repertoires ist dem kubanischen teatro bufo entnommen. Die musikalische Untermalung des Theaters umfasste neben sainetes, zarzuelas, danzones und boleros auch Formen von guaracha und rumba (vgl. R. Moore (1995:169), C. Schreiner (1982:272). Nach A. Carpentier handelt es sich beim teatro bufo cubano um eine Kombination der tonadilla escénica - szenische tonadilla und sainete; es sei um 1840 auf Kuba entstanden (1979:180).

[100] P. Manuel (1994:273).

[101] D. Orozco bezieht sich hier auf Entwicklungen in Havanna. Die Bezeichnung als prägnante Mischgenres des son benutzt D. Orozco, da diese gegenüber rumba- Formen mit guaracha - oder trova -Einfluss Prägnanz hätten. Son kann, wie er betont, auf unterschiedlichste Weise als Bindeglied fungiert haben. Diese Definition bezieht sich auch auf den bereits erwähnten Unterschied von son zu rumba guaguancó. Die in den ersten beiden Jahrzehnten in Havanna entstandenen Formen bolero son und guaracha son sind dementsprechend als sones bekannt geworden (vgl. D. Orozco 2004:173f).

[102] Vgl. H. Orovio (1995:8). In Mexiko bedeutet guaracha Ledersandale. A. León sieht bezüglich der Entstehung der Spielweise der Gitarre in beiden Genres Einfluss der mexikanischen sones yucatecos (A. León 1984:205). Berühmtester Vertreter der Fusionsformen mit son ist das Trio Matamoros.

[103] Vgl. D. Orozco (2004:166 und 172).

[104] Im Jahr 1925 gründete sich das Trío Matamoros als trío trovadoresco in Santiago de Cuba (vgl. D. Cañizares 2004:208). Dieses Trio verzichtete auf einen tres und spielte mit zwei Gitarren. Die ersten bekannten dominikanischen Trios kamen aus der nördlichen Cibaoregion. Das erste bekannte dominikanische trío trovadoresco bildete sich um 1900 aus den Dominikanern Danda Lockward, Chepe Bedú und dem Kubaner Sindo (Antonio Gumersindo) Garay (y García). Veranstaltungen der romantischen trova im Norden der Dominikanischen Republik waren zumeist serenatas - Serenaden. Dabei handelt es sich um nächtliche Feiern mit Gitarrenmusik und Rum (vgl. A. Castro / A. Paulino 2005:374). Im urbanen Raum ersetzten Hoffeste diesen Aufführungskontext.

[105] Vgl. D. Orozco (2004:167).

[106] S. 2.1.

[107] 2-1-2-1-2 gefolgt von vier gleichwertigen Schlägen (Orovio 1995:7) Der bolero weist inzwischen meist einen 4/4-Takt auf, der jedoch nicht seine Fusionen mit son gestalten muss. Wie bereits erwähnt, ist der cinquillo nicht ausschließlich in kubanischer Musik rhythmische Basis.

[108] Die Harmonien basierten auf Funktionsharmonik (J. Loyola Fernández 1996:28). Die gleichbleibende Instrumentalbegleitung bedingt einen Doppelcharakter als Lied- und Tanzgenre (C. Schlicker 2005:4). Der Bass spielt ein einfaches Pattern, das P. Manuel zufolge ein distinktives Merkmal des bolero stellt (2-1-1 im 4/4-Takt (1988:32).

[109] J. Loyola Fernández (1996:38). Das Zwischenspiel wurde mit pasacalle (Strassenüberquerung) bezeichnet. Die Morphologie einfacher boleros sei ABC oder ABA (ebd.).

[110] H. Orovio (1995:7).

[111] Die einfache Variante des gitarrenbasierten bolero wurde parallel dazu weiter gespielt. Die erweiterte Form wurde bolero bailable - tanzbarer bolero - genannt. Die Musik diente jedoch bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in zahlreichen Ländern Lateinamerikas der romantischen Annäherung (J. Loyala Fernández 1996:20).

[112] J. S. Roberts (1985:23).

[113] Teilweise ist ein sehr machohafter Textinhalt aus ausschließlich männlicher Perpektive entstanden (vgl. R. Martínez Rodríguez (2004:237) und M. T. Linares de León in V. Knights (2002:3).

[114] Die kubanische Musikwissenschaftlerin M. T. Linares de León beharrt auf letzterem Standpunkt (2000:94).

[115] H. Orovio (1984:120).

[116] Vgl. N. González Bello / L. Casanella Cué (2004:216).

[117] D. Orozco verweist auf das Entstehen von Zeltlager- guarachas während der kubanischen Unabhängigkeitskriege (zit. in N. González Bello / L. Casanella Cué 2004:214f.).

[118] H. Orovio (1995:121) und A. León (1984:176). Ende des 19. Jahrhunderts sei die guaracha bereits fester Bestandteil des Repertoires der trovadores auf der gesamten kubanischen Insel gewesen (vgl. N. González Bello / L. Casanella Cué (2004:213f.).

[119] Sechzehntel-Achtel-Sechzehntel-zwei Achtel oder punktierte Achtel-Sechzehntel-zwei Achtel (1-2-1-2-2-2-2 oder 1-2-1-3-1-2-2), außerdem der cinquillo, letzterer allerdings mit drei gleichwertigen Schlägen im Folgetakt, damit sich acht Schläge für einen achtsilbigen Vers ergäben (H. Orovio 1994:121).

[120] H. Orovio (1994:121).

[121] A. León (1984:174).

[122] Bei Ñico Saquito sieht H. Orovio eine Fusion mit son, bei Bienvenido Julian Gutiérrez Verbindungen zu rumba (1995:121f).

[123] Beispiel für diese Entwicklung sei das Orchesta Casino de la Playa mit Julio Cueva, das auch in Santo Domingo spielte (H. Orovio 1995:122). In den 1940er Jahren wurde die Figur des bajo anticipado auch zum Standard in der guaracha (vgl. P. Manuel 1995:254).

[124] D. Orozco definiert guaracha als intergénero - Zwischengenre, im Unterschied zu prägnanten Mischgenres des son und bolero (D. Orozco in N. González / L. Casanella (2004:227).

[125] N. González / L. Casanella (2004:227f.).

[126] Nach M. T. Linares de León entstanden unvermeidlich klassenspezifische Typenbilder, u.a. das des negrito, der mulata - dem Schwarzen und der Mulattin - aus dem teatro bufo (2000:989).

[127] N. González / L. Casanella (2004:227).

[128] Es ergibt sich eine ABACD-Form. Die montuno -Sektion des son präsentiert sich im D-Teil, der coda (vgl. J. Loyola Fernández 1996:81).

[129] Vgl. J. Loyola Fernández (1996:90).

[130] J. Loyola Fernández (1996:91). Als prominente Beispiele für die erste Modalität gibt der Autor u.a. „La vida es un sueño“ von Arsenio Rodríguez an und für die zweite „Lágrimas negras“ des Trío Matamoros (1996:81-91).

[131] J. Loyola Fernández zufolge entwickelte sich das kurzlebige Genre der danzonete als Fusion des bis dahin rein instrumentalen danzón mit son haftem Gesang. Bereits in den 1920er Jahren hatte es verstärkte Annäherungen zwischen Sängern und danzón gegeben. Ergebnis dieser Entwicklung ist ein danzón cantado, eine Fusion von danzón mit bolero -Gesangsteil. Dieser bolero -Teil bestand aus bereits bekannten Themen, so dass den beiden Genres zu erneuter Popularität verholfen werden konnte. Der bolero wurde in dieser Form in den kubanischen Salons erstmalig aufgenommen, allerdings mit Sologesang (vgl. J. Loyola Fernández 1996:58ff.).

[132] J. Loyola Fernández (1996:81).

[133] Beispiele von Interpreten der ersten Phase der urbanisierten guaracha sones sind Los Compadres, Miguel Matamoros und Ñico Saquito. Die gennanten Musikerformationen boten fast ausschließlich guaracha sones dar (vgl. N. González / L. Casanella 2004:221). Die Fusion von guaracha und son führt einige Autoren zu der Annahme, dass die guaracha vom son stamme (I. Kummels 2005:212), es sei jedoch von ihrer dem populärem son vorangehenden Existenz auszugehen (N. González / L. Casanella (2004:213).

[134] Vgl. M. T. Linares de León (2000:162).

[135] Kubanischer son.

[136] Vgl. D. Orozco (2004:164).

[137] Das „Ejercito Permanente“ war eine 1909 gegründete Armee, deren Ordnung eine sofortige Versetzung des eintretenden Soldaten vorsieht. Somit fand ein ständiger Austausch von Havanna und Santiago de Cuba statt. (S. Feijóo 1986:36). C. Díaz Ayala spricht von einem habanerischen Makrokosmos, der sich ohne ständigen Kontakt der beiden Metropolen in Santiago de Cuba wiederholt habe (1997:61).

[138] Vgl. I. Kummels (2005:210).

[139] Gemeinhin gilt die Komposition „El Bombín del Barreto“ aus dem Jahr 1910 als erste Fusion von danzón mit son. Komponist war J. Urfé. Die Fusion ergibt sich durch das Hinzufügen eines Kornett-oder Trompetensolos und einer vokalen Solo-Chor-Sektion. An diesem Punkt wird bei zahlreichen Autoren von der „Ankunft des son in Havanna“ gesprochen (vgl. G. Béhague 1998a:1569). Man könne jedoch nicht von Niedergang des danzón zu reden. Dieser sei in den sones, canciones und boleros aufgegangen und so Bestandteil der Populärmusik geblieben (D. Orozco 2004:172f). D. Orozco weist darauf hin, dass bereits zuvor reger kultureller Austausch zwischen Stadt und Land stattgefunden habe und in Havanna der son nicht aus dem Nichts aufgetaucht sei (D. Orozco 2004:173).

[140] Bezeichnung für Grammophone der Firma „Víctor“.

[141] Vgl. A. Benítez Rojo (2000:375f.).

[142] P. Manuel (1988:30). P. Manuel verweist auf die daraus resultierenden Promotionschancen für unbekannte Musiker und Lieder (ebd.).

[143] „Edison“, „RCA / Víctor“ und „Colombia“.

[144] M. T. Linares (zit. in V. Knights 2002:3). Der bolero caribeño war insbesondere in Mexiko, Uruguay und Argentinien populär.

[145] Vgl. M. Rondón (1980:13) und M. T. Linares de León (2000:169).

[146] Die Musik wurde mit rumba, auch rhumba zusammengefasst. Statt traditioneller rumba sind kubanische sones mit angezogenem Tempo unter diesem Begriff international bekannt geworden (E. Grenet 1939:XLVII). US-Produzenten vereinfachten dem Konsumenten die Auswahl innerhalb der verschiedenen kubanischen Musikrichtungen und Genrekomplexe (vgl. A. Carpentier 1979:276 zit. in L. Acosta 1982:54 und E. Grenet 1939:XLVII).

[147] Vgl. A. Helg (1991:103 zit. in R. Moore 1995:172).

[148] R. Moore (1995:30). Resultat dieses Phänomens ist, dass die Musikkultur nicht nur der kubanischen Bordelle weitestgehend unerforscht geblieben ist, und dementsprechend musikwissenschaftliche Untersuchungen zur Verbreitung von son, bolero und weiteren urbanisierten Musikstilen fehlen.

[149] D. Orozco: Dissertation Humboldt Universität, 1987. D. Orozco verweist insbesondere auf den zeitlichen Zusammenhang von Nationenbildung und Entstehung von son.

[150] Vgl. D. Orozco (1987), O. Urfé zit. in H. Orovio (1986:391) und L. Acosta (1982:207)

[151] L. Acosta (1982:208).

[152] Bei der poesía negrista handelt es sich um eine literarisch-künstlerische Bewegung der negritúde, die zwischen den 1930er und 1950er Jahren in der Karibik florierte und mit dem son verbunden wurde. Nicolas Guilléns Motivos del son wurden weltberühmt (vgl. E. Grenet 1939:XLIX).

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Zwischen nationalem Pop und World Music. Zur Entwicklung von Son in der Musiklandschaft der Dominikanischen Republik
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
2.0
Autor
Jahr
2006
Seiten
109
Katalognummer
V295891
ISBN (eBook)
9783656946717
ISBN (Buch)
9783656946724
Dateigröße
4922 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Anhänge (Audiobeispiele und Transkriptionen der persönclichen Gespräche) sind in dieser Veröffentlichung NICHT enthalten (Anm. der Red.)
Schlagworte
zwischen, world, music, entwicklung, musiklandschaft, dominikanischen, republik
Arbeit zitieren
Karoline Morales (Autor:in), 2006, Zwischen nationalem Pop und World Music. Zur Entwicklung von Son in der Musiklandschaft der Dominikanischen Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295891

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