Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2. Persönliche Motivation
3. Warum ist es wichtig mit Kindern über Leid in Bezug auf Gott zu sprechen?
4. Was denken Kinder über Leid und Gott?
5. Was ist die Theodizeefrage?
6. Die Allmacht Gottes
6. 1 Warum lässt Gott das Leid zu?
7. Die Bibelstelle oh 9, 1-7
7.1 Relevanz des Themas für die Schülerinnen und Schüler
7.2 Bezug zum Lehrplan
8. Kompetenzerwartungen und Ziele der Unterrichtseinheit
8.1 Thema der Unterrichtsstunde (Inhalt und Intention)
8.2 Fachwissenschaftliche Analyse zum Lerninhalt der Unterrichtsstunde
8.3 Fachdidaktische und methodische Begründung
8.3.1 Schwerpunktziel
8.3.2 Fachbezogene Einzelziele
8.4 Verlaufsplanung
9. Fazit
10. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Bachelorarbeit beschäftige ich mich mit dem Thema der Theodizeefrage unter der Fragestellung, ob und wie diese im Religionsunterricht der Grundschule behandelt werden kann. Dies werde ich am Beispiel der Bibelstelle Johannes 9, 1-7 „Die Heilung des Blindgeborenen“ diskutieren, und einen Unterrichtsentwurf zu diesem Thema vorstellen.
Für eine Beantwortung der Frage, wie und ob Kinder eine Verbindung zwischen Gott und Leid sehen, halte ich eine Auseinandersetzung mit dem dazugehörigen Bild der heutigen Gesellschaft für elementar. Daher beschäftige ich mich zunächst mit Leiderfahrungen von Kindern und der Frage nach ihrem Empfinden in Bezug auf Gott und Leid, um den pädagogischen Einstieg in die Thematik herzustellen.
Nur wenn man sich bewusst ist, dass dem Thema des Leidens in der heutigen Gesellschaft aufgrund von Verdrängung und Veralltäglichung eine nicht ausreichende Aufmerksamkeit zukommt, wird einem die Bedeutung der Thematik und die damit verbundene Wichtigkeit über diese bereits in der Grundschulzeit zu sprechen, bewusst.
Anschließend werde ich die Theodizeefrage in der Bibel und der Theologie darstellen um daraufhin die Frage nach Gottes Allmacht zu klären. Außerdem werde ich versuchen eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Gott Leid zulässt und persönlich Stellung zu diesem Thema beziehen. Das Wissen über die christlichen Vorstellungen zur Theodizeefrage ist gleichzeitig unerlässlich, wenn man diese im Religionsunterricht bearbeiten möchte.
Um der Bachelorarbeit einen Rahmen zu geben, behandle ich das Thema an dem biblischen Text einer Wundererzählung. „Die Heilung eines Blindgeborenen“ (Joh 9, 1-7) erschien mir geeignet, um die Frage nach dem Ursprung des Unglücks zu beantworten und diesbezüglich zu erklären, wie man trotzdem von einem ‚guten Gott‘ sprechen kann. Als abschließenden Punkt der Hausarbeit gestalte ich einen Unterrichtsentwurf zum genannten Bibeltext. In dem anschließenden Fazit nehme ich Stellung zu den Schwierigkeiten während der Erstellung der Bachelorarbeit, welche persönlichen Antworten ich dabei gefunden habe und wie ich selber zu der Thematik der Hausarbeit stehe.
2 Persönliche Motivation
Die Frage nach dem 'Warum' ist die wahrscheinlich am meisten diskutierte überhaupt. Warum lässt Gott Leid zu? Warum kann er das Leid nicht abwenden wenn er doch allmächtig ist? Warum müssen Menschen überhaupt leiden? Hat das Leiden einen tieferen Sinn? Wie kann ich trotz allem an einen guten Gott glauben? All diese Fragen stelle ich mir auch persönlich vor allem aus einem bestimmten Grund: Meine Großmutter, die meinen Glauben seit meiner Kindheit am stärksten geprägt hat, erkrankte vor einigen Jahren an einem schlimmen Tumor und hielt trotzdem, bis zu ihrem Tode, entschlossen an ihrem Glauben fest. Sie war es, die mich als Kind lehrte, dass Jesus Gottes Sohn ist, Wunder vollbrachte und unter anderem kranke Menschen heilen konnte. Wie schafft man es nicht nur in Anbetracht des Leidens auf der ganzen Welt, sondern auch und vor allem wenn man selber so stark von Leid und Schmerz betroffen ist und nach Gottes Geboten gelebt hat, an einen guten und gerechten Gott zu glauben? Wie kann man sein Leiden akzeptieren und so voller Hoffnung auf ein gutes Ende sein und so viel Vertrauen besitzen? Als ich ihr diese Frage stellte war ihre Antwort in etwa: „Weil ich daran glaube. Wir können sein Handeln jetzt nicht begreifen.“
Da ich in meinem späteren Beruf als Grundschullehrerin, vor allem im Religionsunterricht, aber in der Lage sein muss eine detailliertere Antwort geben zu können, habe ich mich für das Thema dieser Bachelorarbeit entschieden und hoffe durch die folgende Bearbeitung einige Antworten finden zu können.
3. Warum ist es wichtig mit Kindern über Leid in Bezug auf Gott zu sprechen?
Die Erfahrung des Leidens ist meist eine psychosomatische. Ein Mensch der körperlich starke Schmerzen empfindet, kann in Folge dessen auch eine psychische Beeinträchtigung erfahren. Andersherum können auch psychische Leiden körperliche Störungen herbeiführen. Leid kann in unterschiedlichen Weisen zum Ausdruck gebracht werden, wie zum Beispiel durch Weinen, Schreien, Jammern oder auch ganz still für sich alleine. Trauer kann auch als Leid empfunden werden.
In der Theologie wird Leid häufig als Folge der Sünde beschrieben, als erzieherische Maßnahme Gottes, um sich zu ihm zu wenden. „Die Bibel nennt Leiden, die den Menschen in diesem Sinne treffen, Versuchung.“[1]
Leiden kann aber auch aus ganz anderen Gründen an uns herantreten, es bedeutet für den Menschen aber immer eine Veränderung der Gewohnheiten, eine Krise, die dazu führt das Bisherige, das Selbstverständliche aufzubrechen.[2]
Auch in Deutschland ist das Leben vieler Kinder von Leid geprägt. Angst und Sorge spielen in der direkten Umwelt vieler Kinder eine große Rolle. Die damit oft verbundene Frage nach der Gerechtigkeit Gottes stellt sich auch schon Kindern im Grundschulalter. Man darf hierbei nicht vergessen, dass die Kinder von heute in ganz anderen Verhältnissen aufwachsen, als ihre Lehrkräfte. „Allgemeine gesellschaftliche Modernisierungsprozesse wie Pluralisierung, Individualisierung, Endtraditionalisierung, Mobilität u.Ä. haben direkte Auswirkungen auf die Lebenswelt von Kindern.“[3]
Folgend werden einige Tendenzen der heutigen Herausforderungen für Kinder aufgerissen. In diesem Abschnitt halte ich mich an Rainer Oberthürs „Kinder fragen nach Leid und Gott“, der sich intensiv mit dem Thema der Leidenserfahrungen von Kindern und ihrem Gottesbild auseinander gesetzt hat.
Demnach leben Kinder heute vermehrt in armen Verhältnissen. „In den westlichen Bundesländern lebt ungefähr jedes achte Kind, in den östlichen sogar jedes fünfte Kind in einem einkommensarmen Haushalt.“[4] Besonders Kinder von alleinerziehenden Müttern, aus Familien mit arbeitslosen Eltern oder mit vielen Kindern, gelten außerdem als besonders gefährdet. Die besondere Schwere der Problematik liegt darin, dass Armut sowohl die psychischen, als auch die körperlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder hemmt.
Ein weiterer Aspekt ist der, dass Kinder häufiger als früher an chronischen Krankheiten leiden. Allergische Krankheiten wie Asthma, Neurodermitis etc. haben im Verlaufe der Zeit stark zugenommen. Aber auch „psycho-sozio- somatische“ Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel Essstörungen, treten vermehrt in den Krankheitsbildern der Kinder in der heutigen Zeit auf. „Der Anteil schädigender Einflüsse der Umwelt […], körperlicher Empfänglichkeiten […], psychischer und sozialer Beeinträchtigungen […], sind dabei eng miteinander verflochten und stärken sich gegenseitig“[5]
Die mangelnden oder mangelhaften Beziehungen sind, laut Oberthür, ein weiterer Faktor für die Leidenserfahrungen von Kindern. In deutschen Familien gibt es vermehrt Einzelkinder, bei denen die gestiegene Aufmerksamkeit der Eltern zu einer Überforderung führen kann. Die Eltern neigen meistens auch dazu, die Zeit, die sie nicht mit ihrem Kind verbringen können, durch eine materielle Überversorgung zu kompensieren. Außerdem entstehen Kontakte zu Gleichaltrigen fast ausschließlich durch organisierte, künstliche Situationen. Die hoch angestiegene Scheidungsrate ist ein weiterer Umstand, der die Psyche eines Kindes beeinflusst, wenn die Kinder in einem Konflikt zwischen den Elternteilen stehen. „Trauer, Angst und Schuldgefühle kennzeichnen die emotionale Situation vieler Scheidungskinder, häufig sind Symptome wie Schlaflosigkeit, Magen- und Kopfschmerzen, Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten zu beobachten.“[6]
Weiter lässt sich dem Text entnehmen, dass das unmittelbare Milieu vieler Kinder eine Quelle der Angst darstellen kann. In den meisten Gegenden ist es schwierig einen geeigneten Platz zum Spielen zu finden. In der Schule drängt sich trotz kindgerechter pädagogischer Konzepte, schnell die Gesellschaft der Leistungsorientierung auf und selbst unter den Kindern ist der Umgang meist durch Gewalt und die Durchsetzung des Stärkeren ausgezeichnet.
„Bereits seit Ende der siebziger Jahre wurde in einer Vielzahl von Untersuchungen nachgewiesen: Kinder ‚wissen‘ um die Zerstörung der Umwelt […] erfahren (dies) als Bedrohung ihrer Kindheit.“[7] Kinder können die Bedrohungen, im Vergleich zu Erwachsenen, sogar aufmerksamer und ohne Verdrängung aufnehmen, allerdings werden dadurch auch häufig starke Ängste ausgelöst.
Diese Faktoren für das Leid der Kinder sollen nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die heutige Gesellschaft zeigen, sondern die „tendenziellen Veränderungen und Herausforderungen heutiger Kinder“[8] feststellen.
Angesichts der Leiden, die die Kinder entweder selbst, durch ihre unmittelbare Umgebung, oder durch die Medien erfahren, fragen sie intensiv nach einem gerechten Gott. Die Auseinandersetzung mit der Rechtfertigung Gottes im Angesicht des Leidens dieser Welt „beginnt bereits in der Grundschule und muss im Religionsunterricht begleitet werden, damit nicht […] die Enttäuschung über die ausgebliebene Hilfe Gottes […] spätestens im Jugendalter zu einer wesentlichen ‚Einbruchstelle‘ für den Verlust des Gottesglaubens wird.“[9]
„Die individuellen und globalen Ängste vieler Kinder fordern den Religionsunterricht besonders heraus. Christlicher Glaube als eine daseins- und weltorientierende Praxis hilft zwar nicht, konkrete Einzelentscheidungen zu treffen, gibt aber eine allgemeine Orientierung, die über die kognitive Dimension hinausgeht. Vor allem eröffnet das Evangelium den Zugang zu einem von Hoffnung getragenen Selbst- und Weltverständnis.“[10] Die Lehrkraft im Religionsunterricht sollte unbedingt darauf verzichten, den Kindern die eigene Meinung aufzuzwingen, sondern ihnen genügend Entfaltungsspielraum bieten, ihre eigenen Fragen und Ansichten ansprechen zu können.
4. Was denken Kinder über Leid und Gott?
„Für Kinder gehört großer oder kleiner Kummer zum täglichen Leben dazu. Beratungsgespräche über ‚Kinderkummer‘ zeigen: Vor allem Sorgen um die Eltern (Trennung, Tod, Alkohol, Schulden u.a.), Konflikte mit Eltern und Geschwistern, aber auch Eifersucht, sexueller Missbrauch und Gewalterfahrungen belasten die Heranwachsenden.“[11]
In der Grundschulzeit steigert sich das Fragebedürfnis der Kinder enorm. Mit heranwachsendem Alter entwickelt sich ein zunehmendes Interesse an der Theodizeefrage, bzw. Leidfragen generell.
Kinder sind oft mit Leiden, entweder in ihrer unmittelbaren Umgebung, oder durch die Vermittlung in den Medien, konfrontiert. Sie erfahren dies oft mit eigener Bertoffenheit und fragen intensiv nach der Gerechtigkeit Gottes. Lässt man Kinder Fragen an Gott aufschreiben, zeigt sich, dass Gott, in Entsprechung zur jüdisch-christlichen Glaubenstradition, selbst für sie Angefragter oder sogar Angeklagter ist.[12]
Oser/ Gmünder eruierten fünf Stufen des religiösen Urteils, deren Aufbau von der zunehmenden Annäherung zwischen der Autonomie des Menschen und der Gottes geprägt ist. „Für Grundschulkinder sind vor allem die Stufen eins und zwei relevant: 45% der 8-9 jährigen konnten bei Stufe 1 und 55% bei Stufe 2 eingruppiert werden.“[13]
Mit Schuleintritt befinden sich die Kinder zum Großteil im Bereich der ersten Stufe, für die die Vorstellung einer vollkommenen Abhängigkeit von Gott ausschlaggebend ist. „Für Kinder ist es eine Urerfahrung von Größeren abhängig zu sein. Die Abhängigkeit von Gott generalisiert damit nur Erfahrungen mit den Eltern oder Älteren schlechthin. […] Diese Grunderfahrung (ist) nicht an den Glauben an einen christlichen Gott gebunden, sondern (kann) auf entsprechende Äquivalente übertragen werden.“[14] Für Kinder ist Gott der Schöpfer, der die Welt mit einem Sinn und Ziel für die Menschen gestaltet hat. In dieser Vorstellung müssen auch das Böse und das Leid letztendlich einen Sinn haben. „Deshalb sind Kinder, außer bei schweren Traumatisierungen, in der Regel bereit, noch auf ein gutes Ende zu hoffen.“[15] Gleichzeitig wird Gott hier auch als unnahbar und undurchschaubar aufgefasst. Sein Eingreifen in die Welt geschieht in dieser Auffassung auch, um entweder zu strafen, oder zu helfen. „Gefühle der Hilflosigkeit, oder der Geborgenheit und Sicherheit können die Folge sein.“[16] Oser/ Gmünder nennen diese erste Stufe auch „deus ex machina“ (8-10 Jahre).
Eine andere kindliche Ansicht zeigt, dass man sich auch gegen Autoritäten durchsetzen kann, bzw. Einflussmöglichkeiten vorhanden sind. Auf die Theologie bezogen bedeutet das, dass die Menschen in einem Austausch mit Gott stehen. Er erscheint hier zwar ebenfalls als ‚allmächtig‘, aber das Kind erfährt ihn jetzt als Gegenüber, das durch Gebete o. Ä. beeinflussbar ist.[17] Kinder machen die Erfahrung, dass gutes Verhalten belohnt, schlechtes bestraft wird und wissen, dass man mit netten Worten und Freundlichkeit mehr erreicht, als mit Fehlverhalten. „Diese Grunderfahrungen prägen tief unser Gerechtigkeitsgefühl und sind auch bedeutsam in Bezug auf Gott oder einer, wie auch immer vorgestellten Schicksalsmacht.“[18] Auch bei diesem Ansatz zeigt sich der Wunsch, Leid in Beziehung mit menschlichem Verhalten zu setzen und in Folge dessen zu deuten. „Am Ende der Grundschulzeit können solche Verstehensweisen dann derart brüchig werden, dass die Möglichkeit eines Handeln Gottes in der Welt generell infrage gestellt wird.“[19] Oser/ Gmünder bezeichnen diese zweite Stufe auch mit dem Ausdruck „do ut des“ (8-18 Jahre).
Wiederum zeigt sich bei manchen Kindern auch, dass ein direktes Eingreifen Gottes nicht erwartet wird, und das menschliche Leid demnach im Zusammenhang menschlicher Selbstverwaltung erklärt wird.[20] Diese Stufe wird auch „Deismus-Stufe“ genannt (ab 11/12 Jahren).
Diese Kategorisierung lässt sich auch teilweise, in dem bei Oberthür beschriebenen Gottesbild der Kinder in der Grundschule, manifestieren.
„Nur selten zeigt sich ein Denken in den Kategorien von Lohn und Strafe, häufiger jedoch die Vorstellung, Gott wolle den Menschen lehren, sie etwas bewusst werden lassen.“[21] Stellt man Grundschülern die Frage „Warum lässt der gute Gott das Leiden zu?“ erscheint Gott in ihren Antworten als jemand, der den Menschen nahe ist und ihnen ihren Freiraum lässt. Damit verbunden scheint den Kindern aber auch bewusst zu sein, dass bei den Menschen eine Notwenigkeit zum Handeln besteht. Auffällig ist, dass eine Neigung der Kinder darin liegt, entschuldigende Worte für Gottes Verhalten zu finden. Manche Kinder klagen Gott aber auch an, stellen seine Macht in Frage und fordern ihn zur Einmischung in das Weltgeschehen auf. Wieder andere Kinder möchten das Geheimnis über Gottes Entscheidung zu handeln, bzw. nicht zu handeln, bewahren.[22]
Weitere Antworten der Kinder deuten darauf hin, dass sie keine kognitiven Probleme damit haben, Gottes Güte und Allmacht in einem Zusammenhang zu sehen.[23]
In Oberthürs „Kinder fragen nach Leid und Gott“ wird ein sehr aufschlussreicher Versuch mit Kindern durchgeführt. Ihnen werden Aussagen über die Theodizeefrage vorgelegt und die Kinder sollen zu diesen Stellung beziehen. Ihre Antworten sind vor allem sehr interessant um einen Einblick in das religiöse Denken und Urteilen von Kindern zu bekommen.[24]
Die erste Aussage die den Kindern vorgelegt wird, zielt darauf ab, dass Gottes Wille immer erfüllt wird, Leiden eine Strafe ist und die Menschen sich dadurch bessern sollen. Die Stellungnahmen der Kinder sagen zum Beispiel aus, dass diese Vorstellung früher eine Erklärung für Gottes Verhalten war, aber sich heute eine andere Vorstellung von ihm gefestigt hat. Demnach ist Gott nicht der ‚gerecht‘ strafende. Diese Annahme wird durch Gottes Güte, dem Bild eines selbst Leid zufügenden Menschen und dem Bewusstsein, dass auch Ungerechte unbestraft bleiben, Gerechte hingegen auch Leid erfahren können, abgewehrt.
Die nächste Aussage über die Theodizeefrage besagt, dass Gott bei den Leidenden ist und mit ihnen fühlt. Die Stellungnahmen der Kinder lassen erkennen, dass sie in dieser Aussage großen Anklang finden. Eine Antwort lautet zum Beispiel: „Gott ist meistens auf der Seite, die leiden muss, weil, wenn er auf der anderen Seite wäre, hätten die Leidenden keinen mehr.“ In dieser Äußerung lässt sich das Bild eines mitleidenden Gottes sehr gut ablesen.
Eine andere Behauptung über die Theodizeefrage lautet, dass wir das Leiden nicht erklären können und daher Gott fragen und anklagen sollten. Die Kinder nehmen auf diese Äußerung hin, Gott stark in Schutz. „Das Vertrauen ist bei den meisten Kindern so stark, dass sie das Fragen dem Beklagen vorziehen.“[25]
Die Ausführungen der Kinder zeigen, dass sie ein sehr harmonisches Verhältnis zu Gott haben und ihm keineswegs die Schuld an den Leiden dieser Welt geben. Deutlich wird jedoch auch, dass die Kinder trotzdem Fragen an ihn haben, auch wenn sie sich bewusst sind, dass sie keine direkten Antworten bekommen werden und diese wahrscheinlich erst auf ihrem Lebensweg erfahren. Grundsätzlich lässt sich in allen Aussagen über Gott ein gefestigtes Vertrauen erkennen.
Im Folgenden werde ich erläutern, was die Theodizeefrage in der Bibel und der Theologie bedeutet, um anschließend die Frage der Allmacht zu klären und warum Gott Leid zulässt.
5. Was ist die Theodizeefrage?
Der Begriff „Theodizee“ stammt aus der griechischen Sprache und heißt übersetzt: „die Rechtfertigung Gottes“ (theos= Gott, dike= Recht). Angesichts der Weltunvollkommenheit erweisen sich religiöse Welterklärungsmodelle, wie zum Beispiel der Tun- Ergehen-Zusammenhang, als latent instabil und geraten zunehmend unter Druck verständliche Auslegungen für das weltliche Chaos, in einer von Gott geordneter Welt, zu liefern.[26]
Die wahrscheinlich bekannteste Stellungnahme ist die Untersuchung von 1710 von Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716) „Abhandlungen zur Theodizee. Über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Bösen“. Genau wie Kant versetzte er sich in die Rolle einer Art Anwalt Gottes und versuchte, die Frage in Gottes Interesse zu beantworten.
Aber auch schon der griechische Philosoph Epikur (341-270 v. Chr.) stellte die entscheidenden Fragen nach der Allmacht der ‚Götter‘, deren Allmacht er zwar nicht anzweifelte, doch die Meinung vertrat, dass sie sich nicht genug um die Welt kümmerten.
Die Theodizeefrage ist kein rein christliches Problem. Auch der Islam und der Buddhismus setzen sich intensiv mit der Problematik auseinander.
Der Begriff war ursprünglich ein durch die Philosophie geprägtes Kunstwort, hat aber mittlerweile die Grenzen der philosophischen und theologischen Fachdiskussion überschritten und ist zu einem alltagssprachlich verbreiteten Ausdruck geworden.
Eigentlich soll es bedeuten, dass der Glaube an einen guten, heiligen, fehlerfreien Gott nicht durch die schlimmen Geschehnisse der Welt aufgehoben wird. Bezieht man sich hierbei auf die Endlichkeit des menschlichen Seins, im Gegensatz zu Gottes Unendlichkeit, beschreibt die Theodizee die Hoffnung des bescheidenen Glaubenden, den Sinn der Welt irgendwann zu erfahren.[27]
Wie bereits erwähnt, ist die Theodizeefrage die Frage nach dem gerechten Gott, vor dem Hintergrund des bestehenden Elends in der Welt. Für den Menschen scheint es unmöglich, an einen gerechten, guten, allmächtigen Gott zu glauben und alles Leid der Welt völlig unabhängig von ihm zu betrachten. „Entweder, die Vorstellung von Gottes Allmacht wird geopfert, oder es stellt sich die Theodizeefrage, also die Frage danach, wo Gott angesichts des Bösen in der Welt ist, in aller Schärfe.“[28]
Für den Menschen ergibt sich also ein innerer Widerspruch, zwischen einem guten und liebenden Gott, an den man glauben möchte, und der Existenz des Schlechten in dieser Welt. Das zentrale Problem ist, dass sich die Menschen fragen, warum Gott das Übel der Welt nicht einfach besiegt. Entweder er ist nicht in der Lage dazu, oder er hat die Macht aber tut es nicht, oder er hat den Willen, aber keine Macht, was eine Schwäche Gottes bedeuten würde, dies wiederum ist nicht passend. Hat er aber die Macht und ändert nichts, so scheint er boshaft und das entspricht auch nicht unserem Bild des liebenden Gottes. Hat er aber doch den Willen und die Macht, was wir von ihm erwarten, warum gibt es dann das Leid und warum tut er nichts dagegen? (Vgl. Epikur)
Der Schritt, Gott anzuzweifeln, oder gar zu fragen ob er überhaupt ist, scheint also ein kleiner zu sein. Das Theodizee Problem wird demnach auch oft dazu gebraucht, den Glauben an Gott in seinen Grundfesten zu erschüttern. Bekannt dafür ist zum Beispiel Gerhard Streminger, ein österreichischer Philosoph, der eine Reihe von Thesen aneinanderreiht, die für ihn beweisen, dass es keinen Gott gibt. Er sagt in etwa, dass Gott sich des Bösen der Welt bewusst ist, dieses aufgrund seiner Allmacht bekämpfen könnte, es aber trotzdem das Böse gibt, also deshalb auch keinen Gott. Darin lässt er die Liebe und die Allmacht Gottes in einem diametralen Widerspruch erscheinen, wobei diese Argumentation nicht mehr als ein logischer Zirkel ist. „Die Zirkulation dieser Argumentation ergibt sich bereits daraus, dass sie in der Form eines negativen Gottesbeweises die Existenz Gottes bereits in der Anlage des Gedankens geleugnet hat.“[29]
Des Weiteren muss zwischen einer allgemeinen Theodizee und einer individuellen unterschieden werden. Die individuelle Erfahrung mit Leid stellt ganz andere Fragen an Gott. Die Frage nach dem Warum ist hier immer gleichzeitig eine Anklage, ein Protest, eine Auflehnung und ein Ausdruck der Angst, der Verzweiflung und der Wut Gott gegenüber, aber auch gegenüber der Welt und Menschen, denen kein Leid widerfahren ist. Auch hier steht das Bild, welches man von Gott hat auf dem Spiel und der Sinnhorizont den man bisher hatte, bricht zusammen. Gott wird nun als ungerecht und rätselhaft wahrgenommen. Außerdem stellt sich der leidende, gläubige Mensch die Frage ob er irgendwas falsch gemacht hat.[30]
Im Alten Testament wird die Frage nach Gottes Gerechtigkeit von Abraham, direkt an Gott gerichtet, während er mit ihm über die bevorstehende Zerstörung Sodoms spricht (Gen18, 25): „Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten?“. Voraussetzung im Alten Testament ist generell, dass Gott der Herrscher über alles ist und über Völker und Individuen in gleicher Weise urteilt. Wobei natürlich Schwierigkeiten aufkommen, wenn seine Herrschaft für den Menschen nicht gerecht scheint.[31] Zu den Lösungsansätzen im Alten Testament komme ich in 5.1 genauer zu sprechen.
Im Neuen Testament wird der Begriff der Theodizeefrage nicht direkt angesprochen, aber die Frage, inwiefern leidende Menschen an ihrem Unglück selbst verschuldet sind, wird erhoben.[32] Generell wird hier eher die Frage wozu Leid gut sein kann gestellt, als die Frage nach dem Warum. Die Bibelstelle Joh 9, 1-7, um die es später in meiner Arbeit noch ausführlicher geht, ist ein Beispiel dafür.
In Röm 9 geht es um Gottes unwandelbare Treue und Paulus weist in V20 eindeutig darauf hin, dass der Mensch Gott nicht zur Rechenschaft ziehen darf, denn „kein Mensch [kann] durch die Werke des Gesetzes vor ihm gerecht sein. Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ Diese Aussage würde das Theodizeeproblem an sich abschließen und den Menschen eher dazu auffordern Sensibilität für die an Unglück leidenden zu entwickeln, statt Gott anzuklagen. Da diese Frage aber viel diskutiert wird, ist es nicht Aufgabe der Theologie, sich für oder gegen eine Rechtfertigung Gottes auszusprechen, sondern eher zu prüfen, wie der christliche Glaube sich zu Gottes Handeln, im Angesicht der vermeintlichen Ungerechtigkeiten dieser Welt, verhält und wie sich die Frage nach dem ‚Warum‘ seit der biblisch bezeugten Anklage gegen Gott in Ps 22, 2 und ebenso in Mk 15, 34: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen?“ beantworten lässt.[33]
[...]
[1] Berger, Leid und Katastrophen, 56.
[2] Vgl. a. a. O., 67.
[3] Vgl. Grethlein/ Lück, Religion in der Grundschule, 23.
[4] Oberthür, Kinder fragen, 44.
[5] Ebd.
[6] A. a .O., 45.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] A. a. O., 49.
[10] Grethlein/ Lück, Kompendium, 33.
[11] Vgl. Pech/ Könneke/ Hersvhelmann: Kinderkummer, 85f. In: Grethlein/ Lück, Kompendium, 29.
[12] Vgl. Oberthür, Kinder fragen, 87.
[13] Grethlein/ Lück, Kompendium, 43
[14] Büttner/ Rupp, Theologisieren mit Kindern, 26.
[15] Ebd.
[16] Grethlein/ Lück, Kompendium, 43.
[17] Ebd.
[18] Büttner/ Rupp, Theologisieren mit Kindern, 26.
[19] Grethlein/ Lück, Kompendium, 44.
[20] Büttner/ Rupp, Theologisieren mit Kindern, 27.
[21] Oberthür, Kinder fragen, 121.
[22] Vgl. ebd.
[23] Vgl. a. a. O., 122.
[24] Vgl. A. a. O., 124.
[25] Oberthür, Kinder fragen, 126.
[26] Vgl. Weßler, Art. Theodizee (RGG4 2005), 224.
[27] Vgl. Rahner/ Vorgrimler, Wörterbuch, 403.
[28] Erlemann, Gott?, 46.
[29] Ritter/ Feldmeier/ Schoberth/ Altner, Der Allmächtige, 49.
[30] Vgl. Klessmann, Art. Theodizee (RGG 42005), 235.
[31] Vgl. Barton, Art. Theodizee (RGG42005), 225.
[32] Vgl. Klaiber, Art. Theodizee (RGG4 2005), 227.
[33] Vgl. Sparn, Art. Theodizee (RGG4 2005), 232