„Erbarmen ist ein Laster der Seelen, die sich allzu sehr über Erbärmlichkeit erschrecken.“ Würde man jemanden fragen, ob dieses Zitat eher Seneca oder doch Machiavelli zuzuordnen sei, entschiede sich dieser mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit für Machiavelli, wiewohl es von Seneca stammt. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als wir doch oftmals recht schematisch zu urteilen pflegen. Der zweifelsohne negativ konnotierte Begriff des „Machiavellismus“ beweist, wohin die unbesehene Hinnahme vorgegebener Urteile führt. Das Ansehen des dergestalt gebrandmarkten Florentiners ist sogar in solchem Maße beschädigt, dass die Engländer selbst nicht davor zurückschrecken, mit Machiavellis Vornamen ihren Spott zu treiben: „Old Nick“ gilt als ein Synonym für den Teufel. Im Sinne einer umfänglichen und fairen Betrachtungsweise sei jedoch erwähnt, dass es ein Brite war, der Machiavelli folgende Grabinschrift gesetzt hat: „Tanto nomini nullum par elogium“.
Ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat verwischt die Konturen und kann somit, mitunter intendiert, zu einem Trugschluss führen. Dessen ist sich auch der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau bewusst, wenn er sagt: „Traue keinem Zitat, das du nicht selber aus dem Zusam-menhang gerissen hast.“ Ein vermeintlich entlarvendes Zitat vermag es also, jemanden in seiner Meinung zu beeinflussen und undifferenzierte Vorurteile zu verstärken, wenn dieser die genauen Hintergründe nicht kennt.
Soweit das überhaupt möglich ist, soll es Anspruch und Methode dieser Arbeit sein, weitgehend unvoreingenommen und ausgewogen die staatstheoretischen Abhandlungen Niccolò Machiavellis und Senecas zu analysieren. Im Zuge dessen lohnt es sich auch der Frage nachzugehen, warum eine so polarisierende Persönlichkeit wie Machiavelli scheinbar viel mehr Beachtung findet, sei sie negativ oder positiv, als der uns rechtschaffen dünkende Seneca.
Ziel der Arbeit ist es dementsprechend, ausgehend von einem Vergleich der beiden Fürstenspiegel „Il Principe“ von Machiavelli und „De clementia“ von Seneca, über die Rezeptionsgeschichte der beiden Werke, hin zu einem von Informationen getragenen Urteil zu kommen.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- A. Vom Vorurteil zum Urteil
- B. Fürstenspiegel, ein literarisches Genus. Ein Vergleich von Senecas „De clementia“ und Machiavellis „Il Principe“
- 1. Historische und biographische Situierung von Autor und Werk
- 1.1 Zeitumstände und Motivation
- 1.2 Literarisches Genre
- 1.2.1 Definition eines „Fürstenspiegels“
- 1.2.2 Zuordnung Senecas und Machiavellis
- 2. Vergleich der Fürstenspiegel
- 2.1 Grundüberzeugungen bezüglich des Machterhalts
- 2.1.1 Senecas deontologischer Ansatz
- 2.1.2 Machiavellis teleologischer Ansatz
- 2.2 Philosophische Anthropologie
- 2.2.1 Senecas Menschenbild
- 2.2.2 Machiavellis anthropologischer Pessimismus
- 2.3 Anforderungen an den Fürsten
- 2.3.1 Senecas Postulat nach clementia
- 2.3.2 Machiavellis Postulat nach zweckmäßigen Mitteln in Krisensituationen
- 2.4 Ob es besser ist, geliebt oder gefürchtet zu werden
- 2.4.1 Senecas Résumé
- 2.4.2 Machiavellis Résumé
- 3. Rezeptionsgeschichte
- C. Persönliche Bewertung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die staatstheoretischen Abhandlungen von Niccolò Machiavelli und Seneca mithilfe eines Vergleichs ihrer „Fürstenspiegel“ - „Il Principe“ und „De clementia“ - zu analysieren und zu einer fundierten Bewertung zu gelangen. Dabei wird die Rezeptionsgeschichte der beiden Werke berücksichtigt, um zu verstehen, warum Machiavelli trotz seines oft negativen Ansehens scheinbar mehr Aufmerksamkeit genießt als der als rechtschaffen geltende Seneca.
- Vergleich der staatstheoretischen Ansätze von Machiavelli und Seneca
- Analyse der „Fürstenspiegel“ „Il Principe“ und „De clementia“
- Rezeption der Werke in der Geschichte
- Untersuchung der philosophischen Anthropologie beider Autoren
- Bewertung der unterschiedlichen Anforderungen an den Fürsten
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung, in der das Vorurteil gegen Machiavelli und die Notwendigkeit einer objektiven Betrachtung seiner Werke hervorgehoben werden. Anschließend werden die historischen und biographischen Hintergründe von Seneca und Machiavelli sowie die Einordnung ihrer Werke in das Genre des „Fürstenspiegels“ beleuchtet. Im Kern der Arbeit erfolgt ein detaillierter Vergleich der beiden Werke, der auf die Grundüberzeugungen bezüglich des Machterhalts, die philosophische Anthropologie, die Anforderungen an den Fürsten und die Frage nach der besseren Form der Herrschaft - geliebt oder gefürchtet zu werden - eingeht. Neben einer Analyse der jeweiligen Argumente werden auch die Rezeption der beiden Werke in der Geschichte sowie die persönliche Bewertung des Autors der Arbeit behandelt.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit beschäftigt sich mit den staatstheoretischen Ansätzen von Machiavelli und Seneca, ihren „Fürstenspiegeln“ „Il Principe“ und „De clementia“, sowie der philosophischen Anthropologie, der Rezeptionsgeschichte und den Anforderungen an den Fürsten. Zentrale Themen sind der Machterhalt, die Frage nach der Legitimität von Gewalt und der Bedeutung von Clementia und Zweckmäßigkeit in der Politik.
- Quote paper
- Veit Quirin Lindholz (Author), 2009, Fürstenspiegel, ein literarisches Genus. Ein Vergleich von Senecas „De clementia“ und Machiavellis „Il Principe“., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298708