Goya und die Krise der Tradition des Deckenbildes


Seminararbeit, 2015

45 Seiten

Mascha Ber (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Die drei Deckenfresken

2. Die kompositorische Deckengestaltung
2.1 Gloria
2.2 Regina Martyrum
2.3 Das Wunder des Heiligen Antonius von Padua

3. Die Krise der Tradition des Deckenbildes

4. Literaturverzeichnis

5. Abbildungsverzeichnis

1. Die drei Deckenfresken

Francisco José de Goya y Lucientes hat insgesamt drei Deckenfresken mit jeweils religiösem Thema geschaffen - Die Glorie, auch Die Anbetung des Namens Gottes genannt, im Jahr 1772, Maria als Königin der Märtyrer im Jahr 1781 und Das Wunder des Heiligen Antonius von Padua im Jahr 1798. Die Darstellungsfläche variiert jeweils. Das erste Fresko befindet sich auf der Innenseite des Gewölbes einer Quertonne mit halbkreisförmigem Querschnitt. Es hat eine Größe von fast sieben mal dreizehn Metern. Das zweite Fresko wurde auf die Innenseite einer Pendentifkuppel aufgebracht. Mit einem Kuppeldurchmesser von fast fünfzehn Metern ist es das größte der drei Deckenbilder. Das dritte Fresko befindet sich ebenfalls auf der Innenseite einer Pendentifkuppel, dessen Durchmesser etwa fünfeinhalb Meter beträgt. Zudem sind auch die an das Pendentif anschließenden halbkreisförmigen Bögen und die Bogenfelder der abschließenden Wände freskiert. Alle drei Werke sind Auftragsarbeiten. Dabei sind die ersten beiden Arbeiten, die sich beide in der Basílika de Nuestra Señora del Pilar in Zaragossa befinden, von der letzten Arbeit, die sich in der kleinen Kapelle San Antonio de la Florida in Madrid befindet, zu unterscheiden. Die ersten beiden Aufträge kamen von der kirchlichen Kommission und der letzte Auftrag vom spanischen König. In San Antonio unterstand Goya somit keinem Gremium, vor dem er seine gestalterischen Entwürfe rechtfertigen musste. So wird sich in seinem letzten Werk eine neue thematische Gewichtung erkennbar machen, die aber trotzdem an die formalen Prinzipien seiner früheren Arbeiten anknüpft.

In den aktuellsten Bildbänden von José Manuel Cruz Valdolivos und José Manuel Pita Andrade werden die Deckenmalereien in Zaragossa und in Madrid vor, während und nach ihrer letzten Restauration vorgeführt.1 Besonders die Fresken in San Antonio de la Florida werden in der Literatur vielseitig diskutiert. Einen baugeschichtlichen Überblick San Antonios vom Wallfahrtort, zur Ausmalung der königlichen Kirche und zur Umgestaltung in ein Museum, das heute Goyas Grab beherbergt, gibt Gonzalo Borrás Gualis in Las pinturas de San Antonio de la Florida de Goya.2 Zum gegenwärtigen Sachstand bezüglich Goyas Bildkompositionen sind die beiden umfassenden Werke in deutscher Sprache von Werner Hofmann und Fred Licht zu nennen.3 In Hofmanns Monographie Goya - Vom Himmel durch die Welt zur Hölle wird insbesondere eine „Zonentrennung“ der Deckengestaltung in San Antonio thematisiert.4 Die Darstellung in der Kuppel beinhaltet nach Hofmann eine „profane Diesseitigkeit“ durch die Verlagerung des Themas des Wunders des Heiligen Antonius von Padua, der einen Toten wieder zum Leben erweckt, auf eine irdische Sphäre. Die darunter befindlichen Gewölbeteile beinhaltet dagegen eine „preisende Engelschar, auf die das Auge Gottes von der Apsis her sein transempirisches Licht aussendet“.5 Die „ethische“ Bedeutung des Raumes wird in Lichts Monographie Goya - Die Geburt der Moderne in einen geschichtlichen Verlauf der Bildkonstruktion von Giotto über Tiepolo bis hin zu Goya eingebunden.6 Die einst illusionistisch barocke Deckengestaltung, die als „Bühne für den göttlichen Willen“ dienen sollte, ist bei Goya einem „erdgebundenen“ Deckenraum gewichen, bei dem der Betrachter die „Schwerkraft“ förmlich spüren könne.7 Nicht zuletzt wird im Folgenden auf umfassende künstlerbiographische Rekonstruktionen vom Werdegang und Lebenswerk Goyas zurückgegriffen, wie auf die großen Schriften von José Gudiol Goya - 1747-1828 und von Pierre Gassier und Juliette Wilson Goya - Life and Work.8

2. Die kompositorische Deckengestaltung

Sowohl in Zaragossa als auch in Madrid lassen sich Übernahmen verschiedener europäischer Stilausprägungen in Goyas Werken erkennen. Gleichwohl werden diese nicht nur rezipiert, sondern in ihrer bildlichen Konstruktion neu interpretiert. Oft werden diese kirchlichen Bilder Goyas mit einer Art „Gleichgültigkeit“ gegenüber der theologischen Metaphorik und sogar einer Art „Derbheit“ in ihrer spirituellen Symbolik verstanden - aber der Künstler sei nur „derb, wie jedermann, der Mysterien zu interpretieren sucht, als seien sie Tatsachen“.9 So bemerkt Licht, dass zu dieser Zeit die „Tradition der religiösen Meditation“ zerbrochen wäre.10 Die dargestellten religiösen Themen würden keinen als wahrhaftig anmutenden Gotteshimmel mehr illusionieren. Die kompositorisch illusionistische Deckengestaltung transformiert ins Sinnbildliche.

So scheint die konventionelle perspektivische Konstruktion des sotto in su bei den hier zu betrachtenden Deckenfresken allmählich vernachlässigt zu werden. Spürbar hingegen ist in allen Werken eine dreigeteilte Kompositionsgestaltung. Dabei folgt der Künstler zunächst der tradierten Bildaufteilung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund, wie in seinem ersten Deckenbild zu sehen sein wird. Schon in der zweiten Deckengestaltung werden diese drei Ebenen nicht nur durch ihren thematischen Inhalt, sondern auch durch ihre Platzierung auf den architektonischen Elementen voneinander isoliert. Schlussendlich werden diese Zonen im dritten Deckenfresko sowohl thematisch wie gestalterisch als auch architektonisch voneinander getrennt. Das allgemeine Charakteristikum ist das kompositorisch harmonische Gegenüberstellen von figürlichen Gruppendarstellungen. Zur Verstärkung des kompositionellen Zusammenhangs der Figuren werden architektonische Hintergründe auf unterschiedliche Weise genutzt. Kennzeichnend für Goyas Œuvre ist nicht zuletzt der Gebrauch starker und aussagekräftiger Farben. Die Palette reicht von hellen bis dunklen Tönen, welche in einem pastosen bis kaum erkennbaren Pinselduktus aufgetragen sind. Auffallend ist, dass die Farbwahl der einzelnen Kompositionsteile zunehmend in einem merklichen Kontrast zu der Farbwahl der anderen Kompositionselementen steht.

2.1 Gloria

Die Basílika del Pilar befindet sich in der Stadtmitte (Abb. 1). Sie wurde Ende des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts nach einem Brand neu erbaut. Der Bau scheint vor allem von außen im Längs- sowie im Querschnitt weitestgehend symmetrisch zu sein. In der Mitte befindet sich eine große Kuppel. Von diesem mittleren Joch gehen seitlich jeweils drei weitere Joche ab, die aus einem Mittelschifffeld und zwei Seitenschifffeldern bestehen. Wiederum befindet sich in den mittleren Mittelschifffeldern jeweils eine, diesmal etwas kleinere Kuppel, die an den Ecken von jeweils vier noch etwas kleineren Kuppeln umringt wird. Der Bau wird von vier hohen Ecktürmen flankiert. Zum Rand hin reihen sich kleinere Kapellen.

Vom großen Platz aus betritt der Besucher die Kirche durch den südöstlichen Eingang (Abb. 2). Zur Linken, über der Kapelle, ist die Kuppel mit einem Fresko von der Ankunft der Heiligen Jungfrau von Ventura Rodríguez geschmückt. Der Legende nach ist Maria dem Apostel Jakobus dem Älteren an dieser Stelle auf einer Säule erschienen. Direkt gegenüber ist der kleine Chor mit Goyas Gloria ausgestattet, welches im Jahre 1772, zwanzig Jahre nach der Kuppelausgestaltung von Rodríguez, fertig gestellt wurde (Abb. 3). Befindet sich der Betrachter eben zwischen Kapelle und Chor würde er zuerst die Engelreigen zur Wandseite hin wahrnehmen. Bei einigen Schritten vorwärts würde er schließlich auch das Zeichen der Trinität sehen. Das Fresko wird von einem kleinen Fenster in östlicher Richtung beleuchtet - dabei ist die Richtung der natürlichen Beleuchtung eigentlich entgegengesetzt zur gemalten Lichtrichtung in dem Bild, da diese aus dem Trinitätszeichen zu entspringen scheint. Die kassettierte Deckenwölbung ist mit Rosetten geschmückt. Die Lünette ist mit relieffierten Engelsfiguren bestückt. Insgesamt ist der Bauschmuck in einem Hell-Dunkel-Kontrast gehalten, so dass das Deckenbild mit seinen warmen Braun- und Rottönen im Fokus des Betrachterauges steht. Thematisiert wird die Verherrlichung Gottes von himmlischen Chören. Dazu passend stehen unten im Raum eine kleine Orgel und ein Altar für das Gloria.

Im Vordergrund scheinen großfigurige Engelsdarstellungen in die Szenerie einzuleiten (Abb. 4). Ihre Gewänder sind in Primärfarben gehalten.11 Auffallend ist vor allem die Figurengruppe der Sitzenden und Liegenden etwas links von der Mitte und zudem die Figurengruppe mit den Musikinstrumenten weiter rechts. Sie alle blicken auf das göttliche Zeichen, in welchem auch wörtlich der Name Gottes in Hebräisch erscheint. Die beiden Figurengruppen bilden zusammen mit dem Gottessymbol in der Bildkomposition ein Dreieck. An den unteren Enden des kompositorischen Dreiecks gruppieren sich wieder Figuren, die allerdings vom Bildrand teilweise angeschnitten sind. Mittig im Vordergrund verläuft die Darstellung von Wolken mit putti über den eigentlichen Bildrand hinaus, so dass die vorstehende Fensterrahmung mitfreskiert wurde.12 Im Mittelgrund tummeln sich weitere Engelsscharen. Die Figuren im Hintergrund sind nur noch erahnbar. Die Engel sitzen oder stehen auf Wolken, die in einer scherenartigen Anordnung den Blick auf den Namen Gottes freigeben.

Die Ausmalung des Chorgewölbes war eines der ersten großen Aufträge für Goya. Auch war er zu dieser Zeit bemüht, Mitglied der Akademie der Schönen Künste in Madrid zu werden.13 Um sein künstlerisches Können unter Beweis zu stellen, scheint es, als ob er sich bewusst an bekannte Traditionen der Gloriendarstellung anlehnt. Dementsprechend erkennt man Ähnlichkeiten zu El Grecos Glorie - besonders, wenn man sich die untere Hälfte des Bildes wegdenken würde (Abb. 5). Das Ölbild ist fast zweihundert Jahre zuvor für König Philipp II. angefertigt worden und hängt heute im El Escorial. Der Bildaufbau teilt sich in eine irdische und eine himmlische Sphäre. Auf Erden kniet zur Linken eine Menschenmenge, die in Gottesverehrung zum Himmel hinaufblickt. Unter ihnen im Vordergrund befindet sich in Schwarz gekleidet der spanische König selbst, Papst Pius V., der Doge von Venedig Mocenigo, Admiral Don Juan de Austria und Marcantonio Colonna. Rechts im Bild scheint ein Seeungeheuer die Männer, die in der Schlacht bei Lepanto im Jahre 1571 gefallen sind, zu verschlingen.14 Von dieser politischen Allegorie gelöst erscheint der überirdische Bereich, in welchem Scharen von Engeln auf Wolken dem Monogramm Christi, IHS mit dem Zeichen des Kreuzes, entgegen schweben. Auch hier bildet das Symbol mit den Engeln zu seinen Seiten ein kompositorisches Dreieck und auch hier sind die äußeren Figuren angeschnitten. Bei El Grecos Werk öffnen sich die Wolken kreisförmig zum Betrachter hin. Es scheint so, als ob sich ein Raum dem Betrachter hin auftun würde. Dieser kann aber nur von unten zuschauen. Gleichfalls scheint der Betrachter auf die Menschen in der irdischen Welt hinunter zu blicken, da diese in der Aufsicht dargestellt sind. Die Engelsfiguren in der himmlischen Welt werden in der Untersicht gezeigt.15

Goyas Bildaufbau schafft dagegen keinen illusionistischen Raum. Es folgt der klassischen Gemäldekomposition in Vorder-, Mittel- und Hintergrund und wird zudem in einem Stuckrahmen präsentiert. Es ist also ein quadro riportato.

2.2 Regina Martyrum

Das Fresko Regina Martyrum, welches neun Jahre später gemalt wurde, ist im Gegensatz dazu nicht als ein einzelnes Werk angelegt, sondern als Teil einer seriellen Kuppelgestaltung unter der Leitung von Francisco Bayeu, der Goyas Schwager war (Abb. 6 und 7). Es wurden nur die Decken der südöstlichen Joche freskiert - also in den Seitenschiffen die vier Kuppeln, dazwischen die zwei gewölbten Decken über einem kreisförmigen Grundriss und im Mittelschiff zwei rechteckige Deckenbilder auf einer Längstonne mit halbkreisförmigen Querschnitt. Die drei unterschiedlichen Darstellungsflächen werden jeweils durch eine formal gestalterische Ähnlichkeit optisch miteinander verbunden. Der dargestellte Inhalt aller Fresken thematisiert die Verherrlichung Mariens. Im Weiteren soll ausschließlich das Regina Martyrum in Bezug auf ihre artifizielle Rezeption im architektonischen Raum und auf ihren kunsthistorischen Kontext analysiert werden. Ebenso wie bei der Gloria ist auch hier eine kompositorische Einteilung in drei verschiedenen Ebenen erkennbar (Abb. 8).

In der untersten Ebene beinhalten die sphärischen Dreiecke weibliche allegorische Darstellungen von vier Tugenden, die jeweils von zwei bis drei putti umspielt werden (Abb. 9). Angefangen in nordöstlicher Richtung erblickt man die Allegorie des Glaubens mit verschleiertem Blick. In ihrer rechten Hand hält sie einen Lichtkegel und in ihrer linken Hand hält sie ein Kreuz. Ihr nackter rechter Fuß ist frontal dem Betrachter zugewandt. Weiter, gegen den Uhrzeigersinn betrachtet, erkennt man die Allegorie der Geduld mit einem putto rechts im Hintergrund, der ein Joch hält. Die Darstellung der Wolke, auf der die weibliche Figur sitzt, ragt teilweise über die Bildrahmung hinaus. Die Allegorie der Stärke ist in einer Rüstung gekleidet. Über ihre rechte Schulter lehnt ein Speer und in ihrer linken Hand hält sie ein Schild. Wiederum übertritt die Wolke im unteren Zwickel den Bildrand. Die Allegorie der Mildtätigkeit umarmt drei putti inniglich. Die Wolke im unteren Zwickel scheint sich weitestgehend aus[geschaltet] und […] sich [der] Versinnlichung des Tiefenraumes, der Maßstababnahme und luftperspektivischen Verklärung zu[gewendet]“. Die Menschenmasse nach hinten, die nach rechts in einer Hinrichtungsszene mit Galgen verläuft, wird nur noch schematisch dargestellt. Vgl. Halldor Soehner: Greco in Spanien. Teil 1: Grecos Stilentwicklung in Spanien (Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, Dritte Folge, Band VIII), München 1957, S. 123-194, hier S. 126. innerhalb des Bildrahmens zu befinden. Generell sind die Pendentifbilder in dunkel gedämpften Farbtönen gehalten. An der nördlichen Wand befindet sich ein Okulus, der insbesondere den südöstlichen Eckzwickel zu erhellen scheint, da dieser mehr Gelbtöne enthält. Die in den Abbildungen dargestellte Beleuchtung scheint den Tageszeiten zu entsprechen. Die Personifikation der Geduld erstrahlt im Morgenlicht. Weiter variiert das dargestellte Licht von der Mittags- bis zur Abendsonne. Die Personifikation der Geduld befindet sich letztlich im Nachhimmel. Alle weiblichen Figuren blicken seitlich nach oben, so dass der Blick des Betrachters zur Kuppel gelenkt wird.

Die Kuppel ist mit einem zylinderförmigen Tambour unterbaut, der mit weißen vollplastischen Stuckengeln geschmückt ist, die eine goldene Girlande halten. Entlang des Kuppelrandes scheint sich eine Vielzahl von Märtyrern auf Wolkenformationen zu tummeln (Abb. 10). Dabei ist die Figurengruppe in östlicher Richtung direkt unter der Erscheinung Mariens dem Bildrand besonders nahe. Alle Blicke der Märtyrer gelten Maria. In nördliche und südliche Richtung werden die Figuren kleiner und in blasseren Farben dargestellt. Auch sind die Wolken, auf denen sie platziert sind, weiter vom Kuppelrand entfernt. Mit zunehmender Entfernung zur Erscheinung Mariens scheinen die Blicke der Märtyrer auf die entgegengesetzte Seite der Kuppel zu schweifen. Nur das Gesicht des geköpften San Lamberto ist dem Betrachter gerade zugewandt, allerdings sind seine Augen geschlossen. Die westliche Figurengruppe ist in ihrer großformatigeren Ausführung und kontrastreicheren Farbgebung als Spiegelbild zur östlichen Figurengruppe zu verstehen.16 Die Aufmerksamkeit der Märtyrer ist diesmal nicht auf die Erscheinung Mariens, sondern auf ihr schriftliches Zeichen hin bezogen - putti tragen ein Band mit der Aufschrift REGINA MARTIRVM.

So kann man in der oberen Ebene der Kuppelbildkomposition eine ellipsenartige Form feststellen, die durch die Polarisierung der thematischen Darstellung zu erklären ist - auf der einen Seite die bildliche Figur Mariens und auf der anderen Seite ihre wörtliche Präsens im Schriftband, das von Engeln begleitet wird. Diese letzte Ebene der Komposition gehört den Engeln und putti, die allerdings im Vergleich zu der Ebene der Märtyrer nur in spärlicher Zahl auftreten. Die vorzugsweise verwendeten Primärfarben scheinen hier besonders leuchtend. Dieser Eindruck wird auch durch den natürlichen Insgesamt wird die Farbkomposition durch einen starken Kolorismus der führenden Grundfarben bestimmt. Held spricht in diesem Zusammenhang - wenn auch nicht explizit auf das Zaragossa-Fresko verweisend - von einer „koloristischen Valeurmalerei“. Die intensiven Hauptfarben entsprechen meistens der am Bildrand zusammengefassten Figurenkomposition. Nach unten hin werden sie durch dunkle Werte und nach oben hin durch aufgehellte, zarte Farben abgeleitet. Vgl. Held 1964 (Anm. 11), S. 147f. Im dritten Deckenfresko Goyas extremisiert sich diese Hell-Dunkel-Malerei dahingehend, dass jeder einzelnen kompositorischen Zone eine noch kontrastierendere Farbigkeit zugesprochen wird.

Lichteinfall von oben verstärkt. Das Kuppelbild wird durch einen stuckierten goldenen Kranz mit weißen putti nach oben zur Laterne hin abgeschlossen. Zusammen mit der stuckierten Tambourzone erscheint das Fresko dadurch gerahmt. Obwohl das Werk deutlich durch verschiedene Kompositionsebenen strukturiert wird, scheint es genauso wie Die Glorie keine illusionistische Tiefenwirkung zu erzeugen. Es fehlen Fluchtlinien oder ein raumschaffender Horizont. Anstatt Konvergenzpunkte in der Bildkomposition, die einen optischen Verlauf der einzelnen Motive im Bild ergeben, werden die untere, mittlere und obere Ebene durch ihren thematischen Inhalt und die architektonischen Gegebenheiten arrangiert.

Giovanni Lanfrancos Kuppelfresko in Sant’Andrea della Valle, welches etwa hundertfünfzig Jahre zuvor in Rom entstand, weist einen ähnlichen kompositorischen Aufbau wie Goyas Kuppelfresko auf (Abb. 11). In der untersten Ebene sind die Pendentive mit großformatigen Figurenbildern ausgestattet und das Kuppelbild scheint hauptsächlich in zwei konzentrische Kompositionsebenen aufgeteilt zu sein. Allerdings sind in dieser Darstellung die Wolkenformationen vielschichtiger und die Figuren zahlreicher. Vor allem zum Gewölbescheitel hin scheint die Zahl der abgebildeten Figuren schier endlos zu werden. Es ist anzunehmen, dass Goya auf seiner Italienstudienreise das Werk gesehen hat, trotzdem verzichtet er auf die illusionistische Ausweitung des realen Raumes zugunsten einer Öffnung des Bildraumes oberhalb der Gesimsleiste. Der Betrachter kann die Abbildungen entlang dem Tambour nur durch das schräg nach oben Blicken und durch das gleichzeitige Umkreisen der Kuppel im Seitenschifffeld erfahren.

Das Fehlen der perspektivischen Verkürzung orientiert sich wahrscheinlich an den prominenten Deckenfresken im Palacio Real in Madrid von Giambattista Tiepolo und Anton Raphael Mengs.17 In dem hier gewählten Beispiel, Der Glorie Spaniens von Tiepolo, welches etwa fünfzehn Jahre zuvor entstand, ist eine Konzentrierung von irdischen Figuren zum Deckenrand hin sichtbar (Abb. 12). Die Figuren sind direkt an den Rand eines Muldengewölbes angelegt, so dass sie einem Betrachter, der perspektivisch illusionistische Raumwirkungen gewöhnt ist, fremdartig erscheinen müssen. Die Darstellung des freien Himmels, der von Wolkenformationen gerahmt wird, bleibt auch weiterhin eine Zone, die ausschließlich den himmlischen Wesen vorbehalten ist.18 Diese werden zwar in extremer Untersicht gezeigt, dennoch scheint auch hier eine Tiefenwirkung durch den großflächigen Farbauftrag und die helle Farbwahl zu fehlen. Vor allem die breite und opulent verzierte Stuckleiste verstärkt den Eindruck eines gerahmten Gemäldes.19

Auch schon bei Luca Giordanos Deckengemälden für das königliche Kloster im El Escorial ist eine kompositorische Randverlagerung erkennbar. In seinem Fresko Die Dreifaltigkeit in der Engelsglorie im großen Treppenhaus, welches etwa neunzig Jahre zuvor gemalt wurde, fällt der Blick des Betrachters, der die imperiale, zweiläufig symmetrische Haupttreppe hinaufkommt, zunächst auf die vielfigurigen Darstellungen an den Gewölbebegrenzungen (Abb. 13 und 14). Gezeigt werden fast ausschließlich allegorische Gestalten auf vielschichtigen Wolkengebilden. Nur wenn der Betrachter das erste Geschoss erreicht hat, kann er auf der gegenüber liegenden Deckenseite drei Figuren sehen, die an einer Balustrade stehen. Über ihnen öffnen sich die Wolken und geben den Blick auf den blauen Himmel frei. Sie repräsentieren die christliche Herrschaft auf Erden unter der spanischen Monarchie. Diese wird in der Mitte der Decke im dargestellten Trinitätshimmel weiter verherrlicht.20

Bei Goyas Kuppelfresko mag die gestalterische Fokussierung des Deckenrandes ebenso wie bei Giordanos Treppendeckenbild damit begründet sein, dass der Betrachter beim Durchschreiten der großen Basilika die Abbildungen schon von Weitem erkennen kann (Abb. 15). Dabei nimmt die architektonisch vorgegebene Tambourzone einen Teil der Schrägsicht ein, so dass die Darstellung zur besseren Lesbarkeit dicht an den Rand gerückt werden muss. Anders als Giordano vernachlässigt Goya die perspektivische Verkürzung zum Deckenzentrum. In Anlehnung an Tiepolo scheint sich die reale optische Erfahrung des Betrachters, von unten nach oben, durch die eher frontalperspektivische Darstellung der Figuren am Bildrand zu relativieren.

2.3 Das Wunder des Heiligen Antonius von Padua

Bei der Kapelle San Antonio de la Florida sind die architektonischen Dimensionen wesentlich kleiner (Abb. 16). Etwa eineinhalb Kilometer vom Palacio Real entfernt, lag es früher in einem Wäldchen, dass vom König für die Jagd genutzt wurde. Karl IV. veranlasste die Neuerrichtung des Gotteshauses unter Felipe Fontanas Leitung von 1792 bis 1798. Der königliche Auftrag für die Deckenausmalung an Goya erfolgte im Frühjahr 1798 und im Sommer 1799 wurde San Antonio eingeweiht.21 Die kuppelüberdeckte Kirche ist über dem Grundriss von der Form eines griechischen Kreuzes gebaut. Im Zentrum befindet sich eine Pendentifkuppel, die den meisten Platz einnimmt. Von dieser gehen sehr kurze tonnengewölbte Kreuzarme ab. Freskiert sind alle Gewölbeteile. Die einzelnen Felder werden durch die weiß verputzten Gurtbögen segmentiert. Die Kuppel ist durch einen breiten Fries umringt. Auch hier lässt sich das Gesamtwerk wieder in drei Kompositionsebenen einteilen (Abb. 17). Beim Eintreten in den Raum blickt der Betrachter zuerst in die Apsis in nordöstlicher Richtung mit der Darstellung der Anbetung der Dreifaltigkeit. Die Bögen und Bogenfelder beinhalten Darstellungen von weiblichen Engelsfiguren und putti. Und zuletzt in der Kuppel findet sich die Darstellung der Szene Des Wunders des Heiligen Antonius, der einen Toten wieder zum Leben erweckt.

Eingangs erfasst der Betrachter den Hochaltar in der Apsis, der von einer geschnitzten und vergoldeten Aureole bekrönt wird. Dargestellt inmitten eines Strahlenkranzes und umringt von zwei Engelsfiguren wird die symbolische Dreifaltigkeit in der Form des Dreiecks (Abb. 18). Die Glorie ragt über das umlaufende Kranzgesims hinaus, so dass es plastisch vor dem Gewölbefresko vorgelagert ist. Die im Fresko gezeigten weiblichen Engelsfiguren nehmen dicht gereiht jeden Platz der Wölbung um die Plastik herum ein. Teilweise stehen sie auf Wolken und teilweise schweben sie im Bild. In ihrer Körperhaltung sind sie dem Licht zugewandt, dass vom Strahlenkranz auszugehen scheint. Der kompositorisch eingefasste dreidimensionale Körper gibt nach Hofmann der „prosaischen Malerei“ eine „Aura materieller Kostbarkeit“.22 Die himmlische zweidimensionale Scheinwelt verwandelt sich in die Konsistenz der Goldglorie. Danach ist die Leserichtung der inhaltlichen Zusammenstellung von oben nach unten.

[...]


1 Cruz Valdolivos, José Manuel: La cúpula “Regina martyrum” de la Basílica del Pilar. In: Monumentos restaurados, Madrid 2008, Band VIII. Und: Pita Andrade, José Manuel: San Antonio de la Florida y Goya. La restauración de los frescos, Madrid 2008. Bezüglich der Wiederherstellung der Innenausstattung San Antonios finden sich drei weitere Werke, die während der Restaurationszeit entstanden sind. Sie geben einen detaillierten Einblick in die verwendeten Materialien und Arbeitstechniken des Künstlers. Vgl. Maria José Rivas: Frescos de Goya. Guía de la Ermita de San Antonio de la Florida, Madrid 1994. Vgl. José Rogelio Buendía: La Ermita de San Antonio de la Florida. Historia e itinerario artistic, Madrid 1992. Und vgl. Juan Ruiz Pardo: Restauración de las pinturas murals de Goya en San Antonio de la Florida. In: Leticia Ruiz Gómez (Hg.): En torno a la pintura mural. Curso Internacional de Restauración. Centro de Estudios del Románico, Aguilar de Campoo 1991, S. 69-74. Eine vollständige und meist farbige Wiedergabe der Fresken in San Antonio vor der Restauration gibt die Publikation von Enrique Lafuente Ferrari: Goya. Die Fresken in San Antonio de la Florida zu Madrid, Genf 1955.

2 Borrás Gualis, Gonzalo M.: Las pinturas de San Antonio de la Florida de Goya, Madrid 2006.

3 Zur weiteren deutschsprachigen kunsthistorischen Rezeption Goyas vgl. Peter-Klaus Schuster, Wilfried Seipel und Manuela B. Mena Marqués (Hg.): Goya. Prophet der Moderne, Köln 2005.

4 Hofmann, Werner: Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, München 2003. Der nach Goethes Faust I. zitierte Untertitel verweist einerseits auf eine spirituelle Bewegung zwischen den Polen der christlichen Weltordnung und andererseits auf einen entwicklungsgeschichtlichen Sinn, den Goya als Künstler zurückgelegt hat. Das Referenzwerk umfasst seine Anfänge als Kirchenmaler im heimatlichen Zaragossa über die profane Karriere des Madrider Hof- und Gesellschaftsmalers einschließlich der satirischen Kehrseite in den Caprichos bis hin zu den Nacktheiten und seelischen Tiefenschichten seiner Schwarzen Gemälden.

5 Ebd., S. 150.

6 Licht, Fred: Goya. Die Geburt der Moderne, München 2001.

7 Ebd., S. 71.

8 Gudiol, José: Goya. 1746-1828, Barcelona 1970. Und: Gassier, Pierre und Juliet Wilson: Goya. Life and Work, hg. v. François Lachenal, Köln 19941970.

9 Licht 2001 (Anm. 6), S. 61.

10 Ebd., S. 54.

11 Die Farbkomposition der einheitlichen Licht- und Raumgestaltung des Bildes wird gegliedert durch die auffällige Farbigkeit der Gewänder der Engelsfiguren in einem kühlen bis grünlichen Blau, einem hellen Ocker und einem hellen bis bräunlichen Zinnoberrot. Die sich wandelnde Farbbewegung in der ganzen Darstellung ist fließend, so dass eine Raumtiefe illusioniert wird. Am stärksten sind die „Trias-Farben“ in den mittig vorderen Figurengruppen und in dem Gotteszeichen vorhanden. Jutta Held beschreibt diese farbliche Zusammenfügung der kompositorischen Hauptgruppen als noch „ohne Spannung“ zu ihrer bildlichen Umgebung. Die Hauptfarben werden sich in Goyas zweitem Fresko intensivieren. Vgl. Jutta Held: Farbe und Licht in Goyas Malerei, Berlin 1964, S. 10.

12 Die Bildbegrenzung scheint auch an der rechten unteren Ecke nicht klar definiert zu sein. Der Rahmen wurde allerdings durch einen Bombenanschlag im Spanischen Bürgerkrieg beschädigt. Zur Mahnung an das Ereignis wurde das entstandene Loch nicht glatt verputzt.

13 Gassier und Wilson 1994 (Anm. 8), S. 38.

14 Scholz-Hänsel, Michael: El Greco. Bildbesprechungen. In: Beate Wismer und Michael Scholz-Hänsel (Hg.): El Greco und die Moderne, Ostenfildern 2012, S. 46-153, hier S. 68.

15 Trotz der gewählten Frosch- und Vogelperspektive für die unten und oben im Vordergrund auftretenden großfigurigen Hauptakteure wird „die in die Tiefe führende Linienperspektive 7

17 Gassier, Pierre: Goya. A Witness of his Times, London 1983, S. 26f.

18 Zur neuen Gewichtung der Komposition entlang dem Deckenrand und dem stärkeren Einbezug der Darstellungen in irdische Geschehnisse und „zweckgeleitete Gesten“ vgl. Jutta Held: Francisco de Goya in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 13f.

19 Nach Licht sei „Illusionismus fehl am Platze in der spanischen Architektur“. Der gebaute Raum wird als eine Masse verstanden, die nicht durch perspektivische Konstruktionen gebrochen werden kann. Wohl aber kann ein architektonisches Element wie ein Gesims als Standpunkt gemalter Figuren dienen, wodurch diese als „realer“ wahrgenommen werden. Vgl. Licht 2001 (Anm. 6), S. 69f.

20 Zur komplexen ikonographischen Struktur der Pietas Austriaca vgl. Ausst.kat. Cortes del Barroco. De Bernini y Velázquez a Luca Giordano, hg. v. Fernando Checa Cremades, Madrid (Palacio Real) / Aranjuez (Palacio Real) / Rom (Scuderie del Quirinale) 2003.

21 Papst Pius VI. fügte die ehemalige Ermitage dem königlichen Palast bei. Vgl. Gassier und Wilson 1994 (Anm. 8), S. 139f.

22 Hofmann 2003 (Anm. 4), S. 150f.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Goya und die Krise der Tradition des Deckenbildes
Autor
Jahr
2015
Seiten
45
Katalognummer
V299963
ISBN (eBook)
9783656973669
ISBN (Buch)
9783656973676
Dateigröße
7529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
goya, krise, tradition, deckenbildes
Arbeit zitieren
Mascha Ber (Autor:in), 2015, Goya und die Krise der Tradition des Deckenbildes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/299963

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