Der Begriff der Präsenz und sein Verhältnis zur Sprache und Textualität


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Begriff der Präsenz
2.1 Präsenz in der philosophischen Tradition
2.2 Präsenz bei Gumbrecht

3 Das Verhältnis von Präsenz und Sprache

4 Schlusswort

5 Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Seit der postmodernen Zeit erfährt die geisteswissenschaftliche Welt eine Wende in bestehenden Denkmustern: Die linguistische Wende ,oder auch linguistic turn genannt, ist einer der Schlüsselbegriffe des endenden 20. Jahrhunderts. Dieser fokussiert die Philosophie auf die Sprache als wirklichkeitstragend und wirklichkeitsgenerierend. Er bezeichnet die Tatsache,

[…] daß sich die Wissenschaftsphilosophie - Frege am Ende des 19. Jahrhunderts, dann Wittgenstein und dann die Philosophie insgesamt - wieder einmal (sie wusste es schon immer, seit Platon nämlich) der Tatsache bewusst geworden war, daß zwischen den Fakten und den Wissenschaftlern die Wörter treten, vor allen die in ihnen sedimentierten Semantiken, und somit die präzise und „objektive“ wissenschaftliche Bezeichnung der Wahrheit stören.1

Hans Walter Gumbrecht stellt sich in Teilen gegen diese Geistesströmung und bringt einen alten Gedanken voran: Er ist für eine Neuaufnahme des Körperlichen. Die materielle Seite von Sprache und Texten sowie deren Wirkung und Erzeugung von Effekten der Präsenz beschäftigen ihn spätestens seit dem Erscheinen des Sammelbands Materialität der Kommunikation 1988. So schreibt er selbst: „Wir empfinden in unserer breiten Gegenwart eine Sehnsucht nach Momenten der Präsenz“2.

Was genau meint er, wenn er von Präsenz spricht? Auf welchen Gegenstandsbereich bezieht sie sich und woher stammt der Begriff? Lässt sich das Konzept der Präsenz auch auf Sprache und Literatur ausweiten?

Genau diese Fragen werde ich versuchen zu klären und in einen sinnvollen Zusammenhang bringen.

2 Der Begriff der Präsenz

Gumbrecht betont in Unsere breite Gegenwart, dass die Präsenz wohl seine einzige Idee aus vierzig Jahren Denk- und Schreibarbeit gewesen sei, die tatsächlich etwas verändert hätte und attribuiert ihr damit gleichermaßen einen immens wichtigen Charakter.2 Doch dieser Begriff scheint eine ganze Zeit lang eher eine untergeordnete Rolle im philosophischen Diskurs gespielt zu haben.

2. 1 Präsenz in der philosophischen Tradition

Der Begriff der Präsenz besitzt in der Geistesgeschichte zunächst einen theologischen Hintergrund.

Jesus sagt in Matthäus 28. 20: „Ich bin immer bei euch, bis zum Ende der Welt“3 Des Weiteren sagt David in Psalm 139. 7-10: „Wohin sollte ich fliehen vor deinem Geist? Und wo könnte ich deiner Gegenwart entrinnen? Flöge ich hinauf in den Himmel, so bist du da. Stiege ich hinab ins Totenreich, so bist du auch da. Nähme ich die Flügel der Morgenröte oder wohnte im äußersten Meer, würde deine Hand mich auch dort führen und dein starker Arm mich halten.“4

Theologen rekurrieren auf diese Verse, wenn sie textlich belegen wollen, dass Gott über all 'ist', dass er überall präsent ist. Gott scheint nicht an einem Konzept von Räumlichkeit und Zeit gebunden zu sein. Er ist omnipräsent, oder auch allgegenwärtig. Damit scheint die Konzeption von Präsenz eng mit dem Sein in Verbindung zu stehen. Auch etymologisch ist diese Verbindung zu konstatieren. Heißt doch das lateinische Wort praesentia so viel wie Gegenwart, Anwesenheit oder Wirkung.5

Darüber hinaus scheint es eine ganz Zeit lang kaum Berührungspunkte mit dem Begriff der Präsenz zu geben. Dies äußert sich auch in den wenigen Begriffserläuterungen, die sich in philosophischen Nachschlagewerken finden lassen. Es ist unter anderem kein Eintrag im Metzler Lexikon Phiosophie, herausgegeben von Peter Prechtl und Franz- Peter Burkard, in dem UTB Handwörterbuch Philosophie, herausgegeben von Wulff D. Rehfus und in dem Lexikon Ästhetische Grundbegriffe, herausgegeben von Karlheinz Barck, zu finden.

Erst mit Heidegger findet die Präsenz wieder einen festen Platz im philosophischen Diskurs. Vor allem jedoch ist es ein Denker der Postmoderne, der die Präsenz nicht nur wieder etabliert, sondern sogar stark kritisiert. Jacques Derrida führt mit seiner Dekonstruktion eine Methode und philosophische Auffassung ein, die, wie eigentlich schon seit der Antike bekannt ist, darauf aus ist, dass die Dinge in der Welt alle sprachlich vermittelt sind. Erst mit der Sprache können wir die Dinge beschreiben, versuchen, sie zu erfassen und letztlich zu erkennen. Somit bleibt jedoch auch der Weg zu den Dingen, sie also tatsächlich in ihrer genuinen Struktur zu erkennen, mit den Worten unserer Sprache versperrt.

Im UTB Handwörterbuch Philosophie schreibt Dr. Thomas Blume:

Der Begriff der Dekonstruktion geht zurück auf Derrida, der - unter Rückgriff auf Heideggers Programm einer De(kon)struktion der Metaphysik - zeigen will, wie Philosophen, deren erklärte Absicht darin besteht, mit der metaphysischen Tradition zu brechen, dennoch nicht von dieser Tradition loskommen, und das vor allem deshalb, weil sie von einem Präsenzdenken beherrscht sind. Für Derrida wie für Heidegger besteht der entscheidende Wesenszug der gesamten abendländischen metaphysischen Tradition, angefangen bei den Vorsokratikern bis hinein in die Gegenwart, darin, dass sie Sein im Sinne von Anwesenheit denkt. (Was heißen soll, dass etwas nur dann als seiend begriffen wird, wenn etwas präsent, gegenwärtig anwesend ist.)6

Des Weiteren schreibt er, dass es nach Derrida zu den Grundsätzen der philosophischen Tradition gehören würde, zwischen Zeichen und Bezeichnetem ein Präsenzverhältnis anzunehmen. Im Zeichen sei das Bezeichnete gegenwärtig. Derrida würde hingegen die Apräsenz des Zeichensinnes behaupten, was besagen würde, dass das, wofür das Zeichen stünde, niemals in einem einzelne Augenblick als Ganzes gegenwärtig sei.7 Damit wendet sich Derrida klar gegen die Präsenzverhältnisse, die bis dato in der Metaphysik herrschen.

2. 2 Präsenz bei Gumbrecht

Gumbrecht wendet sich gegen die philosophische Auffassung Derridas, im Speziellen gegen die Dekonstruktion. In seinem Buch Unsere breite Gegenwart schreibt er:

[…] Den Absolutismus all der philosophischen Spielarten im Anschluß an den >>lingustic turn<< erlebe ich ebenfalls seit langem als intellektuell einschränkend und finde auch keinen großen Trost im, wie ich es nennen möchte >>linguistischen Existentialismus<< der Dekonstruktion, also in der anhaltenden Klage und Melancholie (in ihren endlosen Variationen) über die angebliche Unfähigkeit der Sprache, auf die Dinge der Welt zu verweisen.8

Gleichzeitig hält er im Unterschied zu Derrida an ein Präsenzverhältnis fest.

Es stellt sich hier die Frage, wie Gumbrecht das Verhältnis vom Mensch und Materialität sieht.

In Diesseits der Hermeneutik kritisiert er, dass sich der Rezipient und Beobachter als etwas Körperloses gegenüber den materiellen Entitäten wahrnimmt und diese materiellen Dinge wiederum als Inhaber von Wahrheiten interpretiert werden. Es fehlt ihm die Kategorie der Körperlichkeit, die keine Beachtung mehr findet.

[...]


1 Trabant, Jürgen. Zur Einführung: Vom linguistic turn zum historical turn der Lingusitik. In.: Trabant, Jürgen (Hg.): Sprache der Geschichte. 1. Auflage. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH 2005. S. IX.

2 Gumbrecht, Hans Ulrich: Unsere breite Gegenwart. 1. Auflage. Berlin: Suhrkamp 2010. S. 143.

2 Vgl. ebd. S. 9.

3 LUT. Matthäus 28. 20.

4 Ebd. Psalm 139. 7-10.

5 Vgl. http://de.pons.com/übersetzung/latein-deutsch/praesentia

6 http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?tx_gbwbphilosophie_main %5Baction%5D=show&tx_gbwbphilosophie_main%5Bcontroller %5D=Lexicon&tx_gbwbphilosophie_main%5Bentry %5D=210&cHash=f2454e271ccaf72502de077a206e6d99

7 Vgl. ebd.

8 Gumbrecht, Hans Ulrich: Unsere breite Gegenwart. 1. Auflage. Berlin: Suhrkamp 2010. S. 20.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Begriff der Präsenz und sein Verhältnis zur Sprache und Textualität
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Philosophie)
Veranstaltung
Die Macht der Gegenwart
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V304765
ISBN (eBook)
9783668030749
ISBN (Buch)
9783668030756
Dateigröße
1146 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gegenwart, Präsenz, Philosophie, Gumbrecht, Postmoderne, Sprache, Text, Textualität, Derrida, Linguistische Wende, linguistic turn
Arbeit zitieren
Sandro Paeplow (Autor:in), 2014, Der Begriff der Präsenz und sein Verhältnis zur Sprache und Textualität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304765

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