Die Anwendbarkeit Lessings Hamburgischer Dramaturgie auf die Konzeption der Charaktere in "Emilia Galotti"


Hausarbeit, 2015

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Hamburgische Dramaturgie

3. Emilia Galotti
3.1 Emilia Galotti
3.2 Odoardo Galotti
3.3 Hettore Gonzaga, Prinz von Gustalla
3.4 Marinelli

4. Auswertung
4.1 Wirkungsgeschichte
4.2 Die Anwendbarkeit der Hamburgischen Dramaturgie

5. Schlusswort

6. Bibliographie

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Anwendbarkeit der Hamburgischen Dramaturgie von Lessing auf sein wenige Jahre später verfasstes Drama Emilia Galotti.

Zunächst werden die Aussagen der Hamburgischen Dramaturgie bezüglich der Charaktere einer Tragödie und ihrer Wirkung auf den Zuschauer vorgestellt. Anschließend wird die Umsetzung dieser Maßstäbe anhand des Dramas Emilia Galotti geprüft. Hierfür werden ausgewählte Figuren analysiert. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse ausgewertet und Sekundärliteratur hinsichtlich der Rezeption des Stücks hinzugezogen. Es soll versucht werden, zu klären, inwieweit sich die von Lessing hergeleiteten Grundsätze in den Charakteren des Dramas Emilia Galotti wiederfinden lassen.

2. Die Hamburgische Dramaturgie

Lessing beruft sich in der Hamburgischen Dramaturgie auf Aristoteles, der die Erregung der Leidenschaften „eleos“ und „phobos“ und somit die Katharsis als Endzweck der Tragödie bestimmt. Allerdings übersetzt Lessing „eleos“ und „phobos“ nicht mit Mitleid und Schrecken, sondern mit Mitleid und Furcht. 1

Das Mitleid sei „eine vermischte Empfindung, die aus der Liebe zu einem Gegenstande, und aus der Unlust über dessen Unglück zusammengesetzt ist.“ 2 Um dieses Mitleid zu erregen, dürfen die Figuren beispielsweise nicht widersprüchlich handeln, sondern müssen das Kriterium der Übereinstimmung erfüllen. 3 Bereits im zweiten Stück äußert Lessing, dass „die Gesinnungen […] dem angenommenen Charakter der Person, welche sie äußert, entsprechen“ 4 müssen. Zwar werden die Charaktere durch die Umstände beeinflusst, aber „keine von diesen Umständen müssen mächtig genug sein können, die von schwarz auf weiß zu ändern.“ 5 Ansonsten seien sie für den Zuschauer nicht mehr lehrreich und entsprechen somit nicht der Absicht des dramatischen Dichters. 6

Zudem begünstige die Nachvollziehbarkeit der Handlung die zweite im Zuschauer hervorgerufene Leidenschaft: die Furcht. Diese sei das aus Ähnlichkeit mit der leidenden Figur auf uns selbst bezogene Mitleid, welches wir aufgrund der Angst, uns selbst könne ein derartiges Unglück widerfahren, empfinden. 7 Allerdings identifiziere sich der Zuschauer nur dann mit dem Charakter, wenn er in diesem eine Ähnlichkeit zu sich selbst erkenne: „kurz, wenn er ihn mit uns von gleichem Schrot und Korne schildere“ 8 und auch „[…]das Übel [müsse][…] notwendig von der Beschaffenheit sein […], daß wir es auch für uns selbst […] zu befürchten hätten“ 9

Daraus ergibt sich für die Charaktere, dass diese weder zu perfekt und edelmütig noch zu schlecht auftreten sollen. Deshalb merkt Lessing am Anfang der Hamburgischen Dramaturgie an, dass der Dichter nicht zu verschwenderisch mit der „heldenmütigen Gesinnung“ 10 umgehen dürfe und fasst im 74. Stück schließlich zusammen, dass „der Held derselben weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Bösewicht sein müsse.“ 11

Laut Lessing können die beiden Leidenschaften Mitleid und Furcht nicht unabhängig voneinander erregt werden, sondern bedingen sich gegenseitig. Dafür zieht er den Vergleich mit Himmel und Hölle als Beispiel heran: Wer an das eine glaube, müsse auch an das andere glauben. Die Furcht davor, das Übel könne uns selbst zustoßen, lässt uns Mitleid empfinden. Da wir uns durch das Mitleid wiederum an Stelle des Leidenden sehen, fürchten wir uns vor einem ähnlichen Schicksal. 12

Um das sehr stark empfundene Mitleid, welches nur in Zusammenhang mit der Furcht vom Zuschauer empfunden wird, von dem mitleidigen Gefühlszustand zu unterscheiden, in dem wir uns befinden, wenn wir ohne Furcht für uns selbst „Unlust über das physikalische Übel eines Gegenstandes […] den wir lieben“ 13 fühlen, benutzt Lessing das Wort „Philanthropie“. Dieses geht auf Aristoteles zurück und wird von Lessing als „sympathetisches Gefühl der Menschlichkeit“ 14 übersetzt. Demnach bezeichnet Philanthropie die anthropologische Grundannahme, dass man immer mit Menschen sympathisiere. Erst die Furcht verwandelt diese Menschenliebe in Mitleid. Daraus folgt, dass der Stand der Figuren für das Mitleid des Publikums nicht von Bedeutung ist, da wir, „[…]wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so haben wir es mit ihnen als Menschen, und nicht als mit Königen.“ 15 Folglich muss es sich bei den Figuren des Trauerspiels nicht mehr notwendigerweise um bürgerliche Charaktere handeln.

Im 77. Stück der Hamburgischen Dramaturgie befasst sich Lessing mit der Frage nach der Notwendigkeit der Furcht neben dem Mitleid: Warum erwähnte Aristoteles beides, obwohl doch das eine in dem anderen inbegriffen ist? -Wie bereits erwähnt definiert Lessing die Furcht als „das auf uns selbst bezogene Mitleid“ 16 und ordnet sie somit dem Mitleid unter.- Jedoch verfliegt das Mitleid für die leidende Person, wenn das Stück vorüber ist; die Furcht vor dem Übel, das dem Zuschauer widerfahren könnte, bleibt hingegen. 17 Nur durch diese Koppelung der beiden Empfindungen wird schließlich die Katharsis, das heißt die Reinigung des Zuschauers, herbeigeführt. Lessing zitiert an dieser Stelle Aristoteles, der die Tragödie als „Nachahmung einer Handlung, - die […] vermittelst des Mitleids und der Furcht, die Reinigung dieser und dergleichen Leidenschaften bewirket“ 18 definiert.

Die Katharsis als Endzweck des Trauerspiels besteht in „der Verwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten“ 19, wodurch der Zuschauer lernen solle, intuitiv zu fühlen, was das Gute und Schöne sei. Da die Charaktere, die in einer bestimmten Situation agieren, einen lehrreichen

Einzelfall aufzeigen, bewirken sie letztendlich auch die Besserung des Menschen und seien deshalb für die Tragödie wichtiger als die Handlung. 20

[...]


1 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 553.

2 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 554.

3 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 349.

4 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 195.

5 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 349.

6 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 350.

7 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 556-557.

8 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 559.

9 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 558.

10 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 190.

11 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 551.

12 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 562.

13 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 562.

14 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 564.

15 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 251.

16 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 557.

17 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 566.

18 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 567.

19 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 574.

20 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: ders.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1767-1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main 1985, S. 346.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Anwendbarkeit Lessings Hamburgischer Dramaturgie auf die Konzeption der Charaktere in "Emilia Galotti"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V302176
ISBN (eBook)
9783668008700
ISBN (Buch)
9783668008717
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
anwendbarkeit, lessings, hamburgischer, dramaturgie, konzeption, charaktere, emilia, galotti
Arbeit zitieren
Valerie Till (Autor:in), 2015, Die Anwendbarkeit Lessings Hamburgischer Dramaturgie auf die Konzeption der Charaktere in "Emilia Galotti", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302176

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