Zum besonderen Schwierigkeitsgrad lyrischer Texte. Eine Faktorenanalyse am Beispiel expressionistischer Großstadtlyrik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

44 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literarisches und lyrisches Textverständnis
2.1 Zu den Begriffen Textkompetenz, Lesekompetenz und Textverstehen
2.2 Zwei Faktoren des Textverständnisses
2.2.1 Merkmale des Textes
2.2.2 Eigenschaften des Lesers
2.3 Zur Besonderheit lyrischer Texte

3. Exemplarische Betrachtung
3.1 Wesenszüge expressionistischer Lyrik: Begründung der Gedichtauswahl
3.2 Analyse I - Georg Heym: Berlin I
3.3 Analyse II - Gottfried Benn: Nachtcafé

4. Fazit und Implikationen für die Unterrichtspraxis

5. Ausblick

6. Literatur
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur
6.2.1 Lexika
6.2.2 Monografien
6.2.3 Sammelbände
6.2.4 Zeitschriften
6.2.5 Internet

1. Einleitung

Bereits in frühem Kindesalter ergeben sich erste Begegnungen mit Lyrik in Form von Abzählreimen, einfachen Kindergedichten oder Liedtexten. Dabei reagieren Kinder auf lyrische Texte unbefangen und mit einer Art ‚ästhetischem Erstaunen‘.1 Sie scheinen ihnen gegenüber offen und empfänglich zu sein. Mit zunehmendem Alter ändert sich dies jedoch. Viele ältere Kinder und Jugendliche formulieren Verständnisprobleme und neigen dazu, vor lyrischen Texten zu resignieren.2 Diese Beobachtungen harmonieren mit der Tatsache, dass der Anteil lyrischer Texte am Bestand eines üblichen Buchladens einen auffällig geringen Teil ausmacht. Lyrik stellt für Verleger, abgesehen von einigen Geschenkbänden vielleicht, de facto ein Verlustgeschäft dar.3

Das Phänomen der derzeitig recht beliebten4 ‚Poetry Slams‘ scheinen dieser ten-denziell ablehnenden Haltung gegenüber lyrischen Texten zu widersprechen. ‚Poetry Slam‘ bezeichnet eine Art Dichterwettstreit, bei dem innerhalb eines knappen Zeitrahmens selbst-geschriebene Texte unterschiedlichster literarischer Strömungen vorwiegend poetischer Natur einem Publikum vorgetragen werden.5 Wenngleich der Dichterwettstreit in Deutschland auch auf eine lange Tradition zurückblicken kann6, so ist er grundsätzlich doch erst wieder seit Kurzem populär7. Diese neue Popularität von Lyrik, täuscht jedoch, setzt sich das Publikum auf Slam-Events doch mehrheitlich aus einer ‚studentischen Zuhörerschaft‘, aus Akademikern zusammen8.

Lyrik stellt sich damit als eine Textsorte dar, die lediglich von einem kleinen Leser- oder Hörerkreis rezipiert wird, die zwar von Kindern begrüßt, von der Mehrheit Jugendlicher und Erwachsener aber abgelehnt wird. Selbst in der Schule, obwohl gerade diese als Raum für Auseinandersetzungen mit Literatur jeglicher Art gilt, lässt sich diese Beobachtung machen. Lyrik gilt unter Referendaren und Lehrkräften allgemeinhin als ‚schwierige‘ Gattung9 und damit auch als eines der unbeliebtesten Themen des Deutsch- und Literaturunterrichts. Worin aber begründet sich die besondere Schwierigkeit lyrischer Texte?

Der Begriff schwierig impliziert, dass die beschriebene ablehnende Haltung gegenüber lyrischen Texten aus einer Unzugänglichkeit auf der Verstehensebene entsteht. Lyrik wird demnach gemieden, weil sie tendenziell schwieriger zu verstehen ist als andere literarische Texte, was die Fragen aufwirft, inwiefern lyrische Texte sich von anderen literarischen Texten unterscheiden und was es überhaupt bedeutet, einen Text zu verstehen; ferner stellen sich auch die Fragen, wodurch ein Verständnis bedingt wird und ob sich die Schwierigkeit lyrischer Texte konkret feststellen oder gar messen lässt.

Die nachfolgende Arbeit versucht, diesen Fragen nachzugehen. Da lyrische Texte, bevor sie überhaupt verstanden werden können, zunächst rezipiert werden müssen, werden in Kapitel 2.1 zunächst die zentralen Begriffe Text- und Lesekompetenz, sowie Textverstehen definiert, bevor dann in Kapitel 2.2 die Faktoren, die das Textverstehen bedingen, näher betrachtet werden. In Kapitel 2.3 wird schließlich die besondere Schwierigkeit lyrischer Texte auf theoretischer Ebene zu begründen versucht. Im zweiten Teil der Arbeit werden dann die theoretisch erarbeiteten Charakteristika lyrischer Texte in einer exemplarischen Gedicht-analyse auf ihre Anforderungen an den Leser10 hin untersucht. Für die Analyse in Kapitel 3 werden dabei die Gedichte Berlin I von Georg Heym und Nachtcafé von Gottfried Benn herangezogen, die der expressionistischen Großstadtlyrik zuzurechnen sind. Die Auswahl der Gedichte wird in Kapitel 3.1 begründet, die Analyse der Gedichte erfolgt in den Kapitel 3.2 und 3.3. Die Ergebnisse der exemplarischen Analysen werden in Kapitel 4 am Ende der Arbeit zusammengefasst, wobei versucht wird, aus ihnen auch bereits erste Implikationen für den Bildungsbereich abzuleiten. Zuletzt wird in Kapitel 5 ein Überblick darüber gegeben, was im Rahmen dieser Arbeit noch nicht geleistet werden konnte und noch geleistet werden muss, sowie ferner welche weiteren Fragen sich aus den Ergebnissen dieser Arbeit ergeben.

2. Literarisches und lyrisches Textverständnis

Zur Bearbeitung der Fragestellung, inwiefern sich eine besondere Schwierigkeit lyrischer Texte begründen lässt, werden im folgenden Kapitel 2.1 zunächst die Begriffe Lesekompetenz und Textverstehen näher bestimmt. Davon ausgehend werden dann in Kapitel 2.2 die maß-geblichen Faktoren des Textverstehens aufgezeigt. In Kapitel 2.3 wird abschließend der Versuch unternommen, die Besonderheit lyrischer Texte in Abgrenzung zu anderen litera-rischen wie auch nicht-literarischen Texten aufzuzeigen und in konkrete Merkmale zu fassen.

2.1 Zu den Begriffen Textkompetenz, Lesekompetenz und Textverstehen

Textkompetenz im Allgemeinen, das heißt die Kompetenz, sich adäquat mit Texten auseinanderzusetzen, umfasst sowohl Teilkompetenzen rezeptiver als auch produktiver Art, denn oftmals verlangt Gelesenes durch schriftliche Weiterverarbeitung aufbereitet und zugänglich gemacht zu werden und andersherum geht dem Schreiben häufig das Lesen anderer Texte voraus.11 „Wer nicht formulieren […] kann […], wird Schwierigkeiten haben, über das Verstandene angemessen Auskunft zu geben.“12 Andersherum kann überhaupt nur derjenige etwas formulieren, der auch etwas verstanden hat. Textkompetenz beginnt also mit dem Lesen13 und Verstehen von Texten.

Lesen bezeichnet die visuelle oder gegebenenfalls auch taktile Informationsentnahme aus grafischen Gebilden (Texte, Diagramme, etc.) und das Erkennen der Bedeutung dieser Informationen.

14

Dabei ist zwischen der reinen Lesefertigkeit, grafische Darstellungen in Informationen und ihre unmittelbaren Bedeutungen zu übersetzen, beispielsweise eine Abfolge von Schriftzeichen als Wort zu identifizieren und dieses Wort als Bedeutungsträger zu verstehen, und dem Leseverstehen, aus der grafischen Darstellung und dem Kontext der Repräsentation auch einen tieferen Sinngehalt zu entnehmen, zu unterscheiden.15 Obschon in der Literatur unterschiedliche Definitionen zum Begriff der Lesekompetenz parallel zu einander existieren und entsprechende Abgrenzungen nicht immer deutlich werden, ist diese Untergliederung in Teilkompetenzen reiner Lesefertigkeit und tiefergehendem Verständnis vielen Definitionen gemein16.

Beispielsweise zählen Groeben und Hurrelmann zur Lesekompetenz kognitive Leistungen sowie emotionale und motivationale Fähigkeiten, außerdem Fähigkeiten zur Reflexion und zur Weiterverarbeitung des Verstandenen in Anschlusskommunikationen im Rahmen sozialer Interaktion.

17

Sie fassen damit den Begriff sehr weit. Ihre Definition, die neben Lesefertigkeit und Leseverstehen auch eine Weiterverarbeitung des Gelesenen umfasst, kommt damit der Definition ganzheitlicher Textkompetenz sehr nahe. Damit wird die besondere Bedeutung der Lesekompetenz und der Stellenwert, den sie in Bezug auf die allgemeine Textkompetenz hat, deutlich. Andere Definitionen von Lesekompetenz verweisen in eine ganz ähnliche Richtung. Neben der Erschließung der rein grafischen Darstellungs-ebene geht es immer auch um ein eingehenderes Verständnis, um ein Erkennen von Zusammenhängen und Strukturen und die Einordnung in übergeordnete Kontexte.18

Auch die OECD fasst im Rahmen der PISA-Studie unter dem Begriff der Lesekompetenz im Sinne der ‚Reading Literacy‘ Teilkompetenzen sowohl kognitiver als auch handlungsbezogener Art zusammen und bezeichnet damit die „Fähigkeit des Lesers, hand-schriftliche, gedruckte oder elektronisch dargebotene Texte zu nutzen, um das eigene Wissen und Potential weiterzuentwickeln.“19 ‚Reading Literacy‘ geht somit über die Lesefertigkeit und das Leseverstehen hinaus. Es geht nicht mehr allein darum, Texte aller Art zu lesen und zu verstehen, sondern auch „zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potential weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“20

Rosebrock und Nix erachten den Kompetenzbegriff nach PISA für das Messen von Leseverstehen zwar als sinnvoll, welchem angesichts der zunehmenden Outputorientierung des Bildungssystems auch eine immer größer werdende Bedeutung zukommt, weisen aber auf die Komplexität des Lesens und den Aspekt der Leseerfahrung hin, der im Begriff der ‚Reading Literacy’ ausgespart bleibt.21 Damit verweisen sie auf die soziale Ebene des Lesens, die auch in der Definition nach Groeben und Hurrelmann tangiert wird.

Rosebrock und Nix entwerfen Lesekompetenz als ein Mehrebenenmodell, in dem sich Lesen von der Prozessebene des Lesens selbst über die weiterführenden Verstehensprozesse auf der Subjektebene bis auf die soziale Ebene erstreckt.22 Nach diesem Modell findet auf der Prozessebene all das statt, was hier zuvor unter Lesefertigkeit und Leseverstehen benannt worden ist.23 Das Gelingen des Lesens auf der Prozessebene ist aber abhängig von den anderen beiden Ebenen, der Subjekts- und der Sozialebene. Die Subjektebene bezieht sich dabei unmittelbar auf den Lesenden und umfasst sowohl motivationale Aspekte als auch seine deklarativen und prozeduralen Wissensbestände.24 Die Sozialebene betrifft das Umfeld des Lesenden und den Kontext der Lesesituation. Wie und auf welche Weise das Lesen als Vor-gang selbst erfahren wird, hat einen wesentlichen Einfluss auf den Leseprozess.25 Fasst man die Subjektebene und die Sozialebene als Ebenen des Lesers zusammen, so ergibt sich hier eine Zweiteilung: die Ebene des Textes, die es durch entsprechende Prozesse in ihren Dimen-sionen zu erschließen gilt, und die Ebene des Lesers, die wesentlich zum Verständnis des Textes beiträgt. Ein Text in seiner Gesamtheit, die sich von der konkreten Textoberfläche zu dekodierender Schriftzeichen über die inhaltlichen und metatextuellen26 Tiefenstrukturen eines Textes bis hin zu seinen intertextuellen Bezügen und historischen sowie rezeptions-situativen Kontexten erstreckt, kann also nur verstanden werden, wenn der Leser entsprech-end seiner Eigenschaften diese auch zu erschließen vermag.

Textverstehen wird folglich verstanden als das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen den Dimensionen des Textes und den Eigenschaften des Lesenden, das durch einen aktiven Auseinandersetzungsprozess in einem bestimmten Lesekontext entsteht.27 Einen Text zu verstehen gelingt dann, wenn ein Text der Lesekompetenz des Lesers entspricht, wenn er für den Leser lesbar ist.28 Das bedeutet, dass Textverstehen im Wesentlichen von zwei Faktoren bestimmt wird, dem Faktor Text und dem Faktor Leser.

2.2 Zwei Faktoren des Textverständnisses

Da sich Textverstehen aus einer Wechselwirkung zwischen Text und Leser ergibt, wird es in diesem Kapitel darum gehen, aufzuzeigen, inwiefern bestimmte Textmerkmale ein Verständ-nis erleichtern oder erschweren und welche Eigenschaften des Lesers einen positiven Einfluss auf die Rezeption eines Textes nehmen können. Dazu werden zunächst die Merkmale des Textes betrachtet, wobei die Frage thematisiert wird, inwieweit sich Textschwierigkeit mes-sen lässt. Im Anschluss daran wird dann auf die Eigenschaften des Lesers eingegangen.

2.2.1 Merkmale des Textes

Die Lesbarkeit eines Textes beginnt bereits bei seiner Darstellung im Sinne seiner grafischen Umsetzung. Eine unleserliche Handschrift oder ein verschmiertes Druckbild schränken die Rezeption des Textes ganz unmittelbar ein. Aber auch für ein sauberes Druckbild ergeben sich verschiedene Überlegungen bezüglich Schriftart, -größe und -stärke, Buchstaben-, Wort- und Zeilenabstand, et cetera, die sich positiv oder negativ auf die Lesbarkeit eines Textes aus-wirken können.29

Ein weiterer Aspekt der Lesbarkeit ist die Sprache, in der ein Text verfasst ist. Sie wird einerseits durch die Wortwahl charakterisiert und anderseits durch die Art und Weise der Verknüpfung der Wörter zu Sätzen. Auf der Wortebene werden zwei Hauptgruppen unter-schieden, einerseits die Inhaltswörter, zu denen Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien zählen, und andererseits die Funktionswörter, wie beispielsweise Konjunktionen.30 Dabei wird davon ausgegangen, dass je größer der Anteil der Funktionswörter an einem Text ist, „desto verständlicher ist er.“31 Neben der Art der verwendeten Wörter ist auch ihre Geläufigkeit und Komplexität von Bedeutung. Sind die verwendeten Wörter dem Leser unbekannt oder nicht geläufig und zudem lang und komplex, wirkt sich dies negativ auf die Leseleistung und damit das Textverstehen aus.32 Auch der Abstraktionsgrad der Wörter spielt eine Rolle.33

Auf der Satzebene gilt tendenziell die Satzlänge als Indikator für die Lesbarkeit eines Textes. Je länger ein Satz ist, desto schwieriger ist er zu verstehen, wobei lange Sätze beson-ders dann schwer zu verstehen sind, wenn es sich um komplexe, das heißt verschränkte Satzgefüge handelt.34

Neben der Auswahl der Wörter auf der Mikroebene des Textes und ihrer Organisation auf der Mesoebene des Textes, spielt auch die Organisation des Textes auf der Makroebene für die Lesbarkeit eine zentrale Rolle. Eine „kohärente Inhaltsorganisation ermöglicht eine reibungslose Textrezeption, indem sie […] Hinweise gibt, welche Sätze und Textteile in welcher Weise aufeinander zu beziehen und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen sind.“35 Sobald entsprechende Verknüpfungshinweise schwer erkennbar sind oder gar fehlen, entstehen Kohärenzlücken, die dann vom Leser durch Schlussfolgerungen zu schließen sind und damit eine entschiedene Herausforderung bei der Rezeption von Texten darstellen.36 Für die lokale Ebene geht es dabei um die unmittelbaren Beziehungen zwischen einzelnen Sätzen, die beispielsweise durch die bereits angesprochenen Funktionswörter deutlich werden, während es für die globale Textorganisation darum geht „Hinweise zu geben, wie einzelne Teilthemen aufeinander zu beziehen sind, und dadurch den Aufbau einer thematischen Bedeutungsstruktur zu erleichtern.“37 Ein weiterer Aspekt ist hier die Konformität des Textaufbaus mit den konventionalisierten Strukturen bestimmter Textgenres, die dem erfah-renen Leser mit entsprechendem Gattungswissen die Rezeption einer Textsorte durch Bedienung seiner Leseerwartungen erleichtert.38

Zuletzt hat aber auch der Inhalt, den der Text repräsentiert, einen wesentlichen Einfluss auf die Lesbarkeit. Die Rezeption eines Textes gilt insbesondere dann als ertragreich, wenn der Inhalt des Textes mit dem Vorwissen des Lesers zu einem umfassenden Verständnis verknüpft wird. Texte, die das Vorwissen des Lesers aktivieren, gelten damit als verstehens-wirksam.

Insgesamt ergeben sich damit fünf Textmerkmale, die als variable Größen Einfluss auf das Textverstehen nehmen:

grafische Darstellung Wortwahl

Satzgefüge

Textaufbau/Organisation

Inhalt

Texte entsprechend ihrer Merkmale in ihrer Schwierigkeit einzustufen ist jedoch eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, der selbst Experten kaum gewachsen sind.39 Dennoch erhebt unter einer Reihe von verschiedenen Ansätzen insbesondere die Lesbarkeitsforschung für sich den Anspruch, „Texte nach ihrer Schwierigkeit etikettieren und klassifizieren zu können.“40 Zur Bestimmung der Textschwierigkeit werden dabei rechnerische Verfahren angewendet, die anhand bestimmter Formeln die Textschwierigkeit eines Textes zu bestimmen suchen; zu diesen zählen unter anderem die LIX- und die FLESCH-Formel.41 Verfahren dieser Art werden zum Teil zwar als ‚handhabbar‘ eingeschätzt, im Grunde aber erweisen sie sich als nicht genügend theoriegeleitet, in empirischen Untersuchungen als nicht überzeugend und textlinguistisch wie auch kognitionspsychologisch als nicht ausreichend fundiert genug.42 Problematisch an diesen Verfahren ist, dass sie ausschließlich die expliziten Merkmale eines Textes, wie beispielsweise die durchschnittliche Wort- oder Satzlänge berücksichtigen, nicht aber das, was sie voraussetzen: „Damit ist die Verstehbarkeit [eines Textes] an das Vorwissen der jeweiligen Leser gebunden.“43 Eine absolute Meßbarkeit der Textschwierigkeit ist abzu-lehnen.44

Im Sinne des Textverstehens ergibt sich die Schwierigkeit eines Textes folglich aus den Merkmalen des Textes einerseits, der grafischen Darstellung, der Wortwahl, der Komplexität der Satzstruktur, der Textorganisation und dem Inhalt, und der Art und Weise, in der der Leser mit diesen umzugehen vermag, inwieweit er über entsprechende kognitive Fähigkeiten und sprachliches, historisches und kulturelles Wissen als auch textsorten-spezifisches, literarhistorisches und intertextuelles Wissen verfügt45. Je voraussetzungsreicher ein Text, desto höhere Anforderungen werden an den Leser gestellt.46

Inwieweit die hier aufgezeigten Textmerkmale damit in Bezug auf das Textverstehen wirksam werden, ist folglich abhängig von den Eigenschaften des Lesers.47 Diese werden im nachfolgenden Kapitel dargestellt.

[...]


[1] Vgl. Julia Knopf: Literar-ästhetische Rezeption im schulischen Kontext – eine kritische Reflexion. In: Jessica Gahn, Carola Rieckmann (Hrsg.): Poesie verstehen – Literatur unterrichten. Baltmannsweiler: Schneider Hohen-gehren 2013, S. 146; nachfolgend zitiert als Knopf: Literar-ästhetische Rezeption im schulischen Kontext – eine kritische Reflexion.

[2] Vgl. ebd. S. 147

[3] Stefanie Hager: Literarische Texte rezipieren, produzieren und präsentieren: Poetry Slam im integrativen Deutschunterricht der Realschule. Hausarbeit, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg. S. 39; nachfolgend zitiert als Hager: Literarische Texte rezipieren, produzieren und präsentieren.

[4] „Es ist inzwischen völlig normal, dass sich Hunderte Zuschauer an einem Abend einen Slam anschauen.“ Constantin Alexander: Massenerfolg Poetry Slam: Dichter dran am Kommerz. In: Spiegel Online.

[5] Vgl. Hager: Literarische Texte rezipieren, produzieren und präsentieren. S. 5 u. Wolfgang Dinkel: Was ist Poetry Slam?; nachfolgend zitiert als Dinkel: Was ist Poetry Slam?

[6] Vgl. Dinkel: Was ist Poetry Slam?

[7] Vgl. Hager: Literarische Texte rezipieren, produzieren und präsentieren. S. 12 ff.

[8] Vgl. ebd. S. 18

[9] Vgl. ebd. S. 39

[10] Das grammatikalische Geschlecht des Lesers steht in dieser Arbeit für die männliche und weibliche Leser-schaft. Auf eine explizite Differenzierung in Leser und Leserinnen wird aus pragmatischen Gründen verzichtet.

[11] Vgl. Helmuth Feilke, Juliane Köster, Michael Steinmetz: Zur Einführung – Textkompetenzen der Sekundar-stufe II. In: Helmuth Feilke, Juliane Köster, Michael Steinmetz (Hrsg.): Textkompetenzen der Sekundarstufe II. Stuttgart: Klett 2012, S. 7; nachfolgend zitiert als Feilke, Köster, Steinmetz: Textkompetenzen der Sekundar-stufe II.

[12] Ebd. S. 8

[13] Sicherlich können Texte auch auditiv, beispielsweise mittels Hörbüchern, rezipiert werden. Die visuelle Rezeption, also das Lesen von Texten, scheint aber häufiger der Fall zu sein, insbesondere auch im schulischen Kontext.

[14] Vgl. Nele McElvany: Förderung von Lesekompetenz im Kontext der Familie. Berlin, München, Münster, New York: Waxmann 2008. S. 13; nachfolgend zitiert als McElvany: Förderung von Lesekompetenz.

[15] Vgl. ebd. S. 13-28 u. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Förderung von Lesekompetenz – Expertise. (Bildungsforschung, Bd. 17). Bonn, Berlin: BMBF 2007. S. 11; nachfolgend zitiert als Bundes-ministerium (Hrsg.): Förderung von Lesekompetenz.

[16] Vgl. McElvany: Förderung von Lesekompetenz. S. 14, Bundesministerium (Hrsg.): Förderung von Lese-kompetenz. S. 11f. u.PISA-Konsortium Deutschland: Internationales und nationales Rahmenkonzept für die Erfassung von Lesekompetenz in PISA. S. 2; nachfolgend zitiert als PISA: Internationales und nationales Rahmenkonzept für die Erfassung von Lesekompetenz.

[17] Vgl. McElvany: Förderung von Lesekompetenz. S. 14

[18] Vgl. Bundesministerium (Hrsg.): Förderung von Lesekompetenz. S. 11f.

[19] PISA: Internationales und nationales Rahmenkonzept für die Erfassung von Lesekompetenz. S. 2

[20] Ebd. S. 2

[21] Vgl. Daniel Nix, Cornelia Rosebrock: Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseför-derung. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2010. S. 14 f.; nachfolgend zitiert als Nix, Rosebrock: Grundlagen der Lesedidaktik.

[22] Vgl. ebd. S. 18-29

[23] Die Dimensionen des Leseprozesses nach Rosebrock und Nix werden in Kapitel 2.2.2 näher erläutert.

[24] Vgl. Nix, Rosebrock: Grundlagen der Lesedidaktik. S. 21 f.

[25] Vgl. ebd. S. 23

[26] Mit metatextuellen Strukturen sind hier die kommunikativen, grammatischen und ästhetischen Darstellungs-aspekte eines Textes gemeint. Vgl. Feilke, Köster, Steinmetz: Textkompetenzen der Sekundarstufe II. S. 9

[27] Vgl. McElvany: Förderung von Lesekompetenz. S. 27

[28] Der Begriff Lesbarkeit oder ‚readability‘ bezeichnet im Grunde die Eignung eines Textes entsprechend seiner Merkmale für einen bestimmten Leser oder eine bestimmter Lesergruppe. Vgl. Richard Bamberger, Erich Vanecek: Lesen – Verstehen – Lernen – Schreiben. Die Schwierigkeitsstufen von Texten in deutscher Sprache. Wien: Jugend und Volk 1984. S. 15-19; nachfolgend zitiert als Bamberger, Vanecek: Lesen – Verstehen – Lernen – Schreiben.

[29] Vgl. ebd. S. 47 ff.

[30] Vgl. ebd. S. 37

[31] Ebd. S. 37

[32] Vgl. ebd. S. 37 ff.

[33] Vgl. ebd. S. 39

[34] Vgl. Bamberger, Vanecek: Lesen – Verstehen – Lernen – Schreiben. S. 40 f.

[35] Bundesministerium (Hrsg.): Förderung von Lesekompetenz. S. 24

[36] Vgl. ebd. S. 24

[37] Ebd. S. 25

[38] Vgl. ebd. S. 26 f.

[39] Vgl. Juliane Köster: Wodurch wird ein Text schwierig? Ein Test für die Fachkonferenz. In: Deutschunterricht. Nr. 5/2005, S. 34; nachfolgend zitiert als Köster: Wodurch wird ein Text schwierig?

[40] Ursula Nebe: Ist Textschwierigkeit meßbar? In: Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer. Nr. 6/1990, S. 350; nachfolgend zitiert als Nebe: Ist Textschwierigkeit meßbar?

[41] Vgl. ebd. S. 350, Köster: Wodurch wird ein Text schwierig? S. 37 u. Bamberger, Vanecek: Lesen – Verstehen – Lernen – Schreiben. S. 53-64

[42] Vgl. Nebe: Ist Textschwierigkeit meßbar? S. 351

[43] Köster: Wodurch wird ein Text schwierig? S. 34

[44] Vgl. Nebe: Ist Textschwierigkeit meßbar? S. 353

[45] Vgl. Köster: Wodurch wird ein Text schwierig? S. 35

[46] Vgl. ebd. S. 35

[47] Vgl. Bundesministerium (Hrsg.): Förderung von Lesekompetenz. S. 28 f. und Bamberger, Vanecek: Lesen – Verstehen – Lernen – Schreiben. S. 20

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Zum besonderen Schwierigkeitsgrad lyrischer Texte. Eine Faktorenanalyse am Beispiel expressionistischer Großstadtlyrik
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Hauptseminar: „Keine Angst vor Gedichten: Liebeslyrik in Geschichte und Gegenwart“
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
44
Katalognummer
V301867
ISBN (eBook)
9783956874185
ISBN (Buch)
9783668005143
Dateigröße
744 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit ist insbesondere für angehende Deutschlehrer und -lehrerinnen interessant.
Schlagworte
Lyrik, Deutschunterricht, Expressionismus, Stadtgedichte, Lyrikunterricht, Textverstehen, Textschwierigkeit, Verständnisschwierigkeit, Textkompetenz, Lesekompetenz
Arbeit zitieren
Annika Lüttenberg (Autor:in), 2015, Zum besonderen Schwierigkeitsgrad lyrischer Texte. Eine Faktorenanalyse am Beispiel expressionistischer Großstadtlyrik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301867

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Zum besonderen Schwierigkeitsgrad lyrischer Texte. Eine Faktorenanalyse am Beispiel expressionistischer Großstadtlyrik



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden