Die Detektivgeschichte stellt ein Kuriosum der jüngeren Literaturgeschichte dar. Von Poe über Doyle hat sie einen beispiellosen Siegeszug angetreten, der seinen kommerziellen Höhepunkt im Golden Age der Gattung und bei Agatha Christie findet. Seine vielleicht prominenteste Ausformulierung findet das Regelwerk der Gattung im "code of ethics" des englischen Detection Clubs: Mord ist das einzig legitime Thema, seine Auflösung durch die Figur des Detektivs muss ohne höhere Gewalt stattfinden und sie muss dem Leser die faire Möglichkeit einer Beteiligung an der Suche bieten. Damit ist aber eine neue Art des Lesens erfunden, die eine distanziert-rationale Rezeption auch dort noch verlangt, wo Mord und Grausamkeit geschildert werden.
Edgar Allan Poes Geschichten um C. Auguste Dupin, die zwischen 1841 und 1844 als Zeitungsartikel veröffentlicht wurden, sind dem später entstandenen Regelwerk der Gattung wesentlich weniger konform als die meisten seiner Nachfolger . Bei keiner der drei Episoden handelt es sich um einen wirklichen Mordfall.
Dennoch tragen sie die Elemente zusammen, die das Genre bis heute prägen: den genialen und exzentrischen Detektiv, seinen staunenden Assistenten und zugleich Erzähler der Geschichte, eine wissenschaftliche und allem Aberglauben entgegengesetzte Methodik und eine abschließende rationale Auflösung, die dem anfänglichen Rätsel den übernatürlichen Anschein nimmt und die Identität des Täters enthüllt.
Diese Arbeit untersucht das Aufkommen der Gattung des Detektivromans vor dem Hintergrund der Justizreform, wie sie Michel Foucault in "Überwachen und Strafen" beschreibt.
Mit der Rekonstruktion des Tathergangs anhand von Spuren wird der zentrale Vorgang des Indizienprozesses zum Stoff literarischer Unterhaltung.
Zugleich unterhält der prototypische Detektiv Auguste Dupin Bezüge zum mittelalterlichen Henker, der für das Gesetz arbeitet ohne ihm zugehörig zu sein. Am Horizont der Analyse steht die Frage, inwiefern der Detektivroman in seiner beispiellosen Serialität und mit der charakteristischen Einbeziehung des Lesers selbst als gesellschaftliches Ritual verstanden werden kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Rituale um Wahrheit und Macht bei Foucault
- Der Bruch in der Kriminalliteratur des 19. Jahrhunderts
- Das Ritual der Hinrichtung
- Das Ritual der Prüfung
- Poes Dupin
- Der Detektiv
- Das Rätsel
- Das Rätsel des Detektivs
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Geburt des Privatdetektivs im Kontext der Justizreform und der Machtstrukturen, die im 19. Jahrhundert von Michel Foucault analysiert wurden. Sie beleuchtet den Einfluss des Rituals der Hinrichtung, das durch Indizienverfahren und Haftstrafe ersetzt wurde, auf die Entstehung der Detektivgeschichte und die damit verbundene Verschiebung von Macht und Wahrheit.
- Der Bruch in der Kriminalliteratur des 19. Jahrhunderts
- Das Ritual der Hinrichtung und seine Bedeutung für die Herstellung von Wahrheit und Macht
- Die Entwicklung des Indizienverfahrens und seine Relevanz für die Detektivgeschichte
- Die Figur des Detektivs als Repräsentant einer neuen Form der Wahrheitssuche
- Der Rätselcharakter der Detektivgeschichte und die Bedeutung des intellektuellen und emotionslosen Zugangs zur Lösung von Verbrechen
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet den historischen Kontext der Entstehung der Detektivgeschichte, indem es Foucaults Analyse der Justizreform im 19. Jahrhundert einführt und die Verschiebung vom öffentlichen Hinrichtungsritual zum Indizienverfahren beschreibt. Kapitel zwei beleuchtet Foucaults Thesen zur Macht und Wahrheit im Kontext der Hinrichtung als Ritual und analysiert den Bruch in der Kriminalliteratur des 19. Jahrhunderts, der sich zwischen Fiktion und Nichtfiktion erstreckt. Das dritte Kapitel widmet sich der Figur von Poes Dupin, analysiert seinen Detektiv- und Rätselcharakter und untersucht die Bedeutung dieser Elemente für die Entwicklung der Detektivgeschichte.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Themen der Literaturgeschichte, insbesondere mit der Entstehung der Detektivgeschichte, der Bedeutung von Macht und Wahrheit in der Kriminalität und der Justizreform des 19. Jahrhunderts. Schlüsselbegriffe sind unter anderem: Justizreform, Indizienverfahren, Hinrichtung, Foucault, Überwachen und Strafen, Ritual, Detektiv, Rätsel, Dupin, Wahrheit, Macht, Kriminalliteratur, Heteroglossie.
- Arbeit zitieren
- Michael Steimel (Autor:in), 2007, Justizreform und die Geburt des Privatdetektivs. Ein Foucault'scher Blick auf Edgar Allan Poes "Dupin"-Trilogie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304155