Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Familie als Verband
2.1 Blutsverwandtschaft
2.2 Geistliche Verwandtschaft
2.3 Rechte und Pflichten innerhalb der Sippengemeinschaft
2.4 Familie als Lebenswirklichkeit
3. Treuebruch in den Episoden
3.1 Anfangsepisoden
3.2 Die Allianz zwischen Fuchs und Wolf.
3.3 Der Hoftag
4. Minne
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Eidesstattliche Erklarung
1. Einleitung
Der Fuchs ist eine haufig eingesetzte Figur in der Literatur. Alle Darstellungen des Tieres laufen in der Zurschaustellung seiner Listigkeit zusammen. Dies scheint ein genreubergreifendes Merkmal zu sein. Doch wie ist dies mit der Minne und der triuwe, die in Werken des Mittelalters hoch thematisiert werden zu vereinbaren?
Auch die dominierenden Verwandtschaftsdarstellungen im Reinhart Fuchs sind eng mit dem Treuebegriff verbunden und stehen in direkter Opposition mit der Charaktereigenschaft des Fuchses.
Im speziellen die Geschichten mit Wolf und Fuchs sind in vielen Versionen und uber Generationen tradiert, dass es schwer festzumachen ist, wo der Ursprung sowohl ortlich als auch thematisch anzusetzen ist.
So liegt beispielsweise zwischen dem Roman de Renart und dem Reinhart Fuchs ein wesentlicher Unterschied, der sich vor allem im Details und in der Tiefe des Tierepos zeigt. Was im Reinhart Fuchs im Nebensatz thematisiert wird, kann im Roman de Renart mehrere Seiten in Anspruch nehmen. Auch im Gottscheds Reineke der Fuchs und Reineke Fuchs von Goethe liegen die Schwerpunkte ganz anders verteilt. Es existieren viele Versionen, doch gibt es nur ein Ursprung?
Das episodenhafte Erzahlen und das Beschranken auf das Wesentliche von Heinrichs Dichtkunst machen dieses Werk besonders. Der Fokus der Arbeit soll auf dessen Reinhart Fuchs liegen, jedoch lassen sich verwandte Werke nicht immer ausblenden, da sie kontextuell verwoben erscheinen. Wie finden Verwandtschaft, Treue und Minne so Platz in Heinrichs Werk? Wie wird die Verflechtung der drei Themen vom Autor umgesetzt?
Zunachst soll die Arbeit eine Unterscheidung der vorzufindenden Verwandtschaftsgrade und deren Bedeutung fur das Leben zu der Zeit liefern. Darauf sollen die Darstellung der Verwandtschaft, Treue und Minne im Werk hermeneutisch hervorgehoben werden und so das Fazit einleiten.
2. Familie als Verband
Die Verwandtschaft ist sehr nah mit dem triuwe-Begriff zu verwenden und gilt als primare Friedensgemeinschaft, die auch an Besitz, Erinnerung und Blut gekoppelt ist. Sie wird in Blutsverwandtschaft und geistliche Verwandtschaft unterteilt, welche mit verschiedenen Rechten, aber auch Pflichten verbunden sind und einen grofien Teil der Lebenswirklichkeit eines Individuums bilden.
2.1 Blutsverwandtschaft
,,Die Familie als Verband von Blutsverwandten ist Erziehungs-, Lebens- u. Schicksalsgemeinschaft“\ Sie bildet einen kontinuierlichen Faktor als lebenslange Begleitung.
Ebenso fungiert sie ,,als Verteidigungs- oder Schutzgarant, sie gilt juristisch, etwa in Angelegenheiten der Eideshilfe, Vormundschaft oder Blutrache, als Rechts- und Haftungsverband.“[1] [2]
Im Mittelalter hatte man ohne Familie oder Gruppe mit ahnlicher Funktion nur eine geringe Uberlebenschance. In Adelskreisen galt die Familie als Basis adeliger Macht.
2.2 Geistliche Verwandtschaft
Neben der Blutsverwandtschaft gibt es auch die geistliche Verwandtschaft compaternitas, die als uberlegene und starker verpflichtende Bindung von der Kirche angesehen wird.[3] Sie stellt einen Mitvater geistlicher Verantwortung oder einen Freund der Familie mit Patenfunktion dar.
Diese Patenfunktion zeigt eine gewahlte Verbindung, die jedoch vergleichbare Rechte zu Blutsverwandten zeigt. Im Gegensatz zur Blutsverwandtschaft wird man in diese nicht hereingeboren.
2.3 Rechte und Pflichten innerhalb der Sippengemeinschaft
Naturlich hat jede Familie auch Rechte und Pflichten innerhalb der Sippengemeinschaft fur das Handeln untereinander und gegenuber Dritten.[4] Jegliches Fehlverhalten eines Individuums, aber auch Ehrenbezeigung konnen auf die gesamte Familie und deren Ansehen zuruck fallen.
Eben dies nutzt Reinhart auf Perfektion aus, speziell die Verpflichtungen anderer gegenuber ihm, weshalb er die Verwandtschaftsbeziehung oder Sippenzugehorigkeit appellativ nutzt.
2.4 Familie als Lebenswirklichkeit
,,Je mehr Aufmerksamkeit Verwandtschaftsverhaltnisse mit ihren Voraussetzungen, Wirkungen und Problemen in der gesamten Lebenswirklichkeit beanspruchen, desto starker war auch eine literarische Behandlung der Thematik herausgefordert.“[5]
Reinhart zeigt sich als Meister des Argumentierens mit verwandtschaftlichen Bindungen. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen dem Appell an eine Verwandtschaftsbindung, die Vertrauen, Hilfe, Frieden bedeuten musste und dem Verfolgen uberaus egoistischer Ziele Reinharts.[6] So entsteht das sich wiederholende Schema Treue-Untreue-Not, welches in den Episoden zur Geltung kommt.
3. Treuebruch in den Episoden
Treuebruche als solche gibt es viele, sie sind allein schon an die Charakterdarstellung des Fuchses gebunden. Diejenigen, welche unter dem Aspekt der vorgeschobenen Verwandtschaft begangen werden, sollen in dieser Arbeit besonders hervorgehoben werden.
3.1 Anfangsepisoden
Beispiele dieser Schematik ziehen sich durch das gesamte Werk. Beginnend bei den anfanglichen Episoden zeigt sich zunachst die Auseinandersetzung mit dem Hahn
Scantecler. Reinhart lockt ihn von der Stange, indem er an die Verwandtentreue appelliert. Sein Vater hat es so mit seinem gehalten und es sei eine Sache der Erziehung es nun auch so zu handhaben[7].
Der Meise begegnet der Fuchs mit der Anrede „gevater min“[8], was hier die geistliche Patenschaft anspricht, da eine Blutsverwandtschaft aus offensichtlichen Grunden auszuschliefien ist. Ein weiterer Appell ,,gevatere, dv solt pflegen treuwen“[9] bildet den Auftakt, der sich noch deutlicher in der Zusprechung Reinharts zeigt:
,,sam mir die trewe, die ich dinem kinde[] bin schvildic, daz min bate ist, ich bin dir holt ane arge list! '“[10]
Der Rabe Dizelin wird vom Fuchs als sein „neveu[11] begrufit. Direkt im Anschluss startet Reinhart den Versuch den Raben mit einem Vergleich der Gesangeskunste des Rabens zu seinem Vater aus der Reserve zu locken. Dizelin will nun die Kunstfertigkeit seines Vaters ubertreffen. Es folgt:
,,dines vater trewe waren gvt, ovch hore ich sagen, daz sippenblvt von wazzere niht vertirbet.“[12]
Der Beweggrund der Treue wird auch als Initiativausloser benannt.
,,er wolde im helfen von der not dvrch trewe, daz was nach sin tot“[13]
,,do tet er sinem neven kvunt
sin trewe, ern weste niht, was er an im rach“[14]
Als folgende verwandtschaftliche Beziehung wird „newe“ Diepreht, der Kater uberschwanglich begrufit, denn dieser soll die Hunde von dem Fuchs ablenken. Reinharts Erfolgsrezept fur seine List soll auch dieses Mal wieder die Betonung der Beziehung als auch ein personlicher Ansporn sein.
,,nie kein tier sneller wart,
denn dv,trvt,neve,bist"[15]
Diprecht lockt Reinhart in Anfangsepisoden in die Falle, spater ist Reinhart jedoch uberlegen.
Interessant ist hier der Vergleich mit der Reihenfolge der Episoden der II. Branche im Roman de Renart. Heinrich hat die Raben- und Katerepisode umgestellt um Gegensatzpaare zu bilden.
,,Wahrend Reinharts Versuch, Scantecler zu betrugen zunachst nach Wunsch gelingt und erst in der Schlufiphase, als er sein Spiel schon gewonnen glaubt, doch noch fehlschlagt, scheitert die Uberlistung der Meise vornherein; ahnlich hat sein Anschlag gegen Dizelin zunachst Erfolg - wenigstens teilweise: der Kase fallt ihm direkt vor den Fang - und wird erst ganz zuletzt durch die Dazwischenkunft des Jagers mit seiner Meute vereitelt, Dipreht hingegen durchschaut Reinharts List von Anfang an und fangt den Fuchs seinerseits in der eigentlich ihm gestellten Falle.“ [16]
Die unterschiedlichen und doch sehr ahnlichen Situationen mit den Tierkontrahenten machen an der Natur Reinharts neue Seiten sichtbar und zeigen wie er immer wieder aufs Neue versucht mit ,,Schmeichelei und der Berufung auf die gegenseitige Verwandtschaft“[17] mit volliger Harmlosigkeit zu uberzeugen.
3.2 Die Allianz zwischen Fuchs und Wolf
Nach den Anfangsepisoden, die weniger gut fur Reinhart oder in einer Patt-Situation enden, steht nun die Begegnung mit dem Wolf Ysegrim[18] aus.
Wolf und Fuchs bilden in der Tierfabel eine ganz besondere Partie.
Hier schmieden die Tiere eine Allianz mit der Starke des Wolfes und der Klugheit des Fuchses. Durch diese Verbindung nimmt Ysegrim Reinhart in seine Familie auf: ,,daz er in zu gevatern nam do“[19].
Dieser erfolgte Aufnahmeritus geht fur gewohnlich mit Treue und Pflichten einher. Reinhart hingegen beabsichtigt minne an Hersant[20].
Auch in den Wein-, Fisch- und Brunnenabenteuern dieser Allianz geht der Wolf mit deutlicher Unterlegenheit hervor:
,,Wein-, Fisch,- und Brunnenabenteuer sind die Stationen von Reinharts Triumph der List und von Ysegrins Erniedrigung bis hin zum doppelten Schwanzverlust, denn der zweite Hohepunkt korrespondiert, als der Fuchs wahrend eines Suhneverfahrens die seitab eingeklemmte Frau des Wolfes vergewaltigt.“[21]
Der Wolf wurde durch die Machenschaften Reinharts mitsamt seiner Familie verprugelt. Er wurde gedemutigt vor seiner Frau und seinen Kindern, aber auch nach Aufien hin, verraten und verspottet. Sein Korper wurde verstummelt und er hatte durch die Untreue Reinharts fast sein Leben verloren.
Die Akte der Untriuwe Reinharts, sowie seine Ehrenlosigkeit bilden eine Klimax und fuhren wahrend des Hoftags sogar zum Tode des Konigs.
3.3 Der Hoftag
Einen grofien Stellenwert hat auch der Hoftag, der mit parodistischen Zugen dargestellt wird. Hier richtet sich der Konig nach Ratschlagen Reinharts und betrugt so seine (treuen) Untertanen.
Krimel will fur seinen Neffen burgen und tritt in Fursprache fur Reinhart.
,,wi mochte si min neve genotzogen?
Ver Hersant di is grozer, dan er si.
Hat aber ir er gelegen bi dvrch minne, daz ist wunders niht, wan svlcher dinge vil geschiht.“[22]
Er verharmlost damit die Anklage und stellt Hersant und damit die gesamte
Wolfsfamilie blofi. Krimel verkorpert hier Schutz und Treue in der Sippe.
Die Wolfsfamilie ist naturlich nicht allein mit ihrer Anklage, sondern das ganze Volk
steht gegen Reinhart. So sieht sich der Konig gezwungen zu handeln.
Er will den Kater als zweiten Boten schicken um Reinhart aufzusuchen. Dieser will
zunachst ablehnen und nutzt hier die verwandtschaftliche Beziehung, denn diese
verbietet ihm Reinhart zu schaden.
,,here das lan ich an reht, er ist min liebir kunnelinc“[23]
Von Diprehts Seite steht der Konigsbefehl uber der Verwandtentreue, vor allem nachdem ihm nochmal zugerufen wurde, wie unherzlich doch ihre
[...]
[1] Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklarungszeit / Uwe Ruberg, In: Beitrage zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 1988, S. 29 - 62, (folgend zitiert als Ruberg), hier S. 32
[2] Ruberg, ebd.
[3] Vgl. Ruberg, S. 32f
[4] Vgl. Ruberg, ebd.
[5] Ruberg, S. 33
[6] Ruberg, S. 37
[7] Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch.Neuhochdeutsch/Heinrich der Glichezare, Reclam 2011 (folgend zitiert als RF), Vgl. V. 106ff
[8] Vgl.RF,V. 178
[9] Vgl.RF,V. 183
[10] Vgl. RF, V. 186-188
[11] Vgl. RF, V. 231f
[12] Vgl. RF, V. 265ff
[13] Vgl. RF, V. 273f
[14] Vgl. RF, V. 280f
[15] Vgl. RF, V. 338f
[16] Form und Sinn des "Fuchs Reinhart" / H. Linke, In: Strukturen und Interpretationen. Studien zur deutschen Philologie / Alfred Ebenbauer (ed.), 1974, S. 226 - 262 (folgend zitiert als FuS), S. 230f
[17] Vgl. FuS, S. 231
[18] Bei den Schreibweisen der Namen zeigen sich in der Forschungsliteratur verschiedene Realisierungen
[19] Vgl. RF, V. 405
[20] Weitergefuhrt unter dem Kapitel der Minne dieser Arbeit.
[21] Reinhart/Reineke Fuchs in der deutschen Literatur / Klaus Duwel, In: Michigan Germanic Studies, 1981, 7 (2), S. 233 - 248, hier S. 234
[22] RF,V. 1390ff
[23] RF, V. 1650f