Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen der Freundschaft im modernen Zeitalter der sozialen Onlinenetzwerke. Was machen Onlinenetzwerke, wie Facebook & Co mit unserem hohen Gut der Freundschaft? Inwieweit verändert sich die Struktur? Mithilfe von drei narrativen Interviews soll diesen Fragen auf den Grund gegangen werden.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1.Einleitung
1.1 Forschungsbereich und Forschungsstand
1.2 Gliederung der Arbeit
2. Theoretischer Teil
2.1 Zum Begriff von Freundschaft
2.1.1 Krisen innerhalb von Freundschaft
2.2 Soziale Onlinenetzwerke am Beispiel von Facebook
2.3 Was unterscheidet einen Freund von einem ‚Freund’?
2.4 Die Intensität der Verbindungen: weak ties und strong ties
3. Methodischer Teil
3.1 Das narrative Interview
3.2 Grounded-Theory-Methodologie
3.2.1 Was ist die Grounded-Theory-Methodologie?
3.2.2 Analyse und Auswertung mit der Grounded-Theory-Methodologie
3.3 Zur Relevanz der theoretischen Grundlagen
4. Implikation der Erhebungs- und Auswertungsmethode für die vorliegende Arbeit
5. Vorbereitung, Datenerhebung und Aufbereitung der Interviews
5.1 Auswahl der Interviewten
5.2 Ablauf der Interviews
5.3 Transkription der Interviews
6. Analytischer Teil
6.1 Einzelbeschreibung Mia
6.1.1 Kurzreflexion Mia
6.1.2 Analyse des Interviews Mia
6.2 Einzelbeschreibung Helena
6.2.1 Kurzreflexion Helena
6.2.2 Analyse des Interviews Helena
6.3 Einzelbeschreibung Jakob
6.3.1 Kurzreflexion Jakob
6.3.2 Analyse des Interviews Jakob
7. Komparative Analyse der drei narrativen Interviews
8. Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse
9. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Transkript Mia
Transkript Helena
Transkript Jakob
Gender Erklärung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1.Einleitung
„Denn niemand würde wählen, ohne Freunde zu leben, auch wenn er alle übrigen Güter hätte“ (Aristoteles in Müller 2012: 6).
Der gegenwärtige Begriff Freund muss ausgehend von diesem Zitat Aristoteles, konkretisiert und reflektiert werden. Sicherlich würde Aristoteles die heutige Anzahl der Freunde in sozialen Onlinenetzwerken, wie beispielsweise Facebook, nicht der wahren Freundschaft zuordnen. Der bekannte Philosoph unterschied zwischen Nutzen- und Tugendfreundschaften und grenzte die letztere scharf von der Nutzenfreundschaft ab. Für Aristoteles ist diese Freundschaft durch eine Beendigung der Relation charakterisiert, sobald der erstrebte Nutzen erreicht ist (vgl. Steinberger 1955: 160). Die Tugendfreundschaft überragt deshalb, im Sinne von Aristoteles, die sogenannte Zweckfreundschaft (vgl. Höffe 2010: 235).
Heutzutage gebrauchen wir den Begriff der Tugendfreundschaft in der Alltagssprache zwar nicht mehr, dafür ist die Bezeichnung des Sandkasten-Freundes aber mit ähnlichen Attributen belegt und steht somit antagonistisch dem Online-Freund gegenüber. Immer wieder titeln Zeitungen und Magazine die beruhigende Nachricht, dass die Zeiten der echten Freunde trotz sozialer Onlinenetzwerke noch nicht vorbei sind.[1] Gleichzeitig prangern die Medien aber den Umgang mit Freundschaft bei Facebook an und warnen in Dokumentationen vor dem Milliardengeschäft mit der Freundschaft.[2] Begrifflich lassen sich die Freunde bei Facebook schwierig von den langjährigen Schul- und Sandkasten-Freunden abgrenzen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich der Terminus des Freundes nicht erst über Jahre hinweg ausgedehnt hat. Dieser stand schon früher für zahlreiche Bezeichnungen menschlicher Verknüpfungen (vgl. Müller 2012: 6). Darunter ist nicht nur Freundschaft zwischen vertrauten Menschen zu verstehen, sondern auch Beziehungen zwischen Verwandten sowie geschäftliche Verknüpfungen (ebd.).
Wer seiner Meinung nach über zu wenig Freunde verfügt, der kann sich Online-Freunde im 10.000er-Pack kaufen, die sogar anhand bestimmter Merkmale ausgewählt werden können (vgl. Prüller 2010: 15). Diese „Kommerzialisierung des Freundschaftsbegriffes“ (Prüller 2010: 15) geht mit der Ausbreitung von sozialen Onlinenetzwerken einher und erweitert den Begriff nicht nur, sondern stellt ihn auf eine neue Ebene – auf die ökonomische Ebene. Freunde kann man in der heutigen Zeit nicht nur in Mengen im Internet kaufen, sie spielen auch die Hauptrolle bei Werbeaktionen. Das Marketingkonzept der Fastfoodkette ‚Burger King’ versprach im Jahr 2010 einen kostenlosen Burger, wenn zehn Facebook-Freunde aus der eigenen Liste gelöscht wurden. Die Werbeaktion war ein voller Erfolg, woraus sich schließen lässt, dass ein Burger demnach für viele Menschen mehr wert ist als Facebook-Freunde (vgl. Boltres-Streeck, Femers 2012: 227). Für die Konstruktion des Freundebegriffs kann diese Entwicklung in die Richtung eines neuen Sinngehalts gehen. Daher ist anzunehmen, dass das Konzept Freundschaft einer Veränderung durch den medialen Einfluss unterliegt. Inwieweit dieser Einfluss die Charakteristika der Freundschaft verändert, soll mithilfe einer qualitativ-empirischen Forschung herausgefunden werden.
1.1 Forschungsbereich und Forschungsstand
Freundschaft ist ein komplexes Phänomen, welches sich schwer definieren lässt, dennoch aber viele Menschen permanent im Alltag begleitet und maßgeblich zur Qualität des Lebens beiträgt. Nicht nur die Familie steht als Ratgeber zur Seite und leistet in schwierigen Zeiten Beistand, auch die Freunde werden häufig als Wegbegleiter bezeichnet, womit ihnen eine wichtige Funktion zugeschrieben wird (vgl. Nötzoldt-Linden 1994: 19). Doch die gesellschaftliche Ausdifferenzierung und der Technikfortschritt lassen das Gerüst der Freundschaft brüchig werden (vgl. Wanhoff 2012: 65). Das Aufkommen einer Vielzahl von sozialen Onlinenetzwerken, welche sich dem Konzept Freundschaft versuchen anzupassen und eine bessere Pflege sowie eine einfachere Handhabung von sozialen Beziehungen versprechen, wird dem komplexen Prinzip der Freundschaft nicht gerecht. Dabei ist zu erwähnen, dass es zu dieser Thematik bereits Ausarbeitungen gibt, welche das Konstrukt der Freundschaft unter dem Einfluss sozialer Onlinenetzwerke untersuchen. Daran anknüpfend lassen sich drei wertvolle Beiträge für diese Arbeit benennen: ‚Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web’ von Klaus Neumann-Braun und Ulla Autenrieth, ‚Facebook und Co’ von Bernadette Kneidinger und ‚Soziale Onlinenetzwerke und die Mediatisierung der Freundschaft’ von Kai Erik Trost. Diese Werke verknüpfen das Konstrukt der Freundschaft mit dem Aufkommen der sozialen Onlinenetzwerke und legen dabei unterschiedliche Schwerpunkte.
Um sich dahingehend von anderen Elaboraten abzugrenzen und zu unterscheiden, wird der Fokus in dieser Arbeit auf die Veränderung von Kommunikation innerhalb freundschaftlicher Beziehungen gelegt. Der spanische Soziologe Manuel Castell hat sich schon sehr früh mit der Entstehung der Netzwerkgesellschaft beschäftigt. Er geht davon aus, dass die verbreitete Nutzung der neuen Kommunikationsmittel einen Wandel des Austausches sowie eine Überlagerung der traditionellen Kommunikationsmittel bedeutet (vgl. Kneidinger 2010: 49 f.).
Der Prozess der Mediatisierung[3] innerhalb von Freundschaften führt zu der Forschungsfrage dieser Arbeit:
Inwieweit lässt sich der Einfluss des sozialen Onlinenetzwerkes Facebook auf freundschaftliche Beziehungen in den drei narrativen Interviews[4] aufzeigen und rekonstruieren?
Die Offenheit dieser Fragestellung bezieht sich dabei auf das abduktive Forschungsverfahren, im späteren Analyseverfahren wird diese dann konkretisiert und auf das Datenmaterial angepasst (vgl. Kelle 1994: 284; Jeggle 1995: 59). Die vorliegende Arbeit fokussiert den Wandel der Kommunikation innerhalb von Freundschaften. Die Kommunikation lässt sich als ein wichtiger Bestandteil einer Freundschaft ausmachen, da diese sowohl zum Aufbau als auch zum Erhalt der Beziehung im Wesentlichen beiträgt (vgl. Nötzold-Linden 1994: 104). Damit lässt sich in dieser Forschungsarbeit der gesetzte Schwerpunkt sinnvoll herleiten. Sind die neuen Medien komplementär zu den etablierten Kommunikationsmitteln, wie beispielsweise Face-to-Face-Interaktionen, zu begreifen oder lösen sie diese in einigen Fällen sogar manchmal ab und wirken damit ersetzend? Was für Auswirkungen hat diese Verschiebung letztendlich auf das Konstrukt Freundschaft?
1.2 Gliederung der Arbeit
Maßgeblich tragen drei narrative Interviews zur wissenschaftlichen Fundierung des Forschungsbereiches bei, diese werden durch eine theoretische Perspektive gestützt und ergänzt. Die theoretische Grundlage wird im zweiten Kapitel geschaffen und ein begriffliches Fundament der wichtigen Termini erarbeitet. Die Herausarbeitung eines Freunde- und sozialen Onlinenetzwerkbegriffs hat eine zentrale Bedeutung für den Analyseteil, wo das theoretische Wissen mit den empirischen Ergebnissen verknüpft wird. Dabei werden sowohl Krisen innerhalb von Freundschaften sowie die unterschiedlichen Intensitäten einer Beziehung in jeweiligen Unterkapiteln hervorgehoben. Der methodologische Teil gibt Aufschluss über die Wahl der Erhebungsmethode und der Vorgehensweise vor und nach den Interviews. Die darauffolgende Analyse stellt jedes Interview in seiner Einzigartigkeit dar und vergleicht diese schließlich auf der Basis von Kernkategorien, welche als Bestandteil der Grounded-Theory-Methodologie zu werten sind, miteinander. Die Ausarbeitung endet mit einem zusammenfassenden Ausblick.
2. Theoretischer Teil
In diesem Teil der Arbeit wird sowohl der Begriff Freundschaft als auch das soziale Onlinenetzwerk Facebook theoretisch dargelegt. Die Fokussierung auf das soziale Netzwerk Facebook wird in diesem Teil der Arbeit ebenfalls erläutert. Dabei wird besonders die Schnittstelle von Freundschaft und sozialem Onlinenetzwerk näher betrachtet sowie Krisen innerhalb der Freundschaft in diese Thematik eingeflochten.
2.1 Zum Begriff von Freundschaft
„We have friends, and we have ‚just’ friends; we have good friends, and we have best friends. Yet such is the elusiveness of the idea of ‚friend’ that not even the people involved can always say which is which“ (Rubin 1985: 7).
Jedes Individuum verknüpft unterschiedliche Attribute mit einem Freund, sodass es keine universelle, allgemeingültige Definition geben kann. Besonders die Funktionen von Freundschaft sind schwer festzulegen. Der Aspekt von Hilfeleistung und Beistand lässt sich auch anderen zwischenmenschlichen Beziehungen zuschreiben, wie beispielsweise unter Nachbarn oder innerhalb der Familie (vgl. Auhagen 1993: 226). Der Begriff ist nicht nur dem stetigen Wandel der Gesellschaft unterlegen, sondern zudem auch stark kulturspezifisch angelegt (vgl. Trost 2013: 19). Neben soziologischer Forschung, welche sich mit dem Phänomen Freundschaft auseinandersetzt, findet der Begriff auch in Bereichen von Politologie, Philosophie sowie Psychologie Verwendung (vgl. Trost 2013: 20). Es ist allerdings hinzuzufügen, dass sich das Interesse der Soziologie für Freundschaft erst Mitte des 20. Jahrhunderts herausbildete (ebd.).
Häufig wird der Begriff aus der mikrosoziologischen Perspektive betrachtet, es gibt jedoch einen Ansatz von Georg Simmel, der sich der makrosoziologischen Perspektive genähert hat. Simmel wendet sich in seinem Ansatz gegen das Ideal der vollkommenen Freundschaft, denn seiner Meinung nach ist nicht der ganze Mensch Teil der modernen Freundschaft, sondern immer nur ein Bereich der personalen Identität (ebd.).
Bei der vielfältigen Betrachtungsweise des Begriffs, lässt sich erkennen, ob eine Explikation von Freundschaft überhaupt sinnvoll oder notwendig ist. Letztendlich spricht für eine Erläuterung des Begriffs, dass eine übereinstimmende sprachliche Grundlage für die wissenschaftliche Auseinandersetzung geschaffen werden sollte. Dabei geht es nicht um die gesamte Aufdeckung von unterschiedlichen Tugenden und Adjektiven, welche eine Freundschaft ausmachen, sondern vielmehr um die Betrachtung der Freundschaft unter theoretischen Aspekten. Die Intention bei dieser Explikation soll dabei nicht sein, dass der Freundschaftsbegriff erschöpfend dargelegt wird. Die folgende Auslegung stellt lediglich die Grundlage dar, auf der sich in dieser Arbeit bezogen wird. Elisabeth Auhagen hat den Versuch unternommen, den Begriff der Freundschaft greifbar zu machen und benennt vier wichtige Kriterien, die eine Freundschaft ausmachen:
„1. Freiwilligkeit bezüglich der Wahl, der Gestaltung, des Fortbestandes der Beziehung.
2. Zeitliche Ausdehnung: Freundschaft beinhaltet einen Vergangenheits- und einen Zukunftsaspekt.
3. Positiver Charakter: unabdingbarer Bestandteil von Freundschaft ist das subjektive Element des Positiven.
4. Keine offene Sexualität“ (Auhagen 1991:17).
Argyle und Henderson sprechen in ihrem Werk ‚The rules of social relationships’ von Regeln innerhalb einer Freundschaft (vgl. Auhagen 1993: 218). Jeder wählt sich zwar seinen Freund selbst aus, dennoch unterliegt eine zwischenmenschliche Beziehung gewissen Erwartungshaltungen, die sich beispielsweise aus Anteilnahmen und gegenseitigen Hilfeleistungen zusammensetzt (vgl. Duck 1983: 25 f.). Dabei wird thematisiert, ob es eine wirkliche Freundschaft überhaupt gibt oder wir lediglich glauben, eine solche Konstruktion zu kennen. Dieser Gedanke entstammt dem zunehmenden Individualisierungsschub der Gesellschaft. Die sich herauskristallisierende Trennlinie zwischen Individuum und Gesellschaft ist noch nicht überall derartig scharf, allerdings gibt es deutliche Ausdifferenzierungstendenzen, welche diesen Prozess beschleunigen. In diesem Kontext wird dann auch gefragt, welche Position die Freundschaft in dieser Gesellschaft innehat (vgl. Nötzold-Linden 1994: 9).
In dieser Arbeit soll es vorwiegend um den Einfluss des sozialen Onlinenetzwerkes Facebook gehen, daher bleibt im weiteren Vorgehen die Individualisierungstheorie von Ulrich Beck weitgehend unberücksichtig, was dem vorgegebenen Rahmens dieser Arbeit geschuldet ist. Häufig wird Kritik an der Nachlässigkeit der Verwendung des Begriffs geäußert (vgl. Krüger 2010: 29). Der Begriff der Freundschaft bezeichnet nicht einfach nur „eine bestimmte Beziehungsart mit feststellbaren Eigenschaften“ (Schobin 2013: 18), sondern setzt sich aus einer Vielzahl von „abstrakten Beziehungsformen“ (ebd.) zusammen. Die Thematik der freundschaftlichen Pflege erhält in der Literatur ebenfalls einen großen Stellenwert. Dabei fungieren unter anderem gemeinsame Erlebnisse, häufige Treffen und intime Gespräche als Stützpfeiler dieses Konstrukts (vgl. Reinders 2010: 4). Der Kommunikationspsychologe Duck fasst diesen Prozess als Kommunikation zusammen, welcher über Regeln sowie Strategien verfügt (vgl. Nötzold-Linden 1994: 104 f.). Die Entstehung einer Freundschaft aus einer losen Bekanntschaft resultiert aus einer passenden Kommunikation innerhalb bestimmter Situationen (ebd.).
2.1.1 Krisen innerhalb von Freundschaft
„Freundschaft: soziologisch schillernder Begriff für eine besonders persönlich gefärbte Form direkter sozialer Beziehungen, die - ohne spezifische Rollenverpflichtung - freiwillig und auf längere, nicht fixierte Dauer eingegangen wird“ (Hillmann 1982: 224).
Die Dauer einer Freundschaft ist, nach Karl-Heinz Hillmann, nicht festgeschrieben und kann letztendlich mit der Zeit auseinanderbrechen. Auch Janosch Schobin spricht von limitierter Dauer innerhalb einer Freundschaft: „Freundschaft ist eine freiwillige Beziehung, die stets kündbar ist“ (Schobin 2013: 18). Diese Aussage ist auf ein Minimum reduziert worden und aufgrund der unpräzisen Determination schwer greifbar. Der Zeitpunkt der Trennung wird oft durch Enttäuschung, Verrat oder auch Unehrlichkeit innerhalb dieser sozialen Beziehung ausgelöst. Häufig sind etliche Streitigkeiten und Diskussionen die Folge auf die Zerwürfnisse, wobei dann meistens die Freundschaft beendet wird.
Die sozialen Onlinenetzwerke erleichtern ihren Nutzern diese Situationen und somit sind zahlreiche Unterredungen und Aussprachen nicht mehr von Nöten. Die gemeinsame Verknüpfung kann durch einen einfachen Mausklick beendet werden. Es wird nur noch einmal gefragt, ob man sich der Entscheidung wirklich bewusst sei, dann ist der vermeintliche Freund aus der Liste gelöscht. Der entfernte Freund wird über diese Maßnahme von Facebook nicht in Kenntnis gesetzt (vgl. Wanhoff 2011: 101). Defriending wird dieses Auslöschen bei Facebook genannt, aber auch gedeadded: derjenige ist demnach nach dem Entfernen aus der Freundesliste sozial tot. Im Jahr 2009 wurde das Wort Unfriend vom Oxford American Dictionary zum Wort des Jahres gewählt (vgl. Adamek 2011: 22). Obwohl der soziale Tod eines entfernten Facebook-Freundes nur in der digitalen Welt stattfindet, kann das Löschen aus der Freundesliste direkte Auswirkungen auf die reale Welt haben. Der Gelöschte wird spätestens beim nächsten Besuch des Profils bemerken, dass er zu einem Unfriend geworden ist. Um diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen, besteht weiterhin die Möglichkeit, die Kontakte in sogenannte Unterlisten zu sortieren, um genau festzulegen, wer welchen Inhalt des eigenen Profils sehen darf (vgl. Steinschaden 2010: 15). Diese Modalität der Unterteilung zeigt bereits, dass Facebook-Freunde in der Regel relativ wenig mit dem einstigen Ideal der Freundschaft gemeinsam haben. Es wird lediglich der Anschein aufrechterhalten, dass eine soziale Beziehung besteht (vgl. Steinschaden 2010: 16).
2.2 Soziale Onlinenetzwerke am Beispiel von Facebook
„Eine sinnvolle Entwicklung, schließlich ist man so immer miteinander vernetzt und zeitlich sowie räumlich flexibel“ (Trost 2013: 15).
Das Internet ist mittlerweile für zahlreiche Menschen aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und lässt sich somit als „Massen- und Alltagsmedium“ (Frees, Busemann 2012: 25) bezeichnen. Das Surfen im Netz stellt sich auf eine Stufe mit den klassischen Medien, wie Fernsehen und Radio. Wobei das Internet sowohl das Fernsehen als auch das Radio in sich vereint und damit ersetzbar macht. Doch neben diesen beiden Möglichkeiten werden vor allem die sozialen Onlinenetzwerke immer öfter genutzt. Der Begriff des sozialen Netzwerkes wurde vom britischen Ethnologen James Clyde Mitchell geprägt und meint ein „Interaktionsgeflecht“ (Trost 2013: 46), welches sowohl nach der Qualität als auch nach der Quantität beurteilt werden kann (vgl. Trost 2013: 46). In den späten 1960er Jahren hatte Mitchell noch kein Netzwerk innerhalb des Internets im Sinn, indem sich die User mit nur einem Mausklick vernetzen können. Es ist viel mehr ein Gebilde aus sozialen Beziehungen gemeint, die sich in alle Richtungen verflechten (vgl. Wanhoff 2011: 7). Um ein frühes Beispiel zu nennen, kann man sich das Jagen in einer Gruppe vorstellen, die sich als ein Netzwerk versteht (vgl. Wanhoff 2011: 11).
Das soziale Onlinenetzwerk Facebook ist nicht das einzige Medium auf dem Markt, welches die Vernetzung mit Freunden und Bekannten ermöglicht. In dieser Arbeit soll sich allerdings auf den „globalen Generalist[en: L.S.]“ (Frees, Busemann 2012: 20) Facebook konzentriert werden. Verschiedene Gründe sprechen für diesen Fokus auf den Online-Riesen. Facebook verfügt über eine immense Mitgliederbasis und fungiert daher als wichtigste Plattform sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene (vgl. Trost 2013: 65).[5] Im Jahr 2004 hatte der Gründer Mark Zuckerberg die Idee zur Entwicklung von Facebook und mittlerweile zählt das Onlinenetzwerk über 800 Millionen Nutzer (vgl. Wanhoff 2012: 61).
Zunächst ist es sinnvoll, den Begriff des sozialen Onlinenetzwerkes näher zu erläutern und damit einhergehend die Funktionen dieser Netzwerke, um danach ein gemeinsames Verständnis des Begriffs zu erhalten.
„Web-based services that allow individuals to (1) construct a public or semi-public profile within a bounded system (2) articulate a list of other users with whom they share a connection, and (3) view and traverse their list of connections and those made by others within the system“ (Boyd, Ellison 2007: 211).
In dieser Definition von Boyd und Ellison werden drei Funktionen der sozialen Onlinenetzwerke genannt. Zunächst macht sich der User ein Profil mit möglichst vielen Informationen, welche er aber selbst bestimmt und auswählt. Es folgt die Vernetzung mit anderen Usern, welche die Informationen dann einsehen können. Die dritte Funktion ist das gegenseitige Teilen und Beobachten der jeweiligen Profile, über die sich jeder präsentiert und darstellt. Es ist wichtig zu betonen, dass es nicht nur um das Aufspüren von alten Bekannten und Schulfreunden geht und die damit einhergehende Pflege und Aufrechterhaltung der Kontakte, sondern gleichzeitig um die eigene Darstellung der Persönlichkeit. Die Kontrolle, welche Daten und wie viel man über sich selbst preisgibt, liegt bei jedem Nutzer selbst (vgl. Kneidinger 2010: 50). Einige Onlinenetzwerke verfügen zudem über eine Chat-Funktion, damit die User private Nachrichten austauschen können. Parallel dazu existieren „Email-ähnliche Messagesysteme“ (Kneidinger 2010: 51), welche eine vergleichbare Funktion wie der Chat erfüllen, allerdings zeitverzögert agieren und kein direktes Antworten als Ziel haben.
2.3 Was unterscheidet einen Freund von einem ‚Freund’?
„Online-Communities erweitern den Begriff der Freundschaft und definieren ihn neu, während sie gleichzeitig die Pflege der Beziehungen in diesem erweiterten Freundeskreis erleichtern“ (Christakis, Fowler 2010: 349).
Zum Teil wird heutzutage fast inflationär von Freundschaft gesprochen. Daran anlehnend lässt sich der Philosoph Michel de Montaigne zitieren: „Was wir Freundschaften und Freunde nennen, [sind: L.S.] nur Bekanntschaften und Beziehungen, die durch irgendwelche Gelegenheit oder geschäftliche Anknüpfungen geschaffen [wurden: L.S.]“ (Krüger 2010: 30). Die Bezeichnung des Freundes wirkt nicht mehr kostbar und ehrlich, der langjährige Sandkasten-Freund erhält den gleichen Titel Freund, wie ein kürzlich hinzugefügter Kontakt in der Freundesliste von Facebook (vgl. Schmidt 2014: 145). „Darin liegt zumindest sprachlich eine inflationäre Ausweitung dieser so kostbaren und außerordentlichen Beschreibung“ (Schmidt 2014: 145). In der Literatur wird häufig von einem Prozess des Freund-Werdens gesprochen, demnach werden die anfänglichen Verabredungen und Annäherungen als wichtige Schritte für eine freundschaftliche Beziehung betrachtet (vgl. Wanhoff 2011: 100). Es findet ein Austausch von Informationen, Interessen und Vorlieben statt. Bei Facebook und anderen sozialen Onlinenetzwerken erhält dieser Prozess eine neue Struktur. Die Individuen lernen sich nicht mehr ausschließlich in Face-to-Face-Interaktionen kennen, sondern es wird eine Freundschaftsanfrage verschickt, die dann vom Adressaten entweder bestätigt oder abgelehnt wird (vgl. Wanhoff 2011: 101). Und trotzdem hat dieser Klick weitreichende Konsequenzen, denn dem anderen werden zahlreiche, zum Teil auch intime Details des eigenen Lebens präsentiert (vgl. Steinschaden 2010: 14).
Ist lediglich die Benennung der Kontakte bei Facebook irreführend oder hat sich das Verständnis über das Konstrukt der Freundschaft dermaßen verändert bzw. erweitert? Die bereits thematisierte Ausdehnung des Freundschaftsbegriffs lässt sich auch in den sozialen Onlinenetzwerken erkennen. Dort werden die Kontakte als Freunde bezeichnet, was jedoch häufig mit einem Blick in die Freundeslisten fragwürdig erscheint. Die Wahl des Begriffs lässt sich im Fall von Facebook auf eine kommerzielle Benutzung zurückführen (vgl. Prüller 2010: 16). Durch die Verwendung des Begriffs auf dieser Plattform ist anzunehmen, dass dies zu einem „semantischen Wandel in Auslegung bzw. Verständnis führen könnte“ (Trost 2013: 96). Der Begriff des Freundes ist auch in anderen sozialen Netzwerken zu finden, wie ‚studiVZ’ oder ‚schülerVZ’. Bei dem eher unbekannten Netzwerk ‚wer-kennt-wen’ wird allerdings von Leuten gesprochen und bei ‚XING’ von Kontakten (vgl. Wanhoff 2010: 64).
Bei Facebook lässt sich der Begriff des Freundes durch die Herkunft aus dem amerikanischen Raum erklären. Die Kulturspezifität des Freundschaftsbegriffs lässt sich anhand des Vergleichs der amerikanischen und deutschen Kultur darlegen. Das amerikanische friend meint nicht nur die Freunde, sondern auch Bekannte (vgl. Wanhoff 2010: 64). Dieser Doppeldeutigkeit des Begriffs wird manchmal nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, besonders deutlich wird dies in der simplen Übersetzung bei Facebook von friend zu Freund (vgl. Steinschaden 2010: 15). In Amerika wird jeder schnell als Freund bezeichnet, jedoch sind diese Beziehungen dann oft oberflächlich und nicht langwierig (vgl. Krüger 2010: 34). Einige Studien zeigen auf, dass die Freundschaften in Amerika grundsätzlich „weniger intim, intensiv und verbindlich sind“ (Eberhard, Krosta 2004: 25). Über diese angebliche Faktizität wird allerdings sehr kontrovers diskutiert.
Doch was unterscheidet einen Freund von einem Freund? Häufig wird in Texten das Wort Freund in Anführungszeichen gesetzt, um zu signalisieren, dass es sich bei dieser Bezeichnung nicht um einen Freund des realen Lebens handelt (vgl. Hobi 2011: 13). In einigen Situationen ist aber gerade diese Distanz zur realen Welt sehr hilfreich, so sieht man die Person nicht direkt am nächsten Tag bei der Arbeit, der am Abend zuvor noch Probleme anvertraut wurden. Die kanadische Professorin Caroline Haythornthwaite hat zu dieser Thematik geforscht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Online-Freunde ebenfalls ihre Qualitäten haben und keinesfalls unterschätzt werden sollten: „Online friends also include more socializing and emotional support in their communications than Non-Friends“ (Haythornthwaite 2005: 135). Nicola Döring stellt ebenfalls in ihrem Aufsatz zu diesem Thema eine enthemmende Wirkung der anonymisierten Kommunikation heraus (vgl. Döring 2009: 668).
Zudem ist es spannend zu erfahren, welche Verknüpfungsstellen es zwischen dem virtuellen- und dem Offline-Leben gibt. Über die sozialen Netzwerke steht man in Kontakt mit Freunden und Verwandten, die auch in Face-to-Face-Interaktionen eine Rolle spielen. In diesem Fall haben die Handlungen in sozialen Netzwerken direkten Einfluss auf die Wirklichkeit. Aber auch Entscheidungen, wie beispielweise Freundesanfragen an- oder abzulehnen, können sich auf das Offline-Leben auswirken (vgl. Hobi 2011: 13). Im Folgenden werden Offline-Freunde von den echten und wahren Freunden begrifflich abgegrenzt, wobei die Adjektive echt und wahr lediglich Authentizität und Reinheit dieser Freunde hervorheben sollen und daher in kursiv gesetzt werden.
2.4 Die Intensität der Verbindungen: weak ties und strong ties
„Starke Beziehungen bestehen in erster Linie zwischen engen Freunden und Familienangehörigen, schwache Beziehungen eher zwischen oberflächlich Bekannten“ (vgl. Kneidinger 2010: 27).
An dieser Stelle wird ein wichtiger Begriff für diese Thematik eingeführt: das Sozialkapital. Der Begriff erlangte durch Pierre Bourdieu eine große Bedeutung und bezeichnet die Ressource, welche man durch soziale Beziehungen (vgl. Windzio, Zentarra 2014: 49) bzw. durch „Zugehörigkeit einer Gruppe“ (Bourdieu 1997: 63) erhält. Die Voraussetzung, dass sich Sozialkapital herausbilden kann, ist Aufbau, Erhaltung und Pflege von sozialen Beziehungen (vgl. Kneidinger 2010: 25). Das bedeutet gleichzeitig, dass eine große Anzahl von Facebook-Kontakten kein großes Sozialkapital generiert, wenn diese nicht einer regelmäßigen Kontaktaufnahme unterliegen (vgl. Kneidinger 2010: 37). Den Einfluss sowie die Funktion von losen Bekanntschaften konstatierte der Soziologe Mark Granovetter bereits in den siebziger Jahren.[6] Soziale Onlinenetzwerke ermöglichen heutzutage Hilfeleistungen und emotionalen Trost von Menschen, mit denen man im realen Leben nicht viel zu tun hat. Die Transparenz der sozialen Netzwerke sorgt dafür, dass man jederzeit über die soziale Situation seiner vermeintlichen Freunde informiert ist und dementsprechend das Gefühl suggeriert wird, dass man an dem Leben der Freunde teilnimmt. Eine Kontaktaufnahme via Telefon bzw. regelmäßige Face-to-Face-Interaktionen scheinen nicht mehr notwendig. „Man schreibt teilweise den ganzen Tag, aber man kennt diese Menschen überhaupt gar nicht. Ich weiß auch teilweise gar nicht, was die beruflich machen“ (Interview mit Mia, Z. 63-64).
Das Phänomen, dass Menschen über das Internet einen regen Kontaktaustausch pflegen, sich allerdings persönlich weder kennen noch die groben Eckdaten des jeweils anderen Lebens wissen, scheint die Facebook-Nutzer selbst zu beschäftigen. In der Literatur wird von weak ties und strong ties gesprochen. Diese kategoriale Unterscheidung geht auf den berühmten Aufsatz von Granovetter ‚The Strength of Weak Ties’ aus dem Jahre 1973 zurück. Unter latenten Beziehungen versteht man das Vorhandensein eines Kontakts, allerdings ist dieser noch nicht in Erscheinung getreten. Durch eine Kontaktaufnahme kann sich die latente Beziehung in eine schwache Beziehung (weak ties) umwandeln. Bei diesem Transformationsprozess steht das Onlinenetzwerk Facebook den Usern als Motor zur Verfügung (vgl. Steinschaden 2010: 16). Die vielen Kontakte in der Freundesliste stehen gewissermaßen im Standby-Modus und können mithilfe der Funktionen bei Facebook aktiviert werden und als soziales Kapital fungieren. Wellman et al. bezeichnen die verschiedenen Bindungen als intimate ties und routine ties (vgl. Wellman, Carrington, Hall 1988: 137), doch obgleich unterschiedliche Namen existieren, so ist die Kontakthäufigkeit und -Intensität maßgeblich für die Differenzierung verantwortlich (vgl. Kneidinger 2010: 20). Das Sozialkapital nach Bourdieu kann demnach nur zum Tragen kommen, wenn ein gewisser Informationsaustausch stattgefunden hat, denn das Sozialkapital ist weder eine „Eigenschaft des Individuums“ (Kneidinger 2010: 25) noch kann es einer ganzen Gesellschaft zugeschrieben werden (vgl. Kneidinger 2010: 26). Mithilfe einiger Informationen von Facebook ist es allerdings möglich, den anderen um eine Hilfeleistung zu bitten. In anderen Fällen werden direkte Aufrufe innerhalb des sozialen Onlinenetzwerkes gestartet, in der Hoffnung, dass viele Nutzer ihre Hilfe anbieten oder jemanden vorschlagen, der zum Helfen bereit ist. Nach außen hin wird eine hohe Freundesanzahl bei Facebook schnell mit einem guten sozialen Netzwerk gleichgesetzt. Auch die Reaktion der Facebook-Freunde auf das Hochladen der eigenen Fotos oder das Posten von Kommentaren zählt mit zu einer guten Reputation. Das Austauschen der Likes scheint demnach eng verknüpft mit der Verteilung des sozialen Einflusses (vgl. Wallner 2014: 198).
3. Methodischer Teil
Im methodischen Teil soll das Vorgehen innerhalb dieser Arbeit begründet dargelegt werden. Günther Mey würde an dieser Stelle eine Antwort auf die Frage, „Was passiert hier eigentlich, wieso und was muss überhaupt aufgenommen, was transkribiert werden?“ (Breuer et al. 2014: 262), erwarten. Die Begründung der Vorgangsweise und die Erklärung gewisser Entscheidungen bilden schlussendlich das Gerüst dieser Arbeit und rechtfertigen die vorgenommenen Arbeitsschritte. Zunächst werden die Erhebungsmethode, das narrative Interview sowie die Auswertung mithilfe der Grounded-Theory-Methodologie, theoretisch und methodologisch dargelegt. Dabei wird nach einer Definition des Begriffs, der Entstehungs- und Entwicklungsstand der Theorie ausgearbeitet, da dieser Umriss für das Verständnis essenziell ist. Am Ende dieses Teils wird die Begründung des theoretischen Wissens, im Hinblick auf die kommende Analyse, dargelegt.
3.1 Das narrative Interview
Beschreibung der angewandten Erhebungsmethode Die „elaborierte Befragungsmethode“ (Kleemann, Krähnke, Matuschek 2009: 64), das narrative Interview, wurde vom Soziologen Fritz Schütze Ende der 1970er Jahre entwickelt (vgl. Küsters 2009: 18). Diese Form des Interviews wurde „aus der Kritik an standardisierten Befragungen, aber auch an offenen Leitfadeninterviews“ (Küsters 2009: 21) begründet. Dem Erzähler wird die freie Selbstgestaltung ermöglicht, gleichzeitig wird aber auch ein hohes Maß an Konzentration und Strukturierung verlangt. Durch offene Fragen können dem Erzähler tiefere Details entlockt werden, welche dieser durch konkrete und direkte Fragen nicht preisgegeben hätte (vgl. Küsters, 2009: 21). Gabriele Rosenthal, in ihrer Einführung in die interpretative Sozialforschung (Rosenthal 2011), definiert das „Prinzip der Offenheit“ (Rosenthal 2011: 137) als einen fundamentalen Aspekt der Vorgehensweise des narrativen Interviews.
Die Forschenden entwickeln ein Interesse für ein Themengebiet und entwerfen auf dieser Grundlage einen Erzählstimulus. Die Erzählaufforderung kann offen, geschlossen oder auf ein bestimmtes Thema beschränkt sein (vgl. Rosenthal 2011: 145 f.). Dieser wird am Anfang des Interviews zur Anregung und zum Eisbrechen genutzt und enthält für den Interviewten wichtige Informationen. Der Interviewte hat danach die Zeit, sich zu präsentieren und beispielsweise seine Lebensgeschichte zu erzählen (vgl. Rosenthal 2011: 139). Beeinträchtigende Faktoren, wie beispielsweise die „soziale Erwünschtheit“ (Rosenthal 1995: 71), der Thematisierung bzw. Dethematisierung gewisser Bereiche des Erfahrungsschatzes, lassen sich innerhalb der Erzählung immer wieder ausmachen. In einer Erzählung ist der „Indexikalitäts- und Detaillierungsgrad“ (Rosenthal 2011: 139) oftmals sehr hoch. Bestimmte Situationen werden im Rahmen eines Kontextes erzählt und sind durch „einen bestimmten Ort und an eine bestimmte Person“ (ebd.) gebunden. Die narrativen Anteile der Selbstpräsentation ermöglichen daher am ehesten eine Rekonstruktion des erlebten und erfahrenen Handlungsablaufs. Dementsprechend ist es ratsam, Zwischenfragen zu vermeiden, die diesen Erzählfluss stören oder sogar verhindern könnten. Es ist aber hilfreich, dem Erzähler als Zuhörer zu signalisieren, dass man der Erzählung folgt (vgl. Richter 2006: 76).
Innerhalb des narrativen Interviews werden verschiedene Textsorten unterschieden. Die argumentativen Teile des Interviews dienen oftmals als Rechtfertigung. Dabei wird der Interviewte speziell auf die Reaktion des Gegenübers achten, ob dieser sich durch die Argumentation „überzeugen“ (Rosenthal 2011: 139) lässt. Die Textsorte der Beschreibung ist ebenfalls häufig in Interviews zu finden. In einer längeren Erzählung werden Ereignisse komprimiert dargestellt und in sogenannten „verdichteten Situationen“ (Rosenthal 2011: 140) wiedergegeben. Es wird dabei meistens kein einzelnes Ereignis beschrieben, sondern ganze Strukturen, welche oftmals als Hintergrundwissen für den Zuhörenden sinnvoll sind (vgl. Rosenthal 2011: 139). Der Berichtstil ist häufig durch eine starke Raffung und Kürzung gekennzeichnet. Die Unterscheidung der unterschiedlichen Textsorten stellt eine wichtige methodologische Überlegung dar und ist für die spätere Analyse der Interviews ausschlaggebend, da diese auch in ihrer äußeren Form mit einbezogen werden.
Insbesondere für den narrativen Erzählteil sind die „Zugzwänge des Erzählens“ (Rosenthal 2011: 141) immens wichtig. Die drei Zwänge, welche diese Textsorte bedingen sind die „Gestaltschließung“, die „Detaillierung“ und die „Kondensierung“ (ebd.). Ersteres meint, dass das Erzählte in einem Zusammenhang stehen und ein Ende erkennbar sein sollte. Die Gestaltschließung sorgt zudem dafür, dass der Zuhörer alle Rahmenbedingungen und Verknüpfungen versteht. Das führt letztendlich dazu, dass nicht nur der reine Handlungsablauf erzählt wird, sondern auch Nebenhandlungen, die zum besseren Verständnis beitragen (vgl. Rosenthal 2011: 142). Diese Ausschmückung nennt sich Detaillierung (vgl. Richter 2006: 74). Die Beschränkung auf das Wesentliche und die Verdichtung der Ereignisse stellt dann den dritten Zugzwang des Erzählens dar: die Kondensierung (vgl. Richter 2006: 75). Die Kriterien, wann etwas mehr oder weniger ausgeschmückt oder gar weggelassen wird, wählt der Erzähler selbst aus (vgl. Rosenthal 2011: 142).
Erst am Ende des Interviews, in der sogenannten Nachfragephase, werden vom Interviewer Fragen gestellt (vgl. Küsters 2009: 21 f.). Es sollte vor der Entscheidung für das narrative Interview gründlich überlegt werden, inwieweit diese Methode der Thematik gerecht wird. Die Operationalisierbarkeit der Forschungsfrage ist dabei essenziell, zudem sollte diese nach einem selbsterlebten Prozess der Interviewten fragen. Ein standardisierter Fragebogen kam für die vorliegende Arbeit nicht in Frage, da dieser der Vielfalt des Themas nicht gerecht geworden wäre und die Komplexität der Antworten und Thematisierungen eingeschränkt hätte (vgl. Mayring 2002: 24 f.).
3.2 Grounded-Theory-Methodologie
Erläuterung der angewandten Auswertungsmethode Die Grounded-Theory-Methodologie bezeichnet einen Forschungsstil, der sich als Ziel die Theoriegenerierung gesetzt hat. Die empirischen Daten sollen demnach eine theoretische Erkenntnis liefern. Sie wurde von den Soziologen Anselm Strauss und Barney Glaser entwickelt und in ihrer Gründungsschrift ‚The Discovery of Grounded Theory’ festgehalten (vgl. Strübing 2008: 8). Trotz soziologischer Herkunft der Entdecker, lässt sich die Grounded-Theory-Methodologie sowohl in Bereichen der Pädagogik als auch der Psychologie anwenden. Es ist nicht ganz einfach den Begriff Grounded Theory in die deutsche Sprache zu übersetzen. Klaus Gerdes bezeichnete in seinem Werk die Grounded Theory als begründete Theorie[7]. Diese Übersetzung würde jedoch implizieren, dass andere Theorien diese Begründung nicht in sich tragen. Doch keine der zahlreichen Übersetzungen erreicht die allgemeingültige Anerkennung (vgl. Strübing 2008: 13). Jedoch sollte man in diesem Zusammenhang die Übersetzung von Glaser und Strauss nicht außer Acht lassen, die sich auf die Bezeichnung „gegenstandsbezogene Theorie“ (Hermanns 1992: 114) geeinigt haben. Im Folgenden wird jedoch weiterhin der englische Begriff benutzt, um Missverständnisse auszuschließen. Der Begriffszusatz der Methodologie wird häufig an die Grounded Theory angehängt, um zu betonen, dass damit nicht nur das Resultat, sondern auch die Methode und Methodologie gemeint ist (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 193).
3.2.1 Was ist die Grounded-Theory-Methodologie?
Die Schwierigkeit einer genauen wörtlichen Übersetzung aufgrund der Komplexität der Grounded Theroy schlägt sich auch in der Beschreibung der Grounded-Theory-Methodologie nieder. Sie verfügt nicht über ein fertiges und starres Raster, welches stets befolgt und angewendet werden muss. Man wird der Grounded-Theory-Methodologie viel mehr gerecht, wenn man sie als ein „präskriptives“ (Strübing 2008: 7) Verfahren ansieht. Diese Bezeichnung stieß oft auf Kritik und auf die Frage, ob die Grounded-Theory-Methodologie überhaupt als einheitliche Theorie angesehen werden kann oder ob ihr dieser Titel aufgrund ihres pluralen Vorgehens, der lockeren Regeln und verschiedenen Strömungen verwehrt bleiben sollte (vgl. Strübing 2008: 3). Aufgrund dessen wird die Grounded-Theory-Methodologie auch als Forschungsstil bezeichnet, welcher sich gerade durch die verschiedenen möglichen Umsetzungsweisen auszeichnet (vgl. Breuer 2010: 40). Strauss und Glaser kommen jeweils aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Forschungsrichtungen. Eine gemeinsame Theorie lässt sich somit auch nur mit einer dynamischen Theorie realisieren, welche die verschiedenen Forschungsrichtungen inkorporiert.
Die Grounded-Theory-Methodologie soll den Forschenden einen eigenen Rhythmus erlauben und die Entwicklung individueller Richtlinien gestatten, welche auf die Forschung ausgerichtet sind (vgl. Strübing 2008: 17). Es handelt sich demnach um ein Forschungsleitbild, an dem die Forscher sich orientieren können (vgl. Richter 2006: 66).
Die Forschung beginnt nicht mit einer These, sondern mit einem Forschungsbereich, dem man sich allerdings nicht mithilfe vorformulierter Hypothesen nähert (vgl. Richter, 2006: 64). Das Ziel ist demnach nicht das Testen der Hypothesen, sondern die Hypothesenentwicklung mithilfe der Daten (vgl. Glaser, Strauss 2005: 108).
Die Einbeziehung des theoretischen Wissens trennt die Ansichten von Glaser und Strauss. Glaser plädiert, das Vorwissen aus der theoretischen Literatur zunächst aus dem Forschungsprozess auszuschließen, um einen unverstellten Blick auf die Daten zu gewährleisten. Erst wenn eigene Kategorien bereits entworfen wurden, kann die fachspezifische Literatur hinzugezogen werden (vgl. Glaser 1992: 31 ff.). Flick und Charmaz versprechen sich ebenfalls von dieser Herangehensweise einen weiteren und offeneren Blick für die Thematik sowie die Möglichkeit, schneller neue Zusammenhänge zu entdecken (vgl. Flick 1996: 63 ff.; Charmaz 2006: 2). Von dieser radikalen Haltung nahmen Strauss und Corbin später Abstand und verwiesen auf den „polemischen Hintergrund dieser Äußerung“ (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 196). Für Strauss und Corbin ist die Theoretische Sensibilität[8] eine wichtige Komponente, um sich nicht in unerschöpflichen Möglichkeiten zu verlieren, sondern einen gewissen Fokus im Blick zu halten (vgl. Kelle 1994: 326). In dieser Arbeit wird dem Vorgehen nach Strauss und Corbin gefolgt, da eine völlige Ausklammerung von Wissen bei diesem Thema nicht sinnvoll wäre.
3.2.2 Analyse und Auswertung mit der Grounded-Theory-Methodologie
Das Besondere an der Grounded-Theory-Methodologie ist, dass sie ein Forschungsstil und gleichzeitig eine Auswertungsmethode ist (vgl. Mey, Mruck 2011: 22). Das Vergleichen spielt bei der Grounded-Theory-Methodologie eine bedeutende Rolle, denn erst durch die Komparabilität können sich Verknüpfungen und Zusammenhänge bilden (vgl. Richter 2006: 64). Die Abschnitte werden inhaltlich zusammengefasst. Die Herstellung von Zusammenhängen, das offene Kodieren, führt zu der Bildung von sogenannten Kodes. Das axiale Kodieren führt dann auf deren Basis die Kategorien ein (vgl. Mey, Mruck 2011: 24). Diese erfassen die Sinnzusammenhänge der Textsequenzen und lassen sich in verschiedene Dimensionen aufteilen (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 204). Dabei fassen die Kategorien die Kodes nicht nur zusammen, sondern leisten direkt einen Interpretationsschritt (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 201). Eine ikonische Darstellungsform davon wäre die Zusammenfassung von Charmaz: „Theoretical integration will assemble those bones into a working skeleton“ (Charmaz 2006: 45). Diese Komprimierung der Daten hilft dem Interviewer, den Text zu entschlüsseln und zu verstehen (vgl. Charmaz 2006: 3).
Ein weiteres wichtiges Merkmal, welches die Grounded-Theory-Methodologie ausmacht, ist die „zeitliche Parallelität“ (Strübing 2008: 14) der Erhebung, Analyse und Auswertung. Es gibt keinen zeitlichen Ablauf, welcher die Prozesse voneinander abgrenzt oder sie als abgeschlossen bezeichnet. Beispielsweise wird auch bereits nach der Erhebung des ersten Interviews mit der Analyse begonnen, welche dann expansiv angelegt ist (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 200). Diese Vorgehensweise ist elementar für die Grounded-Theory-Methodologie, da sich das weitere Sampling am ersten Zugang ins Feld orientiert. Das Theoretical Sampling führt idealerweise zur Sättigung (ebd.). Demnach ist die Auswertung mit anschließender Theoriebildung nicht als letzter Schritt anzusehen (vgl. Strübing 2008: 14). Glaser und Strauss empfehlen in ihrem Werk über die Grounded Theory: „Unterbrechen Sie die Kodierung und schreiben Sie ein Memo über ihre Ideen“ (Glaser, Strauss 2005: 113). Es lässt sich demnach konstatieren, dass die Grounded-Theory-Methodologie nicht aus einer Abwechslung von einzelnen Prozessen besteht, sondern dass diese ineinander übergehen und parallel ablaufen. Charles Sanders Peirce bezeichnet diese Form der Vorgehensweise als abduktiv (vgl. Hermanns 1992: 114). Die soziologische Perspektive sowie der allgemeine Forschungsbereich treiben diese Generierung voran (vgl. Glaser, Strauss 2005: 53).
Der Forscher ist in der Theorie der Grounded-Theory-Methodologie nie nur ein neutraler Beobachter, sondern wird als Mitwirkender betrachtet. Das bedeutet allerdings, dass die Ergebnisse nicht wertfrei, sondern subjektiv geprägt sind (vgl. Strübing 2008: 16). Oftmals wird von Forschenden die Meinung vertreten, dass diese Tatsache zu ungültigen Ergebnissen führe und keine wissenschaftliche Anerkennung verdient habe (ebd.). Die Gegenposition argumentiert, dass diese Beeinflussung nicht zu vermeiden ist, da sowohl der Forschende als auch der Beforschte Einfluss auf den jeweils anderen hat und somit als Subjekt im Forschungsprozess angesehen werden muss. Das ist auch der Grund, warum die eigene Reflexion in der Grounded-Theory-Methodologie eine wichtige Rolle zugeschrieben bekommt.
3.3 Zur Relevanz der theoretischen Grundlagen
Wie bereits in 3.2.1 erläutert, lässt sich die Grounded-Theory-Methodologie in zwei Strömungen, bezüglich der Theorie-Handhabung, teilen. Strauss und Corbin heben das Vorwissen der Fachliteratur deutlich hervor, da dies besonders für spätere Vergleiche sowie für das Theoretical Sampling von Vorteil ist, Glaser schließt dieses Wissen aus seiner Forschung aus (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 196). Das Fachwissen stellt für diese Arbeit einen wichtigen Rahmen dar, welcher sowohl für die Eingrenzung des Stimulus als auch für Akzentuierungen innerhalb der Analyse entscheidend ist. In dieser Arbeit sollen aber dennoch keine Hypothesen aus dem theoretischen Material entnommen werden, um diese am empirischen Material zu testen (vgl. Charmaz 2006: 17). Es handelt sich bei der Bündelung des inhaltlichen Materials lediglich um heuristische Konzepte, womit gleichzeitig die Forschungsrichtung eine höhere Nachvollziehbarkeit erlangt.
Wenn Reinders im Kapitel 2.1 von Stützpfeilern innerhalb von Freundschaften spricht, welche sich aus intimen Gesprächen und häufigen Treffen zusammensetzen, dann wäre es interessant zu untersuchen, inwieweit sich der Zusammenhalt unter Freunden verändert hat, bzw. ob eine Verlagerung der stützenden Merkmale innerhalb der Freundschaften vorliegt. Daran anknüpfend lässt sich auch der neue Prozess des Freund-Werdens anführen, welcher sich, laut der Literatur, aus den Strukturen der sozialen Onlinenetzwerke ergibt und nicht mehr nur dem traditionellen Aufbau mit beispielsweise gemeinsamen Treffen geschuldet ist. Soziale Onlinenetzwerke spielen nicht nur beim Aufbau von Freundschaft eine wichtige Rolle, sondern wirken zudem unterstützend bei der Kommunikation innerhalb von bereits bestehenden Freundschaften. Dennoch werden der Online-Kommunikation auch positive Seiten zugeschrieben. Die Qualität von Online-Freunden wird immer wieder hervorgehoben. Die kommende Analyse dieser Arbeit soll untersuchen, inwieweit die theoretischen Aspekte mit der Relevanz der Interviewten übereinstimmen.
4. Implikation der Erhebungs- und Auswertungsmethode für die vorliegende Arbeit
Die Auswertung findet in dieser Arbeit nach den Prinzipien der Grounded-Theory-Methodologie statt. Das narrative Interview lässt sich mit einer Vielzahl von qualitativen Methoden auswerten, wie beispielsweise der Narrationsanalyse oder der dokumentarischen Methode (vgl. Küsters 2009: 85). Anselm Strauss betont, dass der Fokus der Grounded Theory nicht auf der Erhebung liege, vielmehr wird das Theoretical Sampling sowie die Theoriebildung in den Vordergrund gerückt (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 195). Das sequentielle Vorgehen sowie die Bildung von Kategorien, was der Grounded-Theory-Methodologie entstammt, haben durch Schütze Eingang in die Narrationsanalyse gefunden, daher lassen sich die Verfahren nicht strikt voneinander abgrenzen (ebd.).
Für diese Arbeit lässt sich die Wahl der Grounded-Theory-Methodologie im Bezug auf den Forschungsbereich erläutern. Diese behandelt ein modernes Phänomen, welches sich durch das Aufkommen des Internets und neuer Kommunikationsmittel herausgebildet hat. Der Vorteil der Grounded-Theory-Methodologie ist in diesem Fall, dass zu Beginn der Erhebung keine zu verifizierenden Hypothesen aufgestellt werden, sondern erst im Laufe der Erhebung heuristische Hypothesen erarbeitet wurden. Diese wiederum lassen sich durch das Theoretical Sampling erweitern oder verändern (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 195). Außerdem kann die Forschungsfrage innerhalb des Forschungsverlaufs angepasst werden (vgl. Klute 1996: 98 ff.). Aufgrund der eher noch unerforschten Materie ist die Grounded-Theory-Methodologie ein guter Ansatz, um die Theoriegenerierung voranzutreiben (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 195). Die Fragestellung dieser Forschungsarbeit zielt auf Verknüpfungen und Zusammenhänge von Freundschaft und sozialen Onlinenetzwerken ab, die Grounded-Theory-Methodologie ermöglicht eine starke inhaltliche Fokussierung, die eine anschließende Kategorisierung nach sich zieht.
Die Verknüpfung der Grounded Theory mit dem Erhebungsinstrument des narrativen Interviews muss dementsprechend individuell begründet sein. Gabriele Rosenthal merkt dazu an, dass die Methode „dem Prinzip der Sequenzialität“ (Rosenthal 2011: 225) innerhalb eines narrativen Interviews nicht gerecht wird. Durch die Entnahme von einzelnen Textelementen wird die stringente Interviewform gestört und zum Teil ihren Sinnzusammenhängen enthoben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es sich bei diesen narrativen Interviews nicht um eine Wiedergabe der gesamten Lebensgeschichte mit einem stringenten Ablauf handelt, daher wird die Kommensurabilität der einzelnen hervorgehobenen Textstellen nicht als problematisch angesehen. Um ferner den Gesamtkontext zu erfassen, werden Textsegmente nicht in ihrer Einzelheit betrachtet, sondern immer im Zusammenhang des gesamten Interviews gelesen.
5. Vorbereitung, Datenerhebung und Aufbereitung der Interviews
Im Folgenden soll überblicksartig die Vorgehensweise der empirischen Erhebung offengelegt werden. Dafür ist die Wahl der Interviewpartner, aber auch der Ablauf der einzelnen Interviews entscheidend. In diesem Abschnitt wird besonders auf die Ausarbeitung des Stimulus eingegangen sowie dessen Funktion für das Interview herausgestellt. Die theoretischen Annahmen über den Verlauf eines Interviews werden mit den eigenen empirischen Erfahrungen verknüpft.
5.1 Auswahl der Interviewten
Grundsätzlich ist das Erheben von narrativen Interviews immer mit viel Engagement und Zeit der Interviewten verknüpft, daher ist der Auswahlprozess der Befragten nicht zu unterschätzen. Die theoretische Stichprobenbildung folgt einem anderen Prinzip als bei quantitativen Methoden (vgl. Hermanns 1992: 116). Die Repräsentativität ist gegeben, sobald „kein Fall mehr zu finden ist, der nicht durch die bisher gebildeten theoretischen Konzepte angemessen repräsentiert wäre“ (Hermanns 1992: 116). Wichtig ist hervorzuheben, dass die Stichprobe von qualitativen Methoden nicht statistisch repräsentativ ist (vgl. Hermanns 1992: 116) und daher auch keine Zufalls- oder Quotastichproben angewendet werden (vgl. Mikos, Wegener 2005: 264). Eine theoretische Sättigung der Stichprobe lässt sich nicht mit drei narrativen Interviews herbeiführen, nach Glinka (1998) bedarf es bis zu vierzig Interviews bis die Gesamtvielfalt eines Themas erfasst ist. Demnach kann eine Arbeit im Rahmen des Bachelors mit einer geringen Anzahl von Interviews nicht annähernd einer theoretischen Sättigung gerecht werden (vgl. Glinka 1998: 29).
In der Fachliteratur wird oft davon abgeraten, die Interviews im Bekannten- oder sogar Freundeskreis durchzuführen (vgl. Reinders 2005: 146 f.). Die Beziehungen zu den Interviewpartnern kann sich hemmend auf die Erzählung auswirken, zudem wird innerhalb des Interviews von den Erzählern mehr gerafft, da häufig der Kontext, durch die gemeinsame Bindung bzw. zum Teil von kollektiven Erfahrungen, schon bekannt ist (vgl. Küsters 2009: 49). Ebenso kann das Vorwissen über die Befragten unbewusst in die Analyse einfließen (vgl. Mikos, Wegener 2005: 263). Oftmals werden die Interviewpartner über Annoncen in der Zeitung oder durch Aushänge in öffentlichen Institutionen gewonnen (vgl. Küsters 2009: 49).
Bei dem hier behandelten Thema wurden eigene Kriterien für die Auswahl der Interviewten aufgestellt. Das Onlinenetzwerk Facebook bot sich als Plattform für dieses Vorhaben an.[9] Die Aktivität der User ließ sich durch die Anzahl der Beiträge sowie der Kommentare auf anderen Profilseiten feststellen, denn sowohl das Besitzen eines Profils in einem sozialen Onlinenetzwerk als auch die konstante Aktivität dort waren Voraussetzungen zum Teilnehmen an diesem Interview. Die Auswahl der Interviewpartner wurde durch Aufrufe bei Facebook generiert. Die Kritik des Self-Selected-Samplings ist aus der vorherrschenden Literatur bekannt, allerdings wird eine Generalisierbarkeit für diese Forschung auch nicht beansprucht (vgl. Lueg 2012: 124). Um zu vermeiden, dass lediglich Bekannte oder Freunde den Beitrag sahen, wurden diese gebeten den Post auf der eigenen Seite zu verbreiten bzw. zu teilen. Die dadurch geschaffene größere Reichweite ermöglichte nicht nur einen Unbekannten als Interviewpartner zu finden, sondern suggeriert zudem, dass es sich um einen aktiven Nutzer auf Facebook handelte, da der Aufruf auf der Plattform ihn sonst gar nicht erreicht hätte. Der dritte Interviewpartner kam über die Empfehlung der zweiten Befragten, diese Art der Vermittlung (Schneeballprinzip) hat auch Schütze häufig in seinen Studien angewendet (vgl. Küsters 2009: 49).
Das Theoretical Sampling dieser Arbeit bezieht die Altersspanne zwischen 23 Jahren und 30 Jahren ein. Diese Eingrenzung ergibt sich durch die „lebensweltlichen Hintergründe“ (Mikos, Wegener 2005: 263) der Befragten, welche einen Bezug zum Forschungsbereich versprechen. Die Kindheit der Interviewten lässt sich weitgehend ohne mediale Einflüsse fassen, konträr dazu wird deren heutiges Leben, in vielen Bereichen, von der Technik bestimmt. Die Befragten haben somit die Möglichkeit, das Leben mit und ohne mediale Einflüsse zu vergleichen. Dadurch, dass das Geschlecht keine bedeutsame Rolle für die Fragestellung einnimmt, kann dieses Merkmal hierbei vernachlässigt werden (vgl. Kelle, Kluge 2010: 41).[10] Aufgrund der ungeraden Zahl der Interviews ist eine gleichstarke Gewichtung des Geschlechts nicht möglich gewesen. Es wurden ein männlicher und zwei weibliche Befragte interviewt.
5.2 Ablauf der Interviews
Wie bereits erwähnt, bedarf es den Befragten nicht nur an Engagement, sondern auch an ausreichend Zeit. Durchschnittlich dauern narrative Interviews zwischen einer und drei Stunden (vgl. Schütze 1991: 206). Der Ort für das Interview sollte der Befragte selbst bestimmen können, wobei öffentliche Einrichtungen, wie Cafés oder Restaurants, aufgrund der Lautstärke und der nicht vorhandenen Intimität, nicht zu empfehlen sind (vgl. Rosenthal 2011: 54 f.). Nach telefonischem Kontakt, wo bereits das Vorhaben in groben Zügen erläutert wird, kommt es dann zum ersten Treffen. Ivonne Küsters (2009) betont daran anschließend die Bedeutsamkeit des Small-Talks vor dem eigentlichen Interview (vgl. Küsters 2009: 54). In diesem Gespräch wird Vertrauen zwischen Interviewten und Interviewer aufgebaut sowie das Vorgehen noch einmal detaillierter erklärt (ebd.). Für den weiteren Interviewverlauf ist es von erheblicher Wichtigkeit, dass der Befragte die Intention des Interviewers versteht und dadurch motiviert wird, den Forscher bei seinem Vorhaben zu unterstützen (vgl. Riemann 2003: o.S.). An dieser Stelle wird zudem häufig das Thema der Anonymität noch einmal erwähnt und versichert, dass es sich bei der Aufnahme mit einem Diktiergerät lediglich um eine Erleichterung für den Interviewer handelt, der sonst die gesamte Zeit mitschreiben müsste. Nach der Klärung dieser Formalitäten wurden die drei erhobenen Interviews mit folgendem Stimulus eingeleitet:
Ich interessiere mich sehr dafür, inwieweit eine Freundschaft sich durch soziale Medien verändert. Dafür wäre es toll, wenn du mir deine Erfahrungen sowohl mit Freundschaften außerhalb und innerhalb des Internets erzählen könntest. Ebenfalls interessiert mich der Verlauf deiner Freundschaften über die Jahre, im Hinblick auf die neuen sozialen Medien. Ich werde dich nur unterbrechen, wenn ich etwas gar nicht verstanden habe. Zudem mache ich mir nebenbei einige Notizen, falls ich am Ende etwas nachfragen möchte. Beginne dort, wo du möchtest. Ich freue mich sehr auf deine Erzählung.
Die einleitende Erzählaufforderung ist auf der einen Seite sehr wichtig für den Befragten, um die Intention und das Interessengebiet des Interviewers einschätzen zu können, auf der anderen Seite ist der Einführung in das Thema auch eine angstnehmende Wirkung inhärent, da der Befragte das Interview nicht beginnen muss.
Die gegenwärtige Literatur empfiehlt oftmals, dass der Stimulus nach der kompletten Lebensgeschichte fragt und sich nicht auf einzelne Sequenzen des Lebens beziehen sollte. Damit wird verhindert, dass sich der Befragte nur auf für ihn relevante Situationen bezieht, obgleich eventuell auch die Kindheit etwas zum Forschungsinteresse beitragen würde (vgl. Hermanns 1984: 64; Rosenthal 1995: 187 ff.). Wiederum kann die Aufforderung, die ganze Lebensgeschichte zu erzählen, auch zu Irritationen führen. Die Befragten wissen oftmals gar nicht, wo sie einsetzen sollen und lassen aus Unsicherheit vieles ungesagt. In einigen Fällen wird bei der Erzählung der Lebensgeschichte gerade die Thematik des Forschungsinteresses ausgelassen, da der Befragte eine eigene Relevanzsetzung vorgenommen hat. Die gewünschte Thematik müsste dann durch einen zweiten Erzählstimulus generiert werden (vgl. Küsters 2009: 51). Während des Interviews wird der Erzählfluss nur durch zustimmendes Nicken begleitet (vgl. Küsters 2009: 59). Sobald der Befragte das Gefühl signalisiert, beispielsweise mit einem „bilanzierenden Koda“ (Glinka 1998: 60), dass die Erzählung sich dem Ende neigt, können erzählgenerierende Fragen gestellt werden (vgl. Schütze 1983: 285). Die Abfrage der persönlichen Daten, welche insbesondere für das Kurzportrait wichtig sind, erfolgte jeweils am Ende des Interviews.
Für diese Arbeit fanden alle drei Interviews bei den Erzählern Zuhause statt. Der einstimmige Wunsch der Interviewten lässt sich durch den emotionalen Schutz der eigenen Wohnung erklären, kann letztendlich aber auch aus praktischen Gründen herrühren. In zwei von drei Fällen ging es im Vorgespräch bereits um die Thematik von Freundschaft und sozialen Medien, was sich letztendlich durch die emotionale Nähe des Themas erklären lässt, welches die Interviewten in ihrem täglichen Leben begleitet. Um die Aufarbeitung und Auswertung der narrativen Interviews im Rahmen dieser Forschungsarbeit zu schaffen, wurde die Eingrenzung durch den spezifizierten Stimulus vorgenommen.
5.3 Transkription der Interviews
Die Interviews wurden vollständig nach bestimmten Regeln transkribiert. Orts- und Personennamen wurden anonymisiert. Dem Erzähler wird oftmals ein Kürzel gegeben, wie beispielsweise E für Erzähler oder B für Befragter (vgl. Küsters 2009: 73). In der vorliegenden Arbeit wurde statt eines Buchstabens ein adäquater Namensersatz gewählt, den die Befragten sich selbst aussuchen konnten. Das Interview wirkt damit persönlicher und die Analyse erhält eine bessere Lesbarkeit. Um die Verweise auf die Transkriptionen zu vereinfachen und einen Überblick zu gewähren, wurden die Zeilen der Transkription durchnummeriert. Das Interview wurde nicht geschliffen. Versprecher oder grammatikalisch falsche Sätze wurden demnach nicht geschönt, sondern wörtlich übernommen. In der Transkription für diese Arbeit wird allerdings die Punkt- und Kommasetzung beibehalten, um einen angenehmen Lesefluss zu gewährleisten.
Genauso wie das Auge Tippfehler oder Buchstabendreher routiniert im Kopf richtig stellt und dadurch viel überlesen wird, so verhält es sich mit dem Heraushören der Laute äh und hm. Daher ist es wichtig, sich beim Transkribieren sehr zu konzentrieren und gegebenenfalls Passage mehrere Male zu hören (vgl. Kowal, O’Connell 2000: 444 f.). Von großer Bedeutung ist ebenfalls die Lautstärke, mithilfe dieser einige Wörter betont, aber auch verschluckt werden können. Um das in der Transkription kenntlich zu machen, wird die Textformatierung genutzt. Der Fettdruck wird beispielsweise für eine erhöhte Lautstärke bzw. für die Betonung eines Wortes genutzt, wohingegen die Wörter, welche besonders leise oder undeutlich gesprochen wurden, kursiv unterlegt sind (vgl. Küsters 2009: 73). Ebenso werden weitere Emotionen und Reaktionen, wie lachen, weinen oder husten mit in die Transkription aufgenommen. Die Adjektive werden in Klammern hinter den jeweiligen Satz geschrieben. Die Prosodie wird mithilfe von Punkten oder einer genauen Zeitangaben in Klammern kenntlich gemacht, um eventuelles Zögern oder lange Pausen interpretieren zu können.
[...]
[1] vgl. DIE WELT (2014): Offline-Freund wichtiger als Online-Freund. HTML: http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article132457133/Offline-Freund-wichtiger-als-Online-Freund.html
[2] Facebook. Milliardengeschäft Freundschaft (2012) in der ARD.
[3] Der Begriff der Mediatisierung geht auf den Soziologen Friedrich Krotz zurück.
[4] Die vorliegende Arbeit basiert auf drei narrativen Interviews, welche im Folgenden noch näher erläutert werden.
[5] Angesichts der Monopolstellung von Facebook fand auch die Rekrutierung der Interviewten auf dieser Plattform statt. Die nähere Erläuterung befindet sich im Teil 5.1.
[6] Granovetter, Mark S. (1974): Getting a job: A study of contacts and careers. Cambridge: Harvard University Press.
[7] Gerdes, Klaus (1979): Explorative Sozialforschung. Inführende Beiträge aus „Natural Sociology“ und Feldforschung in den USA. Stuttgart: Enke Verlag.
[8] Die Theoretische Sensibilität meint für Strauss und Corbin die Mischung aus Literatur sowie eigenen persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen (vgl. Strauss, Corbin 1996: 25 ff.).
[9] Den Forschungsprozess systematisch an einem bestimmten Ort zu beginnen wird unter dem Begriff des systematischen Samplings gefasst. Das zufällige Sampling wird von Strauss und Corbin zwar der konkreten Strategie vorgezogen, allerdings ist aufgrund der begrenzten Zeit diese Art des Samplings sinnvoll (vgl. Truschkat, Kaiser-Belz, Reinartz 2007: 242).
[10] Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass sich die Interviewten auf den Aufruf gemeldet haben und dadurch eine größere Bereitschaft zu einem Interviews beim weiblichen Geschlecht anzunehmen sei. Der männliche Interviewpartner kam über die Empfehlung der zweiten Befragten und nicht über die Rekrutierung bei Facebook.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.