Entwicklungen und Chancen der textilen Fertigung als produzierender Industriezweig in Deutschland


Seminararbeit, 2012

65 Seiten, Note: 15 Punkte


Leseprobe


1 Inhaltsverzeichnis:

2 Einleitung

3 Historische Entwicklung der Textil- und Bekleidungsindustrie
3.1 Begriff und Bedeutung der Textil- und Bekleidungsindustrie
3.2 Ursprung und Bedürfnis der Bekleidung für den Menschen
3.2.1 Handwerkliche Fertigung im Hausgewerbe und Entstehung des städtischen Handwerkes
3.2.2 Die Textilansiedlungen aus geographischer Sicht
3.2.3 Veränderungen durch die industrielle Fertigung
3.3 Deutschland in Konkurrenzsituation zu anderen Textilnationen während der Industrialisierung

4 Die Textilindustrie während der beiden Weltkriege
4.1 Die Textilproduktion im Verlauf des Ersten Weltkriegs
4.2 Die Textilproduktion während des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs

5 Die Entwicklung der Textilindustrie in den letzten 60 Jahren
5.1 Tendenzen der allgemeinen Entwicklung in Deutschland
5.2 Differenzierung in Bekleidungs- und Textilindustrie
5.2.1 Bekleidungswirtschaft
5.2.2 Produzierende Textilindustrie
5.3 Bekleidungswirtschaft in der Gegenwart
5.4 Die Produzierende Textilindustrie
5.5 Bedeutung der Textilproduktion in Entwicklungs- und Schwellenländern, unter besonderer Berücksichtigung Chinas
5.6 Entwicklung der deutschen Exporte und Handelsbilanz bei Textil und Bekleidung

6 Fazit und Ausblick

7 Anhang

8 Quellen- und Literaturverzeichnis

2 Einleitung

Die Aufgabe meiner Seminarkursarbeit wird sein, zu untersuchen, welche Bedeutung die Textilindustrie für unsere Volkswirtschaft in Deutschland besitzt. Dabei werden vor allem die historischen und insbesondere die gegenwärtigen Entwicklungen betrachtet.

Eines der wichtigsten und ureigenen Grundbedürfnisse des Menschen ist, neben der Nahrung, die Bekleidung, welche Schutz vor Witterungseinflüssen wie Kälte, Regen, Schnee und Sonneneinstrahlung bietet. Zu 95% werden die lebensnotwendigen Bekleidungstextilien von Deutschland importiert. Gleichzeitig erlangt die Forschung und Produktion von technischen Textilien in Deutschland eine hohe Relevanz.

Deutschland ist eines der hochindustrialisiertesten Länder der Erde. Wenn unter diesen Bedingungen an Textil gedacht wird, dann findet sich dabei weniger ein Bezug auf Deutschland, sondern eher auf Entwicklungsländer mit weitestgehend fehlender Industrialisierung und niederem volkwirtschaftlichem pro Kopf Einkommen. Daher stellt sich berechtig die Frage, ob bei diesem hohem Industrialisierungsgrad überhaupt eine textile Produktion unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten realisierbar und sinnvoll ist.

Während meinen ersten Praxiserfahrungen in einem mittelständischen Maschinenbauunternehmen in der Herstellung von Industrie- Großrundstrickmaschinen erhielt ich einen direkten Einblick in die Textil- branche. Im Ergebnis dazu zeigte sich, dass die Textilbetriebe in Deutschland stark von innovativen Entwicklungen und permanenter Marktanalyse abhängig sind. Dabei ist äußerst wichtig, die Produktionsstelle ständig auf Wirtschaftlichkeit zu hinterfragen und bei Marktveränderungen schnell an neue Bedingungen anzupassen.

China als einer der Weltmarktführer in Produktion und Export von Wirtschaftsgütern und hier insbesondere von Textilien steht aktuell im Mittelpunkt der allgemeinen Berichterstattung. Derzeit stehen die vielen Insolvenzen in der deutschen Solarindustrie im Gespräch, die ihren Ursprung in der Überkapazität und drastisch fallender Preise für Solarzellen aus China besitzen. Daraus abgeleitet entstehen Befürchtungen vor massiven Übernahmen der High-Tech Betrieben, durch chinesische Firmen, in allen hochentwickelten Industriebereichen Deutschlands.

Das spezifische Thema ,,Deutsche Textilindustrie‘‘ erforderte weiterführende Recherchen neben den grundsätzlichen Informationsquellen wie dem Internet. Besondere Bedeutung kommt bei diesem Forschungsthema den fachspezifischen Textilinstituten mit den Detailinformationen zu.

Der Einstieg in die Thematik erforderte die erneute Kontaktaufnahme der Firma meines Praktikums. Grundlegende Hinweise führten zu allgemeinen historischen Informationen und weiteren Ansprechpartnern verschiedenster textiler Institute aus ganz Deutschland. Über diese Institute wurden statistische Daten und Fachpublikationen aus eigenen Forschungsergebnissen ausgehändigt.

Fortführende Empfehlungen der Institute ergaben Vorschläge für aussagefähige Fachzeitschriften. In der Kombination mit Internetrecherchen wurde die Erarbeitung der Grundlagenforschung abgeschlossen.

Um die deutsche Textilindustrie zu verstehen bedarf es den Rückblick in historische Entwicklungen und dem tieferen Verständnis für die Bedeutung von Textilien als Grundbedürfnis des Menschen. Mit dem ersten Kapitel erfolgt somit die Definition von der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie der wirtschaftlichen Folge in der Entwicklung von der handwerklichen bis zur industriellen Fertigung in den mechanisierten Textilbetrieben. Die Bedeutung der Textilindustrie während der beiden Weltkriege liegt in der Knappheit von Rohstoffen und der daraus resultierenden Entwicklung von alternativen Ersatzstoffen. Dieser Zeitraum, mit den politischen Besonderheiten und deren Auswirkung auf die textile Produktion, wird im zweiten Kapitel aufgeführt.

Der Hauptteil mit dem dritten Kapitel zeigt die Entwicklung der Textilindustrie in den letzten 60 Jahren mit einer Analyse der gegenwärtigen Situation im Export und Import und daraus ableitend die Konkurrenzsituation für Deutschland auf. In diesem Zeitraum wurden große Teile der deutschen Textilfertigung ins Ausland verlagert. Besondere Bedeutung kommt dabei den Entwicklungs- und Schwellenländern zu. Durch niedrige Herstellungskosten lässt sich auf konkurrenzfähige Weise die arbeitsintensive Textilherstellung überhaupt realisieren. China, als Weltmarktführer für Textilexporte wird hier detaillierter analysiert. Am Ende der Forschungsarbeit soll aufgezeigt werden, ob eine Aussage über den Niedergang oder mögliche Aufstiegschancen der deutschen produzierenden Textilindustrie getroffen werden kann.

Die ersten Forschungen ergaben, dass über das Internet nur sehr wenige aussagefähige Informationen zu erhalten sind. Es müssen daher andere Wege eingeschlagen werden, um ein vollständiges Bild über die gegenwärtige Situation der Textilindustrie zu erhalten. Wichtige Informationen waren nur über Fachverbände und Institute zu beziehen. Eine tiefergehende Analyse konnte durch den direkten Kontakt mit Experten aus der Textilbranche erfolgen. Literatur in Form von Fachbüchern war nur unzureichend verfügbar, doch zeigen die vorgefundenen statistischen Erhebungen eine tendenzielle Entwicklungsrichtung der deutschen Textilindustrie auf.

3 Historische Entwicklung der Textil- und Bekleidungsindustrie

3.1 Begriff und Bedeutung der Textil- und Bekleidungsindustrie

Die prägnanteste Definition von Textil- und Bekleidungsindustrie aus wissenschaftlicher Sicht lautet:

,,Unter Textilindustrie versteht man die Gesamtheit der industriellen Tätigkeiten und Vorgänge, welche darauf abzielen, aus tierischen, pflanzlichen und synthetischen Faserstoffen verschiedenartige Spinnfäden oder textile Flächengebilde herzustellen.‘‘1

Der textile Industriezweig besitzt die Aufgabe, nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte Weltbevölkerung die wichtigsten Gebrauchsgegenstände der verschiedensten Art, vor allem Bekleidung, zur Verfügung zu stellen. Dass gerade die Textilindustrie als wichtiger Wirtschaftszweig den gewaltigen technischen und gesellschaftlichen Fortschritt unserer hochentwickelten Gesellschaft herbeiführte, hängt nachweislich mit den umfassenden Herausforderungen in den textilen Fertigungsbetrieben zusammen.2 Über Jahrzehnte galt die Textilindustrie als ,,Leitindustrie‘‘ in der industriellen Entwicklung, insbesondere in Süddeutschland (Baden und Württemberg).3

Durch die Gründung von vielfältigen Zulieferindustrien im Umfeld der Fabriken entstanden weiterführende Entwicklungen in der Nutzung der Wasserkraft mit neuen Antriebssystemen zum Betreiben der Textilmaschinen. Die Entwicklung der Dampfmaschine und der späteren elektrischen Motoren erhielt eine wichtige Bedeutung.

Die in großen Mengen produzierten Textilgüter erforderten Verbesserungen in der Infrastruktur durch leistungsfähigere Transportwege und Transportmittel, um den nationalen Absatzmarkt und späteren Export zu bedienen.

Mit der Ansiedlung von textilen Produktionsbetrieben begann in der Vergangenheit in Deutschland die Mechanisierung.4 Die Ansiedlung von textilen Produktionsbetrieben bedeutet bis heute für Entwicklungsländer die Voraus- setzung sowie den Anfang der eigentlichen Industrialisierung des Landes.

3.2 Ursprung und Bedürfnis der Bekleidung für den Menschen

Traditionell ist die Herstellung von Bekleidung einer der ältesten Wirtschaftsbereiche in Deutschland und deren Ursprung reicht bis in die frühe Entwicklung der Menschheit zurück.5

Nach neuesten Untersuchungen eines amerikanischen Forschungsteams hüllte sich der Mensch bereits vor 170 000 Jahren in Gewändern (Felle und Tierhäute). Diese Erkenntnis wurde durch DNA-Vergleich von Kleider- und Kopfläusen ermittelt, Kleiderläuse vermehren sich ausschließlich in Kleidung, dementsprechend muss sich der Mensch schon damals gekleidet haben.6 Eine direkte Analyse der damaligen Kleidung ist nicht mehr möglich, da diese organischen Stoffe sich nach einer gewissen Zeit zersetzen.

Ebenfalls in der Bibel trat die Bekleidung des Menschen bei der Vertreibung bzw.

Versündigung von Adam und Eva aus dem Paradies auf 7, denn dort ist geschrieben:

,,Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.‘‘8

Wenn man dies auf die Evolution des Menschen bezieht, ist daraus zu schließen, dass der Mensch (Tier) während seiner Entwicklungsphasen die Körperbehaarung verlor und aufgrund von äußeren, und hier vermutlich natürlichen Einflüssen gezwungen war, seinen Körper zu schützen.9 Daraus lässt sich ein neu empfundenes und wichtiges Grundbedürfnis des Menschen ableiten, die Notwendigkeit sich zu bekleiden. In erster Linie musste dem Körper Schutz vor Witterungseinflüssen wie Kälte, Regen, Schnee und Sonneneinstrahlung geboten werden. Zugleich entwickelte der werdende Mensch ein Schamgefühl und hatte das Verlangen seine Nacktheit vor außenstehenden Blicken zu schützen.

3.2.1 Handwerkliche Fertigung im Hausgewerbe und Entstehung des städtischen Handwerkes

Den Ursprung hatte die Textilindustrie in der ländlichen Bevölkerung, mit dem kleinbäuerlichen Grundbesitzern, Hausgemeinschaften und Großfamilien welche die sehr arbeitsintensive Herstellung von Textilien ausübten.10

In reiner Handarbeit erfolgte die Fertigung von Spinngarnen aus pflanzlichen (Hanf, Flachs / Leinen, Bast und später Baumwolle) sowie tierischen Roh- und Webstoffen (Wolle verschiedener Herkunft wie Schaf, Ziege, Lama, Alpaka und Seide). Von jeher waren die wichtigsten Bearbeitungsgeräte die Spindel zum Spinnen und der Webstuhl fürs Weben. Jahrtausende lang sind diese Geräte teils in einfacher, teils in etwas verbesserter Form angewendet worden.11

Die so erhaltenen textilen Flächengebilde wurden in handwerklicher Form weiter- bearbeitet und durch eine Textilveredlung in Bleichen und Färben behandelt.12 Daraus entstanden die Fertigerzeugnisse wie Bekleidungstextilien, Polsterbezüge, Teppiche sowie viele weiteren Textilien für den Heimtextilbereich. Diese handwerklichen Tätigkeiten wurden zunächst neben der eigentlichen Arbeit in der Landwirtschaft ausgeübt, denn die agrarische Basis reichte oftmals nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts einer Großfamilie aus.13 Der so erzielte Zusatz- erwerb war eine wichtige Einnahmequelle für die Familien und wurde bis zum 19. Jahrhundert vielfach von der weiblichen Bevölkerung und unter Mithilfe der Kinder ausgeübt.14

Die Spinner und Weber kamen damals ausschließlich aus den ländlichen Unter- schichten. Auf diese Weise entwickelte sich in der ländlichen Gemeinschaft eine neue Familienstruktur und Arbeitsorganisation, mit verschiedenen handwerk- lichen Spezialisierungen auf das Spinnen, Färben, Weben, Bleichen und Nähen von textilen Produkten.

Das ursprüngliche Hausgewerbe wurde ausschließlich nebenerwerbsmäßig, während der Wintermonate und für den Eigenbedarf betrieben.

Aufgrund der großen Arbeitskräftezahl in einer Hausgemeinschaft folgte eine nach individueller Fähigkeiten ausgerichteten Arbeitsteilung, die eine spätere Spezialisierung in handwerkliche Tätigkeiten bzw. Handwerksberufe zu Folge hatte.15

Der Anfang dieser auf Arbeitsteilung ausgerichteten Handwerksunternehmen begann oftmals bescheiden im Wohnhaus der Bauernfamilien oder des Fabrikanten.16 Mit zunehmender Nachfrage an textilen Produkten reichte die auf Eigenbedarf ausgerichtete handwerkliche Produktionsmenge nicht mehr aus.

Die eigenständigen Handwerksbetriebe17 mit ausschließlicher Konzentration auf die Herstellung textiler Produkte lösten die als nebenerwerbsmäßig ausgeführten Tätigkeiten ab. Qualifizierte Familienmitglieder wurden somit zu gewerbe- treibenden Handwerkern, die diese Arbeit jetzt hauptberuflich ausübten. Dadurch entstanden kleine Handwerksbetriebe mit zusätzlich erforderlichen außer- familiären Arbeitskräften. Mit dem Aufstieg des textilen Handwerks als eigene Berufsgruppe erfolgte eine kontinuierliche Verlagerung des Lebensraums der Menschen in die schnell wachsenden Städte. Parallel zu dieser Verlagerung nahm das Bevölkerungswachstum in Deutschland (siehe Anhang 1) außergewöhnlich stark zu und dies erforderte neue Methoden in der Herstellung von Textilien.18

3.2.2 Die Textilansiedlungen aus geographischer Sicht

Ihren Ursprung hatte die textile Fertigung von Spinn- und Webprodukten in ländlichen Regionen und hier insbesondere in den Mittelgebirgen.19 Dabei heben sich drei Hauptgründe für die bevorzugte Ansiedlung dieser handwerklichen Tätigkeiten heraus:

1. Rückläufiger oder aus wirtschaftlichen Kostengründen aufgegebener Bergbau (Erzgebirge in Sachsen) und dadurch die Notwendigkeit der Schaffung einer Ersatzindustrie
2. Besondere klimatische Bedingungen (feuchtes Klima) zum Anbau der wichtigen Rohstoffe wie Flachs (Leinen) sowie Hanf und dadurch außergewöhnlich hohe Erträge in diesen Regionen
3. Erzeugung des Rohstoffes Wolle durch intensive Schafhaltung (Schwäbische Alb)

Die Textilindustrie ist wie früher auch heute noch über ganz Deutschland verbreitet (siehe Anhang 2). Eines der größten Zentren der deutschen Textilindustrie entstand im westlichen Münsterland durch den regen Handel mit Webwaren aus Holland (Vertriebsbezeichnung: Hollandgänger). Weitere Standorte für die Fertigung von Textilien waren in fast allen Mittelgebirgen vorzufinden: Schwäbische Alb, Schwarzwald, Bayrischer Wald, Frankenwald, Vogtland und Erzgebirge.20

3.2.3 Veränderungen durch die industrielle Fertigung

Mit zunehmender Bevölkerung ab dem 18. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Textilien kontinuierlich an.21 Dies führte zu einer verstärkten Entwicklung und tiefgreifenden Fortschritten der mechanischen Spinn- und Webmaschinen. Auf den Spinnmaschinen wurden äußerst wirtschaftlich Garnfäden für die weiter Bearbeitung zu Webwaren produziert.

Technische Innovationen setzten sich nach und nach im gesamten Produktions- prozess durch und verlagerten die textile Produktion in große Fabriken. Kaufleute und andere Geldgeber investierten ihr Kapital in Fabriken mit Textilmaschinen. Die bisherige Handarbeit wurde durch die maschinelle Produktion verdrängt und zahlreiche Weber und Spinner verloren ihre Erwerbsgrundlage. Gleichzeitig ermöglichte die Industrieansiedlung neue Arbeitsplätze.

Der große Personalbedarf in den Textilfabriken wurde durch Zuzug der ländlichen Bevölkerung und durch städtische Handwerker gedeckt. Alle neu geschaffenen Fabriktätigkeiten stehen im Grunde jedoch im Dienste der Maschine, die sie bedienen, beaufsichtigen und in Stand halten müssen.22

Den Kern des Industrialisierungsvorgangs stellte demzufolge der Übergang von der Handarbeit hin zur Maschinenarbeit.23 Somit war die Umsiedelung der Textil- industrie vom Hausgewerbe zum Fabrikgewerbe fast vollständig vollzogen, da sich das Hausgewerbe nach wirtschaftlichen Faktoren nicht mehr lohnt.24 Dadurch veränderten sich die Verhältnisse in der Textilindustrie von Grund auf.

Die Steigerung zur industriellen Massenproduktion von Textilien erforderte den Bau von Fabrikgebäuden. Dabei wurden die Fabriken bzw. Industrieansiedlungen meist entlang der Wasserwege gebaut, da dort eine natürliche und permanente Energie-zufuhr gewährleistet war. Somit fungierte das Wasser als wichtigster Antriebs- und Energielieferant.25

Maßgeblich für die Industrialisierung in Deutschland war die Entwicklung der Energieversorgung im 19. Jahrhundert. Dieser Zeitraum wird auch als Hauptphase der Industrialisierung bezeichnet.26

Neben der Wasserkraft wurden die ersten wasserunabhängigen Dampfmaschinen und anschließend neue Antriebstechniken wie der Elektromotor zum Betrieb von Textilmaschinen eingesetzt (siehe Anhang 3).

Die Massenproduktion von Textilgütern (Spinngarne und Webwaren) erfordert ebenso neue Technologien im Transport der Rohstoffe und der Endprodukte. Wenn ursprünglich der Warentransport über Wasser- und Landwege überwiegte, dann veränderte sich grundlegend die Transportweise durch die Erfindung der Eisenbahn. Durch den Ausbau der Infrastruktur im Straßenbau wurde der Transport von Gütern schneller und sicherer. Nur durch verbesserte Transport- methoden konnte die Massenproduktion durch grenzüberschreitenden Handel bzw. dem späteren Export an die Endabnehmer geliefert werden. Wirklich in Schwung kamen der Handel und die industrielle Produktion erst mit dem Auflösen der Zoll- und Mautlinien innerhalb Deutschlands, welche den inner- deutschen Verkehr bis dahin lähmten.27

3.3 Deutschland in Konkurrenzsituation zu anderen Textilnationen während der Industrialisierung

Die britische Textilindustrie war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber Deutschland führend in der Mechanisierung des Web- und Spinnvorgangs.28 Mit seiner Vormachtstellung bei technischen Erfindungen von bahnbrechenden Maschinen (Dampfkraft) und bedeutend größeren und wirtschaftlicheren Fabriksystemen war Großbritannien der Hauptkonkurrent zu den Textilfabriken auf dem europäischen Festland.

Annähernd zeitgleich mit dieser technischen Modernisierung wurden die über Jahrzehnte hinweg eingesetzten Rohstoffe Leinen und Wolle durch die Baumwolle verdrängt. Großbritannien als See- und Kolonialmacht hatte zu der damaligen Zeitperiode beste Möglichkeiten des Imports von großen Mengen an Baumwolle aus ihren eigenen Kolonien.29 Durch diese technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen Großbritanniens verlor die Textilindustrie in den deutschen Mittelgebirgen zunehmend an Bedeutung.

Die nachstehende statistische Darstellung um das Jahr 1900 zeigt die Bedeutung der deutschen Textilindustrie im Vergleich zu anderen wichtigen Textilproduzenten.

Textilnationen im Vergleich um das Jahr 1900.30

Mit Abstand besaß Großbritannien zu dieser Zeit die größte Anzahl an maschinellen Spindeln und Beschäftigten und war führend in der Herstellung von textilen Produkten. Die wichtigste Aussage lässt sich jedoch aus der Anzahl von Betrieben entnehmen. Den durchschnittlich 230 Beschäftigten pro Betrieb in Großbritannien steht in Deutschland die kleine Anzahl von circa 7 Beschäftigten pro Betrieb gegenüber.

Diese Zahlen deuten auf eine verhältnismäßig handwerkliche Fertigung in Deutschland hin, während jedoch in der Zeitperiode auch vereinzelt Textilfabriken aus 200-300 Beschäftigten bestanden.31

In Großbritannien war die textile Fertigung in industriellen Produktionsbetrieben fest etabliert. So fertigten die 1,4 Millionen Beschäftigten der britischen Textilindustrie Waren im Wert von 4 Milliarden Mark, währenddessen in Deutschland die 1,1 Millionen Textilarbeiter nur 2 Milliarden umsetzen.32

Die hochentwickelte industrielle Fertigung in Großbritannien ermöglichte eine bedeutend wirtschaftlichere Kostenstruktur in der Herstellung von textilen Erzeugnissen. Daraus festigt sich ein ausgeprägter Wettbewerbsvorteil im Export von Textilien gegenüber anderen Textilnationen.

Trotz deutlicher Wettbewerbsnachteile zählt der Zeitraum des 19. bis zur Anfangszeit des 20. Jahrhunderts als Blütezeit der deutschen Textilindustrie.33 Wichtige technische Fortschritte wie die Elektrifizierung in deutschen Textilfabriken ersetzten zunehmend die Wasser- und Dampfkraft durch unabhängige Elektromotoren, wie die nachstehende Tabelle aufzeigt. Während die Anzahl der Hauptbetriebe mit industriellen Fertigungsmethoden von 1882 bis 1907 stark rückläufig war, stieg gleichzeitig die Mechanisierung durch Installation von elektrisch betriebenen Maschinen sprunghaft an.34

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Industrielle Hauptbetriebe mit Elektrifizierung.35

Weiterführende Fortschritte in der deutschen Textilindustrie wurden in vier Gewerbszählungen in den Jahren 1875, 1882, 1895 und 1907 festgestellt.36 Die Gewerbszählungen schließen alle Textilhauptbetriebe ein, unter Berücksichtigung der Beschäftigtenanzahl sowie die Unterteilung in weibliche und männliche Arbeitskräfte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Textilfabriken in Abhängigkeit der Beschäftigten.37

Demnach ist die Zahl der Betriebe in den 32 Jahren von 1875 bis 1907 um 60 % zurückgegangen, während sich gleichzeitig eine Steigerung in den darin beschäftigten Personen um 17% ergab.38

Aus der statistischen Erfassung lassen sich Entwicklungstendenzen bei der Geschlechterverteilung in damaligen Fabriken ableiten. Anzahlmäßig waren die männlichen Arbeitskräfte leicht rückläufig. Gründe für diesen Wandel liegen im zunehmenden Bedarf an Arbeitskräften in den Textilfabriken, welcher jetzt durch den Einsatz von weiblichen Arbeiterinnen abgedeckt wird.

Die zunehmende Mechanisierung der Textilherstellung mit einfacher Maschinenbedienung reduzierte den körperlichen Einsatz in leichte Tätigkeiten. Da die weibliche Arbeitskraft meist nur als Zusatzverdienst in der Familie galt, waren diese kostengünstiger und deshalb auch bevorzugt in der Bedienung von Maschinen eingesetzt. Zudem waren höhere Fingerfertigkeiten und kreatives Einfühlungsvermögen in textile Produkte gefragt, wofür die weiblichen Arbeiterinnen vorteilhaftere Eigenschaften aufzeigten.

Ende des 19. Jahrhunderts deckte die deutsche Textilindustrie den gesamten Inlandsbedarf an gewöhnlichen Gebrauchswaren ab, wobei die feineren Textilwaren meist importiert wurden.39

In den nachfolgenden Jahrzehnten zeigte das Textilgewerbe in Deutschland auf allen Gebieten hervorragende Fortschritte im Hinblick auf Produktionsmenge und Qualität. Durch diese Entwicklung konnte sich Deutschland über Frankreich hinwegsetzen und sich langsam an Großbritannien annähern.40 Die Steigerungen in der Massenproduktion gingen weit über den Eigenbedarf an Textilien hinaus und führten zu einer spürbaren Zunahme der Exporttätigkeit.

[...]


1 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.1.

2 Ebd., S.1-4.

3 Ebener, Manfred: Lexikon Geschichte. Baden + Württemberg: Industrialisierung in B.+W.

Abrufbar im Internet. URL: www.s-line.de/homepages/ebener/Industrie.html. Stand: 20.11.11.

4 Hudi, Franz (2011). Persönliches Interview, geführt vom Verfasser. Chemnitz, 30. Oktober 2011.

5 Verband der nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V.

6 Mensch trägt seit 170.00 Jahren Kleidung. Verfügbar unter:

http://www.nationalgeographic.de/aktuelles/mensch-traegt-seit-170-000-jahren-kleidung. Stand: 27.12.11.

7 Wann war der Beginn der Textilherstellung? Verfügbar unter: http://www.gobelin-web.eu/textil- geschichte.html. Stand: 23.11.11.

8 Lutherbibel. 1.Mose 3, 6f.

9 Wann war der Beginn der Textilherstellung? Verfügbar unter: http://www.gobelin-web.eu/textil- geschichte.html. Stand: 23.11.11.

10 Braun, Peter: Die Hersfelder Textilindustrie. Vergangenheit und Gegenwart. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. Kassel 1834 - Zweigverein Bad Hersfeld, Bad Hersfeld 2003.

11 Föhl, Axel / Hamm, Manfred: Die Industriegeschichte des Textils. Düsseldorf 1988.

12 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.3.

13 Ebd., S.4.

14 Braun, Peter: Die Hersfelder Textilindustrie. Vergangenheit und Gegenwart. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. Kassel 1834 - Zweigverein Bad Hersfeld, Bad Hersfeld 2003.

15 Heimatmuseum Nürtingen. Besuch am 28.12.11.

16 Ebd.

17 Definition: ,,Zweck des Erwerbes als unmittelbare Einnahmequelle betriebene dauerhafte Tätigkeit. (http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/base/start. Stand: 29.12.11)

18 Heimatmuseum Nürtingen. Besuch am 28.12.11.

19 Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e.V.

20 Verband der nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V.

21 Ebd.

22 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.4.

23 Projekt Naturalismus / Drama. Verfügbar unter: http://ahs.neumuenster.de/fachschaft/deutsch/12/die-ratten-2010/12n/gruppe2.html. Stand: 10.11.11.

24 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.5.

25 Ebener, Manfred: Lexikon Geschichte. Baden + Württemberg: Industrialisierung in B.+W. Abrufbar im Internet. URL: www.s-line.de/homepages/ebener/Industrie.html. Stand: 20.11.11.

26 Ebd.

27 Projekt Naturalismus / Drama. Verfügbar unter: http://ahs.neumuenster.de/fachschaft/deutsch/12/die-ratten-2010/12n/gruppe2.html. Stand: 10.11.11.

28 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.6-14.

29 ENGLAND ALS WIRTSCHAFTLICHE HEGEMONIALMACHT IM 18. JH. Verfügbar

unter: http://www.uni-muenster.de/FNZOnline/expansion/weltwirtschaft/unterpunkte/england.htm. Stand: 27.12.11.

30 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.6-14.

31 Heimatmuseum Nürtingen. Besuch am 28.12.11.

32 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.6-14.

33 Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e.V.

34 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.14-17.

35 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.14-17.

36 Ebd.

37 Ebd.

38 Ebd.

39 Oppel, A.: Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung. Gegenwärtiger Zustand. Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft, Bremen 1912, S.14-17.

40 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Entwicklungen und Chancen der textilen Fertigung als produzierender Industriezweig in Deutschland
Note
15 Punkte
Autor
Jahr
2012
Seiten
65
Katalognummer
V300689
ISBN (eBook)
9783656968603
ISBN (Buch)
9783656968610
Dateigröße
2911 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Höchstmögliche Punktzahl
Schlagworte
Wirtschaft, Textil, Textilwirtschaft, Entwicklung, Entwicklungsländer, Deutschland, China, Asien, Textilproduktion, Textilien, Ausland, International, Produktion, Chancen, Industrie
Arbeit zitieren
Marcel Stawinoga (Autor:in), 2012, Entwicklungen und Chancen der textilen Fertigung als produzierender Industriezweig in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300689

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