Otto von Bismarck und die innenpolitischen Krisen Preußens


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Innenpolitische Ausgangslage Preußens
2.1 Historischer Hintergrund
2.2 Der Aufschwung des Liberalismus
2.3 Entgegenwirken der politischen Kräfte

3. Der Weg zum preußischen Verfassungskonflikt – die Heeresreform
3.1 Hintergründe und Ursachen
3.2 Die liberalen Kräfte und deren Vorstellungen
3.3 Bismarck und seine Strategie

4. Der Beginn des preußischen Verfassungskonflikts
4.1 Die „neue Ära“
4.2 Bismarcks Ernennung zum Ministerpräsidenten Preußens
4.3 Bismarck im Zentrum der Macht
4.4 Budgetfrage und „Lückentheorie“ Bismarcks

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Otto von Bismarck ist eine viel diskutierte Persönlichkeit in der deutschen Geschichte. Zum einen wird er als einer der Vorreiter des deutschen Nationalsozialismus betrachtet, zum anderen aber auch als derjenige der das Deutsche Reich geeint hat. Durch die Einigungskriege gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) wurde dies möglich.

Doch schon vor diesen kriegerischen Auseinandersetzungen gab es Konflikte in der preußischen Innenpolitik, die Otto von Bismarck versuchte zu lösen. Insbesondere der preußische Verfassungskonflikt bereitete Wilhelm I. Probleme, welche er nicht im Stande war alleine zu lösen. Durch die Ernennung Bismarcks zum Ministerpräsidenten erhoffte er sich eine schnelle Lösung des Konfliktes.

In dieser Arbeit sollen die innenpolitischen Probleme Preußens aufgezeigt werden. Im Fokus dieser Arbeit steht der Zeitraum 1862 bis 1864. Unter der Frage wie Otto von Bismarck den preußischen Verfassungskonflikt versuchte zu lösen, soll seine innenpolitische Taktik aufgezeigt werden.

Dabei muss auch dargestellt werden, dass Otto von Bismarck, sowohl in der Innenpolitik, als auch in der Außenpolitik großes taktisches Geschick bewies.

Im ersten Teil dieser Arbeit soll die innenpolitische Ausgangslage Preußens dargestellt werden. Dabei soll der Liberalismus und das Entgegenwirken politischer Kräfte beleuchtet werden.

Im zweiten Teil soll der Weg zum preußischen Verfassungskonflikt, also die Heeresreform betrachtet werden.

Zum Schluss dieser Arbeit wird das Hauptaugenmerk auf dem Verfassungskonflikt liegen. Dabei soll auch die Ernennung Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten und seine Taktik zur Lösung des Konfliktes eine tragende Rolle spielen.

2. Innenpolitische Ausgangslage Preußens

2.1 Historischer Hintergrund

Bis zu dem Jahr 1847, in dem Preußen sich aus finanziellen Gründen zur Einrichtung eines Landtages gezwungen sah, war der bürokratische Absolutismus die vorherrschende Regierungsform.[1] Auf der Grundlage der "Karlsbader Beschlüsse", einer Ministerkonferenz der wichtigeren deutschen Staaten, wurden am 20. September 1819 drei Bundesgesetze erlassen, die der weiteren politischen Entwicklung in Deutschland auf lange Sicht ihren Stempel aufdrückten. Politische Gruppierungen wurden verboten, viele politisch missliebige Professoren sollten entlassen und oppositionelle Studenten und Dozenten einer strengen Staatsaufsicht unterworfen werden. Hinzu kam eine staatliche Vorzensur für alle Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Druckwerke.[2] Damit gelang es der Monarchie, oppositionelle Kräfte entscheidend zu lähmen oder in die Illegalität abzudrängen. Die Unterdrückungsgesetze wurden 1832 und 1834 weitgehend bestätigt und durch ein zusätzliches Parteienverbot sogar noch verschärft.[3] Gegen eine kritische Öffentlichkeit bzw. gegen soziale Unruhen wurden die Mittel des Polizeistaates eingesetzt und für eine begrenzte Zeit war diese Politik durchaus erfolgreich. Zwischen 1830 und 1848 kann man dennoch von einer Polarisierung der verschiedenen politischen Richtungen sprechen.[4] Noch vor der Revolution von 1848/49 bildeten sich fünf Hauptrichtungen heraus, Liberalismus, Konservatismus, demokratische Bewegung, Katholizismus und Sozialismus.[5] Obwohl verboten wurde die Bevölkerung weiter politisiert und es bildeten sich immer häufiger Gruppen um führende Abgeordnete in den verschiedenen Landtagen heraus. "Noch gab es keinen festen Parteibegriff, man sprach von Lagern und Richtungen, von politischen Freunden und Gegnern."[6] Als im Dezember 1848 die "Erbkaiserliche Verfassung" in Frankfurt verabschiedet werden konnte, wurde diese von liberaler Seite mit Begeisterung begrüßt. Obwohl viele ihre Zweifel hinsichtlich der Zugeständnisse an die Linken besaßen - denn nur durch viele Kompromisse war die Verfassung überhaupt zustande gekommen - nahmen sie dies als notwendigen Preis für die Schaffung eines deutschen Nationalstaates hin und hofften auf zukünftige Revisionen und Ergänzungen.[7] In dieser Situation sahen sich die Liberalen gezwungen, an den preußischen Staat zu appellieren, auf das er ihnen ihr Programm verwirklichen helfe. In den Händen der preußischen Regierung sollte letztlich die Entscheidung über das Schicksal der Revolution liegen.

Als der König von Preußen dann die angetragene Kaiserkrone ablehnte und sich weigerte, das Frankfurter Parlament mit den Mitteln auszustatten, die es benötigt hätte, um politisch agieren zu können, wurde sehr schnell die Machtlosigkeit der liberalen Volksvertreter für alle offensichtlich.

2.2 Der Aufschwung des Liberalismus

Auch nach ihrer Niederlage nährten viele Liberale weiterhin die Hoffnung, die Zukunft werde ihnen gehören. Obwohl wiederholt behauptet wurde, dass das liberale Bürgertum: "…resignierte, sich aus der Politik zurückzog und seinen privaten Geschäften nachging"[8], muss festgehalten werden, dass dies nicht auf jeden Liberalen zutraf. Schließlich bestand der Erfolg der Revolution in der Einführung erster demokratischer Formen: die Landtage existierten weiterhin und die Beteiligung an den Wahlen war äußerst rege. Das Forum, auf dem die Bevölkerung politisch aktiv werden konnte, hatte sich somit erheblich vergrößert. Gegen Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts konnte man mit dem Aufschwung der nationalen Bewegung sogar wieder von einem erneuten Aufbegehren liberaler Kräfte sprechen. Das Interesse der Öffentlichkeit an politischen Fragen war wiederbelebt und die liberale Bewegung glaubte endlich an das Entstehen einer "neuen Ära". Doch dies stellte sich schnell als Trugschluss heraus. Anfänglich verleitete die Parteinahme des Kronprinzen Wilhelm für die liberale Idee deren Anhänger zu der Annahme, dass sich damit auch die Machtverhältnisse ändern würden.[9]

Der Glaube an diese neue liberale Politik und die Erfolge der italienischen Nationalbewegung gaben den nationalen Bestrebungen in Deutschland zusätzlichen Auftrieb. 1859 entstand der "Deutsche Nationalverein" aus Liberalen und Demokraten, der die "…Bildung einer nationalen Partei in Deutschland zum Zwecke der Einigung und freiheitlichen Entwicklung des großen gemeinsamen Vaterlandes" zum Ziel hatte.[10] Bei den Wahlen im November 1858 zum preußischen Abgeordnetenhaus hatten die Demokraten und Liberalen gemeinsam große Siege errungen. Zur Eröffnung des Landtages im Januar 1859 schlossen sie sich nach zweiwöchigen Verhandlungen unter dem Vorsitz des Freiherrn Georg von Vincke zu einer großen liberal-demokratischen Fraktion zusammen.

2.3 Entgegenwirken der politischen Kräfte

In den 50er Jahren entwickelte sich das Thema "deutsche Einheit" immer mehr zur zentralen Frage dieser Zeit. Neben dem „Deutschen Nationalverein“ entstand 1862 der „Deutsche Reformverein“, der eine großdeutsche Lösung propagierte, die preußische Vormachtstellung ablehnte und im Wesentlichen (wenn auch ohne großen Wirkung) die österreichische Bundesreformpolitik unterstützte. Die Nationalbewegung insgesamt war zu einer politischen Kraft geworden, die sich auf eine breite Volksbasis stützen konnte. Parallel dazu baute Preußen mehr und mehr seine wirtschaftliche Vormachtstellung in Deutschland aus. Die Mittelstaaten wurden innerhalb des Zollvereins an Berlin gebunden und die traditionell führende Rolle Österreichs damit abgeschwächt. Die wirtschaftliche Bindung der Mittelstaaten an Preußen war für Bismarck - wie sich später zeigen sollte - eine Grundvoraussetzung für den Erfolg seiner Politik.[11] Jedoch standen die Zeichen für Bismarck Ende der 50er Jahre mehr schlecht als recht. Begonnen hatte er als ständischer Interessenvertreter des landsässigen Adels im Kampf gegen einen die Gesellschaft von oben revolutionierenden liberalen Absolutismus. Heimlich sah er sich als Führer einer konservativ-aristokratischen Partei in einem in ständische Bahnen und Verfassung zurück gezwungenen monarchistischen Staat politische Karriere machen. Doch die Realität, wenige Jahre nach dem Sieg über die Revolution von 1848/49 und dem Erfolg über die politische Konkurrenz konnte kaum eine Basis für seine Überlegungen bilden. In Berlin übernahm im Oktober 1858 Wilhelm I. die Regierungsgeschäfte. Mit dem Versuch, konservative Kräfte und liberale Bewegung zu versöhnen, propagierte er die Politik der „neuen Ära“.[12] Bei der Übernahme der Regierung hatte er geäußert: „In Deutschland muß Preußen moralische Eroberungen machen durch eine weise Gesetzgebung bei sich, durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie der Zollverband es ist.“[13] Angestrebt war von preußischer Seite auch eine Verbesserung des Verhältnisses zu Österreich. Vor diesem Hintergrund war Bismarcks Zukunft eher ungewiss. Schließlich hatte man ihn aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Habsburger Monarchie aus Frankfurt zurück und nach St. Petersburg versetzt. Bismarcks Ziel, Preußen aufzuwerten – zur Not auf Kosten Österreichs – stand im Widerspruch zu den Vorstellungen des Prinzregenten.

3. Der Weg zum preußischen Verfassungskonflikt – die Heeresreform

3.1 Hintergründe und Ursachen

Das alte preußische Wehrgesetz, das 1814 unmittelbar nach dem Abschluss der Freiheitskriege gegen Napoleon von dem damaligen Kriegsminister Hermann von Boyen ganz aus deren Geist entworfen und formuliert worden war, beruhte auf dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht und dem Gedanken der Bildung einer Reservearmee aus allen Gedienten. Im Laufe der Jahre hatte das Gesetz jedoch zu enormen Ungerechtigkeiten geführt, denn in Relation zum raschen Bevölkerungswachstum konnte nur noch ein ständig sinkender Teil der Dienstpflichtigen eingezogen werden. Eine Vermehrung der regulären Kader kam aber aus finanziellen wie prinzipiellen Gründen nicht in Betracht. So bestand schließlich für mehr als zwei Drittel der Dienstpflichtigen die Möglichkeit, durch Losentscheid von dieser Pflicht befreit zu werden. Abgesehen von den objektiven Schwächen der Heeresverfassung, die die Wehrkraft des Volkes nicht mehr richtig ausschöpfte, war es auch der erklärte politische Wille der preußischen Staatsführung, die Schlagkraft der regulären Armee und damit das machtpolitische Gewicht Preußens zu stärken. Nachdem die Mobilmachung im Italienischen Krieg 1859 die Mängel noch einmal offenbart hatte, strebte Prinzregent Wilhelm mit aller Entschiedenheit eine umfassende Heeresreform an. Über die Notwendigkeit einer solchen Reform bestand weitgehende Einigkeit und auch die beabsichtigte Stärkung der Armee war nicht umstritten, denn im Vergleich zu den Armeen der großen europäischen Mächte wie Frankreich, Österreich und Russland war Preußen zahlenmäßig eindeutig unterlegen. Als Ergebnis intensiver Beratungen in Expertenkommissionen legte der neue Kriegsminister Albrecht von Roon im Februar 1860, nur zwei Monate nach seiner Ernennung, dem preußischen Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf zur Reorganisation des Heeres vor. Danach sollte die bereits eingeleitete Erweiterung der Friedenspresänzstärke von 150.000 auf 210.000 Mann fortgeführt bzw. die jährliche Rekrutenzahl von 40.000 auf 63.000 erhöht, die 1856 auf drei Jahre erweiterte Dienstzeit beibehalten und die neben der Linie bestehende Landwehr 1. Aufgebots so umgeformt werden, dass die ersten drei Jahrgänge in die zum aktiven Heer (Linie) gehörige Reserve übernommen, die letzten vier Jahrgänge mit der Landwehr 2.

Aufgebots in der Etappe eingesetzt werden sollten. Damit wurde die in der Heeresordnung von 1814 geschaffene volkstümlich bürgerliche Landwehr entscheidend umstrukturiert zugunsten eines vergrößerten und einheitlich organisierten Heers unter einem im Wesentlichen adeligen Offizierskorps. Generell steckte in der Reorganisation des Heeres von der Sache her wohl kaum der Zündstoff, den sie dann tatsächlich erlangt hat. Es war vor allem die Art, mit der Prinzregent Wilhelm als treibende Kraft des gesamten Vorgangs die Gesetzesvorlage im Parlament durchsetzen wollte. Sein absolutistischer Anspruch, die Reform gegen alle Einwände oder auch nur Mitbestimmungsversuche der Abgeordneten durchzusetzen, erwies sich letztendlich als der eigentliche Auslöser der innenpolitischen Krise, die den preußischen Landtag dann sechs Jahre lang beschäftigen sollte. Der Monarch vertrat rückhaltlos seine Grundauffassung, dass die Armee ausschließlich ein Instrument in der Hand der Krone und in ihrem Sinne nicht nur nach außen, sondern auch im Innern einsetzbar sein müsse. Er war von Anfang an entschlossen, mit der Heeresfrage notfalls die Machtfrage zu stellen, also vom Parlament zu verlangen, sich dem Willen der Krone bedingungslos zu beugen.

3.2 Die liberalen Kräfte und deren Vorstellungen

Mit dem großen Wahl-Sieg von 1858 und ihrem Zusammenschluss von 1859 bildeten Demokraten und Liberale einen neuen starken Machtblock im preußischen Parlament. Jedoch stellte der Historiker Gerhard Eisfeld den Erfolg dieser Vereinigung mit der Person des Anführers Georg von Vincke in Frage. Schließlich war er „als entschiedener Gegner der führenden Demokraten, als begeisterter Royalist...eine umstrittene Persönlichkeit.“[14] Allerdings konnte er, solange die bedeutenden Demokraten, wie zum Beispiel Waldeck und Schulze-Delitzsch noch nicht dem Parlament angehörten, einige Zeit erfolgreich seine Stellung in der liberalen Fraktion verteidigen. Von Vincke, der mit aller Härte die Kritik an seiner Führungsrolle zurückwies, vertrat mit Leidenschaft die Politik des „Nur nicht drängen“.[15] Einerseits griff er die Regierung verbal an, andererseits vermied er es jedoch, den konservativen Ministern, mit welchen er befreundet war, eine entscheidende Abstimmungsniederlage zu bereiten. Mit dieser zögerlichen Politik stieß er bei einigen jungen liberalen Abgeordneten, die gerade auch in der deutschen Frage auf eine Entscheidung drängten, auf Widerwillen.

Ein weiterer Reibungspunkt in der Fraktion waren die Reorganisationspläne der Armee und die Landwehrfrage. Aus dem Streit um die Verstärkung und Reform des Heeres wurde binnen kurzer Zeit ein Verfassungskonflikt, der Preußen in eine tiefe Krise stürzte. Dabei war weder eine Reorganisation der Armee noch die Notwendigkeit der Reform strittig. Die Zahl der jährlich ausgehobenen Rekruten stagnierte seit der Heeresverfassung von 1814/15 bei 41.000 Mann, obwohl sich die Einwohnerzahl Preußens nahezu verdoppelt hatte. Auch die liberale Fraktion im Abgeordnetenhaus hielt die Stärkung der militärischen Macht des Staates für unbedingt notwendig.[16] So sagte Schulze-Delitzsch über den Zustand der deutschen Nation: ,,Mitten unter großen, einheitlich organisierten Staaten steht ein Vaterland in seiner kläglichen Zersplitterung da, der Spielball fremden Übermuts, der Stück um Stück davon abgerissen und unserer Nationalität entfremdet hat...auf dem Höhepunkt humaner Bildung ist es zu politischer Nichtigkeit verdammt...kein rechter Schutz nach außen, nicht einmal eine Flotte, seine Küsten, seinen Handel gegen die schwächsten Nachbarn zu decken."[17]

Obwohl die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses anfänglich gegen diese Pläne rebellierte, wurde der Gesetzesantrag schließlich verabschiedet, da die Gegner der Reformpläne ein Auseinanderbrechen der großen liberalen Partei vermeiden wollten. Sie trösteten sich mit der einschränkenden Bestimmung, dass in den Antrag das Wort ,,einstweilig" eingefügt wurde. Als die Regierung allerdings im Oktober 1860 schon mit der Umorganisation der Landwehr begann, meldeten sich die Oppositionellen in der liberalen Partei wieder zu Wort. Sie konnten diesen Wortbruch der Regierung nicht länger tolerieren und es formierte sich eine entschiedenere Richtung.[18] Innerhalb der Fraktion Vincke im preußischen Abgeordnetenhaus gingen die Meinungen über die weitere politische Taktik und die Zielsetzung weit auseinander. Der größte Teil der Abgeordneten stand hinter dem altliberalen Freiherrn von Vincke. Sie vertraten einen bewusst deutschen antidemokratischen Liberalismus. Sie sahen ihre Ideale in der preußischen Macht und der Monarchie. Ihnen gegenüber stand eine kleinere Gruppe von Vertretern des demokratischen Liberalismus, welche mehr politische Aktivität in Richtung einer fortschrittlichen liberalen Politik von der Fraktionsführung verlangten.[19] Sie erklärten, dass notfalls der Widerstand jener gebrochen werden müsse, die nicht zu einem wirklichen Ausgleich bereit seien. Während sich beide Gruppierungen bei der Heeresreform anfänglich noch einigen konnten, gab die Diskussion über die deutsche Frage endgültig den Anlass, dass die Fraktion auseinanderbrach. Die Probleme, über die sich die Fraktion Vincke und die Verfechter des demokratischen Liberalismus nicht einig werden konnten, waren für die Separatisten so entscheidend, dass eine Abspaltung für sie unausweichlich war. So entstand die Deutsche Fortschrittspartei (DFP). Zusammenfassend kann man sagen, Liberale und Demokraten aus der Bildungs- und Besitzerschicht waren sich einig, dass der preußische Staat so umgestaltet werden müsste, dass auch die anderen deutschen Staaten in ihm den optimalen Führer in einem geeinten Deutschland sahen. Unter der Leitung der Konservativen würde dies allerdings nie möglich sein. Außerdem forderten sie eine Beteiligung an der Verwaltung des Staates und des Heeres, die sie dem Adel nicht mehr allein überlassen wollten.[20] Die Vereinigung von Bildung und Besitz in der Deutschen Fortschrittspartei, die eine liberale und demokratische Politik vertrat, war der politische Protest gegen die Herrschaftsform der Konservativen.

3.3 Bismarck und seine Strategie

Bismarck waren die Parteien stets ein notwendiges Übel, mit dem er zu verhandeln hatte. Passte ihm die Position einer Partei nicht in sein Konzept, so warb er um die Stimmen einer anderen Partei. Festzuhalten bleibt, dass Bismarck bis zur seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten Preußens kein absoluter Gegner Österreichs war. Der Weg zu einem gleichberechtigten Dualismus, einer Aufteilung Deutschlands zwischen Österreich und Preußen war für ihn noch nicht versperrt; er sah es sogar als ein Konzept zur Lösung in der deutschen Frage an, wenngleich er wusste, dass mit der gegenwärtigen Wiener Regierung ein solcher Weg nicht beschritten werden konnte. Auf der anderen Seite schätzte Bismarck aber auch die Gefahr für die bestehende Ordnung, die aus der Kraft der Nationalbewegung vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und der Unterstützung durch weite Teile der Bevölkerung ausging, richtig ein. Er sah das Risiko, welches in der Unterschätzung dieser Kraft für Preußen lag. Nur waren ihm im fernen St. Petersburg die Hände gebunden.[21] Noch funktionierte das System der „neuen Ära", wollten doch Prinzregent Wilhelm und seine konservativen Ratgeber letztlich nichts anderes, als durch taktisches Entgegenkommen insbesondere das gebildete und besitzende Bürgertum mit der bestehenden politischen und sozialen Ordnung versöhnen. Sie scheuten sich weiter vorwärts zu drängen und sich im Falle fehlender Kooperationswilligkeit seitens der Vertreter des liberalen Bürgertums auch den großen Konflikt zu riskieren. Während Bismarck vergeblich für eine offensive preußische Politik im italienischen Konflikt plädierte,[22] hatte der Prinzregent eine etwaige Bundeshilfe für Österreich von seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber des Bundesheeres abhängig gemacht. In dieser heiklen Situation, wo die liberalen Sympathien doch eher auf Seiten der italienischen waren, bewies jedoch die überwiegende Mehrheit der preußischen Liberalen durchaus Verständnis für einen erst gerade mit der Regentschaft betrauten Fürsten, der gegen den erklärten Willen der bisher regierenden Kreise einen neuen Kurs zu steuern versuchte und mahnten deshalb zu Zurückhaltung und Geduld. Angesichts der gegebenen Verhältnisse in Berlin bestand für Bismarck keine Möglichkeit, seine Außenseiterposition zu verlassen und sich in eine entscheidende Lage zu bringen. Sein taktisches Kalkül war auf einen Misserfolg der in Berlin tonangebenden Personen gerichtet. Auch die immer mehr in den Vordergrund tretende Militärfrage führte anfänglich noch nicht zu dem von Bismarck herbeigesehnten Bruch zwischen der liberalen Kammerfraktion und dem Teil der Regierung, der mit dieser zur Zusammenarbeit bereit war.[23]

[...]


[1] Fenske, Hans: Deutsche Parteigeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Paderborn/München 1994, S. 38.

[2] Müller, Helmut M.: Schlaglichter der deutschen Geschichte, Mannheim1990, S. 149.

[3] Fenske: Deutsche Parteigeschichte, S. 39.

[4] Nipperdey, Thomas: Grundprobleme der deutschen Parteigeschichte im 19. Jahrhundert, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 39.

[5] Fenske, Deutsche Parteigeschichte, S. 60.

[6] Ruerup, Reinhard: Deutschland im 19. Jahrhundert 1815-1871, Göttingen 1984, S. 155.

[7] Sheehan, J. James: Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg. 1770-1914, München 1988, S. 90.

[8] Tormin, Walter: Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, Stuttgart 1967, S. 35

[9] Schreiner, Kurt: Die Entstehung des deutschen Parteiensystems, München 1974, S. 32.

[10] Langewiesche, Dieter: Liberalismus und Demokratie in Württemberg zwischen Revolution und Reichsgründung, Düsseldorf 1974, S. 67.

[11] Vgl. Ullmann, Hans-Peter: Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt am Main 1995, S. 19.

[12] Vgl. Krockow, Christin Graf von: Bismarck, Stuttgart 1997, S. 115-116.

[13] Vgl. dazu Bismarck, Otto Fürst von: Die gesammelten Werke (Friedrichsruher Ausgabe), Bd. 15, Berlin 1924-1935, S. 494-495.

[14] Eisfeld, Gerhard: Die Entstehung der liberalen Parteien in Deutschland 1858-1870. Studie zu den Organisationen und Programmen der Liberalen und Demokraten, Hannover 1969, S. 70.

[15] Schulze-Delitzsch, Hermann: Schriften und Reden, Bd. IV, Thorwart, F. (Hrsg.), Berlin 1909-1911, S. 2.

[16] Rürup, Reinhard, Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 218.

[17] Ebd., S. 5.

[18] Eisfeld, Gerhard: Entstehung der liberalen Parteien. S. 74.

[19] Ebd., S. 75.

[20] Ebd., S. 110.

[21] Vgl. Schulze, Hagen: Der Weg zum Nationalstaat, München 1994, S. 102-104 und Mommsen, Wilhelm: Bismarck, Hamburg 1997, S. 38.

[22] Siehe dazu Bismarck, Otto Fürst von: Gedanken und Erinnerungen, Stuttgart/ Berlin 1928, S. 215-216.

[23] Gall, Lothar: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Berlin 1997, 195-196.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Otto von Bismarck und die innenpolitischen Krisen Preußens
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Historisches Institut)
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
23
Katalognummer
V305327
ISBN (eBook)
9783668032989
ISBN (Buch)
9783668032996
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
otto, bismarck, krisen, preußens
Arbeit zitieren
Sascha Weidenbach (Autor:in), 2014, Otto von Bismarck und die innenpolitischen Krisen Preußens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305327

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Otto von Bismarck und die innenpolitischen Krisen Preußens



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden