Die Möglichkeit von irrationalen Urteilen und Handlungen. Davidsons Auffassung von Willensschwäche


Seminararbeit, 2013

36 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

Antike Wegbereitung

Davidsons Willensschwäche als Irrationalität

Das Unbewusste im Irrationalen

Kognitive Täuschungen

Die Überschätzung des eigenen Einflusses

Abwertung durch Zeit

Die unbewusste Absicht irrational zu urteilen – ein Fazit

Literatur

Einleitung

Das menschliche Denken wird soweit wir in der Philosophie zurück blicken können, auf dessen Rationalität untersucht. Vernunft gilt gemeinhin als zentrales menschliches Merkmal, das keinen bedeutenden Philosophen in den letzten Jahrhunderten und gar Jahrtausenden unberührt gelassen hat. Mit dieser Auseinandersetzung einher, gehen seit jeher Fragen der Grenzen menschlicher Vernunft. Der amerikanische Philosoph Donald Davidson sieht Irrationalität als „[...] ein Versagen innerhalb des Hauses der Vernunft“ und beschreibt eine irrationale Handlung als einen „[...] rationale[n] Prozess oder Zustand -, der in die Irre gegangen ist.“[1] In diesem Sinne setzt er die Rationalität als Grundlage zur Möglichkeit irrationaler Gedanken, Handlungen oder Absichten voraus und stellt sich die Frage, wie besagter Prozess oder Zustand möglich ist. Ein prominentes Beispiel aus dem bunten Strauss der irrationalen Gedanken, Absichten, Handlungen oder Überzeugungen bildet das Phänomen der Willensschwäche, mit dem ich mich in dieser Arbeit näher auseinander setzen werde.

Ein Willensschwacher wägt ab, trifft eine Entscheidung und handelt dann nicht nach dieser. Ein beliebtes Beispiel in der Auseinandersetzung mit willensschwachen Handlungen bildet die Diät haltende Person, die den Wunsch verspürt, sich gesünder zu ernähren und weniger Süsses zu essen, da sie aus verschiedenen Gründen der Überzeugung ist, Süsses mache dick und ist ungesund für den menschlichen Körper. Ein willensschwacher Akt wäre in dem Fall in einem Moment gegeben, in dem die Person die Wahl hat, als Zwischenmahlzeit eine Karotte oder einen Schokoladenkuchen zu essen. Die Person wägt ab, entscheidet sich für die Karotte, da dies der Überzeugung entspricht, diese Wahl sei gesünder und die Überzeugung mit dem Wunsch der Person in Einklang steht, abzunehmen und sich gesünder zu ernähren. Die Person handelt dann aber nicht diesem Urteil entsprechend, sondern isst den Schokoladenkuchen. Wahrscheinlich geht diese Wahl einher mit einem schlechten Gewissen und dem eigenen Unverständnis über die eigene Handlung, die als irrational interpretiert wird. Wie ist es möglich, dass jemand eine Handlungsweise mit seinen allgemeinen Überzeugungen und der Wahrnehmung der Situation als übereinstimmend sieht und trotzdem entgegen diesen Überzeugungen im Widerspruch zu den eigenen Prinzipien handelt?

In einem ersten Teil der vorliegenden Arbeit werde ich Ideen der Antike von Platon, Sokrates und Aristoteles als terminologische Einführung und wegbereitende Grundlage für Davidsons Begriff der Willensschwäche oder Unbeherrschtheit vorstellen. In einem zweiten Teil werde ich mich der Auffassung Davidsons des Phänomens Willensschwäche widmen. Davidson geht der Frage nach der Möglichkeit von irrationalen Urteilen und Handlungen in seiner Arbeit Wie ist Willensschwäche möglich? genauer nach und bietet in der darauf folgenden Abhandlung Paradoxien der Irrationalität eine psychologische Erklärung zum Grund dieser. Das Phänomen oder gar Problem der Willensschwäche bildet einen Schnittpunkt zwischen Philosophie und Psychologie. Sowohl von den situativen, sozialpsychologischen Faktoren, als auch von kognitiven Faktoren, die einerseits bewusst, anderseits jedoch auch unbewusst wirken können, wie sie Davidson ansatzweise beschreibt, wirken psychologische Faktoren. Um dies zu veranschaulichen, werde ich die Theorie eines Bewusstseins mit teils unabhängigen Unterteilungen von Davidson genauer beleuchten. Dabei werde ich als Grundlage und zur terminologischen Orientierung vorerst grob auf die Voraussetzungen eingehen, die Davidson zur Entstehung willensschwacher Urteile für zentral hält.

In Paradoxien der Irrationalität beschreibt Davidson unbewusste Prozesse als Mechanismen, die zur Willensschwäche führen können. Die Vorstellung über das Funktionieren dieser psychischen Vorgänge bleibt in der an psychoanalytische Theorien knüpfenden Erörterung Davidsons jedoch sehr abstrakt. An dieser Stelle werde ich in einem dritten Teil der Arbeit einige psychologische Phänomene anführen, die Davidsons Theorie ergänzen und konkretisieren sollen. Dazu werde ich kognitive Verzerrungen vorstellen, die zu irrationalen Entscheidungen und Handlungen verleiten. In dieser Arbeit soll somit der Frage nachgegangen werden, wie Davidsons Theorie des Geistes als System mit Subsystemen, die sich gegenseitig mindestens teilweise unbewusst beeinflussen können, konkretisiert werden kann. Die Akzeptanz unbewusster Wirkfaktoren, stellt Davidsons Voraussetzung zur Urteilsbildung ‚unter Berücksichtigung aller Umstände’ in Frage. Den im Verlauf der Arbeit entstandenen Fragen werde ich im letzten Kapitel in Form einer neuen These nachgehen, um mit einer kurzen Zusammenfassung zu schliessen.

Antike Wegbereitung

Sokrates und Platon erklärten Willensschwäche als Problem der Unwissenheit, indem sie die Meinung vertraten, niemand könne wider besseres Wissen agieren und verneinten in diesem Sinn die Möglichkeit eines absichtlichen irrationalen Handelns.[2] In Davidsons Terminologie wird jemand als „willensschwach“ bezeichnet, der im Gegensatz zu dem handelt, was er „unter Berücksichtigung aller Umstände“ für besser hält.[3] Wo die radikal rationale Haltung von Sokrates oder Platon dieser Problematik nicht gerecht werden kann, nähert sich Aristoteles mit dem Vorschlag an, Willensschwäche, die er als Akrasia (griechisch: akrasia für Unbeherrschtheit oder Handeln wider besseres Wissen) bezeichnet, sei ein Problem der Unbeherrschtheit.[4] Für Aristoteles ist es möglich, freiwillig seinem besseren Urteil zuwider zu handeln und zu wissen, dass man es tut. Als Handlungstrieb kommt für Aristoteles neben dem Logos – der reflektierenden Kraft – der Pathos, die Leidenschaft hinzu. Dem Akteur wird ein Wissen zu Gute gesprochen, gegen das er in seiner Unbeherrschtheit, die teilweise von der Leidenschaft ausgeht, handeln kann. Dieses Wissen jedoch unterteilt er in das Wissen, das man hat, ohne es zu gebrauchen und in jenes, das man aktiv nutzt.[5] Zudem unterscheidet er ein Wissen über das Allgemeine und ein Wissen über das Besondere. Um den Fall der Willensschwäche zu erklären, vergleicht Aristoteles das Wissen des Unbeherrschten mit dem eines Betrunkenen, eines Wahnsinnigen oder eines Schlafenden. Das Wissen ist somit im entscheidenden Moment der Handlung vernebelt oder verschleiert, wodurch der Akteur nicht direkt darauf zurückgreifen kann.[6] So gesehen, kann man nicht davon ausgehen, dass Aristoteles dem willensschwachen Akteur eine bewusste Handlung wider besseres Wissen zuspricht. Die antiken Philosophen sehen die Lust im Widerstreit mit der Vernunft, was den grundsätzlich rationalen Akteur in die Irre führen kann.[7]

Die Theorie soll an einem Beispiel veranschaulicht werden: Angenommen, Robert muss eine Seminararbeit verfassen und hat sich den Samstag vorausschauend dafür eingeplant. Nun bekommt er am Freitagabend ein Angebot mit Freunden an ein Fest zu gehen. Er geht hin, da er denkt, nach zwei Stunden nach Hause gehen zu können, um beide seiner Ziele, die in dem Moment präsent sind, verwirklichen zu können. Nach ein paar Stunden Spass mit seinen Freunden kann er sich nicht dazu überwinden, nach Hause zu gehen. Wahrscheinlich würde mir die Allgemeinheit zustimmen, dies als einen Fall der Willensschwäche zu bezeichnen, würde er an diesem Punkt angelangt – entgegen seinem Vorsatz – am Fest bleiben, vorausgesetzt er wäre am nächsten Tag zu müde, um die Arbeit zu schreiben. Nach Aristoteles’ Verständnis sind die beiden Wünsche bei Robert nicht gleich präsent, es handelt sich auch nicht um ein konfligierendes bewusstes und unbewusstes Wissen, von dem seine Entscheidung und die darauf folgende Handlung abhängt. Nach Aristoteles’ Unterscheidung der aktiven und nicht-aktiven Wissensformen, würde Roberts Entscheidung und die folgende Handlung davon abhängen, welcher Teil seines Wissens aktiv wird. Robert würde sich während der Feier nicht bewusst sein über die alternative Handlungsmöglichkeit und deren Konsequenzen, würde dahingehend also ‚vergessen’, dass er dringend eine Arbeit zu schreiben hat, da er sonst seinen Kurs nicht besteht. Ein solches Alltagsbeispiel soll zeigen, dass wir häufig in Situationen kommen, die durchaus zwei Möglichkeiten aufzeigen, deren wir uns bewusst sind. Es kommt vor, dass wir uns gegen Handlungen entscheiden, die wir für die Beste halten. Ich behaupte, dass sich Robert in dem Moment der Entscheidung, an der Feier zu bleiben, darüber im Klaren gewesen sein kann, dass er die Handlungsweise, die er für sich zu dem Zeitpunkt für die Beste hält, in diesem Moment vernachlässigt. Einen unbewussten Anteil, der in diese Entscheidung mitspielt, möchte ich nicht verneinen, würde ihn im willensschwachen Moment aber gerne als einen subtileren Mechanismus ansiedeln, als dies Aristoteles tut.

Donald Davidson knüpft an Aristoteles’ Gedanken an, indem er zustimmt beim willensschwachen von unbeherrschtem Handeln und nicht Handeln wider besseres Wissens auszugehen. Somit kann Willensschwäche auch Fälle betreffen, bei denen eine Person bloss glaubt, die eine Handlung sei besser als die andere.[8] Das Wissen, eine Handlung sei besser als ihre Alternativen wird im Gegensatz zu den äusserst rationalen Haltungen von Sokrates und Platon relativiert. Zu wissen, was in einer konflikthaften Entscheidungssituation die beste Handlungsalternative wäre, setzt eine enorme kognitive Leistung voraus, mitsamt der Einbeziehung jeglicher möglichen Konsequenzen, die eine Handlung nach sich ziehen kann. Aber nicht nur vorausschauend müssten unzählige Faktoren berücksichtigt werden, auch der Moment der Handlungsausführung erfordert die Abwägung vieler sich beeinflussender situativer und personeller Elemente, die sich jeweils wieder in zahlreiche Teile unterscheiden lassen. Auf kognitive Täuschungen und Verzerrungen, die sich aus solchen Konstellationen ergeben, werde ich später genauer eingehen.

[...]


[1] Davidson, Donald: Paradoxien der Irrationalität, S. 89.

[2] Vgl. Davidson, Donald: Paradoxien der Irrationalität, S. 94.

[3] Davidson, Donald: Wie ist Willensschwäche möglich, S. 68.

[4] Vgl. Wolf, Ursula: Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 164-184.

[5] Aristoteles: Nikomachische Ethik, Buch VII, 1146b

[6] Ebd., 1147a

[7] Vgl. Rorty, Amélie: Gesellschaftliche Quellen des akratischen Konflikts, S. 193f.

[8] Davidson, D.: Wie ist Willensschwäche möglich?, S. 67f.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die Möglichkeit von irrationalen Urteilen und Handlungen. Davidsons Auffassung von Willensschwäche
Hochschule
Universität Zürich  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Philosophie der Willensschwäche
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
36
Katalognummer
V299420
ISBN (eBook)
9783656962649
ISBN (Buch)
9783656962656
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Willensschwäche, Ethik, Philosophie, Selbsttäuschung, Psychoanalyse
Arbeit zitieren
Nicole Hauser (Autor:in), 2013, Die Möglichkeit von irrationalen Urteilen und Handlungen. Davidsons Auffassung von Willensschwäche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/299420

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