Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Frequenz-Effekte in der Sprache
2. Frequenz-Effekte im Deutschen
2.1. Ausblick auf verschiedene Varianten von Frequenz-Effekten
2.2. Asymmetrien bei der Flexion
2.2.1. Häufige und seltene Kategorien
2.2.2. Die Wechselbeziehung zwischen Häufigkeit, Kürze und Differenzierung
2.2.3. Lokale Frequenzumkehrungen
2.4. Frequenz und Abweichungen
3. Token Frequency: Frequenz und Hemmungen bei der Derivation
4. Der Einfluss von Frequenz-Effekten auf die deutsche Sprache
5. Literaturverzeichnis
6. Abbildungsverzeichnis
1. Frequenz-Effekte in der Sprache
Wie legen Sprachwissenschaftler Gesetzmäßigkeiten der deutschen Sprache fest? Woran können Sprachstrukturen bestimmt werden? Welcher Wortschatz wird am häufigsten benutzt oder ab welcher Benutzungshäufigkeit wird ein Wort in den Duden aufgenommen? Für diese und noch viel mehr Fragen, spielt Worthäufigkeit eine wichtige Rolle. Linguisten können nicht nur anhand von Häufigkeitsverteilungen, Aufschluss über Verwendung und Strukturen in der Sprache geben, sondern auch beim Spracherwerb feststellen, welcher Wortschatz am Häufigsten verwendet wird. Sie geben somit Auskunft darüber, welcher Wortschatz zuerst erlernt werden soll oder welche Wörter nun in den Duden aufgenommen werden. Mit Worthäufigkeit können Aussagen über die Wortschatzvielfalt und dessen Wachstum in allen Sprachen und in jedem beliebigen Text getroffen werden. Hierbei wird die Anzahl der Wörter, die sehr häufig vorkommen, mit der Anzahl der seltenen Wörter verglichen. Nicht nur im Deutschen, sondern auch in jeder anderen Sprache gibt es bestimmte Wortkonstruktionen, die häufiger verwendet werden als andere. Dieses Phänomen nennt sich demnach Frequenz und ist eine äußerst wichtige Quelle zur Erklärung von Sprache. Fachterminologisch ausgedrückt, ist Frequenz somit die Vorkommenshäufigkeit, mit der ein bestimmtes Phänomen inmitten einer sprachlichen Struktur auftritt.
Frequenz besitzt des Weiteren die Eigenschaft, die Struktur einer Sprache so zu beeinflussen, dass sogenannte Frequenz-Effekte entstehen. Da diese Effekte bisher hauptsächlich in der englischen Sprachforschung untersucht wurden und somit in der deutschen sprachwissenschaftlichen Literatur kaum deutsche Beispiele auffindbar sind, geht es in der Ausarbeitung dieser Seminararbeit vor allem um Frequenz-Effekte, die in der deutschen Sprache vorkommen und zusätzlich einen starken Einfluss auf die Morphologie haben.
Um eine grundlegende Basis zu schaffen wird zuerst zwischen den zwei großen Bereichen der token frequency und der type frequency differenziert. Die englischen Fachtermini werden deshalb beibehalten, weil das Deutsche hierfür keine für diese Seminararbeit angemessene Übersetzung liefert. Sind die zwei wichtigen Themen der type und der token frequency eingeführt, werden im Anschluss die verschiedenen Frequenz-Effekte hauptsächlich anhand der englischen Quelle von Martin Haspelmath definiert, um eine effiziente Analyse der Frequenz-Effekte der deutschen Sprache zu ermöglichen. Nach der Analyse der einzelnen Frequenz-Effekten, werden diese mit einleuchtenden Beispielen belegt und untermauert.
2. Frequenz-Effekte im Deutschen
2.1. Ausblick auf verschiedene Varianten von Frequenz-Effekten
Frequenz-Effekte in der Wortstruktur findet man in zwei Teilbereichen der Wortbildung wieder. Sie kommen zum einen bei der Flexion, dem Anfügen von Affixen an einen Wortstamm und zum anderen bei der Derivation, der Bildung neuer Wortarten mit Hilfe lexikalischer Morpheme, vor. Prinzipiell unterscheiden Linguisten aber zwischen zwei Arten von Häufigkeiten, der type frequency[1] „Typenfrequenz“ und der token frequency[2] „Vorkommensfrequenz“. Innerhalb den zwei Teilbereichen der Flexion und der Derivation, treten die einzelnen Frequenz-Effekte wiederum unterschiedlich häufig auf.
Die type frequency analysiert die Anzahl der existierenden Lexeme mit bestimmten gegebenen Eigenschaften, wie zum Beispiel gewisse Betonungsweisen oder dem Vorkommen von Affixen bei Lexemen. Die Thematik der token frequency hingegen behandelt, wie oft eine gegebene Wortart benutzt wird. Meistens bezieht sich token frequency dabei auf ein Wort in einem fortlaufenden Text.[3] Für die Erklärung von Sprache ist sie deshalb so wichtig, da token frequency die Sprachstruktur auf unterschiedlichste Weise beeinflusst. Häufig vorkommende Lexeme treten in gewissen Kontexten zum Beispiel vorhersehbarer auf und man kann sich solche Häufigkeiten leichter merken, da sie schneller aus dem Gedächtnis abrufbar sind, als seltenere Wörter.[4] Zusätzlich schreiten phonetische Wechsel in den Lexemen, die eine hohe Frequenz aufweisen, so schneller voran. Sichtbar wird dieser Effekt vor allem dann, wenn es um die Reduktion von Wortkonstruktionen von grammatikalischen Satzbestandteilen geht. So wird beispielsweise das englische Zukunftstempus be going to von I´m going to reduziert auf I´m gonna to [5]. Diesem Beispiel entsprechend verhalten sich unter anderem auch die allgemein gängigen Abkürzungen des Englischen, wie I´ll „ich werde“, You´ve „du hast“ oder I´m „ich bin“.[6] Je öfter ein Lexem also in der Sprache benutzt wird, desto schneller wird es sich wahrscheinlich verändern. Der andere bedeutende Effekt macht Lexeme eher gegen Veränderungen resistent. Auf den ersten Blick, scheint der zweite Effekt dem ersten zu widersprechen, doch der zweite Effekt betrifft eher die Grammatik, als eine phonetische Veränderung. So können high frequency forms zum Beispiel der analogischen Angleichung widerstehen. Diese Phänomene werden jetzt im Folgenden noch genauer analysiert und veranschaulicht.
2.2. Asymmetrien bei der Flexion
2.2.1. Häufige und seltene Kategorien
Martin Haspelmath nimmt an, dass Asymmetrien bei der Flexion universell für alle Sprachen gelten. Der Grund, warum nun unterschiedliche Frequenz-Effekte bei unterschiedlichen Flexionsarten häufiger auftreten als andere, liegt allerdings außerhalb der Sprache. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Menschen dazu tendieren, bestimmte Wortkonstruktionen relevanter zu finden als andere. Sie reden somit beispielsweise häufiger über Personen oder Dinge in dritter, als über Sprecher in erster und zweiter Person. Ebenso sind Texte weitaus häufiger im Präsens Aktiv verfasst, als im Passiv oder in der Zukunft. In der englischen Satzstruktur findet man des Weiteren Asymmetrien bei Numerus, Kasus, Genus und bei der Polarität von Nomen. Diese werden beispielsweise anhand des markierten Singular und des nicht markierten Plurals betrachtet.[7] Mit den Dimensionen von Casus, Genus, Komparation, Genus Verbi, Modus und Tempus verhält es sich ähnlich. Martin Haspelmath hat dafür eine aufschlussreiche Tabelle entwickelt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Frequent and rare values [8]
So stellten Wissenschaftler durch Untersuchungen anhand von beliebigen Texten fest, dass zum Beispiel im Falle des Kasus, am häufigsten der Nominativ vorkommt und der Dativ am seltensten oder Texte eher im Präsens und in der dritten Person, als in Futur und erster oder zweiter Person gefasst sind. Weshalb aber der Mensch bestimmte Präferenzen bei Wortstrukturen hat, konnten Linguisten bisher allerdings noch nicht wirklich klären.
[...]
[1] Haspelmath, Martin / Sims, D. Andrea. Understanding Morphology, Hg. Bernard Comrie, Greville Corbet. London 2002, S.236.
[2] Ders., S.236.
[3] Ders., S.236.
[4] Ders., S.236.
[5] Bybee, Joan. Phonology and Language in Use. Cambridge 2003, S.28.
[6] Ders., S.28.
[7] Haspelmath, Martin / Sims, D. Andrea. Understanding Morphology, Hg. Bernard Comrie, Greville Corbet. London 2002, S.238.
[8] Ders., S.238.