Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Hebbels Maria Magdalena im Vergleich zum traditionellen bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts
Die Sinnentleerung des Ehr – und Tugendbegriffs
Klaras Mutter: Letzte Instanz des herkömmlichen Tugendbegriffs
Leonhard: Loslösung von Ehre und Tugend
Meister Anton: Übersteigerter Ehrbegriff führt in die Katastrophe
Klara: Das Selbstopfer einer gehorsamen Tochter
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
In meiner vorliegenden Hausarbeit habe ich mich eingehend mit Friedrich Hebbels Drama Maria Magdalena auseinandergesetzt.
Dieses Stück steht in der Tradition des Familiendramas, „einer Tradition, in der das, was Diderot als höchstes Gut gilt, als der einzige Ort, an dem der Mensch glücklich sein kann [gemeint ist die Familie] allmählich zur Hölle pervertiert.“[1]
Die Welt von Meister Antons Familie ist gekennzeichnet von einer bedrückenden Enge, einer Enge, die unheilvoll über die Figuren des Dramas schwebt und sie sowohl in ihren Verhaltensweisen, als auch Entscheidungsmöglichkeiten einengt und beschränkt.
Ziel meiner Arbeit ist es am Beispiel diverser Figuren aufzuzeigen wie der Begriff von Ehre und Tugend in diesem tragischen Trauerspieleine Sinnentleerung erfährt. Bei Hebbel resultiert die Darstellung von menschlichem Leiden und Untergang nicht aus einem zufälligen Unglück, sondern ist die Folge „einer Verfehlung, des Schicksals oder geschichtlich- gesellschaftlicher Umstände“.[2]
Benno von Wiese beschreibt die Zwangsläufigkeit der Ereignisse wie folgt:
Die tragische Analyse dieser bürgerlichen Welt […] gibt den gesellschaftlichen Zusammenhängen ein solches Übergewicht, daß der Mensch hier im Grunde nicht mehr Täter seiner Taten ist, sondern gleichsam nur das Vollzugsorgan des abstrakt gewordenen Hintergrundes, der ihn fast marionettenhaft dirigiert.[3]
Bei der Analyse des Dramas habe ich sowohl die werkimmanenten, wie soziohistorischen, als auch psychologischen Aspekten in Betracht gezogen.
Hebbels Maria Magdalena im Vergleich zum traditionellen bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts
Die Anfänge des deutschen bürgerlichen Trauerspiels sind im 18. Jahrhundert anzusiedeln. Das Anliegen der deutschsprachigen Dramatiker jener Zeit, die teilweise beeinflusst waren durch Diderot, Mercier und Lilo[4], ist es eine Bevölkerungsschicht in den Mittelpunkt ihrer Werke zu setzen, welche bis dahin in der Literatur keine Beachtung gefunden hatte: das Bürgertum. In diesen Trauerspielen avanciert der Bürger nun zum Gegenstand des Mitleidens und wird als tragikfähige Figur auf der Bühne präsentiert.
Literatur soll nun nicht mehr länger nur zur Unterhaltung dienen, deren Hauptaufgabe es insbesondere an den Höfen darstellte, sondern soll, ganz im Sinne der Aufklärung, zur Bildung des bürgerlichen Individuums beitragen. Weiterhin soll das Publikum des bürgerlichen Trauerspiels dazu angehalten werden ein fremdes Schicksal nachzuerleben, und – gemäß Lessings Mitleidstheorie – mit den Helden des Dramas mitzufühlen.
Relevant [ist] das Ausmaß der Wirkung, das ein Drama produzier[t], und diese Wirkung [ist] umso größer, je ähnlicher die Helden dem Publikum [sind]. Damit kann auch ein bürgerliches Personal zum Gegenstand des tragischen Geschehens werden, ist es ein bürgerliches Publikum, das das dramatische Geschehen rezipiert.[5]
Zu berücksichtigen ist, dass der Begriff Bürger jedoch eine durchaus differenzierte Definition erlangt; „zuweilen ist es der Stand, zuweilen der Charakter, die die Bürgerlichen auf der Bühne als solche bestimmen“[6]. Lessings Figur der Emilia Galotti zum Beispiel gehört standesgemäß dem niederen Adel an, es sind jedoch ihre bürgerlichen Tugenden, wie Humanität, Gerechtigkeit, Mitleidsfähigkeit, Sittlichkeit, usw., die sie als „bürgerliche“ Heldin bestimmen.
Wenn in den Dramen von Lessing (Emilia Galotti) und Schiller (Kabale und Liebe) das Bürgertum sich noch in einem Konflikt mit dem Adel befindet – unabhängig ob aufgrund ihrer Standeszugehörigkeit oder aufgrund ihrer tugendhaften, bürgerlichen Eigenschaften - so ist bei Hebbels Drama Maria Magdalena die Familie das Sujet. Die beschriebene Problematik ist nicht nur innerhalb des eigenen Standes, sondern weitgehend innerhalb der eigenen Familie auszumachen. Demnach ist Hebbels Bestreben, „ein kleinbürgerliches Unglück – im Zentrum steht die Familie des Tischlers Meister Anton- zum Gegenstand einer hohen Tragödie zu machen.“[7]
Wurde der Begriff Bürgertum im bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts noch als synonym für Menschlichkeit und vielleicht sogar Erhabenheit (im Vergleich zum Adel) verstanden, bedeutet er bei Hebbels Maria Magdalena Scheinmoral und die Verharrung in einer engen, beschränkten kleinbürgerlichen Welt.
Die Figuren in Maria Magdalena sehen sich mit gesellschaftlichen Bedingungen konfrontiert, die Selbständigkeit und freie Entscheidungen nicht mehr zu lassen. Sie sind das Produkt der engen und gedrückten Verhältnisse eines Kleinbürgertums, das in einem bigotten, sinnentleerten Pietismus und Puritanismus verwurzelt ist. Eine Bürgerlichkeit, die sich in dieser Form äußert, ist für die Menschen keine Ordnung mehr, sondern nur noch Verordnung.[8]
Hebbels Plan war es in seinem Drama die Unzulänglichkeiten seiner Figuren, die entweder gar nicht oder erst zu spät jene innere Freiheit erlangen, die sie verantwortlich hätte handeln lassen, zu beschreiben:
Speziell hatte ich bei diesem Stück noch die Absicht, das bürgerliche Trauerspiel einmal aus den dem bürgerlichen Kreise ursprünglichen Elementen […] aufzubauen. Wenn das Stück daher, abgesehen von der größten Kette, in der es ein notwendiges Glied bildet, ein partiellen Verdienst hat, so dürfte es darin liegen, daß hier das Tragische nicht aus dem Zusammenstoß der bürgerlichen Welt mit der vornehmen […] abgeleitet ist, sondern ganz einfach aus der bürgerlichen Welt selbst, aus ihrem zähen und sich selbst begründeten Beharren auf den überlieferten patriarchalischen Anschauungen und ihrer Unfähigkeit, sich in verwickelten Lagen zu helfen.[9]
[...]
[1] Schößler 2003:8.
[2] MM (Kommentar) 2006:129.
[3] Ebd.
[4] Vgl. Schößler 2003:7.
[5] Schößler 2003:44.
[6] Ebd.
[7] Schößler 2003:73.
[8] Vgl. Kraft 1971:112.
[9] Metzler 2001:333.