Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Definitionen
1.1 Sprachkontakt
1.2.1 Lehnwort und Fremdwort
1.2.2 Lehnprägung
2. Sprachkontakt und Sprachpolitik in Frankreich während der ersten beiden Weltkriege
2.1 Erster Weltkrieg
2.2 Zwischenkriegszeit
2.3 Zweiter Weltkrieg
3. Fremdsprachliche Entlehnungen aus dem Deutschen in der Literatur von Joseph Joffo inklusive Analyse
3.1 La Jeune Fille au pair
3.2 Un sac de billes
3.3 Deskriptive Analyse der Umfrageergebnisse
Schlussteil
Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang A
Anhang B
Einleitung
Worte und Sätze können ebensowohl Gärten wie Kerker sein, in die wir, redend, uns selbst einsperren, und die Bestimmung, Sprache sei allein die Gabe des Menschen oder eine menschliche Gabe, bietet keine Sicherheit. [1]
Im Aufbauseminar Französisch in Kontakt mit anderen Sprachen und dem Lesen des Romans La Jeune Fille au pair [2] entstand die Idee, den deutschen Sprachkontakt in Frankreich während der beiden Weltkriege zu untersuchen. Aufgrund dieses umfangreichen Themas beschränkt und spezialisiert sich diese Hausarbeit auf deutsche Entlehnungen aus der Literatur von Joseph Joffo. Ziel der Hausarbeit ist, aufzudecken, welche deutschen Entlehnungen während der beiden Weltkriege in die französische Sprache gelangt sind.
Eine der wichtigsten Hauptquellen ist das Buch La Langue allemande en France: De 1830 à nos jours [3] von Paul Lévy. Dieses Werk wurde ausgewählt, weil der Autor ein wichtiger Zeitzeuge ist und den für diese Hausarbeit wesentlichen Zeitraum persönlich erlebt hat. Sprachwissenschaftliche Definitionen stammen aus unterschiedlichen Lexika. Exemplarische Beispiele stammen aus Lévys Werk oder aus Joseph Joffos Werken Un sac de billes [4] und La Jeune Fille au pair. Ersteres ist seine autobiografische Erzählung, in der er berichtet, wie er als Jude im Alter von zehn Jahren mit seinem Bruder vor den Nationalsozialisten geflüchtet ist. Letzteres handelt von einem jungen Au-pair-Mädchen, welches auf der Suche nach dem Schicksal ihrer Eltern, unter dem Vorwand die französische Sprache zu erlernen, zu einer jüdischen Familie zieht. Als Nachschlagewerke wurden Le Grand Robert [5] , Le Trésor de la langue fran çaise [6] und Le Grand Larousse [7] verwendet. Für den historischen Hintergrund wurden die beiden Bücher Der Zweite Weltkrieg von Schreiber und Der große Krieg. Deutschland und Frankreich im Ersten Weltkrieg 1914 – 1918 von Becker und Krumeich hinzugezogen.
Als Grundbaustein der Hausarbeit beginnt Kapitel 1 mit den Definitionen der Termini Sprachkontakt, Entlehnungen, Lehnwort und Lehnprägung. Anschließend werden der Sprachkontakt und die Sprachpolitik in Frankreich während der beiden Weltkriege in Kapitel 2 vorgestellt. Der behandelte Zeitraum wird in Erster Weltkrieg, Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg unterteilt. In Kapitel 3 folgt eine Auflistung, Kategorisierung und Analyse deutscher Entlehnungen aus den Werken La Jeune Fille au pair und Un sac de billes von Joseph Joffo. Im Schlussteil gibt es noch ein kurzes Resümee der Arbeit. Die Arbeit endet mit einem Ausblick inklusive einer eigenständig angefertigten Umfrage zum persönlichen Bekanntheitsgrad von den Entlehnungen aus der Literatur von Joseph Joffo anhand von französischsprachigen Muttersprachlern als Probanden.
1. Definitionen
1.1 Sprachkontakt
Sprachkontakt ist ein Begriff aus der Lexikologie und bezeichnet den Kontakt zweier oder mehrerer Sprachen innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Gründe für Sprachkontakt können vielfältig sein. Die wichtigsten Sprachkontakte sind politisch, historisch, geografisch, ökonomisch oder kulturgeschichtlich bedingt. Die Entstehung eines Adstrats[8], Substrats[9] und Superstrats[10] kann deshalb als Folge von Sprachkontakt innerhalb einer Sprachgemeinschaft betrachtet werden. Die linguistische Analyse von Sprachkontakten, auch unter dem Terminus 'Kontaktlinguistik' bekannt, erforscht den Einfluss spezifischer und sprachexterner Kontaktfaktoren. Ihr Hauptfokus richtet sich dabei auf die Probleme der Sprachplanung und der Sprachpolitik.[11]
1.2 Entlehnungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Fremdsprachliche Entlehnungen nach dem Muster von Bußmann [12]
Bei einer Entlehnung wird ein fremdsprachlicher Ausdruck aus einer Fremdsprache in die Muttersprache übernommen. Folglich können Entlehnungen nur infolge von Sprachkontakt entstehen. Häufig werden Begriffe entlehnt, wenn es in der Muttersprache keine Bezeichnungen für die neu entstandenen Gegenstände oder Sachverhalte gibt. Unterschieden wird zwischen lexikalischer und semantischer Entlehnung.[13] Die genauere Untergliederung ist in Abbildung 1 zu sehen und wird in den folgenden Abschnitten beschrieben.
1.2.1 Lehnwort und Fremdwort
Der Terminus 'Lehnwort' ist eine lexikalische Entlehnung. Es wird bei der Entnahme sowohl in der Lautung, im Schriftbild und der Flexion an die 'Nehmersprache' angepasst. Ein Lehnwort wird anschließend nicht mehr als fremd empfunden und ist somit assimiliert, zum Beispiel « fenêtre » vom Lateinischen fenestra und « mur » vom Lateinischen murus. Ein 'Fremdwort' hingegen wird ohne Veränderung der 'Gebersprache' entnommen und behält deshalb seinen fremden Charakter wie z.B. « Mensa » im Deutschen, das vom Lateinischen mensa stammt. Oft behält das Fremdwort auch die gleiche Bezeichnung aus der fremden Sprache. Eine deutliche Abgrenzung zwischen Lehnwort und Fremdwort ist dennoch sehr schwierig, weil sie sich nach subjektiven Einschätzungen des Sprechers/Hörers bzw. auch Schreibers/Lesers richtet, zum Beispiel «Spaghetti /Spagetti ». Mögliche Abgrenzungskriterien für Entlehnungen können die phonologische oder morphologische Struktur, die orthografische Repräsentation und die Vertrautheit mit dem Wort sein. Der Entlehnungszeitraum spielt eher eine unwichtige Rolle. Die Sportart «Basketball» ist z.B. deutlich nach Wörtern wie «Symposium» oder «Bibliothek» in die deutsche Sprache aufgenommen worden. Die Vertrautheit mit der Sportart ist jedoch wesentlich höher und somit ist der Fremdwortcharakter deutlich gesunken.[14] Besonders bei modernen englischen Entlehnungen ist deutlich zu erkennen, dass sie sich im Verlauf der Globalisierung integrieren und kaum noch einen Fremdwortstatus haben.[15]
1.2.2 Lehnprägung
Bei der 'Lehnprägung' handelt es sich um die semantische Entlehnung eines Fremdworts, worunter die beiden Kategorien Lehnbildung und Lehnbedeutung fallen. Bei der Lehnprägung wird ein fremdsprachlicher Inhalt eines Wortes mit den vorhandenen Mitteln, zum Beispiel Morphemen der Muttersprache, nachgebildet. Die Adaption der Begriffe kann auf vier Wegen erfolgen: durch (a) Lehnbedeutung, (b) Lehnschöpfung, (c) Lehnübersetzung und durch (d) Lehnübertragung. Bei der Lehnbedeutung wird, wie sich aus dem Namen bereits erschließen lässt, ein neuer Inhalt (Teilidentität des Inhalts) aus einer Fremdsprache durch ein bereits vorhandenes heimisches Wort (morphologische Ähnlichkeit) entlehnt, zum Beispiel im Deutschen die Verwendung des Terminus « realisieren » mit der Englischen Bedeutung 'erkennen' und 'einsehen'. In die Kategorie Lehnbildung fallen sowohl Lehnschöpfung als auch Lehnformung. Die Lehnschöpfung ist formal unabhängig. Dort wird ein formal heimisches Wort bei Inhaltsübernahme eines fremden Musters gebildet, zum Beispiel deutsch: « Umwelt », welches den semantischen Inhalt des französischen Wortes « milieu » erhalten hat. Formal abhängig sind dagegen die Lehnformen, die Bußmann in Lehnübersetzung und in Lehnübertragung einteilt. Bei der Lehnübersetzung wird ein Fremdwort Glied-für-Glied direkt in die Muttersprache übertragen. Bußmann erwähnt jedoch nicht, dass sich das Determinans-Determinatum-Verhältnis[16] häufig umdreht, sodass die einzelnen Morpheme ihre Reihenfolge oder sogar die Wortanzahl ändern, wie zum Beispiel bei dem Begriff « présence d'ésprit », der vom Französischen ins Deutsche als « Geistesgegenwart » übersetzt wurde. Dabei ist zusätzlich die Präposition «de» entfallen. Im Gegensatz zur Lehnübersetzung handelt es sich bei der Lehnübertragung um die freie Übertragung oder Teilübersetzung eines Fremdwortes mit einem heimischen Grundwort. So stammt zum Beispiel das deutsche Wort « Wolkenkratzer » vom englischen « skyscraper » ab . [17] Würde von einer Lehnübersetzung gesprochen werden, müsste das Wort « Himmelkratzer » heißen. Bei einem Blick auf die französische Sprache wird deutlich, dass es sich um eine Lehnübersetzung handelt, weil dieses Wort als « gratte-ciel » übersetzt wurde. Ergänzend unterscheidet Homberger noch eine weitere Entlehnungsmöglichkeit, die er als 'Lehnwendung' bezeichnet. Diese ist fast identisch mit der Lehnübersetzung, bezieht sich jedoch spezifisch auf feste Wendungen aus einer fremden Sprache, also Redensarten, zum Beispiel Französisch « L'amour rend aveugle. » und deutsch « Liebe macht blind.» An dieser Stelle ist es schwierig, diese Art von Entlehnung in Abbildung 1 einzuordnen, weil sie als Unterkategorie von 'Lehnübersetzung', aber auch gleichzeitig als eigene Kategorie von 'Lehnformung' angesehen werden kann.[18]
2. Sprachkontakt und Sprachpolitik in Frankreich während der ersten beiden Weltkriege
In den Jahren 1914 – 1918 und 1940 – 1944 kam es zu einzelnen Besatzungen in Gebieten Frankreichs durch Deutsche. Nach jeder Kriegserklärung seitens der Deutschen gegenüber Frankreich nahm die Sympathie zur deutschen Sprache ab.[19] Die deutschen Entlehnungen in Frankreich wurden vor allem von Händlern, Ingenieuren, Kaufleuten und besonders dem Militär eingeführt. Die deutsche Sprache war außerdem während der Kriege immer auf Mauern und Türen präsent und wurde dort auch übersetzt. Diese Übersetzungen waren meistens fast perfekt und viel besser als die Übersetzungen in der Literatur. Sowohl Fernsehen als auch Radio hatten einen großen linguistischen Einfluss auf die französische Sprache. Paul Lévy hat beobachtet, dass einige Germanismen noch zu seiner Zeit nach den Kriegen im französischen Gebrauch zu finden sind und andere nicht. Besonders in der Nachkriegszeit zeichnete sich ein deutlicher Rückgang der deutschen Schriftsprache ab.[20]
2.1 Erster Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg war für Frankreich in erster Linie ein deutsch-französischer Krieg. Er kann als Wiederaufnahme des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 betrachtet werden. Viele Franzosen sahen den Ersten Weltkrieg als eine Revanche an, um Elsass und Lothringen zurückzugewinnen, und lehnten deshalb den Gebrauch der deutschen Sprache häufig ab.[21] Die Deutschen dagegen waren stolz auf ihren Sieg und wollten deshalb ihre Sprache in Frankreich nicht aufgeben: „Et tout ce monde, fort de sa victoire et des circonstances, s'est évertué à faire prévaloir son parler.“[22] Daher reagierte das Deutsche Reich mit strikten Gesetzen:
Individuelle Freiheiten, Pressefreiheit und Versammlungsrecht wurden aufgehoben. Französischsprechen in der Öffentlichkeit war verboten und konnte mit einem Jahr Gefängnis geahndet werden. Die bisher als französischsprachig eingestuften Teile des Reichslandes wurden rücksichtslos germanisiert.[23]
Zu einer besonders heftigen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich kam es bei der Schlacht von Verdun, die im Jahre 1916 stattfand. Sie endete damit, dass Frankreich fast alle Gebiete wieder erlangte, die sie an Deutschland verloren hatten.[24] Am 28. Juni 1919 wurde der Versailler Vertrag unterschrieben. Die Deutschen sahen diesen Vertrag als Schandvertrag an, weil sie besonders im Artikel 231 als Urheber für alle Verluste und Schäden im Kriege bezeichnet wurden.[25] Mit dem Ende des Krieges manifestierte sich auch noch das Wort « diktat » in die französische Sprache.[26] Daraufhin verboten die Franzosen die deutsche Sprache und führten Französisch wieder ein. Diese Sprachpolitik durch die ständigen Besatzungswechsel führte zu einem unvermeidbaren Sprachkontakt. Daher ist zu vermuten, dass gerade die deutsch-französischen Kriege zu einer stärkeren Vermischung der Sprachen führten.
Besonders die Presse in Frankreich hatte einen großen Einfluss auf die Meinungsbildung der Bevölkerung, zum Beispiel erschien 1918 in der Wochenzeitschrift Illustration folgende Behauptung:
Wenn die Kinder an der Front ihre Väter beweinen, dann ist das Krieg. Aber wenn die Väter zurück nach Hause kommen, um ihre ermordeten Kinder zu begraben, dann ist das Krieg der Boches.[27]
Des Weiteren hatten deutsche Gastarbeiter auf den Feldern und Fabriken Frankreichs einen großen Einfluss auf den deutsch-französischen Sprachkontakt. Dasselbe gilt für die deutschen Gefangenen in Frankreich. In Frankreich gab es auch einige Termini, die aus der Kriegszeit in den 1860er Jahren stammten, die anschließend wieder in den Sprachgebrauch gelangten, zum Beispiel: « Kommandatur » , « Kommando » , « Hauptmann » und « Feldwebel ».[28] Kaiser Wilhelm II. war für Deutschland zuständig und regelmäßig in Frankreich präsent, sodass Germanismen wie « Kaiser » und « Kronprin z» für die Franzosen auch nicht mehr fremd waren. Der gute Ruf der deutschen Sprache änderte sich jedoch sehr schnell und Paul Lévy führte sechs allgemein verbreitete Meinungen/Gründe auf, wieso die deutsche Sprache auf negative Resonanz stieß. Er schreibt, dass...
[...]
[1] Sternberger, Dolf / Storz Gerhard / Süskind, Wilhelm: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Neue erw. Ausg. mit Zeugnissen des Streites über die Sprachkritik = 3. Aufl. Claasen Hamburg 1968.
[2] Joffo 1993.
[3] Lévy 1952.
[4] Joffo 1973.
[5] Robert/Rey 2001².
[6] Imbs 1975.
[7] Guilbert 1971.
[8] Langfristige Koexistenz zweier Sprachen mit gegenseitiger Beeinflussung (Vgl. Ulrich 2002, S. 271).
[9] Ursprungssprache eines im Krieg unterlegendes Volkes und deren Einfluss auf die dominierende Sprache der Regierenden. (Vgl. Ulrich 2002, S. 271).
[10] Überlagerung der Ursprungssprache (Vgl. Ulrich 2002, S. 271).
[11] Vgl. Bußmann 2002, S. 624 f.; Ulrich 2002, S. 271; Homberger 2000, 130 f.
[12] Vgl. Bußmann 2002, S. 198.
[13] Vgl. Homberger 2000, S. 130 f., Ulrich 2002, S. 78 f.; Bußmann 2002 S. 193.
[14] Vgl. Homberger 2000, S. 303 + 152; Bußmann 2002, 398 f.; 226 f. Ulrich 2002, S. 199.
[15] Vgl. Bußmann 2002, S. 226 f.
[16] Determinans = Teilwort, welches ein anderes näher bestimmt; Determinatum = Grundwort, welches vom Determinans näher bestimmt wird z.B. Schlaf (Determinans) -wagen (Determinatum).
[17] Nebenbei ist anzumerken, dass die genaue Unterscheidung zwischen Lehnbedeutung und Lehnübertragung in der Praxis relativ schwierig ist, weil sich der Inhalt und der „Wortkörper“ manchmal überschneiden.
[18] Vgl. Homberger 2000, S. 302, Ulrich 2002, S. 78 f., Bußmann 2002, S. 398 + 193.
[19] Vgl. Lévy 1952, S. 194 – 233.
[20] Vgl. Lévy 1952, S. 230.
[21] Vgl. Becker/Krumeich 2010, S. 7 – 15.
[22] Zit. Lévy 1952 S. 194.
[23] Zit. Stroh 1993, S. 55.
[24] Vgl. Becker/Krumeich 2010 S. 223 – 229.
[25] Vgl. Becker/Krumeich 2010, S. 301 – 317.
[26] Vgl. Lévy 1952, S. 231.
[27] Zit. Becker/Krumeich 2010, S. 194; Boches = Synonym für Deutsche.
[28] Vgl. Lévy 1952, S. 231 f.