Private Equity Investoren wurden von Franz Müntefering weiland als Heuschrecken bezeichnet. Anderseits werden sie insbesondere bei Investments in Start-Ups häufig auch als Business-Angels bezeichnet. Sind diese Leute nun Engel oder Heuschrecken? Sind solche polarisierenden Bezeichnungen angebracht?
Der Autor stellt die Arbeit von Private Equity Investoren den wirtschaftethischen Theorien von Peter Ulrich und Karl Hohmann gegenüber und stellt kritische Fragen insbesondere zur Wirkung der bei "Leveraged-Buyouts" meistens sichtbaren hohen Fremdverschuldung auf das ethische Gebaren von Unternehmungen.
Inhaltsverzeichnis
1. Persönliche Verbindung zu Private Equity
2. Beschreibung meiner Praxissituation und Definition der Fragestellungen
2.1. Kurzbeschreibung meiner Aktivitäten im Bereich Private Equity
2.2. Konkret erfahrene ethische Dilemmatas
2.3. Fragestellungen dieserArbeit
3. Philosophie
3.1. Auswahl der relevanten Autoren
3.2. Theoretische Grundlagen der Wirtschaftsethik von Peter Ulrich
3.3. Theoretische Grundlagen der Wirtschaftsethik von Karl Homann
3.4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Positionen Ulrichs und Homanns
3.5. Gewinnmaximierung aus der Sicht der Autoren Ulrich und Homann
4. Private Equity aus der Sicht der wirtschaftsethischen Positionen
4.1. Vertretbarkeit des Handels mit Unternehmen
4.2. Vertretbarkeit hoher Gewinne
4.3. Zusammenhang zwischen Finanzkraft und ethischem Verhalten
4.4. Ethische Problematik der bewusst hohen Verschuldung
4.5. Gesamtbeurteilung von Private Equity aus wirtschaftsethischer Sicht
4.6. Persönliche Schlussfolgerungen des Autors
4.7. Klärungsbedarf/mögliche weiterführendeArbeiten
Literaturnachweis
Beilagen:
1 Beschreibung konkret erfahrenerethischer Dilemmatas
2 Kurzbeschreibung des sogenannten Gefangenendilemmas
3 Beispiel für den sogenannten „Leverage-Effekt"
Engel oder Heuschrecken? - Private Equity aus wirtschaftsethischer Sicht
1. Persönliche Verbindung zu Private Equity
Seit 1990 habe ich mich als Mitaktionär bei Unternehmen der verschiedensten Bereiche beteiligt.
Dies vornehmlich bei Aktiengesellschaften, deren Aktien nicht an einer öffentlich zugänglichen Börse gehandelt werden. Aufgrund des privaten Charakters solcher Aktienbeteiligungen wird das zur Verfügung gestellte Risikokapital von Finanzfachleuten als Private Equity (im folgenden „PE") bezeichnet.
Beim Aufbau von kleineren Unternehmen wird fehlendes Eigenkapital oftmals von Freunden und Bekannten der Gründer zur Verfügung gestellt. Bei grösseren Unternehmen sind es meist sehr finanzkräftige, professionell geführte sogenannte „Private Equity Fonds" (im folgenden „PEF"), die sich an deren Aktienkapital beteiligen.
Ich hatte im Verlaufe meiner Berufslaufbahn die Gelegenheit, beide Arten von Investitionen aus nächster Nähe mitzuerleben. Ich beteiligte mich mehrmals bei kleineren Gesellschaften, welche in der Aufbauphase einen hohen Kapitalbedarf aufwiesen. Investoren, welche solchen Betrieben Kapital und häufig auch Rat und Tat zur Verfügung stellen, werden im Finanzjargon oftmals als Business Angels bezeichnet.
Daneben war ich aber auch mehrfach als Mitaktionär bei grösseren Unternehmen engagiert und kam mit den PEF als deren Geschäftspartner in enge Berührung. Genau diese PEF waren es, die im Jahre 2005 vom damaligen Vorsitzenden der SPD, Franz Müntefering, als „Heuschrecken" (1) bezeichnet wurden.
Es ist sicherlich ein nicht alltäglicher Vorgang, dass die eigene Berufsgruppe auf eine solche Weise abwertend und öffentlich gebrandmarkt wird. Diese Abqualifizierung steht und stand im krassen Gegensatz zum eigenen Selbstverständnis als motiviertem Unterstützer aufstrebender Unternehmungen. Auch wenn man sich vielleicht nicht immer als Business Angel fühlt, so kontrastierte die sogenannte Heuschrecken-Debatte doch beträchtlich mit dem eigenen Berufsbild. Ohne eine vertiefte Reflektion stelle ich nämlich wenig bis gar kein Unrechtsbewusstsein bezüglich meiner Investorentätigkeit fest.
Es wäre nun ein Leichtes, die Äusserungen von Herrn Müntefering als Wahlkampfmasche eines verzweifelten Parteipräsidenten abzutun, der seiner rot-grünen Koalition mit allen Mitteln zur Mehrheit verhelfen wollte und dem eine öffentlichkeitswirksame Verunglimpfung erfolgreicher Investoren gerade gelegen kam.
Als wir im Rahmen unseres MAS-Lehrganges in Philosophie und Management mit den Positionen verschiedenerführenderWirtschaftsethikervertrautgemachtwurden, brachte ich deren Positionen immer wieder spontan in eine Verbindung zu den eigenen Tätigkeiten. In der Folge erschien es angebracht, im Rahmen der Masterarbeit unseres Lehrgangs eine kritische und vertiefte Betrachtung über die Ethik (oder Nicht-Ethik) von PEF und den eigenen Tätigkeiten in diesem Bereich vorzunehmen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es also, PE so differenziert und objektiv wie es für einen direkt Betroffenen möglich ist, aus wirtschaftsethischer Sicht zu beleuchten. Im Sinne der unerlässlichen Ergebnisoffenheit ist ja nicht auszuschliessen, dass sich die spontan als absolut unberechtigt empfundene Kritik eines Politikers als begründet herausstellen könnte.
2. Beschreibung meiner Praxissituation und Definition der Fragestellungen
2.1. Kurzbeschreibung meiner Aktivitäten im Bereich Private Equity
Der Gewinn aus dem Kauf und Verkauf von Unternehmensanteilen war für mich in den letzten zwanzig Jahren die wichtigste persönliche Einnahmequelle. Die Beratungshonorare als Experte und Berater für Mergers & Akquisitions-Projekte gerieten dabei zunehmend in den Hintergrund.
Mit der Rolle als Mitaktionär war für mich immer auch eine Tätigkeit als Verwaltungsrat der jeweiligen Unternehmen verbunden. Im weiteren war ich sehr aktiv in die Verhandlungen bzw. die Abwicklungen in Bezug auf die jeweiligen Käufe und Verkäufe der betreffenden Unternehmungen involviert.
Die finanziellen Ergebnisse meiner mit einem sehr hohen Arbeitseinsatz verbundenen PE-Tätigkeiten kann man gesamthaft als sehr attraktiv bezeichnen. Natürlich gab es auch Investitionen die zu Verlusten führten. Einzelne Beteiligungen mussten sogar vollumfänglich abgeschrieben werden. Doch die Kapitalgewinne bei den erfolgreichen Projekten überwogen die Verluste bei weitem. In einzelnen Fällen konnten Beteiligungen zu einem Vielfachen des investierten Betrages veräussert werden.
Bei den Beteiligungen Burkhalter (grösste schweizerische Unternehmung im Bereich von Elektroinstallationen) und Hirslanden (grösste Gruppierung von Privatkliniken in der Schweiz) erfolgten die Beteiligungen in enger Zusammenarbeit mit angelsächsisch geprägten PEF. Es handelte sich um die Firmen „Legal and General Ventures" und „BC Partners". BC Partners war auf einer angeblich von einer SPD-internen Arbeitsgruppe erstellten und vom Stern veröffentlichten Liste jener Heuschrecken erwähnt, auf die sich Franz Müntefering im Jahre 2005 offenbar explizit bezogen hatte. (1)
Die Zusammenarbeit mit diesen aus der Sicht des Autors sehr angenehmen und professionellen Geschäftspartnern führte zu Gewinnen, welche im Rahmen einer üblichen Berufstätigkeit als Wirtschaftsprüfer und Berater wohl kaum möglich gewesen wären.
2.2. Konkret erfahrene ethische Dilemmatas
Im Hinblick auf die Beurteilung von PE aus wirtschaftsethischer Sicht stellt sich die Frage nach vom Autor konkret erfahrenen Situationen, bei welchen sich für die Entscheidungsträger Gegensätze zwischen intuitivem Ethikempfinden und wirtschaftlicher Attraktivität zeigten. Als Beispiele möchte ich diesbezüglich die drei Situationen gemäss Beilage 1 erwähnen.
Der Leser mag sich nach der Durchsicht dieser Beispiele fragen, was denn diese Dilemma-Situationen mit PE zu tun haben oder ob solche Situationen nicht in allen Betrieben vorkommen können. Dies trifft zu, doch typisch für PE war, dass bei allen drei Firmen eine Knappheit an Liquidität und Eigenmitteln herrschte. Die bei PE-Projekten typischerweise knapp gehaltene Eigenfinanzierung beeinflusste die Entscheidungsträger in allen drei Fällen ganz wesentlich, die auf den ersten Blick unethischen Entscheidungen zu treffen.
Auf die Erwähnung weiterer konkret erfahrener Dilemmatas wie z.B. Wettbewerbsfragen oder Problematiken bei einzelnen Entlassungen von Geschäftsführungsmitgliedern habe ich verzichtet, weil diese für PE-Projekte als nicht spezifisch bezeichnet werden können.
2.3. Fragestellungen dieser Arbeit
Die nachfolgend entwickelten konkreten Fragestellungen haben sich für mich aufgrund meiner Tätigkeiten, den in der Beilage 1 beschriebenen Dilemma-Situationen und aus der Verfolgung der sogenannten Heuschrecken-Debatte in derWirtschaftspresse ergeben.
Wie erwähnt erzielen Investoren mit dem Kauf und dem späteren Verkauf von Beteiligungen teils erhebliche Gewinne. Hierzu formuliere ich die ersten zwei Fragestellungen:
Ist es überhaupt vertretbar, dass eine Unternehmung an sich, als ganzes soziales System, Gegenstand eines Handels (Kauf und Verkauf mit einer klaren Gewinnabsicht) sein kann?
Fragestellung 2:
Wenn die Fragestellung 1 mit ja beantwortet werden kann, ist es dann vertretbar, mit solchen Käufen/Verkäufen sehr hohe Gewinne zu erzielen?
Wie die Beispiele in der Beilage 1 zeigen, scheinen Entscheidungen von PE-Investoren von der finanziellen Lage der Unternehmen stark beeinflusst zu sein. Hierzu stellen sich meines Erachtens zwei weitere Fragestellungen:
Fragestellung 3:
Können die moralisch/ethischen Ansprüche an Personen/Systeme/Unternehmungen von deren finanzieller Kapazität abhängen?
Fragestellung 4:
Führt die oftmals hohe Verschuldung von PE-Unternehmungen tendenziell zu unethischem Verhalten und ist diese hohe Verschuldung deshalb per se als unethisch zu kritisieren?
Angesichts der teilweise scharfen öffentlichen Kritik wie z.B. durch Müntefering könnte man sich fragen, was denn die Kritiker den Heuschrecken sonst noch alles vorwerfen und daraus noch weitere Fragestellungen ableiten.
Dies ist allerdings gar kein so einfaches Unterfangen. Die wesentlichen Kritikpunkte scheinen die in meinen Fragestellungen schon enthaltenen hohen Gewinne und die meist sehr hohe Verschuldung zu sein. Zudem wird oft auch ein Arbeitsplatzabbau zur Optimierung dieser hohen Gewinne und als Folge dieser hohen Verschuldung erwähnt.
Im Rahmen meiner praktischen Tätigkeiten fand jedoch nie ein Arbeitsplatzabbau statt. Vielmehr zählten die betreffenden Unternehmen zum Zeitpunkt des Unternehmensverkaufs regelmässig mehr Mitarbeiterinnen als zum Zeitpunkt der Investition.
Bezüglich der Arbeitsplatzfrage sah sich der deutsche „Sachverständigenrat über die wirtschaftliche Gesamtentwicklung" im Zusammenhang mit der Heuschrecken-Debatte und als Antwort auf die Äusserungen von Herrn Müntefering zu folgender Stellungnahme veranlasst:
„Empirische Untersuchungen über die Auswirkungen von PE, die für verschiedene Länder vorliegen, zeigen mehrheitlich, dass PE-finanzierte Unternehmen - verglichen mit ähnlichen, anderweitig finanzierten Unternehmen - überdurchschnittlich wachsen, mehr Arbeitsplätze schaffen und einen höheren Anteil von F&E-Investitionen (Anmerkung des Autors: Investitionen in Forschung und Entwicklung) aufweisen(2)
Ein Personalabbau zur Steigerung von Rendite und Unternehmenswert ist zudem kein Phänomen, welches sich auf Unternehmen im Eigentum von PE-Investoren beschränkt. Die Aspekte der Ethik bezüglich eines Arbeitsplatzabbaus wurden beispielsweise von Dr. Christian Neuhäuser in seinen Betrachtungen zu „Unternehmen alsmoralischeAkteure"(3, S. 228ff.) am Beispiel der Deutschen Bank eingehend behandelt. Eine Betrachtung eines ähnlichen Beispiels im Bereich von PE würde zu gleichen oder sehr ähnlichen Schlussfolgerungen führen. Ich verzichte deshalb im Rahmen dieser Arbeit auf Fragestellungen hinsichtlich möglicher Arbeitsplatzverluste.
3. Philosophie
3.1. Auswahl der relevanten Autoren
Es scheint auf der Hand zu liegen, sich bezüglich der Auswahl der für die Beantwortung der vorliegenden Fragestellungen relevanten Autoren auf Philosophen im Bereich der Wirtschaftsethik zu konzentrieren.
Im deutschsprachigen Raum werden die Theorien von Peter Ulrich und Karl Homann häufig als aktuellste Positionsbezüge zu wirtschaftsethischen Fragen betrachtet. Ich werde mich deshalb hauptsächlich an diesen beiden Autoren orientieren.
Im Literaturverzeichnis auf Seite 63 ist ersichtlich, dass Prof. Homann die in dieser Arbeit zitierten Werke gemeinsam mit den zwei Co-Autoren, Christoph Lütge und Franz Bloome-Drees, verfasst hat. Ich werde im Rahmen dieser Arbeit der Einfachheit halberjeweils nur Karl Homann als Verfasser erwähnen. Prof. Homann gilt als wichtigster Exponent der von ihm und seinen Mitautoren vertretenen Positionen.
In den folgenden beiden Abschnitten (3.2. Peter Ulrich und 3.3. Karl Homann) werden wichtige Positionen dieser beiden Autoren eingehend besprochen und dargestellt. Das Hauptziel ist dabei, sich eine erste Übersicht über deren Wirtschaftsethik zu verschaffen. Das Hauptaugenmerk wird schwergewichtigjenen Positionen zufallen, die bezüglich der in Abschnitt 2.3. aufgeführten Fragestellungen relevant sein werden. Als Vorbereitung auf die Erarbeitung von Schlussfolgerungen betreffend der Geschäftsethik der PE-Branche werde ich bereits im Theorieteil bei einzelnen Thesen eigene zustimmende oder kritische Anmerkungen anfügen.
3.2. Theoretische Grundlagen der Wirtschaftsethik von Peter Ulrich
Prof. em. Dr. rer. pol. Peter Ulrich war von 1989 bis 2009 Direktor am Institut für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen.
Ulrich veröffentlichte im Jahre 1997 die erste Auflage seines Werks „Integrative Wirtschaftsethik“ (4). Der Untertitel dieser Veröffentlichung lautet „Grundlagen einerlebensdienlichen Ökonomie“ (4) und fasst in wenigen Worten eine der wesentlichen Positionen Ulrichs zusammen.
Ulrich vertritt die grundlegende These, dass sich alles Wirtschaften an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten hat.
„Eine vernünftige gesellschaftliche Wirtschaftsweise orientiert sich - das scheint in der Natur der Sache zu liegen - sinnvollerweise an ihrer Lebensdienlichkeit.“ (4, S.ll)
Hier zitiert Ulrich den deutschen Nationalökonomen Alfred Müller-Armack, der als einer der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft gilt.
Ulrich ist der Auffassung, dass sich reine ökonomische Sachlogik und Lebensdienlichkeit grundsätzlich unterscheiden können. Das heisst, dass ökonomisch sinnvolle Handlungen auch lebensfeindlich oder zumindest nicht lebensdienlich sein können. Im Sinne eines klassischen Beispiels verweist Ulrich unter anderem auf ökologisch problematische Handlungen, die zwar kommerziell durchaus rentieren, deren Folgen wie C02-Ausstoss und Lärmimmissionen jedoch „aus dem einzelwirtschaftlichen Kosten- und Nutzenkalkül ausgeblendet, also nichtin dieses internalisiertsind.“(5, S. 25)
Seine These, dass ökonomische Vernunft und Lebensdienlichkeit nicht zwingend gleichbedeutend sind, ist ohne weiteres einleuchtend. In jenen Fällen, wenn Gegensätze zwischen einer lebensdienlichen Ethik und einer rein ökonomischen begründeten Vernunft bestehen, sieht Ulrich eine eindeutige Hierarchie:
„Demgegenüber kommt es darauf an, beharrlich den vernunftethischen gebotenen Primat der Ethik - auch und insbesondere der politischen Ethik - vor der Logik des Marktes argumentativ stark zu machen.“(5, S.37)
Ulrich sieht es als eine dringliche Aufgabe der Wirtschaftsethik an, ein Korrektiv zum neoliberalen Credo der Vollkommenheit des Marktes zu setzen. Er zitiert einen der legendären Sätze des grossen Schweizer Schriftstellers, Max Frisch, welcher ironisch zusammenfasste: „Am Ende der Aufklärung steht das goldene Kalb. Vernünftig ist was rentiert. " (5, S. 25)
Einer die Vernunft mit Rendite gleichsetzenden Haltung setzt Ulrich seine „Integrative Wirtschaftsethik"(4) entgegen. Ethische Gesichtspunkte sollen in die Wirtschaftshandlungen integriert werden. Und die Ethik hat dabei gegenüber der Renditeorientierung ein klares Primat.
„Vom moralischen Standpunkt aus sind Akteure auch und gerade in widrigen Umständen aufgefordert, persönliche Nachteile in Kaufzu nehmenfalls die Missachtung derin Frage stehenden moralischen Rechte Dritter unverantwortbar wäre und die in Kaufzu nehmenden Nachteile dagegen zumutbarsind."(4, S. 106)
Ein sich in einer Dilemma-Situation befindlicher Entscheidungsträger kann sich also gemäss Ulrich auf keinen Fall auf eine Position „vernünftig ist, was rentiert" zurückziehen sondern hätte sogar zumutbare Nachteile in Kaufzu nehmen.
Neben den Konflikten zwischen Rendite und Ethik sieht Ulrich zusätzlich auch noch einen Unterschied zwischen legalem und ethischem Handeln:
„Die wechselseitige Bedingtheit von Gerechtigkeit als personaler Tugend (Gerechtigkeitssinn') und als institutioneller Grundstruktur (wohlgeordnete Gesellschaft') wurzelt darin, dass die Gültigkeit juristischer Rechte und Gesetze sich letztlich nur von moralischen Rechten her begründen lässt und moralische Legitimität (moralisches Recht) dementsprechend niemals restlos in juridischer Legalität (positives Recht) aufgehoben werden kann. Positives Recht kann in moralischer Hinsicht unzureichend oder sogar unrecht sein. Der Verweis auf rechtsstaatlich ,in Kraft' stehende Gesetze reicht folglich auchfürdie Rechtfertigung wirtschaftlicher Handlungsweisen niemals aus."(4, S. 253)
Kumulativ bedeutet dies nach Ulrich, dass eine Entscheidung sowohl kommerziell vernünftig und gemäss positivem Recht legal sein kann, diese aber trotzdem moralisch nicht zu rechtfertigen ist. Es wird hier offensichtlich, welch hohe moralische Anforderungen Ulrich an Entscheidungsträger und damit auch an wirtschaftlich Handelnde stellt. Mit diesen hohen Moralstandards erinnert er zwangsläufig an Immanuel Kant, der von Ulrich auch nicht selten zitiert wird.
Neben dem kategorischen Imperativ zitiert er Kant beispielsweise auch aus dessen Werk „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" wie folgt: „Geschicklichkeit und Fleiss im Arbeiten haben einen Marktpreis, denn die Nutzung der menschlichen Arbeitskraft ist legitim; aber die menschliche Person als ganze ist, da sie nicht instrumentalisiert werden darf, über allen Preis erhaben, sie hat nicht bloss einen relativen Wert, d.i. einen Preis, sondern einen inneren Wert, d.i. Würde."(4, S. 74)
Dies illustriert nochmals Ulrichs klares Einstehen für das Primat der Ethik über allein finanziell und kommerziell begründete Vernunft und sogar für ein Primat der Ethik über positives Recht.
Mit seinem Plädoyer für das Primat der Ethik bleibt Ulrich jedoch nicht bei rein theoretischen Betrachtungen. Vielmehr ist er der Auffassung, dass dieses Primat in der aktuellen Praxis durch den Neoliberalismus stark herausgefordert ist und dass der Ethik das ihr zustehende Primat zurzeit nicht mehr zukommt. Ulrich glaubt, dass der Glauben an den Markt als einziger Vernunftquelle immer mehr um sich greift. Er prägt diesbezüglich den Begriff des „Ökonomismus", den er wie folgt definiert:
„Ökonomismus ist, wie man etwas salopp sagen könnte, der Glaube der ökonomischen Rationalität an nichts als sich selbst (ökonomischer Rationalismus). Erinnert sei an das Bekenntnis von C.C. von Weizsäcker: Der Ökonom glaubt daran, dass Effizienz erwünscht ist. Der apodiktischen Aussage v. Weizsäckers ist entgegenzuhalten, dass Ökonomen selbstverständlich nicht zwingend Ökonomisten sind; sie sindjedoch derbesonderen Gefährdung ausgesetzt; im Sinne einer,déformation professionelle'zu einer ökonomistischen Weltanschauung zu tendieren."(5, S. 34)
Diesen extremen Ökonomismus hält Ulrich für eine die Lebensdienlichkeit der Wirtschaft bedrohende Ideologie. Er führt aus:
„Der Ökonomismus ist wohl die Grossideologie der Gegenwart - und diese damit alles andere als das vermeintliche postideologische Zeitalter: kaum je zuvor hat eine einzige ideologische Argumentationsform weltweit einen vergleichbaren Einfluss ausgeübt. Ökonomismuskritik oder die Kritik der entgrenzten ökonomischen Ratio ist aus geistesgeschichtlicher Perspektive ein Stück überfällige nachzuholende Aufklärung." (5, S. 34)
Besonders gefährlich hält Ulrich diesen Ökonomismus im Zusammenhang mit dem festzustellenden Trend einer wirtschaftlichen Globalisierung und dem damit einhergehenden Macht- und Kontrollverlust der traditionellen Nationalstaaten. Den weltweiten Konkurrenzkampf einzelner Staaten unter dem Stichwort der Standortattraktivität hält Ulrich für besonders bedenklich. Dabei stellt er folgendes Zitat aus dem kommunistischen Manifest von Marx und Engels aus dem Jahr 1844 zur Diskussion:
„Die Bourgeouisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. (...) Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeousie sich anzueignen, wenn sie nichtzugrunde gehen wollen..."(5, S. 146)
Das Argument, dass sich die Staaten und Teilstaaten, man denke z.B. an den durchaus lebhaften Steuerwettbewerb unter den schweizerischen Kantonen, in einem wirtschaftlichen Wettbewerb befinden, leuchtet wohl jedem die Weltwirtschaft verfolgenden Leser ohne weiteres ein. Ulrich stört sich vor allem daran, dass der Nationalstaat gegenüber multinational operierenden Unternehmungen zunehmend an Macht verloren hat.
„Der springende Punkt ist in der Tat die von den Propheten des ,freien' Weltmarkts offenkundig allzu weit getriebene Entmachtung der Politik. " (5, S. 148)
Ulrich sieht das von ihm auf überzeugende Weise geforderte Primat der Politik mit einer demokratisch legitimierten ethischen Kontrolle über die Wirtschaft und den Markt als aufgehoben und sogar ins Gegenteil verdreht.
„Das ganze Pathos der Globalisierungseuphoriker beruhte schlicht darauf, dass sie die so zustande kommende Umkehrung des Primats der Politik vor der Logik des Marktes nicht als Problem, sondern als die Lösung fast aller Probleme sahen und begrüssten."(5, S. 148)
Ulrich vertritt die für den Unternehmenspraktiker nachvollziehbare Auffassung, dass der erfolgte Machtgewinn des Marktes gegenüber der Politik insbesondere auch aufgrund der gewaltigen Entwicklungen der Informationstechnologie erfolgte und sieht insbesondere den weltweiten Finanz- und Kapitalmarkt als einen wesentlichen Faktor dieser Entwicklung:
„Die kommunikationstechnologische Infrastruktur erlaubt praktisch überall aufder Welt real-time die Verfolgung des Geschehens auf allen Börsenplätzen der Welt."(5, S. 149)
Die Möglichkeit, Kapital schnell von einem Standort zum anderen zu bewegen, ermöglicht es den Anlegern, deren Geld rasch immer dahin zu verschieben, wo für die Kapitalverwertungsinteressen attraktive Bedingungen herrschen. Es steht für Ulrich ausser Frage, dass dies eine nicht zu unterschätzende Form von Machtausübung darstellt. Er schreibt dazu:
„Die VolatilitätsolcherKapitalbewegungen übt einen unerhört disziplinierenden Effektaufalle Betroffenen aus." (5, S. 149)
oder
„Je dominanter der in jedem Sinn alle Grenzen sprengende Finanzkapitalismus geworden ist, umso stärker ist auch der resultierende Druck auf die Politik zur,Hofierung' des Kapitals." (4, S. 151)
Hier ist als Zwischenbemerkung im Hinblick auf die Ausgangslage dieser Arbeit festzuhalten, dass gerade auch die führenden PEF multinational organisiert sind und die geographische Verteilung ihrer Investitionen mit Sicherheit von der Attraktivität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einzelnen Staaten beeinflusst ist. Ob bewusst oder unbewusst könnten die PEF zur von Ulrich stipulierten Macht des Finanzkapitals mit der behaupteten disziplinierenden Wirkung beitragen. Die PEF gehen insbesondere bezüglich der Optimierung der bei ihren Transaktionen gewählten steuerlichen Struktur ausserordentlich professionell vor. Schafft ein Staat für PEF steuerlich positive oder negative Anreize, so reagieren diese darauf rasch und entschlossen.
Allerdings sind die realisierten Investments der PEF betragsmässig mit den an den Aktienbörsen gehandelten Volumen nicht vergleichbar. Es wäre aus ökonomischer Sicht zu klären, ob die Standortwahl der Investitionen der PEF ein politisch relevantes Ausmass erreicht. Unzweifelhaft profitieren die PEF jedoch davon, wenn im Sinne von Ulrichs These dem Kapital hofiert wird.
Ulrichs Analyse der Wirkungen der globalisierten Finanzwirtschaft empfinde ich als PE-Praktiker als korrekt, auch wenn sie für meinen persönlichen Geschmack etwas dramatisch und teilweise polemisch formuliert ist.
Seine Argumentation bezüglich der Verantwortung für die festgestellten Entwicklungen erscheint mir jedoch ziemlich fragwürdig. Ulrich lehnt nämlich die Globalisierung als natürliche Erscheinung kategorisch ab. So führt er im Zusammenhang mit der weltweit entstandenen Globalisierungsdebatte aus: „Um die Globalisierung wäre kaum ein Glaubenskrieg zwischen ,Globalophilen' und,Globalophoben' entstanden, wenn es sich wirklich um eine unabänderliche Tatsache handelte die ebenso hinzunehmen wäre wie das Wetter. Gleichwohl wird die Globalisierung meistens als eine solche Tatsache hingestellt. DerAnschein einer von niemandem zu kontrollierenden Naturwüchsigkeit, also eines guasi natürlichen Sachzwangs ist ja aufden ersten Blick auch ganz plausibel. Nur ist eben diese ,lnstanzlosigkeiť des Weltmarktes gerade das Ergebnis einer gezielten Politik, die auch ganz anders ausgerichtet werden könnte/'(5, S. 147)
Wer jedoch konkret die Verantwortung für diese als gezielt bezeichnete Politik zu tragen hat, bleibt in diesem Zusammenhang eher verschwommen. Ulrich verwendet häufig eher kritisch-abwertende Begriffe wie „Globalisierungseuphoriker", „Globalophile", „Ökonomisten" oder „Neoliberale".
Diese Kreise wirken nach Auffassung Ulrichs gezielt und koordiniert auf eine Globalisierung der Wirtschaft mit einer fortschreitenden Entmachtung der Nationalstaaten und deren zwangsweiser Hofierung des Kapitals hin. Ich kann dieser These nicht folgen und möchte dies nachstehend kurz begründen.
Es scheint unbestritten, dass die Menschen seit jeher sowohl technologische Fortschritte und gleichzeitig die einfachere Überwindung geographischer Distanzen anstrebten. Verbesserte Transportmöglichkeiten führten logischerweise zu einer fortschreitenden Intensivierung des Welthandels. Dieser Mega-Trend machte auch vor Finanzströmen und Finanzdienstleistungen nicht halt. Die Globalisierung der Finanzmärkte nun als etwas darzustellen, was „Ökonomisten" über lange Zeiträume gezielt herbeigeführt haben, überzeugt in keiner Weise.
Dass es Kreise gibt, die von den Wirkungen der Globalisierung der Finanzmärkte übermässig profitieren, kann man gerne diskutieren. Diesen Kreisen würde eine Trendumkehr bezüglich der Globalisierung möglicherweise sehr ungelegen kommen. Das Gedankenexperiment eines Entschlusses zur Umkehr der Globalisierung zeigt die Schwäche des Argumentes, welches von einer bewussten Herbeiführung der Globalisierung durch Einzelne ausgeht.
Eine solche Trendumkehr würde nämlich in einem ersten Schritt bedingen, dass sich eine relevante Anzahl von einflussreichen Verantwortungsträgern in Politik und Wirtschaft für eine Abschaffung bzw. Reduktion der Globalisierung aussprechen würden. Diese wären dann in der Folge darauf angewiesen, dass auch die Mehrheit der Bürgerinnen und Konsumentinnen entsprechende Einschränkungen oder Verteuerungen des Finanz-, Waren- und Personenverkehrs akzeptieren würde.
Zu denken, dass die Mehrheit der Bürgerinnen dies ohne Einführung totalitärer Massnahmen hinnehmen würde erscheint ziemlich abwegig.
Die Vorstellung einer Umkehr des Globalisierungstrends ist deshalb genau so wenig plausibel wie die Vorstellung, einzelne Gruppierungen hätten diese Entwicklung alleine zu verantworten.
Wer immer für die Entstehung der Globalisierung in welchem Masse verantwortlich sein mag, die wirtschaftliche Globalisierung ist im 21. Jahrhundert eine wohl unabänderliche Tatsache und man kann ohne Weiteres nachvollziehen, dass sich Ulrich mit den aus seiner Sicht negativen Folgen nicht abfinden will.
Das Argument eines unerwünschten Machtverlusts der Nationalstaaten und der Verlust des Primats der Politik über den Markt hat eine hohe Plausibilität. Auch demokratische Gesellschaften müssen sich im globalen Standortwettbewerb behaupten und sind aufgrund des entstehenden wirtschaftlichen Drucks in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.
Allerdings ist anzuführen, dass die Globalisierung mindestens in den westlichen Industriestaaten nirgends zu einer vollständigen Entmachtung der Politik geführt hat. Der Einfluss der Staaten und der Politik mag zurückgegangen sein. Dennoch werden immer wieder viele politische Entscheidungen gegen die Empfehlungen von Wirtschaftsführern getroffen.
Spannend scheint in diesem Zusammenhang die Frage zu sein, ob man die aus Sicht von Ulrich unakzeptable Situation einfach als gegeben hinnehmen muss. Ulrich sucht denn auch entsprechend nach Lösungsansätzen, wie man dem Sachzwang-Argument im globalen Standortwettbewerb begegnen könnte:
„Die Alternative zur Vergötterung der Globalisierung - zur Metaphysik des Weltmarktes als des neuen Weltgeistes - ist nicht ihre Verteufelung, sondern ihre vitalpolitische Zivilisierung mittels einer supranationalen Rahmenordnung."(5, S. 162)
Auch Neuhäuser kommt bei seiner Analyse eines Stellenabbaus der Deutschen Bank aus moralischer Perspektive (3, S. 228ff.) zwangsläufig auf das Thema der Macht der globalen Finanzmärkte zu sprechen. Er schliesst seine Schlussfolgerungen wie folgt ab:
[...]
- Arbeit zitieren
- Stefan Tobler (Autor:in), 2014, Engel oder Heuschrecken? "Private Equity" aus wirtschaftsethischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298677
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