Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
(2. allgemeine Vorbetrachungen zum Spagat – sit. Aspekt 7)
3. Der Sprachstil der Disziplinierung
3.1. Wurzeln der Disziplinierung
3.2. Dynamiken und Ausdrucksformen
3.3. Aggression und Zerfall und Ausbrechen –Polaritäten (Diszilpinier.
4. Repression, Privatheit und Sprache
4.1. Gramsci und Privatheit
4.2. Privatheit im RAF-info-System
5. Sprache der Gewalt und Sprache der Ohnmacht
6. ZUSAMMENFASSUNG
LITERATURVERZEICHNIS
Die Briefe sind die wichtigsten Fäden
, die Gramsci mit der Welt verbinden.
Sie erhalten ihm die Fähigkeit,
sich die Wirklichkeit vorzustellen. 1
1. EINLEITUNG
“<Das legale Land ist nicht das wirkliche Land.>”2 So zitierten die RAF-Häftlinge im Frühjahr 1973 ihres info-Systems Gramsci. Mehr als 35 Jahre nach dem Tod des sardischen Schriftstellers und Marxisten berief sich die Rote-Armee-Fraktion auf ihn um Aktionen aus Illegallität untereinander begründen.
Historisch trennen Gramsci und die Rote-Armee-Fraktion Welten. Dort die faschistische Mussolini-Diktatur im Italien der 20er und 30er – hier die bundesrepublikanischen unruhigen 60er und 70er und der radikale linke Terrorismus. Gleich ist ihnen, den RAF-Inhaftierten und Gramsci die drückende Last der Repression3 in Gefangenschaft. Welche Narben (unter noch so unterschiedlichen Rahmenbedingungen) graben sich in die Sprache der Inhaftierten ein? Wie verändert Repression die Sprache?
Der Spagat über das 20. Jahrhundert hinweg ist gewagt, aber es soll gelingen gemeinsame Motive zu finden und Differenzen klar zu erkennen. Es geht um den linguitischen Weg zum “verkümmerten Ich”4.
2. Koordinaten des Spagats
Trotz der enormen historischen Differenz ist den beiden Kommunikationssituationen der Moment der Repression und der ihrer sprachlichen Folgen eigen.
Das “verkümmerte Ich” tritt offen zu Tage. Gramsci verbringt seit seiner Freilassung 1934 die meiste Zeit in Klinken und stirbt schließlich im Jahre 1937. Seit Anfang der 70er sitzen viele RAF-Mitglieder in der BRD in Haft. 1977 stirbt die Kommandoebene um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin in Stuttgart-Stammheim. Die Kommunikation innerhalb des Freiheitsentzug (RAF) und die Kommunikation nach draußen (Gramsci) bilden, so die These dieser Arbeit, Ablagerungen linguistische Sedimente der Repression ab.
Das Subjekt und der Kontext der Repression sind grundverschieden. Das faschistische Italien Mussolinis zeigte in den 20er Jahren schon in der Mateotti-Krise wie es mit Regime-Gegnern umging. Als Marxist und PCI-Mitglied muss Gramsci auch mit einem Anschlag auf sein Leben rechnen. Schließlich wird er unter außerordentlichen Massnahmen 1926 inhaftiert und der Staatsanwalt Michele Isgrò gibt 1928 die Strategie der Ankläger aus:
“<Für zwanzig Jahre müssen wir verhindern, daß dieses Gehirn funktioniert.>”5
Die Kampfansage des Staates an den Opponenten ist klar und nimmt wortwörtlich ihren Vollzug hinter Gittern. Denn was folgt ist Bespitzelung, Isolations- und Einzelhaft. Das info-System6 mußte genauso wie der Briefverkehrvon Gramsci mit Kontrolle und Auswertung der gegebenen Informationen rechnen.
Die Haftbedingung der 70er in der demokratischen BRD zu vergleichen ist vermessen. Aber auch die RAF-Häftlinge unterliegen Isolationshaft und einem gekoppelten Spitzel-System. Isoliert heißt dabei aber zweierlei. Es ist anzunehmen, dass Gramsci nur als Person isoliert und inhaftiert wurde. Eher ist also von Einzelhaft zu sprechen.
Der BRD-Strafvollzug schuf technisch modernste und damit gänzlich andere Bedingungen einer Isolationshaft wie den sogenannten “toten Trakt” in Köln-Ossendorf. Hier waren die Häftlinge komplett sensorisch von allen Reizen isoliert. Dabei kommt es zu einem Prozeß der sensorischen Deprivation. Personen, die über eine längere Zeit solchen Bedingungen ausgesetzt, werden “empfänglich” für Gehirnwäsche und Manipulation. Allgemein führt die sensorische Deprivation zu einem geistigen und körperlichen Verfall. Bei Einzelpersonen leiden an einem noch beschleunigten Verfall. Ulrike Meinhof beschrieb in ihren Aufzeichnungen die Isolationshaft im “toten Trakt”:7
“Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf.
Das Gefühl, die Schädeldecke müßte eigentlich zerreißen, abplatzen.
Das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt ...
Das Gefühl, die Zelle fährt...
Rasende Aggressivität für die es kein Ventil gibt.
Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat.
Das Gefühl Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt.”8
Der Verfall der RAF-Häftlinge ist aber nicht nur äußerlich konstituiert. In einem Teufelskreis greifen er mit dem inneren Kampf der Gruppe zusammen. Mehrere Hungerstreiks kosten unter anderem Holger Meins das Leben. Zwangsernährung tut ihr übriges.
Während die demokratische Bundesrepuplik sich gegen den Angriff auf die staatlichen und wirtschaftlichen Schaltstellen erwährte, mußten in Italien alle Oppositionellen mit Verfolgung und Willkürakten durch die Diktatur der Faschisten rechnen. Gramsci und die RAF standen jedoch im Gegensatz zu Staat und Macht. Wurde die RAF explixit zum “Staatsfeind Nummer Eins” erklärt, so stempelte auch Gramsci als Marxist zu einem Staatsgegner ab.
Gramscis situative Kommunikationsituation unterscheidet sich grundlegend von der der RAF. Denn die Gefängnisbriefe, um die es hier gehen soll, waren für eine Kommunikation vom Gefängnis nach draußen bestimmt. Sie hatten vor allem private Intentionen in dem Austausch mit seiner Frau Giulia Schucht direkt oder zumeist indirekt über die Schägerin Tania Schucht.
Die Kassiber-Briefe der RAF fungieren hingegen als Binnenkommunikation innerhalb der Gruppe. Es geht dabei um die Organisierung einer kollektiven Verteidigung, einen ständigen politischen Abgleich in Meinung, Diskussion und Literatur. Das info-system hatte explixit unprivaten und betont politischen Chararkter. Nicht zuletzt stand als Synthese der info-Strategie der Kampf ums Überleben gegen Isolationshaft und die Folgen des Hungerstreiks.
Gramsci hatte nur begrenzten Zugang zur Literatur und in den ersten Haftjahren nicht einmal Schreibmaterial zur Verfügung und das auch nur für eine bestimmte Zeit. Er erleidet im Gefängnis zwei schwere gesundheitliche Krisen, kann nur bedingt arbeiten. Gramsci gerät zudem schon krank in Haft. Er muss die Zurückhaltung und Zensur eigener und der Briefe von draußen rechnen. So ist er von einer permanent stockendenden Briefwechsel sehr stark betroffen. Aus gesundheitlichen Gründen ist an ein schriftliches Arbeiten nicht mehr zu denken.
Die allgemeine Situation des schriftlichen Austauschs überschneidet sich ergo in der bedingten Freiheit der Worte die aus der Kontrolle und der Zensur herrührt. Das Maß an Vorsicht demgegenüber und die damit sprachlich sichtbar gemachte Ohnmacht gegenüber dem Subjekt der Macht müssen nun unter die Lupe genommen werden.
3. Der Sprachstil der Disziplinierung
So unterschiedlich die Textfunktionen im Briefverkehr bei Gramsci sowie bei den RAF-Häftlingen waren, so formte sich doch ein gemeinsames Phänomen der sprachlichen Disziplinierung heraus. Die Manifestation und die handwerkliche Umsetzung desgleichen ist sehr unterschiedlich, aber bestimmte Überschneidungsmengen der Reaktion und des Kampfes gegen das Ausgesetztsein der Repression gegenüber sind festzustellen. Wie das genau aussieht werden wir in diesem Punkt sehen.
3.1. Wurzeln der Disziplinierung
Gramsci hat bei seinen linguistischen Untersuchungen die Einheit von Sprache und Denken betont. Gerade hier liegt schon das Problem. Denn das Denken in Unfreiheit muss bereits viele Windungen durchlaufen bevor es in Schrift fließt. So ist es vielleicht hilfreich von einer zweiten Ebene, einer Nachricht zwei zu sprechen, die nach den benannten Faktoren eine gehobelte, verkürzte Version darstellt.
Die Nachricht des Senders – das liegt zumindest nahe – ist codiert. Viele Koordinaten heißt es zu berücksichtigen: die Bespitzelung, die Kontrolle der eigenen Briefe, die Zurückhaltung von Briefen, die Zensur, die Verwertung der Briefe/Kassiber in einem Rechtsverfahren und viele Ängste mehr. Vor allem mußte Gramsci in seinen zahlreichen Briefen an Tania und Giulia Schucht sein Seelenleben an Dritte direkt und indirekt preisgeben. Während Gramsci dies ohne weiteres und emphatisch tat, versuchten die RAF-Leute dies möglichst steril aus ihrer Kommunikation zu verbannen – dazu ausführlich im Punkt vier.
Gramsci und die RAF-Häftlinge bemühten sich um Vorsicht im Formulieren gerade wegen des ungewissen Ausgangs des Verfahrens. Um so stärker der körperliche Verfall voranschritt, um so größer auch die Disziplinierung. Gramsci schrieb eine Unmenge an Briefen auch und während er von schweren Anfällen bis hin zu Halluzinationen gebeutelt war. Gerade diese gesundheitlichen Einbrüche zwingen ihn zurück in einen Stoizismus der Ruhe und der Kraft der Moral. Ein Ausbrechen aus der Disziplinierung bedeutete einen beschleunigten Verfall. Gerade zu diesen Ausbrüchen kommt es auch, aber sie bestätigen wiederum nur die Rückkehr zur Disziplinierung.9 Es besteht also eine notwendige Beziehung. Borek kommt in diesem Zusammenhang auf die “Verstümmelung” der Texte der Gefängnishefte Gramscis durch das faschistische Zwangssystem zu sprechen. Die Disziplinierung strukturierte die Gefängnisbriefe in ähnlicher Form wie wir im Punkt 3.2. sehen werden.10
Hungerstreik, Isolationshaft, Bespitzelung, sensorische Deprivation und Zwangsernährung lösen bei den RAF-Gefangenen eine ähnliche Polarität aus. Überdeutlich wird dieses Phänomen bei der sprachlichen Disziplinierung des Hungerstreiks und derjenigen, die abbrechen. Ein Überleben unter derartigen harten Haftbedingungen kann nur kollektiv und in einem ständigen Abgleich des Vorgehens gegen den “Schweine-Staat” erfolgen. Homogenität war die (letzte) Waffe der RAF.
Die Wurzeln der “Hunger-Disziplinierung” ergab sich inhaltlich aus der Notwendigkeit ihn kollektiv durchzuführen, um die letzte Macht zur Verbesserung der Haftbedingungen zu demontrieren zu demonstrieren. Andreas Baader11 gab daraufhin das Startsignal: “Ab heute fresse ich nichts mehr, bis sich die Haftbedingungen gebessert haben.”12
Wenn der Körper militarisiert wird, muss das Rückwirkungen auf die Sprache haben, um das Hungerkollektiv zu bewahren: Manfred Grashof schreibt im Februar 1973:
“Unsere letzte Waffe ist unser Körper, ihn haben kollektiv eingesetzt.”13
Interessant ist hier vor allem die Homogenisierung der RAF-Gruppe als ein Körper, ein Subjekt. Eine Homogenisierung, die eine Glättung der Realität darstellte wie die Hungerstreikabbrecher und die vielen Differenzen beweisen.
Später erweiterte man den Verhaltenskatalog auf die Kampfformel “24-Stunden-Hass”14. Kann Hass noch eine Wurzel der Disziplinierung darstellen? Ja, denn sie gehört zum eingepaukten und auch im Fortlauf der Haft durchgeführten Praxis der Homogenisierung.
Nach anfänglichen Kontaktaufnahmen zum Gefängnispersonal brechen die RAF-Leute jeglichen Kontakt ab. Weder mit den “Krähen”15 noch mit beispielsweise mit den Ärzten soll geredet werden. Keine Provokation fabrizieren und sich nicht provozieren lassen. Die Parole hieß nun: “Kein Wort mehr zu den Pigs, in welcher Verkleidung sie auch immer ankommen, vor allem: Ärzte. Kein einziges.”16. Dabei rumort es in der Gruppe. Horst Mahler: “Mich stinkt dieser passiv-masochistische Widerstand an”17.
Die einseitig verhängte Kontaktblockade nährte eine äußerst militante Form der Disziplinierung. Nachdem dieser Kanal sich schloss, öffnete sich eine zweite Ebene der Verhärtung. Die non-verbale Kommunikation wurde so zur Basis für weitere Disziplinierungen auf höherem Niveau. Die Ventilwirkungen waren ungleich höher wie wir im Punkt 3.3. sehen werden.
Gramsci als auch die RAF leben unausgesetzt in einem Alltag der Disziplinierung. Sie waren schlicht und einfach – zwar unter sehr unterschiedlichen Bedingungen – inhaftiert, konnten sich nicht frei bewegen. Gegen diesen unnatürlichen Zustand kann nur bestehen, wer die Ausbrüche und das Aufbegehren des Ichs im Zaume hält. Das Ich im Käfig macht letztlich eine Disziplinierung zwingend notwendig.
3.2. Dynamiken und Ausdrucksformen der Disziplinierung
Gramsci gelang es überwiegend frei von Selbstmitleid über die Attacken auf seine Gesundheit zu berichten. Er versucht immer wieder in einen nüchtern deskriptiven Stil zurückzukehren. Nach einem seiner schwersten gesundheitlichen Anfälle, bei dem er zeitweilig bewußtlos und bewegungsunfähig mit sich kämpfte, gelang Gramsci circa 14 Tage später im Brief vom 21. März 1933 ein Bericht, der medizinisch eine bedeutende Eigendistanz aufweist. So nannte Gramsci hier die Komma-Stellen seiner Fieberkurve, eine chronologischen Übersicht der Anfälle in den letzten zwölf Jahren und akustische sowie optische Halluzinationen. Gramsci betonte aber immer wieder seine Besserung: “Im Augenblick sind diese Erscheinungen völlig geschwunden ... Ich kann schon allein laufen.”
Euphemismen kompensieren Gramscis tatsächlichen äußerst miserablen körperlichen Zustand in den dreißiger Jahren bis zu seinem Tod 1937. Das Thema nahm Gramsci explizit auseinander. Die deskriptive Themenentfaltung und die deklarative Textfunktion/-intention immer wieder zu betonen das Schlimmste sei vorbei und es werde schon besser. Durch die gegliederte, geordnete Darstellung seines Anfalls scheint Gramsci sich zu beherrschen. Bemerkenswert ist diese ordnende sprachliche Kraft vor allem, weil sie äußerst farbige geradezu schwarze Metaphern miteinfliessen läßt: “Mir ist, als sei ich elektrisiert” schreibt Gramsci zu den Wirkungen von “Blutaufwallungen”. Schließlich bildeten sich “fließende Massen”, die Gramsci “mit einem nervösen Plumps ins Bett zurückweichen ließen.”18
Das Phänomen der Beherrschung erstreckt sich über das gesamte Spektrum Gramscis Briefverkehrs. Zwischen 1931 bis 1933 erleidet der Sarde irreperable, gesundheitliche Schäden. Am 7. September 1931 schreibt er an Tania er habe ein “dickes Fell” und “zur Beunruhigung gebe es keinen Grund”. Blutige Hustenanfälle und Fieber buchte er unter dem Stichpunkt von seiner “Unpäßlichkeit” ab.19
Das “sich-Beherrschen” ist das treibende Motiv von Gramscis Gefängnisbriefen. Das Instrument der Disziplin ist die Analyse. Er sei nicht niedergeschlagen schreibt Gramsci am 2. Januar 1933 und beziehe die Kraft aus der Analyse “della mia esistenza e resistenza”. Gefühl und Verstand werden gekoppelt und verzahnt – so wird die Tendenz zum emotiven Bruch mit der Disziplinierung gebändigt. Der Prozess des Fühlens baut sich auf einer Basis einer “lunga meditazione fatta con tutta calma e freddezza”.20
Bei den RAF-Häftlingen finden wir ganz andere Kennzeichen der Disziplinierung. Allein der historisch-politische Kontext bringt das – wie wir in den Vorbetrachtungen gesehen haben – mit sich. Die Disziplinierung der RAF-Häftlinge äußert sich in einem Kontinuum der “linguistic identity”21. Mit dem im Frühjahr 1973 initierten info-system erhält es seinen formellen Rahmen. Der bewußte politische Charakter des info zwang jedes Mitglied zur Stellungnahme, zur Bestimmung des eigenen Ich und dessen Zugehörigkeit zur Gruppe. Die Codierung von Informationen spielt dabei eine wichtige Rolle.22 Ein ständiger Abgleich in der Gruppe, ständige vehemente Kritik und Selbstkritik produzierte den spezifischen info-Stil.
Am Beispiel: Holger Meins – der 1974 an den Folgen des Hungerstreiks sterben sollte – schrieb während des laufenden Hungerstreiks an Manfred Grashof, der gerade den Hungerstreik abgebrochen hatte: “es gibt keine schuldigen in der guerilla und keine strafe im kollektiv ... DER KAMPF GEHT WEITER”. Das Wortfeld Kampf wiederholte Meins daraufhin in diesem Kassiber ganze 16mal. Trotz der Einzel-Niederlage beschwor die Gruppe so die Homogenität der Standhaften.
Dabei treffen wir auf ein Verfahren der Inklusion und Exklusion oder auch einer outgroup-incroup-Konstellation23. Denn gerade bei den info-Briefen ist dieses Element sehr stark. Stilistisch zeigen die Kassiber eine immense Vereinheitlichung in Wortschatz, Wortfelder, Stilfärbungen, Neologismen, Wort-Frequenzen, Rhythmus und Grammatik.24 Ins Auge springt dabei vor allem die dominierende Kleinschreibung, die kurzen Sätze und vor allem die politisierten Stilfärbungen und Stilschichten, die in einem Stacchato und Telegramm-Stil daherkommen. Ein kanonsierter Wortschatz, dessen Schlüsselwörter Kampf, aktion, Sieg, tod, revolutionär, Schwein25, problem, lösung wird ständig wiederaufgenommen und immer wieder reflektiert. Funktional fungieren diese Kennzeichen zur Exklusion von Aussenstehenden, aber mehr noch zur Festigung der ingroup. Holger Meins schreibt im Namen der Gruppe an Grashof im Zusammenhang mit der Fortsetzung des Hungerstreiks:
“entweder mensch oder schwein
entweder überleben um jeden preis oder
kampf bis zum tod
entweder problem oder lösung
dazwischen gibt es nichts”26
Die stilistischen und grammatikalischen Elemente sind reichhaltig prägen immens den ingroup-Prozess und damit auch die Disziplinierung. Es liegen also nicht nur Einzelkennzeichen vor, sondern gleich übereinstimmende Codes einer ganzen Gruppe, die angenommen und reproduziert werden. Es konstruiert sich eine regelrechte linguistische Hermetik der ingroup. Denn der Verbleib in der Gruppe ist an harte Kriterien geknüpft, die sich aus dem Selbstverständnis der RAF als Guerilla-Einheit erklären. Es gibt Befehle, sogar einen Verhaltenskatalog und Sanktionen bei falschen Verhalten. Zentral prägte sich dabei der Neologismus beziehungsweise das Bild des sogenannten Flippens ein. Wer im “hs”27 aufgab, politisch abwich oder sonst suspekt erschien konnte aus dem System ausflippen. Was nichts anderes bedeutete als das man sowohl aus der Gruppe als auch aus dem info-System verbannt wurde. Wie ein Damokles-Schwert schwebt dieser Begriff der Disziplinierung über allen Inhaftierten. Befehle und “Flippen” sind eng miteinander verknüpft:
[...]
1 Apitzsch, Ursula: “Kritsiche Theorie der Selbstkonstruktion des Menschen”, S.10. in: Gramsci, Antonio: Gefängnisbriefe, Bd 1, Briefwechsel mit Giulia Schucht, Hamburg 1994.
2 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S. 285.
3 Repression.
4 Verkümmertes Ich.
5 Bochmann, Klaus: Die Gefängnishefte, Hamburg 1991,Bd.1, S. 61.
6 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S. ?????. Das info-System
7 Schut, Pieter Bakker: Stammheim, ?????, S. 106-115 .
8 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S. 270.
9 Apitzsch, Ursula: “Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens”, S.215/216. in: Das Argument, Heft 2, Hamburg 1997.
10 Borek, Johanna: Der Verstand und die Gefühle, S. 172. In: Borek, Johanna/Krondorfer, Birge/Mende, Julius: Kulturen des Widerstands, Wien 1993.
11 Baader.
12 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S.281.
13 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S.282.
14 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S.280.
15 Krähen.
16 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S.269-273.
17 Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex, München 1998, S.271.
18 Gramsci, Antonio: Briefe aus dem Kerker, Frankfurt 1972, S.89-92.
19 Bochmann, Klaus: Antonio Gramsci – Notizen zur Sprache und Kultur, Leipzig/Weimar 1984, S.????.
20 Gramsci, Antonio: Briefe aus dem Kerker, Frankfurt 1972, S.89-92.
21 Thornborrow, Joanna: language and identity. In: Thomas, Linda/Wareing, Shan (hg .): Language, Society and Power, London /New York 1999, S. 135-149.
22 Thornborrow, Joanna: language and identity. In: Thomas, Linda/Wareing, Shan (hg .): Language, Society and Power, London /New York 1999, S. 135-149.
23 Thornborrow, Joanna: language and identity. In: Thomas, Linda/Wareing, Shan (hg .): Language, Society and Power, London /New York 1999, S. 135-149.
24 Sowinski, Bernhard: Stilistik, Stuttgart 1999, S. 116-137.
25 Schwein...
26 Schut, Pieter Bakker (hg.): das info, Hamburg 1987, S. 184.
27 Hs .Schut, Pieter Bakker (hg.): das info, Hamburg 1987, S. 184.