Die Menschen kennen einander nicht leicht,
selbst mit dem besten Willen und Vorsatz;
nun tritt noch der böse Wille hinzu,
der alles entstellt.1
Johann Wolfgang von Goethe
Es ist schon lange kein Phänomen mehr, dass die Gesellschaft das Individuum aufgrund von seinen Merkmalen und Eigenschaften charakterisiert und einstuft. Die Sozialpsychologie unterscheidet zwischen körperlichen, psychischen, charakterlichen und sozialen Merkmalen einer Person, die in der Fachsprache als ′Stigmata′ bekannt sind. Negative Stigmata rufen Ablehnung, Beklemmung oder Unbehagen bei Dritten hervor und entwerten das Gesellschaftsbild eines Stigmaträgers. Der Sozialwissenschaftler, Ervin Goffmann, unterscheidet zwischen sichtbaren und unsichtbaren Stigmata eines Individuums, von denen letztere für die nachfolgende Arbeit von Bedeutung sein werden. Träger von unsichtbaren Stigmata, wie beispielsweise Psychiatriepatienten, ehemalige Gefängnisinsassen oder Arbeitslose haben es schwer sich in die Gesellschaft zu integrieren. Der Versuch, in der Gesellschaft nicht als Stigmaträger erkannt zu werden, ist oft vergeblich. 2 Sobald an einem Individuum ein entsprechend negativ definiertes Merkmal wahrgenommen wird, wird von diesem Merkmal auf weitere unvorteilhafte Eigenschaften des Individuums geschlossen, so dass sich daraus eine Art von Teufelskreis ergibt.
Für Stigmata ist nun charakteristisch, daß einmal das vorhandene Merkmal in bestimmter negativer Weise definiert wird, und daß zum anderen über das Merkmal hinaus dem Merkmalsträger weitere ebenfalls negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die mit dem tatsächlich gegebenen Merkmal objektiv nichts zu tun haben.3 Negative Stigmata sind immer verbunden mit einer gesellschaftlichen Norm, von der das Individuum abweicht. Als ′Normen′ bezeichnet man Richtlinien und Regeln, die jedes Individuum in der Gesellschaft einhalten muss, wenn es diesen entsprechen will. In der folgenden Arbeit wird eine Gesellschaftsordnung aufgezeigt, die Arbeitslose und ehemalige Gefängnisinsassen als Träger negativer Stigmata definiert und ihnen ein normwidriges Verhalten unterstellt. Der Kampf des Individuums gegen diese gesellschaftlichen Vorurteile wird dabei genauso Gegenstand der Arbeit sein, wie die daraus resultierenden Krisen des Individuums.
Inhaltsverzeichnis
- I. EINLEITUNG
- A. Stigmata in der Gesellschaft
- B. Methodischer Ansatz zur vorliegenden Arbeit
- II. CARL ZUCKMAYER, DER HAUPTMANN VON KÖPENIK (1931)
- A. Inhaltliche Kriterien des Dramas
- B. Gesellschaft und Individuum
- 1. Identitätsproblematik Wilhelm Voigts
- 2. Soziale Krise des Protagonisten
- III. ALFRED DÖBLIN, BERLIN ALEXANDERPLATZ (1929)
- A. Thematische Aspekte des Großstadtromans
- B. Kriminalität und Gewalt
- 1. Gewalt als Leitmotiv und Stigmata des Protagonisten
- 2. Das Leiden Biberkopfs und seine Erlösung
- IV. VERGLEICHENDE DARSTELLUNG DER BEIDEN WERKE
- V. FAZIT
- A. Thematische Zusammenfassung
- B. Persönliches Resumé
- VI. LITERATURVERZEICHNIS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Darstellung von Stigmata in der Gesellschaft anhand der Werke „Der Hauptmann von Köpenik“ von Carl Zuckmayer und „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin. Im Zentrum der Analyse stehen die gesellschaftlichen Vorurteile und deren Auswirkungen auf das Individuum.
- Stigmatisierung als gesellschaftliches Phänomen
- Die Rolle von Vorurteilen und Stereotypen
- Der Kampf des Individuums gegen gesellschaftliche Normen
- Die Auswirkungen von Stigmatisierung auf die Identität des Individuums
- Die Darstellung von Gewalt und Kriminalität als Ausdruck von Stigmatisierung
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel II untersucht das Drama „Der Hauptmann von Köpenik“, indem es die formale Struktur, die zentralen Motive und die Hintergründe des Protagonisten analysiert. Kapitel III widmet sich analog dem Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“, um die Darstellung von Stigmatisierung in beiden Werken zu vergleichen. Im vierten Kapitel werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Protagonisten sowie deren Erfahrungen mit gesellschaftlichen Vorurteilen herausgestellt.
Schlüsselwörter
Stigmatisierung, Gesellschaft, Individuum, Vorurteile, Stereotypen, Identität, Kriminalität, Gewalt, soziale Normen, Konformitätsdruck, Selbstbild, Integration, "Der Hauptmann von Köpenik", Carl Zuckmayer, "Berlin Alexanderplatz", Alfred Döblin.
- Arbeit zitieren
- M.A. Claudia Haslauer (Autor:in), 2004, Stigmata in der Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29844