Der Begriff „Grande Nation“ wird vielerorts immer noch mit Frankreich assoziiert, insbesondere im deutschsprachigen Raum wird er mit Hohn gegenüber Frankreich verwendet. Dabei ist der Begriff als Eigenbezeichnung unter den Franzosen und Französinnen längst nicht mehr in Verwendung. Der Begriff basiert auf einer Idee, die ihre Wurzeln in der französischen Revolution hat und während der Ausweitung der französischen Staatsgrenzen unter Napoleon ihre Perfektion fand: Die Idee, Frankreich sei die herausragendste aller Nationen. Diese Anmaßung gehört zur Vergangenheit, jedoch bringt sie zumindest zwei Erben mit sich: Einerseits die kollektive Erinnerung an eine Zeit größerer Macht, andererseits eine Mitverantwortlichkeit an der Herausbildung der heute am weitesten verbreiteten modernen Vergemeinschaftsform: die Nation. Die mediale Öffentlichkeit spielt eine tragende Rolle innerhalb der Identitätskonstruktion einer Nation, und so transportiert auch das Medium Film und die Filmkultur nationale Mythen und Identitätsmerkmale, die sie aus dem kollektiven Gedächtnis einer Nation schöpfen - oder jenes überhaupt erst konstituieren. In Frankreich, wo das Selbstverständnis einer Kulturnation weit verbreitet ist, stehen Künste und nationale Identitätsentwürfe in einem engen Austauschverhältnis - so auch die Filmkultur.
Daher ist es ein Ziel der vorliegenden Arbeit, anhand eines diskursanalytischen Vorgehens die Verbindung zwischen nationalen Identitätskonstruktionen und der französischen Filmkultur herauszustellen. Nach einer theoretischen Einleitung wird zunächst der französische Kulturbegriff beleuchtet und dessen nationale Narrative herausgestellt, um daraufhin die französische Kultur- und Filmpolitik seit 1945 auf die spezifischen Elemente nationaler Identitätskonstruktion zu untersuchen. Im nächsten Kapitel wird sich die Analyse auf die Repräsentation nationaler Mythen im Film konzentrieren und deren Zusammenhang zu den historischen Bedingungen herausstellen. Darauffolgend wird untersucht, inwiefern die Geschichtsschreibung bestimmte Kapitel der französischen Filmgeschichte zum einem Teil französischer Identität machte und ferner die Bedeutung der französischen Filmbildung beleuchtet, um wieder den Bogen zur politischen Dimension zu schlagen.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- 1. Einleitung
- 2. Nationale Identität und Medien
- 2.1. Ansätze zur Konstitution des (nationalen) Raumes
- 2.1.1. Nationale Identität durch Alteritätskonstruktionen
- 2.1.2. Medien als identitätsstiftende Instanzen
- 2.2. Die Nation als vorgestellte Gemeinschaft - Benedict Anderson
- 2.2.1. Gemeinschaftsformen der Vergangenheit
- 2.2.2. Die Nation als kapitalistisches Produkt
- 2.2.3. Amerikanischer und europäischer Nationalismus
- 2.2.4. Gleichzeitigkeit und Medien
- 2.3. Resonanz und Weiterentwicklung des Ansatzes
- 3. Nationale Identität und Kino
- 3.1. Kino als Projektion der Gesellschaft
- 3.3. Zusammenfassung
- 4. Kulturpolitische Aspekte französischer Identitätskonstruktionen
- 4.1. Die Französische Revolution als Geburt des modernen Nationalismus
- 4.1.1. Faktoren 'Verbissenheit und Sicherheitsbedürfnis'
- 4.1.2. Faktor 'Arroganz' – die Zivilisation als Gesellschaftsentwurf
- 4.2. Die kulturpolitische Ausrichtung Frankreichs
- 4.3. Geschichte und Gegenwart französischer Filmpolitik
- 4.4. Zusammenfassung
- 5. Nationalspezifische Narrative im französischen Film
- 5.1. Narrative und Mythen als identitätsstiftende Instanzen
- 5.2. Mythos Révolution
- 5.3. Mythos Résistance
- 5.4. EXKURS: Frenchness-Filme
- 5.5. Zusammenfassung
- 6. Mythen der französischen Filmgeschichte
- 6.1. Mechanismen der Geschichtsschreibung
- 6.2. Mythos Nouvelle Vague
- 6.3. Die Cinéphilie als nationales Narrativ
- 6.4. Filmbildung In Frankreich - ein Erbe der Cinéphilie?
- 6.4.1. Französische Ausrichtung der Filmbildung
- 6.4.2. Institutionen der Éducation au cinéma
- 6.5. Zwischenresümee
- 7. Französische Filmpolitik im internationalen Kontext
- 7.1. Die Maßnahme „exception culturelle“
- 7.1.1. Exception culturelle - eine Identitätsstiftende Maßnahme?
- 7.2. Kulturelle Diversität als 'Heilmittel' der Globalisierung?
- 7.2.1. Verteidigung des Konzepts diversité culturelle
- 7.2.2. Diskussion des Konzepts diversité culturelle und der außenkulturpolitischen Linie Frankreich
- 7.3. Zwischenresümee
- 8. Postkoloniale Ordnung afrikanischer Filmkulturen
- 8.1. Französisch-afrikanisches Kino als Spiegel der Dekolonisierungsprozesse
- 8.1.1. Die Entstehung des afrikanischen Kinos
- 8.2. Inner-afrikanische Barrieren
- 8.3. Dependenzverhältnisse afrikanischer Filmkulturen
- 8.3.1. Französische Kooperation seit dem Ende der Kolonialzeit
- 8.3.2. Das französische Außenministerium als Steuerungsorgan afrikanischen Filmschaffens
- 8.3.3. Die Rolle des Publikums
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die vorliegende Masterarbeit untersucht die enge Beziehung zwischen Filmkultur und nationaler Identität am Beispiel Frankreichs. Die Arbeit analysiert, wie französische Filmkultur durch die Verbindung von narrativen Elementen und kulturpolitischen Maßnahmen die nationale Identität des Landes prägt. Sie befasst sich insbesondere mit der Frage, inwiefern der französische Film zum Verständnis des französischen Selbstbildes und der Kulturpolitik beiträgt.
- Die Rolle des Films als Medium der Identitätskonstruktion und -vermittlung
- Die Verbindung von Filmkultur und nationaler Identität in Frankreich
- Die kulturpolitische Ausrichtung Frankreichs im Bereich Film
- Nationsspezifische Narrative und Mythen im französischen Film
- Die Bedeutung der Cinéphilie für die französische Filmkultur und das Selbstverständnis
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung führt in die Thematik der Masterarbeit ein und erläutert den Zusammenhang zwischen Filmkultur, nationaler Identität und der „Grande Nation“ Frankreichs. Kapitel 2 beleuchtet die Beziehung zwischen nationaler Identität und Medien allgemein. Es werden verschiedene Ansätze zur Konstitution des (nationalen) Raumes vorgestellt, insbesondere die Rolle von Medien als identitätsstiftende Instanzen. Kapitel 3 widmet sich dem spezifischen Einfluss des Kinos auf die Konstruktion nationaler Identität. Es wird erörtert, wie das Kino als Projektion der Gesellschaft und als Medium zur Vermittlung von Werten und Normen dient. Kapitel 4 untersucht die kulturpolitischen Aspekte französischer Identitätskonstruktionen. Es werden die historischen Wurzeln des französischen Nationalismus, die kulturpolitische Ausrichtung Frankreichs und die Geschichte und Gegenwart französischer Filmpolitik beleuchtet. Kapitel 5 analysiert die nationale Besonderheit von Narrativen im französischen Film. Es werden verschiedene Mythen wie die „Mythos Révolution“ und die „Mythos Résistance“ untersucht, die zur Konstruktion der französischen Identität beitragen.
Schlüsselwörter (Keywords)
Nationale Identität, Filmkultur, Frankreich, „Exception culturelle“, Cinéphilie, nationale Narrative, Mythen, Kulturpolitik, Dekolonisierung, französisch-afrikanisches Kino.
- Arbeit zitieren
- Laura Willms (Autor:in), 2012, Exception culturelle = culture exceptionnelle? Filmkultur, nationale Identität und kulturelle Macht Frankreichs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301141