Psychologische Aspekte der Beeinflussung von Schiedsrichterleistungen im Fußball


Examensarbeit, 2000

113 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Allgemeine Aspekte der Schiedsrichtertätigkeit
2.1 Anforderungen und Qualifikationen
2.1.1 Physische Anforderungen
2.1.2 Psychische Anforderungen
2.2 Stressoren der Schiedsrichtertätigkeit
2.3 Wahrnehmung und daraus resultierende Konfliktbildung
2.4 Differenzierte Schiedsrichtertypen
2.5 Regulationsfunktionen durch Schiedsrichter

3. Der Social – Cognition – Ansatz als Rahmenmodell
3.1 Wahrnehmung
3.2 Kategorisierung
3.3 Gedächtnisorganisation
3.4 Urteilen und Entscheiden
3.5 Priming
3.6 Stereotypenbildung

4. Hypothesen

5. Methode
5.1 Überblick und Versuchsplan
5.2 Stichprobe
5.3 Variablen
5.4 Realisierung

6. Ergebnisse

7. Diskussion
7.1 Diskussion der Ergebnisse
7.2 Psychologische Aspekte der Schiedsrichterschulung
7.2.1 Psychologische Schiedsrichterschulung (nach Heisterkamp 1982)
7.2.2 Wahrnehmungs- und Entscheidungstraining für Fußballschiedsrichter (nach Plessner & Raab 2000)

8. Zusammenfassung

9. Literaturverzeichnis

10. Anhang

1. Einleitung

In nahezu allen wettkampfmäßig betriebenen Sportarten agieren Schiedsrichter, um einen regelkonformen Ablauf der Sportveranstaltungen zu gewährleisten. Ihre Entscheidungen und Urteile beruhen dabei auf dem jeweils gültigen Regelwerk. Die Spielregeln und Regularien sind ihrerseits mehr oder weniger eindeutig formuliert, damit eine korrekte Anwendung prinzipiell möglich ist (vgl. Haase in Druck).

Die theoretische Zielsetzung lässt sich allerdings nicht immer problemlos realisieren. Nahezu regelmäßig stehen Schiedsrichter im öffentlichen Interesse, meistens in der Kritik. Ihr Image ist eindeutig geprägt und vorbelastet. Sie werden des öfteren für Niederlagen verantwortlich gemacht oder gar mit absichtlichen Fehlurteilen konfrontiert.

Unmutsäußerungen zu Schiedsrichterentscheidungen gehören in den lokalen und überregionalen Printmedien heute zum sportpolitischen Alltag. Die Sportpsychologie beobachtet einen derartig „external – variabel“ ausgerichteten „self – serving – bias“ (vgl. Weiner et al. 1971, in Möller 1994) in der Argumentation der „Verlierer“ schon seit geraumer Zeit. Dabei haben neuere Fußballuntersuchungen aufgezeigt, dass die weitaus größte Anzahl der dynamischen Spielvorgänge trotz schwierigster Rahmenbedingungen richtig erkannt und beurteilt wird[1]. Andererseits lassen sich nachweisbare Fehlentscheidungen keineswegs immer als Einzelfälle deklarieren. Insbesondere jene Sportarten, in denen Menschen als Schiedsrichter fungieren, offenbaren gelegentliche Unzulänglichkeiten in der Wahrnehmung und Beurteilung durch das „Messinstrument“ Mensch.

Empirische Arbeiten, wie sie in der vorliegenden Examensarbeit vorgestellt werden sollen, führen letztlich zur Schlussfolgerung, dass systematische Fehlurteile in entsprechenden Situationen von Schiedsrichtern wiederholt werden (vgl. Plessner & Raab in Druck). Schiedsrichterentscheidungen und demnach auch Urteilsverzerrungen basieren auf unterschiedlichsten Ursachen, die größtenteils Beachtung in dieser Examensarbeit finden sollen (Kapitel 2).

Spielleiter unterliegen vor, während und nach dem Spiel einer Vielzahl an Stressoren und unterschiedlichen Einflüssen. Die Arbeit listet spezifische Anforderungen und Qualifikationen des Schiedsrichteramts auf und analysiert sie aus sportpsychologischer Betrachtungsweise. Darüber hinaus sollen dem Leser Einblicke in die brisante Schiedsrichtersituation sowie die ablaufenden Regulationsfunktionen durch Unparteiische vermittelt werden.

In einem weiteren Schritt werden, unter Zuhilfenahme des Social – Cognition Ansatzes der Sozialpsychologie, bisherige Arbeiten zu Schiedsrichterurteilen aufgegriffen und systematisiert (Kapitel 3).

Die Anwendung des Social – Cognition Ansatzes leitet zu einer eigenen Fragestellung (Kapitel 4) über, die mit einer empirischen Untersuchung belegt wird (Kapitel 5). Gegenstand dieses empirischen Teils sind externe Beeinflussungsmöglichkeiten auf Schiedsrichterleistungen. Insbesondere wird dabei der Frage nachgegangen, inwieweit Vorinformationen („Priming“) zu Urteilsverzerrungen verleiten können.

Die Relevanz der gesetzten Fragestellung lässt sich durch die aktuelle Situation der Schiedsrichter im Sportspiel Fußball ausgiebig begründen. Mit der Kommerzialisierung des Leistungssports berühren Schiedsrichter-entscheidungen zunehmend materielle Interessen der Spieler, Vereine und des gesamten Umfeldes. Eine faire Akzeptanz von Entscheidungen ist daher keineswegs mehr der Normalfall. Manipulierende Eingriffe seitens der Vereine[2] sowie permanenter psychischer Druck der Spieler, Trainer, Betreuer und Anhänger führen zu häufigen Urteilsfärbungen im Fußball. Darüber hinaus wird der Frage nachzugehen sein, inwieweit öffentliche Erwartungshaltungen, ausgelöst durch mediale Berichterstattungen[3], existieren.

Dieses Verhalten stellt hohe Anforderungen an Unparteiische, denen sie gerecht werden müssen: Neben fachlicher Kompetenz und physischer Fitness, sind psychische Stabilität, Selbstsicherheit und Autoritätsausstrahlung gefordert. Auch diese Zusammenhänge sollen in der vorliegenden Examensarbeit erläuternd dargestellt werden.

Der aus der Empirie resultierende Ergebnissteil (Kapitel 6) soll derartig auftretende Urteilsfärbungen gezielt aufzeigen und transparent machen.

Im anschließenden Diskussionskapitel (Kapitel 7) erfolgt die Analyse der ermittelten Ergebnisse, wobei das Kapitel durch mögliche Erklärungsansätze ergänzt wird. Im abschließenden Teil wird der Versuch unternommen, ein umsetzbares Lehrgangskonzept zu erstellen (Kapitel 7.1 und Kapitel 7.2). Somit liegt eine entscheidende Zielsetzung der Examensarbeit in anwendbaren Maßnahmen zur Optimierung von Schiedsrichterleistungen.

Das in dieser Arbeit vorgestellte Programm soll darüber hinaus ab dem Spieljahr 2001/2002 erstmalig im Fußballkreis – Lüdinghausen Anwendung finden. Die beteiligten Nachwuchsschiedsrichter sollen über ihre Eindrücke und einen eventuellen Nutzen befragt werden. Letztlich könnte ein überarbeiteter Einsatz im gesamten Verbandsgebiet ins Auge gefasst werden.

2. Allgemeine Aspekte der Schiedsrichtertätigkeit

Im folgenden Kapitel werden unterschiedliche Aspekte der Schiedsrichtertätigkeit aus sportpsychologischer Sicht betrachtet. Diese Aspekte beinhalten sowohl die Anforderungen und Qualifikationen an heutige Schiedsrichter (Kapitel 2.1), die Beeinflussungsfaktoren, denen Spielleiter ausgesetzt sind (Kapitel 2.2), als auch die Problematik der unterschiedlichen Wahrnehmung und der daraus resultierenden Konsequenzen für die Spielleitung. Anhand eines Beispiels für unterschiedliche Wahrnehmungsmöglichkeiten wird dem Zusammenhang von Wahrnehmung und Konfliktbildung (Kapitel 2.3) nachgegangen. Es schließt sich eine überspitzte Charakterisierung verschiedener Schiedsrichtertypen, die durchaus der Praxis entstammt, an (Kapitel 2.4). Abschließend werden in Kapitel 2.5 die Regulationsfunktionen im Spielverlauf, welche Unparteiische aufgrund ihrer Funktionen und Kompetenzen ausüben sollen, dargelegt.

Die in diesem Kapitel abgehandelten Einflussfaktoren sollen letztlich auch in den Anforderungen an die Ausbildung von Schiedsrichtern (Kapitel 7.1 und Kapitel 7.2) Berücksichtigung finden.

2.1 Anforderungen und Qualifikationen

Spielleiter treten in den verschiedensten Sportarten auf, dementsprechend üben sie auch differenzierte Funktionen aus. Derartige Funktionen sind beispielsweise das Messen (in der Leichtathletik), Punkten (beim Boxen), Werten (beim Kunstturnen) oder Urteilen (im Handball).

Betrachtet man die Aufgabenstellung bei Spielleitungen, so stellt sich zwangsläufig die Frage, welchen Anforderungen ein Schiedsrichter gerecht werden muss. Der Schiedsrichter im heutigen Sportspiel verkörpert eine Richterfunktion. Er muss im Konfliktfall unter psychisch außerordentlich belastenden Bedingungen (vgl. Kapitel 2.2) auf der Stelle Entscheidungen treffen, die zudem unpopulär ausfallen können.

Der Schiedsrichter hat keine Möglichkeit, sich vor einer Entscheidung durch Beweismittel über den Tatbestand zu vergewissern. Es sei die Frage erlaubt, in welcher anderen Situation ein Urteil ohne Beratung sofort gefällt werden muss? Diese Ausgangssituation lässt bereits auf ein gewisses charakteristisches Anforderungsprofil schließen.

Die Aufgabenstellung wird zudem durch das massive Interesse der Öffentlichkeit und den damit verbundenen Medieneinsatz in den Stadien zunehmend schwieriger. Dadurch bedingt, dass individuelle Meinungsbildung in der heutigen Zeit durchaus von Medien beeinflusst oder gar gänzlich bestimmt wird, entwickelt sich die Berichterstattung zu einem psychischen Martyrium für Spielleiter. Die vorherrschende Medienlandschaft vermag durch Zeitlupenbetrachtungen kritische Situationen in aller Ruhe aufzulösen und „auszuschlachten“. Bis ins Detail werden nach allen Regeln der technischen Kunst Schiedsrichterentscheidungen „(...) seziert, diskutiert, und aus allen möglichen und unmöglichen Blickwinkeln beleuchtet und erhellt (...)“ (Bauer 1988, 25). Außerdem werden die Szenen im Fernsehen dann von Reportern „(...) nach eigenem Gutdünken (...)“ interpretiert und mit einer Wertigkeit versehen, die „(...) sie oft nicht rechtfertigen können“ (Bauer 1988, 25). „Klar abseits – es sei denn, die Zeitlupe belehrt uns eines Besseren“ (ZDF – Sportkommentator Bela Rethy, in Dikty 1999, S. 113).

Diese modernen Hilfsmaßnahmen bleiben, obwohl sie des öfteren kontrovers diskutiert werden, dem Schiedsrichter verwehrt. Der Unparteiische muss sich auf die Einmaligkeit des Sehens, zugleich aus seiner visuellen Perspektive, beschränken. Diese einmalige Wahrnehmung des Vorgangs ist mit einer Reihe von „Messfehlern“ bei der Beurteilung der Situation behaftet, die in Kapitel 2.3 differenziert untersucht werden sollen. Zudem wird der Spielleiter zu schnellen Entscheidungen, ohne auf eventuelle Rekapitulationsmöglichkeiten zurückgreifen zu können, gezwungen (vgl. Anmerkungen zum neuen Beobachtungsbogen, in DFB-Schiedsrichterzeitung 1997, 3, S. 8-9).

Überschriften wie „Muß der Schiedsrichter ein Supermann sein?“ (Poigné 1988, S. 15) spiegeln des weiteren die enorme Erwartungshaltung wieder, welche die Öffentlichkeit heutzutage dem Leiter eines Sportspieles entgegenbringt. Insgesamt scheinen die Erwartungen jedoch mehr dem Wunschdenken an die Fähigkeit eines Übermenschen zu entspringen. Den zum Teil völlig überzogenen Anforderungen wie sie beispielsweise Poigné (1988) formulierte,„Der Schiedsrichter muss konditionell der stärkste Mann auf dem Spielfeld sein, immer auf Ballhöhe, (...)“, stehen die eher gemäßigten Anforderungen des ehemaligen DFB - Lehrwartes Ebersberger (1996) gegenüber. Hier heißt es in einer Art Tugenden -Katalog: „Der Schiedsrichter soll - das ist beinahe einhellige Meinung der Trainer, Vereinsvertreter und Zuschauer -

- das Spiel neutral und objektiv leiten,
- gerecht sein,
- keine Unterschiede in der Bewertung gleicher Spielvorgänge oder

Vorkommnisse machen,

- alle Spieler gleich behandeln,
- klare Entscheidungen treffen,
- mitlaufen, möglichst immer in Spielnähe sein,
- Verständnis für die Spieler aufbringen (und nicht zu empfindlich auf

Kritik reagieren),

- konsequent sein,
- sich nicht beeinflussen lassen“.

In der Diskrepanz dieser beiden Aussagen, auf der einen Seite das fiktive Idealbild eines fehlerlosen Übermenschen, auf der anderen Seite die berechtigten und realisierbaren Anforderungen, liegen viele Konfliktpunkte der Schiedsrichtertätigkeit, sowie deren Darstellung in der Öffentlichkeit, zugrunde. Eine der Aufgaben und Ziele dieser Examensarbeit ist es, unter anderem den Blick für die Schwierigkeit des Schiedsrichteramtes im Sportspiel Fußball eingehend herauszustellen.

Das Anforderungsprofil an Schiedsrichter und damit auch die zu erbringenden Qualifikationen haben sich weitestgehend verändert. Das „öffentliche Interesse“ an der Person des Schiedsrichters ist stark gestiegen. Die zu erbringende Courage im Umgang mit der Öffentlichkeit hat sich zu einem weiteren Bestandteil der relevanten Anforderungen entwickelt. Der damit verbundene Druck,„(...) ausgeübt durch eine Medienberichterstattung, die einen Vergleich zu früheren Zeiten überhaupt nicht mehr zulässt, formt letztlich auch die Schiedsrichter“ (Amerell 1999, S. 26).

Zusammenfassend lassen sich drei dominierende Aufgabenfelder der Schiedsrichtertätigkeit hervorheben (vgl. Plessner & Raab 1999, S. 133) :

a) Schiedsrichter sollen im Rahmen der jeweiligen Regelordnung den Richtlinien des Wettkampfs Geltung verschaffen. Die Regelanweisungen sollen regelkonform umgesetzt werden.
b) Schiedsrichter müssen jedoch ebenfalls in der Lage sein, Abweichungen von den vorgegebenen Regeln zuzulassen. Dabei werden Grenzen definiert, in denen Abweichungen als zulässig erachtet werden.
c) Konsequenterweise sollten Schiedsrichter durch situative und personale Einschränkungen stets bestrebt sein, ihre Leistungen zu professionalisieren. Dieses Unterfangen sollte trotz vorhandener Widrigkeiten und Stressfaktoren angestrebt werden.

Es steht außer Zweifel, dass die dynamische Entwicklung des Fußballspiels die Aufgabenstellung für den Spielleiter nicht einfacher gestaltet. Unter anderem fordert Riedel bereits 1973: „Der Schiedsrichter muss sich den qualitativen Entwicklungen und Veränderungen im Leistungssport Fußball entsprechend anpassen und seinerseits eine neue, höhere Qualität erreichen“ (Riedel 1973, S. 41). Diese Forderung ist sowohl auf die psychische, als auch auf die physische Leistungsebene ausgerichtet.

Gleicher Auffassung ist ebenfalls der FIFA – Generalsekretär Blatter, der sich speziell zum professionellen Fußball äußerte: Die FIFA als übergeordnete und weisende Organisation ist von einem veränderten Anforderungsprofil der Schiedsrichter in professionellen Ligen überzeugt. Die aktuelle Leistungsebene erfordert sowohl eine komplexe physische als auch psychische Vorbereitung der Spitzenschiedsrichter. Eine professionelle Einstellung allein reicht für einen Spitzenschiedsrichter nicht mehr aus, die Aufgabenstruktur gestaltet sich umfangreicher. Ebenso professionell sollte auf das individuelle Training, die „Matchvorbereitung“, die Pflege und nicht zuletzt auch auf unerlässliche Ruhepausen geachtet werden (vgl. Blatter 1992, S. 20).

2.1.1 Physische Anforderungen

Schiedsrichter im Fußball werden speziell im konditionellen Bereich enorm gefordert. Diese Entwicklung erscheint mit der Zunahme des Spieltempos und der Fitness der Aktiven nachvollziehbar. Für moderne Schiedsrichter ist es unerlässlich, sich auf diese Anstrengungen vorzubereiten. Es scheint offensichtlich, dass Unparteiische in unmittelbarer Nähe zum Spielgeschehen Regelwidrigkeiten klarer erkennen. Ein weiterer Fitness - Vorteil liegt in der besseren Akzeptanz der Entscheidungen seitens aller Beteiligten, womit viele der Konfliktpunkte auf dem Spielfeld erst gar nicht aufkommen. Mentale Belastungen, denen sich Schiedsrichter notgedrungen ausgesetzt sehen (vgl. Kapitel 2.2 und Kapitel 2.5), sind zudem leichter zu tragen, wenn die athletischen Komponenten stimmen (vgl. McMullen 1984, S. 55).

Eine Studie von Eissmann (1996) zeigt, dass Schiedsrichter in Bundesligaspielen im Durchschnitt 12 km Laufstrecke zurücklegen, während Spieler im Schnitt nur 10 km absolvieren. Neueste Trainingsprogramme (vgl. Garcia - Aranda 1996) und Empfehlungen des Deutschen Fußball Bundes berücksichtigen diese Untersuchungsergebnisse bereits. Auswahl- und Lehrgangskriterien des DFB beachten streng die psychische Konstitutionen der einzelnen Schiedsrichter. Durch diese strikte Handhabung sollen Spielleiter den gewachsenen physischen Anforderungen gerecht werden.

2.1.2 Psychische Anforderungen

Auch die psychischen Erwartungshaltungen an Unparteiische sind, nicht zuletzt aufgrund der kommerziellen Entwicklung der Sportart Fußball, gewachsen. Der leistungsstarke, moderne Fußballschiedsrichter sollte über ausgeprägte psychische Eigenschaften verfügen, um den gestiegenen Anforderungen, insbesondere seitens der Öffentlichkeit, gerecht zu werden. Dass diese „übermenschliche“ Zielsetzung nicht immer zu erbringen ist, ist ein weiterer Untersuchungsgegenstand der vor-liegenden Examensarbeit und wird noch abzuhandeln sein (vgl. Kapitel 2.3 und Kapitel 2.5).

Die angesprochene Erwartungshaltung, die speziell an die geistige Leistungsbereitschaft des Referees appelliert, kann vielfältiger Natur sein und erbringt in ihrer Gesamtheit einen stattlichen Katalog. Bereits Riedel (1973) erkannte die Wichtigkeit einer konstanten Psyche bei Unparteiischen und hob vor allem „(...) die geistige Beweglichkeit, die Reaktionsfähigkeit und die Nervenkraft( ..)“ (Riedel 1973, S. 41) hervor. Dazu tragen seiner Ansicht nach auch „(...) hohe Persönlichkeitswerte mit ausgeprägten Komponenten der Autorität“, die „(...) Beherrschung der Kunst, Menschen zu führen, zu lenken, zu leiten und letztlich zu erziehen, sowie allgemein gefasst „Kenntnisse der Grundlagen der Psychologie (..).“, (Riedel 1973, S. 42) bei.

Gleicher Auffassung ist auch Isberg (1982), der die Bewältigung einer Vielzahl von belastenden Situationen im Spielverlauf als wichtigste Anforderung an die Leistung von Schiedsrichtern herausstellt.

Einen weiteren, qualitativen, Faktor bei Spielleitungen impliziert die Regelsicherheit und deren konsequente Umsetzung. Um auf dem Spielfeld dementsprechend sicher und souverän agieren zu können, bedarf es Schiedsrichter mit eigener Persönlichkeit.

Der DFB - Schiedsrichtersprecher Amerell (1999) sieht in der Persönlichkeit des Schiedsrichters sogar „(...) das wichtigste Element für eine erfolgreiche Spielleitung (...)“ (Amerell 1999, S. 25). Die Notwendigkeit als Spielleiter eine Persönlichkeit zu verkörpern wird auch von Blatter (1992) betont: „Der Schiedsrichter ist ein Einzelkämpfer inmitten von 22 Spielern, Zehntausenden von Zuschauern im Stadion und Millionen am Bildschirm. Es gibt nur wenige vergleichbare Aufgaben, die mit einer derartigen Belastung verbunden sind“ (Blatter 1992, S. 20).

Die Möglichkeiten einer angepassten, psychologischen Ausbildung von Unparteiischen sollen in Kapitel 7.2 der vorliegenden Examensarbeit abgehandelt werden.

2.2 Stressoren der Schiedsrichtertätigkeit

In diesem Kapitel sollen vorwiegend die Einflüsse behandelt werden, die von außen auf die Psyche einwirken und somit in die Entscheidungsstruktur eingreifen können. Jene Beeinflussungen, die in der Regulationsfunktion des Schiedsrichteramtes begründet liegen, sollen zu einem späteren Zeitpunkt einer detaillierten Betrachtungsweise unterzogen werden (vgl. Kapitel 2.3, Kapitel 2.4 und Kapitel 2.5).

Seitdem Schiedsrichter im Sportspiel Fußball unverzichtbar geworden sind, können auch einwirkende Einflüsse auf das Bewusstsein dieser Personen nicht verleugnet werden.

Eine erste imposante Stressquelle stellen die Vereine, die in der heutigen Zeit zu wirtschaftlichen Großbetrieben avancieren, dar. Die Verzahnung von sportlichem und wirtschaftlichem Erfolg erscheint trivial. Das „Siegen um jeden Preis“ steht im Vordergrund und ist geradezu Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Diese Entwicklungstendenzen lassen sich beispielsweise an den enormen finanziellen Etats der Vereine aufzeigen. Dabei wird der Fair-Play Gedanke trotz anderslautender Aussagen vernachlässigt; der Blick der Spieler „(...) für ein regelkonformes Verhalten auf dem Fußballplatz ist stark getrübt“ (Bühler 1989, S. 37). Prämiensysteme seitens der Vereine motivieren Spieler, in einem solchen betriebswirtschaftlichem Kontext zu zusätzlichen Leistungssteigerungen. In diesem Prozess versuchen Spieler mitunter auch die Psyche des Schiedsrichters durch Gesten, Mimiken, Diskussionen und letztlich auch durch Drohungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Neben den Spielern sind aber anscheinend immer noch „(...) Zuschauer der klassische Faktor der Einflussnahme auf den Schiedsrichter (...)“ (Zanev 1986, S. 22), da Zuschauer durch ihre Äußerungen und Verhaltensweisen ein permanentes Feedback an den Spielleiter abgeben. Die Richtigkeit dieser Annahme wird im weiteren Verlauf kritisch zu hinterfragen sein.

Aufgabe des Unparteiischen ist es, unter diesen psychologisch schwierigen Bedingungen, die angebrachten Regulationsfunktionen auszuüben (vgl. Kapitel 2.5). Dieser Aufgabenstellung kann der „Mensch Schiedsrichter“ nur so lange unbeeinflusst und objektiv nachkommen, wie es ihm gelingt „(...) Herr der Spannung zu werden, die mit jeder Minute wächst (...)“ (Zanev 1986, S. 21).

Isberg (1982) setzt sich mit den psychologischen Problemen von Schiedsrichtern vor, während und nach dem Spiel auseinander, wobei die vielfältigen Stresssituationen während des Spiels den gravierendsten Stressfaktor darstellen. Weitere Stressquellen liegen in der korrekten Handhabung der persönlichen Strafen, sowie in der Zusammenarbeit mit den Schiedsrichterassistenten. In diesem Zusammenhang erscheint es besonders bedeutsam darauf hinzuweisen, dass die Zusammenarbeit mit den Assistenten keineswegs immer als Unterstützung angesehen werden kann. Darüber hinaus stellen während einer Spielleitung kontroverse Entscheidungen, d.h. offensichtlich falsche Entscheidungen oder unterlassenes Eingreifen des Spielleiters, die bedeutendsten Stressursachen dar. Außerhalb des Spielfeldes befindet Isberg die unverantwortliche Kritik der Massenmedien und der betroffenen „(...) Vereinsführungen als ein in hohem Maße belastendes Element“ (Teipel, Kemper, & Heinemann, 1999, S. 57).

Den Versuch einer psychischen Beanspruchungsrangfolge erstellen Taylor & Daniel (1988). Bei dieser Untersuchung werden 215 kanadische Schiedsrichter direkt, mittels eines speziell entwickelten Fußball – Schiedsrichter-Stress-Fragebogens, befragt. Der Fragebogen zielt anhand von 53 Aussagen auf potentiell akute bis chronische Stressoren ab, die mit Hilfe einer 4 – Punkte - Likert - Skala ausgewertet werden.

Die Rangfolge verdeutlich eindrucksvoll, dass die meisten Belastungsbedingungen als „unwesentlich belastend“ von den Referees eingestuft werden. Als besonders belastend wird von den Schiedsrichtern die Leitung eines „schlechten“ Spiels angegeben. Eine genauere Definition dieses Stressors fehlt allerdings. Ebenso wird die „Leitung mit schlechten Assistenten“ und offensichtlich „falsch getroffene Entscheidungen“ als stressend empfunden. In diesen Aussagen stimmen die Ergebnisse von Taylor & Daniel (1988) mit der vorangestellten Untersuchungsstudie von Isberg (1982) überein. Psychisch belastende Situationen ergeben sich auch beim Umgang mit erregten Spielern und Trainern. Im Gegensatz zu Zanev (1982) wird die Präsenz von Zuschauern, selbst wenn diese nah am Spielfeldrand stehen, keineswegs als gewichtiger Stressor bei einer Spielleitung eingeschätzt.

Tabelle 1 : Einschätzung der Schiedsrichter - Stressoren nach

Taylor & Daniel 1988

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Skalaerläuterung: 0 = nicht stressend bis 3 = sehr stressend

Eine weitere Diplomarbeit von Frütel (1995), unter Mitwirkung von 25 Bundesliga - Schiedsrichter, untermauert ähnliche Erkenntnisse. Danach wird die versuchte Einflussnahme durch Zuschauerreaktionen als unbedeutend von den Bundesliga-Schiedsrichtern eingestuft, was als Gegensatz zu Zanevs Aussagen (1986) gedeutet werden kann. Ebenso lassen sich erfahrene Spielleiter ihren eigenen Aussagen zufolge von Trainerkommentaren oder Spielerprotesten nicht stören. Wie bei den vorangestellten Untersuchungen stellt sich auch in dieser Studie der Stressfaktor „Privatleben“ als unerheblich auf die Leistung während des Spiels dar. Bedeutsame Stressoren werden hingegen bei der „visuellen Wahrnehmung“ deutlich. Das Stellungsspiel der Schiedsrichter und die daraus resultierende visuelle Perspektive ist für 77,4% der befragten Referees der Hauptgrund für Fehlentscheidungen. Ebenso beurteilen 74,2% der Bundesliga-Schiedsrichter die „Einmaligkeit des Sehens“ als bedeutsamen Stressfaktor. Allerdings fällt in diesem Zusammenhang auf, dass der Gedanke an mögliche Zeitlupenwiederholungen durch das Fernsehen von 90,3% als wenig störend empfunden wird. Als Grund für diese Einschätzung der Unparteiischen kann die ständige Bereitschaft zu einer optimalen Beurteilung angeführt werden. Angst vor einer Überführung durch Fernsehnzeitlupen wird daher anscheinend als wenig belastend empfunden. Ein zusätzlicher, interessanter Aspekt der Untersuchung ist die Fragestellung nach „Stress in bestimmten zeitlichen Spielphasen“. Die befragten Schiedsrichter bestätigen, dass sowohl die Anfangsphase (für 74,2%), als auch die Endphase (für 61,3%) einer Paarung als besonders belastend empfunden wird.

Eine andere Zielsetzung verfolgt Teipel (1996) im Rahmen seiner Studie über „Einstellungen zu Handlungsfehlern bei Schiedsrichtern im Fussball“. Der Autor konfrontiert seine Probanden, Schiedsrichter von der Bundesliga bis hin zur Kreisliga, mit möglichen problematischen Spielsituationen. Anhand dieser Befragung stellt sich eine differenzierte Belastungsintensität zwischen Spielleitern hoher und niedriger Spielklassen heraus. Schiedsrichter niedriger Spielklassen empfinden strittige Situationen, bei denen eine Verwarnung ausgesprochen wird, als „belastender“ im Vergleich zu Schiedsrichtern hoher Spielklassen. Keine signifikanten Kontroversen gibt es hingegen beim Übersehen einer Tätlichkeit im Rücken des Schiedsrichters, bei der Gefahr, die Spielkontrolle zu verlieren, und beim Übersehen von gefährlichen Grätschen. Diese Situationsentscheidungen werden von beiden Schiedsrichtergruppen als enorme Belastungen im Spielverlauf herausgestellt.

2.3 Wahrnehmung und daraus resultierende Konfliktbildung

In diesem Kapitel soll der Wahrnehmungsablauf zunächst kurz theoretisch angegangen werden, bevor ein Beispiel für optische Täuschungen den Wahrnehmungsprozess zu verdeutlichen versucht. Im Anschluss wird der Bezug zur Tätigkeit des Schiedsrichters hergestellt, woran sich dann auch die Konfliktbildung anschließt.

Der Wahrnehmungsprozess beginnt mit der Sinneserfahrung, schließt jedoch gleichzeitig auch eine Vielzahl an anderen Prozessen mit ein. Sämtliche Informationen der Umwelt müssen bewertet, ausgewertet und eingestuft werden. Zimbardo & Gerrig (1996) unterscheiden dabei drei zu durchlaufende Stufen des Wahrnehmungsprozesses. Diese hierarchisch angeordneten Abschnitte sind: das Empfinden, das Organisieren sowie das Identifizieren und Einordnen. In einem ersten Schritt erfolgt die Umwandlung der physikalischen Energie in neural kodierte Informationen, welche dann im folgenden Schritt vom Gehirn weiterverarbeitet werden. Diese zweite Stufe der „Organisation von Wahrnehmungen“ baut eine innere Repräsentation des Objekts oder des betreffenden Ereignisses auf. Abschließend werden im dritten Schritt diesen „Perzepten“ Bedeutungen zugewiesen, die aus der Erinnerung abgerufen werden. Dies ist die Stufe des „Identifizierens und Einordnens“, die Stufe der „recognition“ (vgl. Zimbardo & Gerrig 1996, S. 148).

Der Wahrnehmungsprozess soll nunmehr an einem mittlerweile klassischen Beispiel nach Sander (1967) verdeutlicht werden: „Wahrnehmung ist ein dynamischer Vorgang, bei dem der eine oder andere Faktor eines Gesamtgeschehens mehr oder weniger in das Bewusstsein tritt“ (Sander 1967, S. 86).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Wahrnehmungs- Parallelogramm nach Sander 1967

Vergleicht man die Verbindungslinien BF und BD, so ist es naheliegend, die Strecke BF als längere der beiden Strecken anzusehen. Tatsächlich sind beide Diagonalen allerdings gleich lang. Erklärt werden kann dieses Phänomen mit der Tatsache, dass bei der Betrachtung dieses Parallelogramms nicht nur die zu vergleichenden Verbindungslinien ins Auge fallen, sondern das Parallelogramm in seiner Gesamtheit. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der unterschiedlichen Größe der Teilparallelogramme ABEF einerseits und BCDE andererseits zu. Der Betrachter nimmt ein größeres Rechteck, nämlich ABEF wahr, womit ihm auch die Diagonale BF als die längere suggeriert wird.

Heisterkamp benutzt diese optische Täuschung zur Erklärung der Auslegungsproblematik von Schiedsrichtern. Der Autor geht von der Annahme aus, dass die beiden Schenkel BF und BD des Dreiecks BEF symbolisch für ein und dieselbe Spielsituation während eines Fußballspiels stehen. Die beiden verschieden großen Teilparallelogramme symbolisieren die Einstellungen beider Mannschaften. Die für eine Mannschaft in der jeweiligen Spielsituation spezifische Erwartung wird dazu führen, dass ein objektiver Tatbestand jeweils unterschiedlich wahrgenommen wird (vgl. Heisterkamp 1977, S. 456).

Der Schiedsrichter ist seinerseits zur Objektivität verpflichtet, womit es ihm nicht gestattet ist, zu der einen oder anderen Sichtweise zu tendieren. Der Spielleiter ist gezwungen, sich von den Sichtweisen der Mannschaften zu lösen und eine persönliche, differenzierte Wahrnehmungsordnung vorzunehmen. Diese Notwendigkeit, die sich durch seine Position im Spielgeschehen ergibt, bedeutet wichtige Aspekte im Spiel wie z.B. Regelübertretungen zu extrahieren. Das Dreieck BDF kann somit als das dem Spielleiter eigene Bezugssystem gesehen werden.

Für Eberspächter (1993) hat jede Person, somit also auch jeder Teilnehmer an einem Fußballspiel, ihre eigene Sicht von den Bedingungen und Wirkungen des ablaufenden Geschehens. „Ein und dasselbe (objektiv gegebene) Geschehen, ein und derselbe Sachverhalt werden von verschiedenen Personen (subjektiv) unterschiedlich erlebt und wahrgenommen, oder ein und dieselbe Anforderung wird in verschiedenen Umwelten sehr unterschiedlich erlebt“ (Eberspächter 1993, S. 15).

Durch subjektive Zielvorstellungen der am Spiel beteiligten wird ein Ereignis dementsprechend „subjektiv gefärbt“ wahrgenommen. Die vorherrschende Angst vor einer Niederlage bzw. die Hoffnung auf einen Sieg trüben die Objektivität der Betrachtungsweise. Diese Phänomene wirken sich allerdings auch auf die Person des Schiedsrichters aus. Es ist nachvollziehbar, dass auch Schiedsrichter Ängste ausstehen, Fehler begehen können und Angst davor haben „(...) sich lächerlich zu machen (...)“ (Seitz 1982, S. 9). Die aus dieser Situation entstehende idealisierte Konsequenz wäre eine gebührende Einsicht und Akzeptanz seitens der Spieler, Trainer und Zuschauer. Seitz (1982) gelangt letztlich zu der Einsicht, dass auch Schiedsrichter nicht immer Recht haben können. „Keiner darf für sich in Anspruch nehmen, alles zu sehen und immer richtig zu entscheiden“ (Seitz 1982, S. 10).

2.4 Differenzierte Schiedsrichtertypen

Der Schiedsrichter gehört als Sportler genauso zum Spiel wie die Spieler. Von allen am Spiel beteiligten Akteuren nimmt man an, dass sie stets um ihre Bestleistung bemüht sind. Da Sport in der Öffentlichkeit ausgeübt wird, muss er sich auch mit Kritikern auseinandersetzen. Im Fußball verfolgen nicht selten mehrere Tausend Zuschauer die Spiele in den Stadien und eine weitaus größere Zahl von Zuschauern vor den Fernsehgeräten. Dabei bildet sich nahezu jeder Zuschauer auch ein Urteil über die fungierenden Spielleiter. Spieler, Trainer und auch die jeweiligen Vereine wünschen sich einen guten, kompetenten und neutralen Schiedsrichter; sie fordern eine „Schiedsrichterpersönlichkeit“.

Schiedsrichter sind Menschen und somit sehr unterschiedlich in ihren Charakterzügen. In ihrer Funktion als Schiedsrichter versuchen sie allesamt, den Regeln Geltung zu verschaffen (vgl. Kapitel 2.5) und dadurch eine optimale, fehlerfreie und objektive Spielleitung auf dem Feld zu erbringen.

Albrecht & Musahl (1979) kommen in ihrer Analyse des Schiedsrichter -

Phänomens zu dem Urteil, dass Spielleiter ihre Tätigkeit „(...) im ständigen Zielkonflikt zwischen Selbstdarstellung und Unauffälligkeit ausüben (...). Durch die laufenden Entscheidungskonflikte, mit denen Schiedsrichter konfrontiert werden, liegt der Schluss nahe, dass es sich bei den meisten von ihnen um starke Persönlichkeiten handeln muss (vgl. Albrecht & Musahl 1979, S. 33).

Der ehemalige Schiedsrichterlehrwart des Deutschen – Fußball – Bundes Ebersberger (1996) verweist bei seiner Unterteilung von Schiedsrichtertypen auf lediglich zwei solche Extremcharaktere. Beide Typen werden gleichzeitig als „ungeeignet“ für das Schiedsrichteramt deklariert. Ein unsicher wirkender, zögerlich auftretender Schiedsrichter ist für Ebersberger ebenso unqualifiziert wie ein überheblich, arrogant agierender Schiedsrichter. Letzterer würde sowohl Spieler als auch Trainer und Zuschauer unnötig provozieren (vgl. Ebersberger 1996, S. 6).

In einer älteren Studie von Aresu, Bucarelli & Marongiu (1979) gehen die Autoren auf autoritäre Tendenzen bei Sportschiedsrichtern ein. Die Untersuchung umschreibt „Schiedsrichter im Allgemeinen“ als autoritäre Persönlichkeiten, was sicherlich überzogen erscheint. Ein durchaus realistisch einzuschätzendes Ergebnis dieser Studie ist hingegen, dass Fußballschiedsrichtern im Vergleich zu anderen Unparteiischen (Basketball & Tischtennis) das höchste autoritäre Verhalten aufweisen. Die Untersuchung erfolgte anhand eines Fragebogen mit Likert - Skala, die auf autoritäre Verhaltensweisen abzielte.

Nach Einschätzung der obigen Voraussetzungen drängt sich geradezu die Frage nach dem „warum“, dem Anreiz und der Motivation, für dieses besondere Hobby auf : „Warum macht jemand so etwas?“ (Wick & Fiesseler 1998).

Eine Schiedsrichterlaufbahn kann aus unterschiedlichen Gründen angestrebt werden, wobei Profilierungssucht und übertriebener Geltungsdrang ebenso fehl am Platze sind wie der Missbrauch des Regelwerkes als „Rache- und Machtinstrument“. Spielleiter die ihre Kompetenzen im Amt „auskosten“, werden selten beliebt sein und damit auf zusätzliche Diskrepanzen während einer Spielleitung stoßen. Diese Wesensmerkmale sind in einer großen Gruppe von Unparteiischen natürlich nicht gänzlich zu verleugnen, es kann dieser Entwicklung aber durchaus entgegengesteuert werden (vgl. Kapitel 7.2).

In Anlehnung an Krug (1998) sollen nunmehr fünf unterschiedliche Charaktertypen von Schiedsrichtern angedeutet werden: linientreue,militärische,arrogante,kumpelige und profilsüchtige Schiedsrichter. Ziel dieser Schiedsrichtertypologie ist „(...) die Herausstellung dominanter Merkmale und Verhaltensweisen“ (Teipel, D., Kemper, R. & Heinemann, D. 1999, S. 56), wie sie in der Praxis anzutreffen sind.

Als geradezu optimaler Spielleiter gilt der „linientreue“ Schiedsrichter. Er verkörpert und identifiziert sich mit dem Regelwerk und handelt dementsprechend. Regelverletzungen und kleinste Unsportlichkeiten werden bei diesem Schiedsrichtertypus konsequent geahndet. Als nachteilig ist die Verzettelung in unzählige, unrelevante Kleinigkeiten zu nennen, um regelkonform zu handeln. Dieses Agieren führt häufig zu vermeidbaren Streitigkeiten zwischen den Beteiligten. Die strikte, autoritäre Regelauslegung lässt kaum Spielräume, weshalb insbesondere Zuschauer vom mangelnden „Fingerspitzengefühl“ des Unparteiischen überzeugt sind.

Einen ähnlichen Typus verkörpert der „militärische“ Schiedsrichter. Diesem Sportkameraden erscheint besonders Disziplin auf dem Spielfeld als höchstes Gebot. Die Entscheidungen sind zu akzeptieren und keinesfalls in Frage zu stellen. Berechtigte Widersprüche oder ablehnende Gestiken werden nicht geduldet. Charakteristisch für diesen Typus ist seine uneingeschränkte Machtposition, die er mitunter bewusst auslebt. Dieser autoritäre Leitungsstil führt oft zu Problemsituationen, da normale Kommunikation zwischen den Parteien nicht stattfindet. Zudem wird diese Verhaltensweise von vielen Aktiven als provozierend empfunden und leitet deswegen unnötige Diskrepanzen ein.

Der arrogante Schiedsrichtertyp ist laut Krug offensichtlich am häufigsten anzutreffen. Wesentliche Merkmalsausprägungen sind die demonstrierte Überlegenheit und soziale Distanz zwischen dem Schiedsrichter und den Spielern. Die Verhaltensweise wird durch den distanzierten Umgangston bekräftigt. Der Spielleiter antwortet entweder gar nicht auf Nachfragen oder aber mit unsachgemäßen, abweisenden Antworten. Der Autor sieht diese Vorgehensweise als Selbstschutz des Spielleiters an, der dadurch seine Unsicherheit zu überspielen versucht.

Entgegengesetzte Charakterzüge weist der „kumpelige“ Schiedsrichtertyp auf. Sein Bestreben liegt in einer möglichst unkomplizierten Spielleitung. Um dieser Vorgehensweise gerecht zu werden, verzichtet dieser Typus weitestgehend auf Spielstrafen und versucht, Meinungsverschiedenheiten verbal zu begegnen. Diese Vorgehensweise führt des öfteren zu lang andauernden Diskussionen und diplomatischen Regelauslegungen. Somit handelt dieser Typ von Schiedsrichter genau entgegengesetzt zum „linientreuen“ Kameraden. Krug (1998) gibt in seiner Studie zu bedenken, dass diesem Schiedsrichter gegenüber selten Kritik geäußert wird. Diese Aussage bedeutet allerdings nicht, dass „kumpelige“ Schiedsrichter die „Besten“ ihrer Zunft darstellen. Andererseits lässt es sich auch nicht verleugnen, dass diese Sportkameraden sowohl von Spielern, als auch Vereinen, am liebsten gesehen werden[4].

Daneben lässt sich wohl auch ein „profilsüchtiger“ Schiedsrichtertyp beobachten, der in seiner Verhaltensweise Parallelen zum „kumpeligen“ Schiedsrichtertypus aufzeigt. „Profilsüchtige Spielleiter“ bevorzugen eine möglichst unkomplizierte und stressfreie Spielleitung. Die Beurteilung durch Andere avanciert bei diesem Schiedsrichtertypus zum bedeutendsten Faktor. Personen, die dem Unparteiischen gegenüber eine gute Leistung attestieren, werden vom Spielleiter bewusst aufgesucht, um in einer gelockerten Atmosphäre das Spiel nachzuerleben und das Selbstkonzept zu stärken. In diesem Kontext sind negative Erlebnisse hinderlich, weshalb dieser Schiedsrichtertypus zu einer subjektiven Auslegung der Spielstrafen neigt. Krug (1998) ist der Auffassung, bei „profilsüchtigen“ Schiedsrichtern eine Tendenz zu Heimschiedsrichtern festzustellen, die er mit den vorgenannten Argumenten zu untermauern versucht.

Eine eindeutige Einordnung von Schiedsrichtern in eine der vorgenannten Kategorien wird nicht unbedingt angestrebt, es lassen sich lediglich Merkmale und konkrete Verhaltensweisen erkennen, die eine tendenzielle Kategoriezuordnung nahe legen. Ebenso wie sich Spieler und Zuschauer stereotypisch durch Unparteiische einordnen lassen, sind auch Schiedsrichter ihrerseits nicht immun gegenüber Kategorisierungsprozessen seitens der Spieler, Trainer Betreuer und Fans.

Auf diese, psychologisch äußerst bedeutsamen, Stereotypenbildung wird in Kapitel 3.5 näher eingegangen.

2.5 Regulationsfunktionen durch Schiedsrichter

Ein (Fußball-) Schiedsrichter übernimmt mit Betreten des Spielfeldes eine besondere Rolle im Spiel, deren Legitimation er sich nicht selbst angemaßt hat, sondern die ihm vom Regelwerk laut Regel 5 (Der Schiedsrichter) üblicherweise zugewiesen wird (vgl. Bühler 1989, S. 41). Als Hauptfunktion des Unparteiischen kann das regulierende Eingreifen in den ablaufenden Spielverlauf gesehen werden. Diese „Kernstruktur der Schiedsrichtersituation“ stellte Heisterkamp (1975) in einem „Konstruktionsgefüge der Spielleitung“ folgendermaßen dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Konstruktionsgefüge der Spielleitung nach

Heisterkamp 1975

Die differenzierte Strukturierungsform der Regulation wird durch das Spannungsgefüge von sechs Faktoren konstituiert, die sich wechselseitig bedingen. Solange es dem Spielleiter gelingt diesen Systemzusammenhang zu gewährleisten, d.h. einen Ausgleich zwischen den sechs die Handlung des Unparteiischen bestimmenden Faktoren zu schaffen, ist seine Aufgabe als gelungen anzusehen. Verschiebt sich allerdings einer der Pole, so ist eine optimale Spielleitung nicht mehr gewährleistet (vgl. Heisterkamp 1975a, S. 71).

Bedroht wird das Ordnungsgefüge der Regulation zumeist durch die Tatsache, dass ein und derselbe Spielvorgang von den beteiligten Parteien keineswegs gleich interpretiert wird (vgl. Kapitel 2.3 und Kapitel 3.1).

Die an einem Spiel beteiligten Parteien versuchen ihrerseits, innerhalb des festgesetzten Regelwerkes, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Der Spielleiter hingegen ist bestrebt, die Spielordnung durch eine neutrale Bewertung der Handlungen beider Mannschaften zu gewährleisten.

Die daraus resultierende Konfliktsituation stellt Seitz (1982) in seinem „Kreuzfeuer“ – Modell folgendermaßen heraus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: „Kreuzfeuer“ zwischen Schiedsrichtern, Spielern

und Trainern nach Seitz 1982

Im Widerstreit gegenseitiger Auslegungen steigern sich Spieler, Anhänger und Schiedsrichter in dramatische Auseinandersetzungen hinein.

Der Spieler darf nicht das Gefühl haben, eine Entscheidung sei richtig, weil sie von einem „Mächtigeren“, nämlich dem Schiedsrichter, ausgeht. Die Akzeptanz der Entscheidung soll gegeben sein, da es zweifelsfrei eine sachlich richtige Entscheidung im Sinne der Spielregeln ist (vgl. Glöckner 1980, S. 56 und Glöckner 1984, S. 26).

Heisterkamp (1977) versucht Aufschlüsse über Entstehungsmotive von Diskrepanzen zwischen den am Spiel beteiligten Gruppen zu liefern. Das grundlegende Schema konfliktträchtiger Zusammenhänge zwischen Schiedsrichtern, Spielern und Anhängern verdeutlicht er in seinem „Teufelskreis“ (vgl. Abbildung 4), der später von Seitz (1982) aufgegriffen wird (vgl. Anhang).

Eine bestimmte Spielkonstellation wird durch den Eingriff des Schiedsrichters unterbunden. Diesen Eingriff erlebt eine der Mannschaften, sowie deren Anhänger, als Benachteiligung. Sie akzeptieren die getroffene Entscheidung nicht, sondern protestieren gegen diese Entscheidung. Mit dieser Verhaltensweise provoziert die Mannschaft einen erneuten Eingriff des Spielleiters, womit sich ein „Teufelskreis“ ergibt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: „Teufelskreis“ zwischen Schiedsrichtern, Spielern

und Trainern nach Heisterkamp 1977

„Auf diese Weise steigern sich Schiedsrichter und Spieler sowie Zuschauer in einen Machtkampf hinein, der schließlich nur gewaltsam unterbrochen werden kann, auf der Seite der Schiedsrichter durch einen Platzverweis oder Spielabbruch und auf der Seite der Spieler durch Tätlichkeiten“ (Heisterkamp 1977, S. 462).

Das eigentliche Spielgeschehen wird zunehmend zum Spielfeld des gegenseitigen Machtkampfes zwischen der betroffenen Mannschaft und dem Unparteiischen. Spieler, die von einer Benachteiligung überzeugt sind, konzentrieren sich zunehmend weniger auf ihre Aufgaben im laufenden Spielgeschehen. Ihre Erwartung orientiert sich an eventuellen Fehlentscheidungen des Schiedsrichters, damit sie ihre Voreingenommenheit bestätigt wissen. Durch diese Ausrichtung im Spielverlauf verlieren sie nicht selten ihr ganzes Spielkonzept. Der neue Gegner ist nunmehr nicht mehr die gegnerische Mannschaft, sondern das Schiedsrichtergespann, welches aus Sicht der Spieler einen Erfolg unmöglich macht. Zugleich dient die „Spielkomponente Schiedsrichter“ nicht selten als Erklärungsgrund für das eigene Versagen der Mannschaft.

Die gegnerischen Parteien steigern sich „(...) in einen Teufelkreis der Herausforderung (...)“ (Heisterkamp 1979, S. 464) hinein, bei dem letztlich das eigentliche Spiel gänzlich entartet. Es werden Nebenschauplätze eröffnet, Nebensächlichkeiten überbewertet, um den Schiedsrichter zu provozieren, Unsportlichkeiten werden als Herausforderungen gesehen, um die Grenze des unerlaubten Verhaltens zu ergründen.

[...]


[1] Fußballschiedsrichter treffen im Durchschnitt zwischen 157 bis 236 spielspezifische Entscheidungen in einer Partie (vgl. Teipel, Kemper & Heinemann 1999, S. 94f).

[2] Heimvereine sind für die Betreuung vor und nach einer Partie zuständig. Hierzu werden im Amateurbereich (bis zur Regionalliga) eigens Schiedsrichterbetreuer engagiert, die sich um das angereiste Schiedsrichtergespann „kümmern“. Im Bundesligaspielbetrieb benennt der DFB die zuständigen Personen neuerdings selbst (Neuerung seit der Saison 2000/2001). Möglicherweise soll hier einer bewussten Einflussnahme bereits im Vorfeld begegnet werden.

[3] Ein als „Schwalbenkönig“ deklarierter Spieler wird es schwer haben einen noch so berechtigten Strafstoß zugesprochen zu bekommen. Der Schiedsrichter unterliegt bei seiner Entscheidung wohlmöglich einem „öffentlichen Erwartungsdruck“.

[4] Der Bundesligaschiedsrichter Bernd Heynemann gilt intern als „kumpeliger“ Schiedsrichterkamerad. Er wurde 1999 zum „Schiedsrichter des Jahres“ gewählt.

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Psychologische Aspekte der Beeinflussung von Schiedsrichterleistungen im Fußball
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Bewegungswissenschaft)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
113
Katalognummer
V3016
ISBN (eBook)
9783638118163
Dateigröße
1292 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychologische, Aspekte, Beeinflussung, Schiedsrichterleistungen, Fußball
Arbeit zitieren
Martin Pier (Autor:in), 2000, Psychologische Aspekte der Beeinflussung von Schiedsrichterleistungen im Fußball, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3016

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