Al Jazeera - Der Aufstieg vom kleinen qatarischen Satellitensender zum populärsten Nachrichtensender der arabischen Welt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

46 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Die Entwicklung der arabischen Medienlandschaft - Demokratisierungstendenzen versus alter Strukturen

III. Die Anfänge des Direct Broadcasting – Die Satellitensender MBC, ART und ORBIT

IV. Das Mediensystem Qatars

V. Die Gründung Al Jazeeras

VI. Al Jazeeras Aufstieg zum bekanntesten Nachrichtenprogramm in der arabischen Welt
VI.1. Der israelisch-palästinensische Konflikt
VI.2. Der Afghanistankrieg
VI.3. Der Irakkrieg

VII. Die Zuschauerstruktur

VIII.Die Finanzierung

IX. Die Journalistische Perspektive

X. Kritische Analyse der Berichterstattung Al Jazeeras

XI. Fazit und Ausblick

XII. Bibliographie

I. Einleitung

Im Jahre 1996 gründete Sheik Hamad bin Khalifa Al-Thani des kleinen Emirats Qatar den Satellitensender Al Jazeera. Damals ahnte niemand, welchen Einfluss dieser auf das arabische, aber auch internationale Mediensystem haben würde. Mit Al Jazeera trat ein pan-arabischer Fernsehsender selbstbewusst auf die Bühne der internationalen Medienberichterstattung, mit dem Ziel, über Ereignisse aus einer arabischen Perspektive zu berichten. Der transnationale Sender setzte sich zum Ziel, den Arabern eine Stimme zu geben. Al Jazeera hat die arabische Medienlandschaft verändert und stand Pate für neue Satellitensender wie Abu Dhabi Newschannel und Al Arabiya. International konnte sich der Sender als neues Referenzmedium etablieren und die Monopolstellung westlicher Sender aufweichen.

Mit seiner kontroversen Berichterstattung über Missstände in der arabischen Welt löste Al Jazeera bei vielen Staaten Unmut aus, dem diese mit Beschwerden beim Emir Ausdruck verleihen. Dem Sender, mit Sitz in Doha, gelang eine „kleine Öffentlichkeitsrevolution“, indem er Tabus in der arabischen Gesellschaft – wie Kritik an arabischen Staatschefs, Sexualität und Korruption – thematisierte. Die kritische Berichterstattung brachte Al Jazeera den journalistischen Erfolg bei den arabischen Zuschauern, die bis dato die Regierungspropaganda auf den staatlichen Sendern gewöhnt waren. Zu Beginn herrschte große Verwunderung, wie der Sender aus dem winzigen Emirat Qatar eine solche Aufmerksamkeit erzielen konnte. Der ägyptische Staatspräsident Mubarak rief während einer Besichtigung der kleinen Sendestudios Al Jazeeras erstaunt aus: “All this trouble from a matchbox like this!”

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Aufstieg Al Jazeeras zu einem international bekannten Nachrichtensender. Um die Besonderheiten des qatarischen Senders besser zu beleuchten, wird zunächst die Entwicklung der arabischen Medienlandschaft beschrieben. Im Folgenden wird dann auf die Gründungsumstände Al Jazeeras eingegangen. Der Fokus der Hausarbeit richtet sich auf die noch junge Geschichte des Senders und seine journalistischen Besonderheiten. Thematisiert werden die drei bedeutenden Konflikte des arabischen Raumes in den vergangenen Jahren: der israelisch-palästinensische Konflikt, der Afghanistankrieg und der Irakkrieg. Dabei wird die Berichterstattung des qatarischen Senders über diese Ereignisse analysiert.

Abschließend werden Al Jazeeras Verdienste für die Förderung der Meinungsfreiheit im arabischen Raum dargestellt, aber auch Kritik an der Berichterstattung und den jüngsten Entwicklungen des Senders geübt.

II. Die Entwicklung der arabischen Medienlandschaft - Demokratisierungstendenzen versus alter Strukturen

Mitte der 1950er Jahre nahmen in Marokko, Kuwait und Saudi Arabien erste Fernsehanstalten den Sendebetrieb auf. In den frühen 1960er Jahren wurde die Bedeutung der Rolle des Fernsehens für die politische Mobilisierung der Bevölkerung und die ökonomische Entwicklung erkannt. Arabische Regierungen in neuen unabhängigen Staaten etablierten das Fernsehen als ein Regierungsmonopol, das vorwiegend nationale Entwicklungsziele unterstützen sollte. Das Fernsehen diente als Instrument zur Propagierung politischer Inhalte und zur Mobilmachung der Bevölkerung. Die Fernsehanstalten als Staatsmonopole unterstanden direkt den Informationsministerien oder anderen Regierungs-institutionen. Diese staatlichen Stellen waren für die Zensur verantwortlich, betrieben Radio- und Fernsehstationen und setzten Qualitätsstandards für die lokale Presse. Die terrestrisch ausgestrahlten Sender wurden vom Staat finanziert und sendeten auch in dessen Auftrag.[1] Als Konsequenz ergab sich eine Art „Hofberichterstattung“, die sich zudem durch limitierte technische Möglichkeiten, niedrige finanzielle Aufwendungen und durch eine geringe formelle Qualität auszeichnete. Das visuelle Potential des Fernsehens blieb ungenutzt. Die Berichterstattung beschränkte sich überwiegend auf Studiobeiträge oder einfach gefilmte Übertragungen von Staatsbesuchen, Regierungsansprachen und die Verwendung von Agenturmaterial.[2] Die nationalen Sender strahlten die sogenannten „Staatsnachrichten“ aus, die fast ausschließlich über das Tagesprotokoll des Staatsoberhauptes und Regierungspropaganda berichteten. „Television news gatekeepers selected their topics with a view inspired primarly by existing political, social and cultural considerations. Political news dealing with leadership speeches, official visits, and protocol activities always topped Arab world TV news lineups.”[3] Regierungskritik und ein freier Meinungsaustausch über politische Themen fanden nicht statt. Weite Teile der Bevölkerung außerhalb von städtischen Ballungsgebieten hatten praktisch keinen Zugang zum Fernsehen.

In den 1970er und 1980er Jahren bestand in den arabischen Ländern je ein einziger Staatssender durch den die Zuschauer Zugang zu regionalen und internationalen Nachrichten erhielten. Es herrschte ein politischer Glaube an den Sonderstatus des Fernsehens vor, das als eine nationale Stimme und ein Medium des kulturellen Ausdrucks angesehen wurde. Zudem wurde dem Fernsehen eine politische Rolle in regionalen und nationalen Angelegenheiten zugesprochen. Besonders aufgrund des hohen Analphabetismus diente das Fernsehen als vorrangiges Propagandamittel der Regierung, um ideologiespezifische Botschaften zu verkünden und sollte nicht für private Investoren freigegeben werden.[4]

Nur ausländische Radiostationen wie BBC Radio, Voice of America und Radio Monte Carlo konnten im Nahen Osten empfangen werden.[5] Die ausländischen Radiosender veröffentlichten Nachrichten, Analysen und Diskussionen zu lokalen und regionalen Themen mit dem Ziel, demokratische Werte zu vermitteln. Sie dienten als wichtige unabhängige Informationsquellen für die Bevölkerung, die jedoch zu dieser Zeit von den arabischen Regierungen leicht blockiert werden konnten. Satellitensender wie BBC oder CNN gelangten nur verschlüsselt und in englischer Sprache in die arabische Welt.[6] Infolge-dessen rezipierte die Mehrheit der Bevölkerung in den arabischen Ländern die einseitige Berichterstattung der nationalen Sender und wurde über die Vorgänge im eigenen Land sowie über internationale Entwicklungen nur unzureichend informiert.

III. Die Anfänge des Direct Broadcasting – Die Satellitensender MBC, ART und ORBIT

Die in London erscheinenden Zeitungen Al-Sharq al Awsat und Al-Hayat, die beide saudischen Unternehmern gehörten, begannen Mitte der 1980er Jahre ihre Nachrichten via Satellit in die arabische Welt zu transferieren, um für eine schnellere Verbreitung zu sorgen. Das erste arabische Satellitensystem, Arabsat, nahm Mitte der 1980er seinen Dienst auf. Anfangs wurde es lediglich zur Informationsübertragung zwischen den arabischen, staatseigenen Fernsehsendern genutzt.

Der Durchbruch der Satellitenübertragung kam Ende der 1980er Jahre. CNN nutzte zunächst einen alten Sowjetsatelliten, um sein Signal in die arabische Welt zu senden. Die Nutzung von CNN beschränkte sich zunächst auf privilegierte Schichten und Regierungsmitglieder, da Satellitenschüsseln offiziell noch verboten waren. Im Jahre 1989 zeichnete sich eine Vereinbarung von CNN mit Ägypten ab, den Sender in das Pay-TV-Angebot des neuen Kabelnetzes CNE (Cable Network Egypt) aufzunehmen.[7] CNN sendete zu diesem Zeitpunkt sein Programm bereits über Arabsat. Die Aufnahme in das Kabelnetz bedeutete die erstmalige terrestrische Ausstrahlung eines internationalen 24-Stunden-Nachrichtensenders. Im Juni 1990 erteilte die ägyptische Regierung an das Cable Network Egypt die Ausstrahlungsgenehmigung für CNN. Diese Entwicklung erscheint rückblickend banal. Dennoch gab es erhebliche Bedenken gegenüber CNN, das sich im Besitz eines amerikanischen Medienmoguls befindet und deren Ausstrahlung in der arabischen Welt lange als undenkbar galt.

Kurz vor dem Golfkrieg wurde dann der Import und der Besitz von Satellitenschüsseln in Ägypten legalisiert. Das gestiegene Informationsbedürfnis der arabischen Bevölkerung führte zu einer rasanten Zunahme von Satellitenschüsseln. Im Januar 1991 strahlten sowohl Egypt TV[8], als auch Saudi TV den amerikanischen Sender CNN aus. Während in Ägypten CNN unzensiert ausgestrahlt wurde, gab es in Saudi Arabien eine Vorzensur und das Programm wurde zunächst aufgenommen, teilweise zensiert und erst dann ausgestrahlt.[9]

Die politische Demokratisierung und ökonomische Liberalisierung im arabischen Raum gingen Anfang der 1990er Jahre mit Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie einher. Die Verbreitung von Satellitenschüsseln wurde durch drei private, arabische und von Europa per Satellit übertragene Sender beschleunigt. Die Satellitensender MBC, ART und ORBIT waren im Besitz saudischer Geschäftsleute, die mehr oder weniger enge Verbindungen zum saudischen Königshaus unterhielten. Die Ausstrahlung von arabischen Privatsendern war ein großer Schritt in Richtung Liberalisierung der arabischen Medien, waren kommerzielle Kanäle doch lange Zeit völlig undenkbar gewesen. Erstmals gab es private Fernsehanstalten, die in arabischer Sprache sendeten und in Konkurrenz zu den englischsprachigem Sendern CNN und BBC, aber auch zu den staatlichen Programmen traten. Alle drei Sender hatten ihren Sitz zunächst im Ausland, um nicht in Konflikt mit arabischen Gesetzen zu geraten.

Der Sender MBC (Middle East Broadcasting Center) sendet seit September 1991 ein Programm mit politischen Sendungen, aber auch mit Unterhaltungsformaten und Sport. Die Formate entsprechen westlichen Standards, wobei gleichzeitig ein hoher Wert auf die Respektierung arabischer Normen gelegt wird. Schon vor dem Sendestart genoss MBC logistische Unterstützung seitens der saudischen Regierung. So wurde MBC die Satellitennutzung auf Arabsat ermöglicht, an der die saudische Regierung 37 Prozent der Aktien hält und damit größter Einzelaktionär ist. Weiterhin war MBC-FM seit seinem Sendestart im Jahre 1994 die einzige kommerzielle Radiostation, die im Königreich terrestrisch ausgestrahlt wurde.[10] MBC verfügt über solide Werbeeinahmen. Inzwischen wurde der Hauptsitz des Senders im Rahmen eines Kostensenkungsprogrammes nach Dubai verlegt. Pan-arabische Konkurrenzsender von MBC sind ART und ORBIT.

ART (Arab Radio and Television Network) sendet seit Anfang 1995 aus Fucino, in der Nähe von Rom. Der Sender war im Nahen Osten der Pionier für den Pay-TV Markt. So strahlt ART in seinem Programmpaket mehr als 20 meist verschlüsselte Kanäle, darunter einen Sportkanal mit Liveberichterstattung, einen Kinderkanal, Musikkanal und einen Filmkanal aus. Der Sender verfolgt eine No-News-Politik und verzichtet angeblich aus Kostengründen auf die Produktion von Nachrichtensendungen. Schlüssiger ist die Begründung, dass Nachrichten, vor allem wenn sie sensible Themen behandeln, das Risiko bergen, islamische Sentiments zu verletzen. ART könnten Regierungssanktionen, in Form des Verlustes von Kabelplätzen oder einem Verkaufsverbot für Decoder, drohen. ART sendet aber Talkshows, die Themen von öffentlichem Interesse behandeln und in denen auch dass Publikum zu Wort kommt. Im Rahmen dieser Talkshows werden auch heikle gesellschaftliche Themen wie Scheidung und Drogen thematisiert. So war es ART, der diese, später mit Al Jazeera berühmt gewordenen Talkshows, bereits austestete. Auch ART erhielt in der Anfangsphase Regierungsunterstützung. So kaufte der Sender von der ägyptischen Regierung eine Bibliothek mit ägyptischen Filmen zum symbolischen Preis und verfügte somit bei Sendebeginn über eine umfassende Programmgrundlage. ART richtet sich eher an ein breites, relativ konservatives Publikum.[11]

Der dritte pan-arabische Satellitensender der ersten Generation ist das ORBIT Television and Radio Network, das sein Programm seit 1994 in arabischer Sprache von Rom aus sendet. Eigentümer ist die saudische Investmentgruppe al-Mawared. Da ORBIT digital und verschlüsselt gesendet wird, haben die Zuschauer mit dem Programmpaket auch Zugang zu anderen internationalen Kanälen, darunter beispielsweise dem Disney-Kanal, Sky-News oder CNBC. ORBIT richtet sich mit seinem Programm an ein wohlsituiertes, gebildetes und mehrsprachiges Publikum.

ORBIT wollte zudem mit dem Nachrichtenprogramm von MBC konkurrieren. Aus diesem Grund beauftragte ORBIT die BBC, einen arabischsprachigen Arab World Television Service zu produzieren, der exklusiv im ORBIT-Paket enthalten war. Dieser sendete ab Juni 1994 zwischen zwei und acht Stunden am Tag. Ziel war ein 24-Stunden-Programm mit halbstündigen Nachrichten pro Stunde und englischsprachigen Dokumentationen sowie politischen Formaten mit arabischen voice over. Produktionsstätten befanden sich in Europa, den Golfstaaten und Ägypten. Die Produktion befand sich technisch und qualitativ auf dem neuesten Stand und als erster pan-arabischer Sender sendete ORBIT digitalisiert. BBC Arabic News nutzte die englischsprachigen BBC-Reports und synchronisierte diese nachträglich oder bediente sich der Reporter von BBC Arabic Radio.[12]

Im Vergleich zum Staatsfernsehen hatten diese drei Sender eine viel größere Zuschauerzahl und stellten eine Konkurrenz zu den propagandistischen, nationalen TV-Kanälen dar. Die Innovation lag vor allem in der professionellen Produktion. Die Sender produzierten arabische Programmformate nach internationalem Standard.[13] MBC, ART und ORBIT waren die ersten privaten arabischen Sender dieser Art und begründeten die langsame Lockerung der alten arabischen Medientraditionen.

Die privaten und kommerziellen Satellitensender führten zu einer neuen pan-arabischen Öffentlichkeit, die durch verschiedenste Nachrichtenagendas geprägt war. Unterdrückte politische Perspektiven und Orientierungen erhielten bei den neuen Sendern eine vorher nie da gewesene Öffentlichkeit. Die Einführung von kommerziellen Sendern erweiterte die Auswahl der Zuschauer und gab ihnen einen Zugang zu neuen Formaten und Programmen, die auf den staatlichen Sendern kaum zu sehen waren. Dies führte auch zu einem Anpassungsdruck der staatlichen Fernsehsender. Die Staatssender mussten Programmverbesserungen vornehmen, um ihr Publikum zu halten, dass sich den neuen und attraktiveren Satellitensendern zuwandte.

Die Journalisten der privaten Satellitensender gehörten ein neuer Generation an. Sie hatten eine professionelle Ausbildung in Westeuropa oder den USA absolviert und dort die Rolle der Medien in einer Demokratie kennengelernt. Sie waren mit journalistischen Kriterien wie einer Nachrichten-auswahl anhand des Nachrichtenwerts, der Angabe von Quellen und einer neutralen Berichterstattung vertraut.[14] Durch ihre Ausbildung verfügten sie über ein anderes Berufsverständnis, das Information als Mittel der öffentlichen Meinung betrachtet. Zudem glaubten sie an die potentielle politische und kulturelle Rolle des Fernsehens im Zeitalter der Globalisierung. Diese Sichtweise ist bei den auf Propaganda fokussierten, traditionellen arabischen Medien nicht existent. Durch die privaten Sender wurden neue Standards definiert, die es auf den arabischen Sendern bislang nicht gab.

MBC, ART und ORBIT wagten als erste den Spagat zwischen Fortschritt und Tradition und den Versuch, westliche Praktiken einzuführen, ohne islamische Normen zu verletzen.[15]

Die Vorbehalte der arabischen Welt gegenüber den „direct broadcastern“ und deren westlichen Standards waren stark, da die Kritiker einen Verfall der arabischen Kultur befürchteten. Kritisch anzumerken ist die enge Verbindung dieser Sender zur saudischen Regierung. Eine uneingeschränkte Objektivität und Neutralität bei der Berichterstattung kann man ihnen durch diese engen Bande nicht zusprechen. So ist eine Kritik an der saudischen Regierung auf diesen Sendern nicht zu vernehmen.[16]

IV. Das Mediensystem Qatars

Im Jahre 1996 wurde in Qatar die Zensurbehörde offiziell abgeschafft und das Informations-ministerium aufgelöst. Grundlegende Regelungen für die Medien werden nun von der General Association for Qatari Radio and Television überwacht. Den Vorsitz hat Hamad bin Thamer inne, der ebenfalls Vorstandsvorsitzender von Al Jazeera ist. Seit 1996 wacht somit das Ministry of Religious Endowments and Islamic Affairs als Zensor darüber, dass die Medienberichterstattung keine religiösen Sentiments verletzt. Das Ministerium achtet ferner darauf, dass in Medienberichten keine militärischen Informationen veröffentlicht werden, Artikel nicht die nationale Sicherheit gefährden oder Berichte die Beziehung Qatars zu anderen Staaten beeinträchtigen.[17] Weiterhin ist das Ministry of Religious Endowments and Islamic Affairs für die Zensur des Kabelfernsehens und des importierten Printmaterials zuständig, das vor allem auf pornographische Inhalte hin überprüft wird.

In Qatar gibt es eine stark eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit. Die öffentliche Kritik am Emir sowie Kritik am Islam ist laut dem Pressegesetz ebenso verboten, wie Berichte, die hohe nationale Interessen verletzen. Eine Selbstzensur vieler Journalisten findet auf Grund von angenommenem oder realem sozialen und politischen Druck statt. So wurden in der Vergangenheit Zeitungsredaktionen geschlossen, die kritische Artikel publiziert hatten. Dies ist ein Grund dafür, dass in lokalen Tageszeitungen nur äußerst verhalten explizite Kritik an Missständen in Qatar geübt wird. Drohende Repressalien, wie die Schließung von Zeitungsredaktionen, führen zu großem Druck auf Journalisten, die dann Selbstzensur üben. Lokale Medien vermeiden eine direkte Kritik des Emir oder die Behandlung sensibler politischer Themen. Ein qatarischer Journalist äußerte sich wie folgt: „As a reporter you still assume that certain things are taboo.“[18] Obwohl die Printmedien sich in Privatbesitz befinden, bestehen persönliche Beziehungen der Eigentümer zur Regierung.[19] Dies ist ein weiterer Grund für fehlende Kritik an innenpolitischen Missständen.

Auch Qatar unterhält staatseigene und damit staatskontrollierte Radio- und Fernsehsender. So unterscheidet sich Qatar TV weder im Format, noch inhaltlich von anderen staatlichen arabischen Kanälen. Im Emirat findet nur allmählich eine Liberalisierung des Mediensystems statt. Ein konservatives Umfeld und zahlreiche Reglementierungen der Medien sind noch immer existent. Eine besondere Stellung in der qatarischen Medienlandschaft zeichnet den Sender Al Jazeera aus, dessen Einfluss auf das arabische und internationale Mediensystem in den folgenden Kapiteln erörtert wird.

V. Die Gründung Al Jazeeras

Im Jahre 1994 ging die BBC mit ORBIT eine strategische Allianz auf zehn Jahre ein und produzierte ein arabischsprachiges Nachrichtenprogramm.[20] BBC Arabic Television mit Sendebetrieb aus London beschäftigte 250 Mitarbeiter vorwiegend arabischer Herkunft. Dennoch hatte die BBC Arabic Television nur wenige arabische Journalisten. Die meisten arabischen Mitarbeiter waren Techniker oder Übersetzer und die „reports suffered from a certain coldness“[21], da das meiste Material von der BBC produziert und anschließend nur ins Arabische übersetzt wurde. Schnell zeigten sich die Differenzen zwischen der BBC und ORBIT bezüglich der journalistischen und editorialen Ausrichtung des Programms. „The relative indifference of many BBC executives guiding the channel to Arab culture concerns, and the often culturally irrelevant if not lifeless quality of the recut documentaries and public affairs programming were troubling to many Arab viewers.”[22]

Schon zwei Jahre nach dessen Gründung im April 1996 scheiterte, vor allem aus politischen Gründen, das Projekt zwischen der BBC und dem saudischen Sender, in Zusammenarbeit einen arabischsprachigen Nachrichtenkanal zu schaffen. Auslöser war die Dokumentation Death of a Principle der britischen BBC, die sich mit Menschenrechtsverletzungen in Saudi Arabien beschäftigte. ORBIT unterbrach die Satellitensignale von BBC Arabic Television und tauschte Programmteile aus. Nach Meinung ORBITS hatte die BBC ihre vertraglich festgelegte Verantwortung von Sensitivität gegenüber den arabischen Werten verletzt, was die Einstellung des arabischen TV-Dienstes der British Broadcasting Corporation zur Folge hatte. ORBIT erweiterte daraufhin seine Produktionskapazitäten im arabischen Raum mit neuen Büros in Kairo und Beirut.[23]

Vor allem die Intellektuellen und besser Ausgebildeten in den arabischen Ländern hatten erkannt, was es bedeutet, einen von religiös-politischen Ideologien befreiten Nachrichtensender zur Verfügung zu haben. Qatars Emir, Sheik Hamad bin Khalifa Al-Thani, ergriff die sich ihm bietende Möglichkeit und gründete im November 1996 den Sender Al Jazeera.

Al Jazeera war ein Prestigeobjekt des Emirs und sollte sich zu einem international be- und anerkannten TV-Sender entwickeln, um Qatar in der Welt ein Profil zu geben sowie einen „Dialog zwischen den Kulturen“[24] zu ermöglichen. Der Emir als Modernist war daran interessiert, dass Qatar Anschluss an die nach-industrielle westliche Gesellschaft findet und betrachtete Al Jazeera als Teil seiner Modernisierungs- und Demokratisierungsvorhaben. Mit der Demokratisierung Qatars beabsichtigte der Emir, sein Land als Vorreiter für Demokratie und westliche Werte in der Golfregion zu etablieren. Das kleine Emirat sollte auf der internationalen politischen Bühne Profil gewinnen und sich so politischen wie auch militärischen Schutz seitens der USA und Großbritanniens sichern. Dies hat ferner einen geschichtlichen Hintergrund. Kurz nach Entdeckung großer Erdgasfelder in Qatar Mitte der 1990er Jahre marschierten saudische Truppen bis zur qatarischen Landesgrenze. Damals nahm die Weltöffentlichkeit wenig Notiz von der für Qatar bedenklichen Lage.[25] Mit einem weltweit bekannten Sender wie Al Jazeera sollte sich Qatar künftig auf der internationalen politischen Bühne Gehör verschaffen können.

Der Sitz des Senders befindet sich in Doha, der Hauptstadt Qatars. Vorsitzender von Al Jazeera wurde ein Mitglied der regierenden Familie, Hamid Bin Thamer El-Thani. Nach dem Scheitern der Kooperation zwischen ORBIT und der BBC, rekrutierte Al Jazeera Mitarbeiter der BBC Arabic Television. Deren Fernsehleute waren größtenteils von der BBC ausgebildet, um für das arabische Programm in London zu arbeiten. Die Arbeit für den britischen Sender hatte die Journalisten mit dem angelsächsischen Journalismus, dem editorialen Stil und journalistischen Geist der BBC in Kontakt gebracht, den viele Journalisten übernahmen.

Der Emir unterstützte Al Jazeera mit einer Anschubfinanzierung von circa 140 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren, mit dem Ziel, dass der Sender sich dann eigenständig finanzieren könnte. Zudem stellte die qatarische Regierung dem Sender Büros, technisches Equipment und Verwaltungseinrichtungen zur Verfügung.[26] Der Emir betont jedoch stets, dass nur finanzielle Verbindungen zur Regierung bestünden und kein Einfluss auf die Programmgestaltung ausgeübt wird. Dass dies nicht uneingeschränkt bestätigt werden kann, werden die weiteren Ausführungen verdeutlichen.

Zunächst stützte sich der Sender auf Kooperationen mit Nachrichtenagenturen wie Reuters und APTN, dessen Nachrichten von Al Jazeera Reportern für das eigene Programm umgeschrieben wurden. Al Jazeera begann mit drei Büros und war in der Anfangszeit sechs Stunden auf Sendung. Die Sendezeit wurde schnell auf zwölf Stunden ausgeweitet und seit Januar 1999 sendet Al Jazeera rund um die Uhr. Der Sender beschäftigt 500 Angestellte, darunter 70 Journalisten. Korrespondenten Al Jazeeras berichten per Satellitenübertragung aus wichtigen Städten in der ganzen Welt, darunter Washington, New York, London, Paris, Moskau, Djakarta, and Islamabad. Viele Korrespondenten berichten für Al Jazeera aus den arabischen Ländern. Das Korrespondentennetz wird stetig ausgebaut. In letzter Zeit kamen Auslandsbüros in Hongkong, Peking und Casablanca hinzu.

[...]


[1] Vgl.: Ayish, Muhammad L. (2002): Political Communication on Arab World Television: Evolving Patterns. In: Political Communication, Volume 19, Number 2, S.138.

[2] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (2001): The Sweet and Sour Success of Al-Jazeera. In: Transnational Broadcasting Studies, Nr. 7/2001. Fundstelle: www.tbsjournal.com.

[3] Ayish, Muhammad (1989): Newsfilm in Jordan televion’s Arabic nightly newscasts. In: Journal of Broadcasting and Electronic Media, 33, S. 455.

[4] Vgl.: Ayish, Muhammad (2002): Political Communication on Arab World Television, S.138.

[5] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (2001): The Sweet and Sour Success of Al-Jazeera.

[6] Vgl.: Schleifer, Abdallah S.(2000): Interview with Jasim Al-Ali, Managing Director, Al-Jazeera. In: Transnational Broadcasting Studies, Nr. 5/2000. Fundstelle: www.tbsjournal.com.

[7] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (1998): Media Explosion in the Arab World: The Pan-Arab Satellite Broadcasters. In: Transnational Broadcasting Studies, Nr. 1/1998. Fundstelle: www.tbsjournal.com.

[8] Offizieller Name Egyptian Radio and Television Union (ERTU)

[9] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (2000): Interview with Jasim Al-Ali, Managing Director, Al-Jazeera.

[10] Vgl.: Sakr, Naomi (2002): Arab Satellite Channels between State and Private Ownership: Current and Future Implications. In: Transnational Broadcasting Studies, Nr. 9/2002. Fundstelle: www.tbsjournal.com.

[11] Vgl.: Sakr, Naomi (2002): Arab Satellite Channels between State and Private Ownership: Current and Future Implications.

[12] Zu dem Scheitern der Kooperation siehe auch Kapitel V.

[13] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (1998): Media Explosion in the Arab World.

[14] Vgl.: Ayish, Muhammad (2002): Political Communication on Arab World Television, S.139.

[15] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (1998): Media Explosion in the Arab World.

[16] Vgl.: Hafez, Kai (2002): Islamische Staaten. Starker Spannungszustand. In: message Nr. 1/2002. Fundstelle: message-online.de

[17] Vgl.: El-Nawawy, Mohammad/ Iskandar, Adel (2002): Al-Jazeera. How the Free Arab News Network Scooped the World and Changed the Middle East, S. 78.

[18] Vgl.: Ebenda, S. 77.

[19] Campagna, Joel (2001): “Between the two worlds. Qatars Al Jazeera satellite channel faces conflicting expectations”. Fundstelle: www.cpj.org.

[20] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (1998): Media Explosion in the Arab World.

[21] Schleifer, Abdallah S. (2000): Interview with Jasim Al-Ali, Managing Director, Al-Jazeera.

[22] Vgl.: Schleifer, Abdallah S. (1998): Media Explosion in the Arab World.

[23] Vgl.: Ebenda.

[24] Vgl.: El-Nawawy, Mohammad/ Iskandar, Adel (2002): Al-Jazeera. How the Free Arab News Network Scooped the World and Changed the Middle East, S. 85ff.

[25] Vgl. Weaver, Michael A.(2000): Letter from Qatar. Democracy by Decree. In: The New Yorker, 15.10.2001, Internetausgabe.

[26] Vgl.: Abu-Fadi, Magda (1999): Maverik Arab Satellite TV. Qatar's Al Jazeera brings a provocative new brand of journalism to the Middle East. In: IPI Global Journalist Magazine, 4th Quarter/1999. Fundstelle: www.globaljournalist.org.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Al Jazeera - Der Aufstieg vom kleinen qatarischen Satellitensender zum populärsten Nachrichtensender der arabischen Welt
Hochschule
Technische Universität Dresden  (KOWI)
Veranstaltung
Medien und Terrorismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
46
Katalognummer
V30516
ISBN (eBook)
9783638317665
Dateigröße
666 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr ausführliche Hausarbeit zum arabischen Sender Al JAzeera mit umfassender Literaturliste
Schlagworte
Jazeera, Aufstieg, Satellitensender, Nachrichtensender, Welt, Medien, Terrorismus
Arbeit zitieren
Anne-Katrin Maser (Autor:in), 2004, Al Jazeera - Der Aufstieg vom kleinen qatarischen Satellitensender zum populärsten Nachrichtensender der arabischen Welt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30516

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