Welche Teile des Gesamtwortschatzes beherrscht eine Lateinklasse am Ende der Spracherwerbsphase wie gut?

Eine Analyse in der achten Jahrgangsstufe


Examensarbeit, 2014

25 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung:

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen des Vokabellernens
2.1 Der Grundwortschatz der Spracherwerbsphase
2.2 Lernpsychologie beim Vokabellernen

3 Konzeption der Untersuchung
3.1 Beschreibung der Klasse
3.2 Der untersuchte Wortschatz
3.3 Konzeption der Tests
3.4 Vorgehen bei der Auswertung

4 Darstellung der Ergebnisse
4.1 Hypothesen 1 und 2
4.2 Hypothese 3
4.3 Hypothese 4
4.4 Hypothese 5

5 Einordnung der Ergebnisse

6 Fazit und Ausblick

Anhang

1 Einleitung

Haud aequum facit, qui, quod didicit, id dediscit.

Nicht richtig handelt, wer Gelerntes wieder vergisst.

Wie Plautus seine Alcumena zu Amphitruo sprechen lässt, so hat dieses Sprichwort bis heute keinen Funken Wahrheit verloren und kann insbesondere auch auf das Lernverhalten von Schülerinnen und Schülern gemünzt werden. Besonders falsches Handeln besteht somit, wenn ein Schüler[1] gelernte Lateinvokabeln wieder vergisst – oder sie sich erst gar nicht richtig aneignet. Denn bei Korrekturen von Schülerübersetzungen sticht immer wieder eine Tatsache ins Auge: Der Großteil aller Fehler resultiert aus mangelhaftem Wortschatzwissen. Freilich ist es schwer zu erwarten, dass ein Schüler den Grundwortschatz zu 100 Prozent beherrscht. Spielt doch der Aspekt des Vergessens, welcher uns – so viel sei vorweggenommen – im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch begegnen wird, eine zu große Rolle. Es steht dabei zu vermuten und zu befürchten, dass Wiederholungsarbeit im Rahmen des Unterrichts die auftretenden Lücken nicht wieder vollständig schließen kann. Außerdem ist anzunehmen, ja sogar zu verzeihen, dass selbst leistungsstarke Schüler die eine oder andere Vokabel verwechseln. Dennoch scheint es alarmierend, dass, wie Fink und Maier[2] festhalten, bei negativen Übersetzungsleistungen ca. 60 Prozent der Fehler dem Wortschatzbereich zuzuordnen sind. Eine Tatsache, die viele Lateinlernende, aber auch -lehrende verkennen und somit Vokabellernen und Wortschatzarbeit nicht die erforderliche Bedeutung beimessen. Diese allgemeine Misslage veranlasste den Autor dieser Arbeit schließlich, zu untersuchen, welche Teile des Grundwortschatzes Schüler am Ende der Spracherwerbsphase wie gut beherrschen. Ergeben sich also bestimmte Abschnitte des Wortschatzes, die ein Schüler mit Abschluss der Lehrbuchphase durchschnittlich weniger gut beherrscht als andere? Können ferner bestimmte Merkmale von Vokabeln herausgestellt werden, an denen sich Lernerfolg und -misserfolg festmachen lassen? Diese Fragen sollen anhand einer Untersuchung in Form von Wortschatztests, die in einer Lateinklasse der achten Jahrgangsstufe abgehalten wurden, beantwortet werden. Doch zur genaueren Konzeption dieser Untersuchung später mehr. Sollten sich schließlich eindeutige Tendenzen ausfindig machen lassen, so könnten – im Sinne eines effizienteren Vokabellernens – an dieser Stelle in Zukunft der Hebel angesetzt und dementsprechende Wortschatzlücken vermieden werden.

2 Theoretische Grundlagen des Vokabellernens

Um mögliche Erkenntnisse der Untersuchung einordnen zu können, müssen zunächst der Lernwortschatz an sich sowie die Lernpsychologie beim Vokabellernen beleuchtet werden. Aus diesen Gedanken ergeben sich schließlich einzelne Hypothesen, die als Leitfäden der gesamten Untersuchung fungieren. Dabei sollen auch wissenschaftliche Erkenntnisse der Lernpsychologie auf ihre Bedeutung für die Wortschatzarbeit hin untersucht werden. Deshalb bildet der folgende theoretische Teil zwar die Grundlage der Untersuchung, soll dennoch – oder gerade deswegen nur knapp die wichtigsten Aspekte umfassen, um der praktischen Untersuchung nicht die Hauptrolle des Drehbuchs zu nehmen.

2.1 Der Grundwortschatz der Spracherwerbsphase

Moderne Lehrwerke vermitteln geschlossen den sogenannten Bamberger Wortschatz, der um die Jahrtausendwende erarbeitet wurde und eine Reduktion des vorherigen Grundwortschatzes auf 1248 Wörter und Wendungen darstellt. Beruhend auf statistischen Erhebungen wurde dieses Fundamentum so ausgewählt, dass die Wortformen des auf die Spracherwerbsphase folgenden klassischen Schullektürecorpus zu 83% abgedeckt sind[3].

Das dieser Arbeit zugrunde liegende Lehrwerk ist das in 58 Lektionen gegliederte Prima B[4]. Dieser Gesamtwortschatz von knapp 60 Einheiten wird im Rahmen der folgenden statistischen Erhebung in drei Blöcke geteilt: Block I (Lektion 1-20), Block II (21-40) und Block III (41-58). Den Grund hierfür ergeben die folgenden Zeilen.

Zu Beginn der Spracherwerbsphase besteht der Lernwortschatz hauptsächlich aus grundlegenden Wörtern, die samt Deklination bzw. Konjugation gut zu lernen sind und damit auch dem Erlernen der Grammatik dienen. Paradebeispiele hierfür wären monere, laudare, dominus oder femina. Diese Wörter treten (schon allein aufgrund ihrer Einführung zu Beginn der Lehrbuchphase) in der Lehrwerkprogression relativ häufig auf und dürften daher im Verlauf der Jahre vermehrt angewendet und wiederholt werden. Diese Aspekte bedeuten, dass das erste Drittel des gesamten Wortschatzes von allen Teilen am besten beherrscht werden müsste, und veranlasst uns zur ersten Hypothese, die auf der Hand zu liegen scheint:

Hypothese 1: Block I, sprich die Kapitel 1-20, beherrschen die Schüler am sichersten.

In die Kerbe dieser Annahme schlägt zusätzlich eine Beobachtung, die sich allgemein machen lässt und auch vom Autor dieser Arbeit gemacht wurde: Lerneifer und Aufnahmebereitschaft gegenüber dem Lernstoff sind während der ersten Monate des Lateinunterrichts stets am höchsten und erweisen sich bei manchem Schüler, oft einhergehend mit Eintritt ins Pubertätsalter, im weiteren Verlauf der Lernjahre als rückläufig. Zwar trifft dies gewiss nur auf vereinzelte SuS zu, doch dürfte anzunehmen sein, dass durch die dabei entstehenden Lücken der Gesamtleistungsdurchschnitt der Klasse sinkt.

Jedoch sind beim Wortschatzlernen weitere Hürden zu nehmen[5], wie etwa eine unvorteilhafte Darbietung der Wörter. So kann eine ungünstige Reihenfolge der zu lernenden Vokabeln innerhalb einer Lektion das Lernen erschweren. Auch deutsche Fremdwörter, die meist im sog. Dreispaltensystem als Merkhilfen fungieren sollen, sind den SuS oft ungenau oder gar nicht bekannt[6]. Zudem werden nicht selten Fremdwörter beigefügt, die von der zu lernenden deutschen Bedeutung der Vokabel erheblich abweichen und somit in die Irre führen können, wenn der Schüler sie als Eselsbrücke nutzt. Wird beispielsweise für die Vokabel illudere (als Bedeutung wird „verspotten“ gelehrt) das Fremdwort „Illusion“[7] angegeben, so mag es zwar für den Schüler erhellend sein, hier eine Querverbindung herzustellen, förderlich beim Lernen der Vokabel wird diese Angabe jedoch nicht sein. Diese Aspekte genauer zu untersuchen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, jedoch führt uns dies zum Thema der Lernpsychologie, welches den Schwerpunkt des folgenden Kapitels bildet.

2.2 Lernpsychologie beim Vokabellernen

Eine noch größere Hürde bei der Wortschatzarbeit als die oben beschriebenen stellt das Vergessen dar, welches (leider) zum Lernen dazu gehört. Dabei ist es jedoch nicht die Zeit zwischen Lernen und Reproduzieren, die das Vergessen bewirkt, sondern die Überlagerung des alten durch das neu gelernte[8]. Diese sogenannte Retroaktive Hemmung bewirkt also, dass neu gelernte Vokabeln die bereits im Gedächtnis bestehenden überlagern, sie sozusagen in den Hintergrund drücken. Denn die früher gelernten Wörter werden dabei keineswegs ausgelöscht, sprich gänzlich vergessen, es wird lediglich die Erinnerung an sie erschwert oder versperrt. Wenden wir dieses Phänomen nun auf das Vokabellernen in der Spracherwerbsphase an, so kann behauptet werden, dass Teil III des Gesamtwortschatzes besser beherrscht wird als Teil II, welcher zu gewissen Teilen überlagert sein müsste. Um es als Hypothese für die Untersuchung zu formulieren:

Hypothese 2: Block II ist aufgrund der Retroaktiven Hemmung weniger gut im Gedächtnis verankert als Block III.

Durchaus nachvollziehbar erscheint an dieser Stelle der Einwand, dass eine regelmäßige und systematische Wiederholung der älteren Vokabeln eben diese Überlagerung verhindert. Diese Wiederholungsarbeit bestand im Laufe der achten Jahrgangsstufe der Testklasse darin, dass wöchentlich der Wortschatz einer Lektion der siebten Jahrgangsstufe zu repetieren war. Da diese Vorgehensweise bereits im ersten Halbjahr praktiziert und von mir bei Übernahme der Klasse zum Halbjahr fortgesetzt wurde, kann somit von einer fortlaufenden und systematischen Wiederholungsarbeit gesprochen werden. Daher ergibt sich für obige Hypothese auch eine andere Lesart: Was leistet konventionelle Wiederholungsarbeit im Lateinunterricht? Ist sie ausreichend, sodass die SuS über ein weitgehend homogenes Abbild des Gesamtwortschatzes verfügen, auf das sie in der Lektürephase zurückgreifen können?

Doch der Gesamtwortschatz lässt sich nicht nur unter dem chronologischen Aspekt, sprich nach Lektionen oder Blöcken einteilen. Ferner können und müssen Vokabeln bei solch einer Untersuchung nach weiteren Merkmalen unterschieden werden. Im Vergleich zu modernen europäischen (Fremd-)Sprachen weist das Lateinische bekanntlich eine entscheidende Besonderheit auf: Ein lateinisches Wort mit einer einzigen Bedeutung in eine andere Sprache zu übertragen, ist kaum möglich. Eine in der Fachdidaktik vorherrschende Meinung lautet daher, dass einem lateinischen Wort lediglich ein deutsches Bedeutungsäquivalent[9] zugeschrieben werden kann. Im Großen und Ganzen stellt dies beim Lernen der Vokabeln kein Problem dar, schließlich folgen Lehrbücher im Allgemeinen dieser Praxis und geben beispielsweise an: inopia = Not, Mangel. Eine Schwierigkeit stellt dieses Phänomen jedoch dann dar, wenn es um Wörter wie z.B. virtus geht. Dieses Wort ins Deutsche zu übertragen ist fast unmöglich, es sei denn, dass ein Schüler einen ganzen Kanon von (mitunter sehr unterschiedlichen) Bedeutungen wie Tapferkeit, Leistung, Tüchtigkeit lernt . Für derartige Abstrakta müssen also nicht nur mehrere Bedeutungen gelernt werden, sondern auch das Verknüpfen von Wort und Bedeutungsangabe – beide abstrakter Natur – fällt durchaus schwerer als bei konkreten Substantiven. Auch hierfür gibt es eine lernpsychologische Begründung: Ein Wort mit konkreter Bedeutung lässt sich im Gedächtnis besser verbildlichen und damit einprägen als eine abstrakte Bedeutung. Lukesch[10] verweist hierbei auf die sog. „Dual-Code-Theorie“, nach der das Zentrale Nervensystem es ein bildhaftes und ein verbales Kodierungssystem enthält, wobei das imaginale „inhärent gedächtniswirksamer“ ist als das verbale. Hinzu kommt, dass gerade jüngere Schüler, etwa am Beginn der Spracherwerbsphase in der 5. oder 6. Jahrgangsstufe oftmals eine unvollständige oder falsche Vorstellung von abstrakten Substantiven haben. Steht da nicht zu vermuten, dass derartige abstrakte Vokabeln weniger gut im Gedächtnis verankert sind?

Hypothese 3: Die Schüler beherrschen Konkreta besser als Abstrakta.

Es wird also davon ausgegangen, dass der Grad der Konkretheit eines Wortes entscheidend auf den Lern- und Behaltenserfolg einwirkt. Doch egal ob Konkretum oder Abstraktum, gibt es Substantive, die eine stärkere Konnotation aufweisen als andere Wörter mit einer eher neutralen Bedeutung. So rufen manche Wörter, wie beispielsweise mors oder laetitia ein gewisses positives bzw. negatives Bild, z.T. emotional konnotiert, beim Lernenden hervor, im Gegensatz etwa zu tectum. Obgleich diese Emotion eher geringer Natur sein wird, könnte sie dennoch eine Rolle beim Erlernen spielen, indem sie etwa die Vorgänge des Einprägens und Erinnerns erleichtert. Daher wird vermutet, dass Wörter mit einer starken Konnotation, egal ob positiv oder negativ, sicherer beherrscht werden als solche mit eher neutralen Bedeutungen. Zumal da anzunehmen ist, dass sich ein Wort mit konkret positiver oder negativer Bedeutung besser verbildlichen lässt und daher tiefer im Gedächtnis verankert sein müsste. Formulieren wir auch diese Gedanken zu einer Hypothese:

Hypothese 4: Wörter mit einer stärkeren positiven oder negativen Bedeutung verankern sich im Gedächtnis besser als konnotationsschwächere Wörter.

[...]


[1] Aus Gründen der Lesbarkeit und Verständlichkeit wird anstelle der Formulierung „Schülerinnen und Schüler“ im Verlauf dieser Arbeit durchgängig das Wort „Schüler“ oder die Abkürzung „SuS“ benutzt. Gemeint sind natürlich stets Schüler beiden Geschlechts.

[2] Vgl. Fink, G./Maier, F. (1996), 167.

[3] Vgl. Utz, C. (2000), 148.

[4] Utz, C./Freytag, W. (2006).

[5] Eine vertiefende Lektüre zum Thema praktischer und zeitgemäßer Fachdidaktik bietet:

Kneip, M./Doepner, T., Fachdidaktik Latein. Göttingen, 2010.

[6] Vgl. Fink, G./Maier, F. (1996), 21.

[7] So gesehen in: Karl, K. et al., Auspicia II, Lektion 33 (2009), 231.

[8] Vgl. Lukesch, H. (2001), 178.

[9] Vgl. Schirok, E. (2011), 16.

[10] Lukesch, H. (2001), 93.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Welche Teile des Gesamtwortschatzes beherrscht eine Lateinklasse am Ende der Spracherwerbsphase wie gut?
Untertitel
Eine Analyse in der achten Jahrgangsstufe
Veranstaltung
Seminar Latein
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
25
Katalognummer
V301865
ISBN (eBook)
9783668007550
ISBN (Buch)
9783668007567
Dateigröße
615 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
welche, teile, gesamtwortschatzes, lateinklasse, ende, spracherwerbsphase, eine, analyse, jahrgangsstufe
Arbeit zitieren
Michael Schmitt (Autor:in), 2014, Welche Teile des Gesamtwortschatzes beherrscht eine Lateinklasse am Ende der Spracherwerbsphase wie gut?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301865

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