Friedliche Bürger demonstrieren gegen rechtsradikale Versammlungen (so genannte Blockadeaktionen)


Diplomarbeit, 2004

46 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Inhalt und Ziel der Diplomarbeit

2 Versammlungsfreiheit als Grundrecht aus Artikel 8 GG
2.1 Verfassungsrechtliche Grundlage und Bedeutung der Versammlungsfreiheit
2.2 Schutzbereich der Versammlungsfreiheit
2.2.1 Versammlungsbegriff
2.2.2 Bürgerrecht
2.2.3 Friedlichkeit und Waffenlosigkeit
2.2.4 Geschütztes Verhalten
2.3 Besonderheiten bezüglich der Ausgangssituation
2.3.1 Versammlungen rechtsradikaler Gruppierungen
2.3.2 Besonderheiten bei Gegendemonstrationen
2.4 Zwischenfazit

3 Gesetzliche Beschränkungen der Versammlungsfreiheit durch und aufgrund eines Gesetzes
3.1 Allgemeine Grundlagen
3.2 Störungsverbot im Sinne von § 2 Absatz 2 VersammlG
3.3 Anmeldepflicht
3.3.1 Spontanversammlungen
3.3.2 Eilversammlungen
3.3.3 Großdemonstrationen
3.4 Prioritätsprinzip
3.5 § 15 Absatz 1 VersammlG (Verbot und Auflagen)
3.5.1 Verbot von Versammlungen
3.5.2 Beschränkende Verfügungen
3.6 § 15 Absatz 2 VersammlG (Auflösung und Minusmaßnahmen)
3.6.1 Auflösung von Versammlungen
3.6.2 Beschränkende Verfügungen
3.7 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
3.7.1 Möglichkeit und Geeignetheit
3.7.2 Erforderlichkeit
3.7.3 Angemessenheit (Güterabwägung)

4 Blockadeaktionen und deren verfassungs- und versammlungsrechtliche Rechtmäßigkeit
4.1 Blockaden als Demonstrationsform
4.1.1 Arten von Blockaden
4.1.2 Unterscheidung hinsichtlich des Ziels der Blockade
4.2 Rolle des Staates
4.3 Rechtliche Würdigung von Blockadeaktionen
4.3.1 Blockaden mit dem Hauptzweck der Beeinträchtigung der Grundrechte Dritter
4.3.2 Blockaden mit dem Teilzweck der Beeinträchtigung der Grundrechte Dritter
4.3.3 Praktische Relevanz

5 Strafrechtliche Beurteilung von Blockaden
5.1 Allgemeine Grundlagen
5.2 Nötigung gemäß § 240 StGB
5.2.1 Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB
5.2.2 Verwerflichkeit der Gewaltanwendung
5.2.3 Fazit zur Nötigung durch Blockadeteilnehmer
5.3 Blockaden als Straftaten des Versammlungsgesetzes
5.3.1 Versammlungssprengung gemäß § 21 VersammlG
5.3.2 Verbotsirrtum

6 Zusammenfassende Darstellung

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Inhalt und Ziel der Diplomarbeit

Immer öfter konnte man in den letzten Jahren in den Medien verfolgen, wie Rechtsradikale, geschützt von hunderten bis tausenden Polizisten auf den Straßen demonstrieren. Dieser Inhalt der Meinungskundgabe in Verbindung mit der ge­wählten Form wird aus politischer Sicht und im Hinblick speziell auf die deutsche Historie von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger als nicht hinnehmbar emp­funden. Gleichzeitig ist das „Dulden“ bzw. sogar das „Erlauben“ von rechten Ver­sammlungen seitens des Staates durch einige Bürger nicht nachvollziehbar. Eine Vielzahl versucht sich derer zu erwehren. Die einen gehen gegen derartige De­monstrationen mit gewaltsamen Mitteln vor, indem sie versuchen durch systema­tische Störungen die rechte Versammlung zu verhindern bzw. zu unterbinden. Andere wiederum organisieren friedliche Gegendemonstrationen, um auf die Ge­fährlichkeit rechtsradikaler Meinungskundgabe hinzuweisen und eine Gegenmei­nung kundzutun. In der Vergangenheit gab es darüber hinausgehend auch neue Formen der Demonstration gegen rechtsradikale Ausgangsveranstaltungen. Fried­lich demonstrierende Bürger stellten sich den rechten Demonstranten in den Weg und blockierten ihre Marschroute, um somit neben der reinen kollektiven Mei­nungskundgabe ein symbolisches Zeichen zu setzen.

Aufgabe der Versammlungsbehörden, des Polizeivollzugsdienstes und der Gerichte ist es, in der jeweiligen Situation zu entscheiden, ob eine Gegen­demonstration bzw. ob das Verhalten von Versammlungsteilnehmern rechtmäßig oder rechtswidrig ist und in welcher Weise darauf reagiert werden muss. Die rechtliche Beurteilung von gewaltsamen Gegendemonstrationen wird zweifelsfrei zum Ergebnis der Rechtswidrigkeit dieser führen. Die reine kollektive Meinungs­kundgabe friedlicher Bürger wird ebenso schnell grundsätzlich als rechtmäßiges Verhalten beurteilt werden können. Schwierig wird die rechtliche Beurteilung aber dann, wenn Sachverhalte untersucht werden, die sich im Grenzbereich zwi­schen rechtmäßigen und rechtswidrigen Verhalten befinden. Einen solchen Grenz­fall stellen Blockadeaktionen dar, mit denen friedliche Bürger versuchen ihre Meinungskundgabe symbolisch zu unterstützen indem sie die Marschroute rechter Demonstranten blockieren.

Diesen Fall als Ausgangssituation nehmend, ist es im Folgenden Inhalt der vorlie­genden Diplomarbeit, verfassungsrechtliche und versammlungsrechtliche, aber auch strafrechtliche Problemstellungen und Aspekte von Blockadeaktionen gegen rechtsradikale Demonstrationen mit dem Ziel darzulegen und zu diskutieren, den Grenzbereich zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Verhalten im Rahmen von Blockadeaktionen näher zu definieren. Dabei beschränken sich die rechtli­chen Untersuchungen allein auf die Rechtmäßigkeit der Gegendemonstration, die Ausgangsveranstaltung der Rechtsradikalen wird als eine sich im rechtmäßigen Rahmen bewegende Versammlung angesehen und als gegeben betrachtet.

2 Versammlungsfreiheit als Grundrecht aus Artikel 8 GG

2.1 Verfassungsrechtliche Grundlage und Bedeutung der Versammlungsfreiheit

In der Bundesrepublik Deutschland ist das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln und somit einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion zu erbringen im Grundgesetz garantiert:

Artikel 8 (Versammlungsfreiheit)

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Dieses Grundrecht „galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“[1] und wird vom Bundesverfassungsge­richt als „wesentliches Element der demokratischen Offenheit“[2] beschrieben. Ver­sammlungen „bieten ... die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest ...; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebän­digter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Er­starrung in geschäftiger Routine zu bewahren"[3]. Die Versammlungsfreiheit als Möglichkeit der kollektiven Meinungskundgabe ist unabdingbar bei der argu­mentativen Auseinandersetzung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft.

Gerade Minderheiten, die sich in der öffentlichen Meinung nicht ausreichend be­rücksichtigt bzw. in den parlamentarischen Mehrheiten unterrepräsentiert fühlen, haben durch das Recht der kollektiven Meinungsäußerung die Möglichkeit sich in die öffentliche Diskussion einzubringen. Rechtsradikale Gruppierungen sind, be­trachtet man die prozentuale Vertretung dieser in den Volksvertretungen des Bun­des, der Länder und der Kommunen und vernachlässigt vereinzelte Wahlerfolge - wie beispielsweise der DVU bei der Landtagswahl 1998 in Sachsen-Anhalt - als eine solche Minderheit anzusehen. So darf es nicht verwunderlich sein, dass ge­rade sie zu denjenigen gehören, die sich sehr häufig das Recht auf Versammlungs­freiheit zu Nutze machen, um ihren politischen Willen einer breiteren Öffentlich­keit zugänglich zu machen und den Adressatenkreis ihrer Meinungskundgabe zu erweitern.

Auf der anderen Seite eröffnet das Versammlungsrecht auch die Möglichkeit, sich gegen Meinungen und Verhaltensweisen anderer in der Öffentlichkeit zu wehren beziehungsweise um Gegenpositionen darzustellen. Ausgehend von der Situation der vermehrten Verbreitung rechten Gedankengutes, unter anderem wegen der zahlreich durchgeführten Demonstrationen und der damit unvermeidlichen, stän­digen Öffentlichkeitspräsenz solcher Gruppierungen, steht grundsätzlich jedem offen, durch freie Meinungsäußerung, auch und vor allem im Kollektiv mit ande­ren, seine eigene Auffassung entgegenzuhalten.

Um dieses in der Ranghierarchie der Grund- und Menschenrechte sehr bedeut­same und für ein funktionierendes demokratisches Rechtssystem notwendige Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen zu können, ist es er­forderlich, dass der verfassungsrechtliche Schutzbereich der Grundrechtsnorm, wie er im Artikel 8 GG formuliert ist und durch die Rechtsprechung näher be­stimmt wurde, eröffnet ist.

2.2 Schutzbereich der Versammlungsfreiheit

2.2.1 Versammlungsbegriff

Zentraler Begriff des Artikels 8 GG und erste Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereiches der Versammlungsfreiheit ist das Vorliegen einer Versamm­lung. Im Grundgesetz ist jedoch keine Definition dieses Begriffs vorgenommen worden. In der Rechtsprechung und Literatur haben sich die unterschiedlichsten Auffassungen herausgebildet. Verfassungsrechtlich interpretiert ist eine Ver­sammlung eine Mehrheit von Personen[4], die für kürzere Dauer zu einem gemeinsamen, die Personenmehrheit verbindenden, Zweck zusammengekommen sind. Artikel 8 GG erfasst sowohl öffentliche als auch nicht öffentliche Ver­sammlungen sowie Versammlungen in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes ist enger gefasst als der verfassungsrechtliche. Dieser beschränkt sich auf eine Mehrheit natürlicher Personen, die zusammengekommen sind, um gemeinsam in öffentlicher Angele­genheit eine Diskussion zu führen bzw. eine Meinung kundzutun, schließt also nichtöffentliche Versammlungen aus und beschränkt den Zweck. Das Bundesver­fassungsgericht geht in der Brokdorf-Entscheidung bei Versammlungen nicht nur von Veranstaltungen, auf denen argumentiert und gestritten wird aus, sondern schließt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen mit ein. Es gehören auch solche mit Demonstrationscharakter dazu, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder Aufsehen erregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird.[5] Dabei versteht das Bundesverfassungsgericht Demonstrationen als eine „gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen ... im eigentlichen Sinne des Worts Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen“[6]. Eine Versammlung mit demonstrativem Charakter ist somit als eine Sonderform der Versammlung zu verstehen und im verfassungsrechtlichen Sinn einer Versammlung gleichgestellt.

Die Frage nach einem einheitlich definierten Versammlungsbegriff kann aller­dings offen bleiben, da es sich bei den Versammlungen im Ausgangsfall sowohl um öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel als auch um politische De­monstrationen handelt und somit sowohl vom verfassungsrechtlichen als auch vom versammlungsgesetzlichen Begriff alle Kriterien erfüllt werden und alle Streitpunkte der unterschiedlichen Auffassungen bezüglich des Versammlungs­begriffs im Ausgangsfall nicht zum tragen kommen.

Wird die Gegendemonstration zur menschlichen Blockade der Ausgangsveran­staltung, so wird dies als symbolischer Ausdruck und somit als gesteigerter Pro­test gegen die rechtsradikale Versammlung auszulegen sein. Diese Aktion als Kundbarmachung kollektiver Meinungsäußerung versteht sich folglich ebenfalls als Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Bei der Gegende­monstration handelt es sich somit zweifellos um eine Versammlung, welche sich dem Hilfsmittel der Blockade bedient.

2.2.2 Bürgerrecht

Verfassungsrechtlich hat jeder Deutsche das Recht sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln.[7] Der Rechtssystematik folgend ist das Versammlungsrecht ein subjektiv-öffentliches Recht für Deutsche im Sinne des Artikel 116 GG; ein so genanntes Bürgerrecht. Aber auch Nicht-Deutschen ist über den Artikel 2 Absatz 1 GG als Auffanggrundrecht i.V.m. Artikel 11 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheit das Versammlungsrecht als unmit­telbar geltendes Recht garantiert. Allerdings ist Artikel 2 leichter einschränkbar als die speziellen Bürgerrechte. Darüber hinaus ist in einigen Länderverfassungen, wie beispielsweise in Sachsen[8], das Versammlungsrecht als Menschenrecht garan­tiert. Zudem gewährleistet § 1 VersammlG „jedermann“ das Recht öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten bzw. daran teilzunehmen. Für das grundsätzliche verfassungsrechtliche Recht der Ausübung der Versammlungsfrei­heit spielt es zunächst keine Rolle, welcher Nationalität die Gegendemonstranten sind. Erst bei der Möglichkeit der Beschränkung dieses Grundrechts könnte es von Bedeutung werden. Da allerdings der Ausgangsfall von demonstrierenden Bürgern ausgeht, kann diese Fallgestaltung hier außen vor bleiben.

Bei rechtsradikalen Versammlungen, aber auch bei Gegendemonstrationen, treten häufig Parteien, Verbände oder dergleichen als Veranstalter auf. Sich auf Grund­rechte berufen zu können ist primär aber nur für natürliche Personen vorgesehen. Über den Artikel 19 Absatz 3 GG gelten die Grundrechte jedoch auch für inländi­sche juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Entsprechend der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind juristische Per­sonen nur dann als Grundrechtsträger einzustufen, wenn diese ein „personales Substrat“ erkennen lassen, ihre Bildung und Betätigung also „Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist, insbesondere wenn der ,Durchgriff’ auf die hinter ihnen stehenden Menschen es sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt“[9]. Wenn den inländischen juristischen Personen durch das Grundgesetz eine Berufung auf die Grundrechte möglich ist, so muss erst recht Vereinigungen natürlicher Personen, welche ein personales Substrat in sich ber­gen, ein Grundrechtsschutz gewährleistet sein.

2.2.3 Friedlichkeit und Waffenlosigkeit

Vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erfasst sind nur friedliche Ver­sammlungen sowie die Teilnahme ohne Waffen, wobei das Friedlichkeitsgebot als Parallelbestimmung zum Waffenverbot gesehen werden kann. Eine Definition von Friedlichkeit ist mithin ziemlich schwierig realisierbar, so hat sich in der Rechtsprechung und der Literatur die negative Herleitung, über die Unfriedlich­keit, gefestigt. Als unfriedlich ist eine Versammlung einzustufen, die einen ge­walttätigen oder aufrührerischen Verlauf (gegen Personen oder Sachen) an­nimmt[10], was jeweils im Einzelfall abgewogen werden muss. Weder ihr Zweck noch ihr Verlauf darf die Begehung von Straftaten mit sich bringen.[11] In der Rechtsprechung umstritten sind jedoch die Situation bzw. die Aktion der Blo­ckade und die Interpretation der Friedlichkeit. Die Frage ist, ob Blockaden bereits deshalb aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit herausfallen, weil ih­nen eine mit dem Mittel der Gewalt begangene Nötigung zur Last gelegt wird. In den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu Sitzblockaden[12] hat sich in den letzen Jahren die Auffassung gestärkt, dass der verfassungsrechtliche Begriff der Unfriedlichkeit nicht mit dem von der Rechtsprechung entwickelten weiten Ge­waltbegriff des Strafrechts gleichgesetzt werden kann. „Dagegen spricht bereits, dass die Verfassung die Unfriedlichkeit in gleicher Weise wie das Mitführen von Waffen bewertet, also ersichtlich äußerliche Handlungen von einiger Gefährlich­keit wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen meint und die Anwendbarkeit des Grundrechts nicht davon abhängig macht, ob eine Behinderung Dritter gewollt ist oder nur in Kauf genommen wird. Jedenfalls besteht angesichts der weiten Fassung des Gesetzesvorbehalts in Ab­satz 2 des Artikel 8 GG keine Notwendigkeit, den Begriff der Friedlichkeit eng zu verstehen und damit den Geltungsbereich der Grundrechtsgewährleistung von vornherein derart einzuschränken, dass der Gesetzesvorbehalt weitgehend funk­tionslos wird.“[13] Solange sich folglich die Teilnehmer einer blockierenden Ver­sammlung lediglich auf zurückhaltenden bzw. passiven Widerstand beschränken und sich insoweit friedlich verhalten, fallen sie in den Schutzbereich der Ver­sammlungsfreiheit des Artikels 8 GG.[14] Somit lässt nicht schon jedes straf- und ordnungswidrige Verhalten eine Versammlung unfriedlich werden. Insofern neh­men sogenannte Blockaden oder auch Sitzblockaden eine Sonderstellung ein, weil nach herrschender Meinung nicht auf den weiten Gewaltbegriff im Strafrecht ab­zustellen ist. Ein passiver Widerstand macht eine Versammlung daher nicht schon gewalttätig und führt somit noch nicht zur Unfriedlichkeit. Gleichwohl ist es je­doch strittig, ob parallel dazu strafrechtliche Unzulässigkeit besteht (mehr dazu unter Punkt 5.1). Vielmehr muss für eine Unfriedlichkeit ein aktiver Widerstand vorliegen.

Darüber hinaus ist bei einer Unfriedlichkeit einzelner Teilnehmer nicht auf die Unfriedlichkeit der Versammlung als Ganzes zu schließen. Mit anderen Worten, ist kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, dann muss für den friedlichen Teilnehmer der Schutz des Artikels 8 Absatz 1 GG auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne Teilnehmer oder auch eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Eine Versammlung gilt erst dann als unfriedlich, wenn mehr als eine Minderheit der Teilnehmer, was nach Lage des Einzelfalls zu beurteilen ist, sich gewalttätig verhält.[15] Es ist somit zwischen echten Gegendemonstrationen, also solchen, die den Schutz der Versammlungsfreiheit genießen, und unechten Gegendemonstra­tionen, die selbst das Grundrecht des Artikels 8 GG nicht für sich beanspruchen können, zu unterscheiden.

Unter Waffenlosigkeit ist zu verstehen, dass nur die Teilnahme an Versamm­lungen ohne Waffen im Sinne des § 1 WaffG und ohne Gegenstände i. S. des § 2 Absatz 3 VersammlG grundrechtlich geschützt ist. Bei dem Mitführen solcher Waffen, wird der unfriedliche Charakter der Versammlung angenommen und in­diziert somit die Unfriedlichkeit.

2.2.4 Geschütztes Verhalten

Artikel 8 GG gewährleistet den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben.[16] Auch vorbereitende Maßnahmen der Veranstalter, wie das Recht auf Darstellung seiner Intention in der Öffentlichkeit sind verfassungsrechtlich geschützt.

2.3 Besonderheiten bezüglich der Ausgangssituation

2.3.1 Versammlungen rechtsradikaler Gruppierungen

Demonstrationen rechtsradikaler Gruppierungen zeichneten sich in der Vergan­genheit immer mehr durch ein gut durchorganisiertes, an militärische Aufmärsche erinnerndes, Verhalten der Teilnehmer und Veranstalter aus. Hinzu kommt, dass es sich bei derartigen Demonstrationen, wie auch in der Ausgangssituation ange­nommen, meist um Aufzüge, also um sich fortbewegende Versammlungen han­delt. Durch den damit stattfindenden Ortswechsel wird ein viel größerer Perso­nenkreis mit der demonstrativen Aussage konfrontiert und somit der Adressaten­kreis der Meinungskundgabe erweitert. Zudem verfolgen die Veranstalter und Teilnehmer solcher rechtsextremistischer Kundgebungen immer häufiger einen streng legalistischen Kurs, sie zeigen also nur solches Verhalten und solche Sym­bole, die noch oder gerade noch unterhalb der Schwelle des Verbotenen liegen.[17] Es ist daher nicht unrealistisch in der Folge von einer rechtmäßigen Versammlung einer rechtsradikalen Gruppierung als Ausgangsveranstaltung auszugehen und diese Rechtmäßigkeit als gegeben anzusehen.

2.3.2 Besonderheiten bei Gegendemonstrationen

Ein wichtiger Aspekt bei Gegendemonstrationen ist die Tatsache, dass eine solche nur solange sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann, wie Ziel ihrer Zweckverfolgung nicht die Verhinderung der Ausgangsveranstaltung ist. Einer der häufigsten Erscheinungsformen von Demonstrationen gegen rechtsextremisti­sche Versammlungen sind solche linksextremistischer bzw. autonomer Gruppie­rungen, deren einziges Ziel es ist, durch zumeist massive Gewalt zu versuchen die rechte Ausgangsveranstaltung zu verhindern bzw. zum Abbruch zu bringen. Hier­bei liegt eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor, einhergehend mit der Begehung schwerer Straftaten. Solche Erscheinungsformen sind zweifel­los als unfriedlich einzustufen und sind nicht vom Schutzbereich der Versamm­lungsfreiheit erfasst. Es ist folglich eine strikte Trennung zwischen friedlichen und unfriedlichen Gegendemonstrationen vorzunehmen. Aber auch hier besteht die Schwierigkeit darin zu definieren, wo eine Versammlung noch friedlich ist und ab wann sie unfriedlich wird. Mit anderen Worten, auch eine zunächst friedli­che Versammlung kann durch hinzutreten von Umständen zu einer unfriedlichen werden und somit den Grundrechtsschutz der Versammlungsfreiheit verlieren.

2.4 Zwischenfazit

Betrachtet man die Ausgangssituation, die rechtsradikale Versammlung und die ihr gegenüber stehenden Demonstration friedlicher Bürger (echte Gegende­monstration), stellt man fest, dass prinzipiell beide Seiten der kollektiven Meinungskundgabe verfassungsrechtlich geschützt sind. Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist sowohl für die rechtsradikale Ausgangsveranstaltung als auch für die ihr gegenüber stehende Gegendemonstration eröffnet, womit beide Seiten grundsätzlich den Schutz des Artikels 8 GG für sich in Anspruch nehmen können.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel ist im Artikel 8 GG jedoch nicht unbeschränkt. Es wird in der Folge zu prüfen sein, inwieweit es für die Gegendemonstration friedlicher Bürger Beschränkungen gibt bzw. wo die Grenze der Ausübung dieser Versammlungsfreiheit durch Gesetz gezogen wird oder auf Grund eines Gesetzes gezogen werden muss.

[...]


[1] BVerfGE 69, 315 (343)

[2] BVerGE 69, 315 (344f.)

[3] Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 157

[4] laut herrschender Meinung sind bereits zwei natürliche Personen ausreichend; vgl. auch Kniesel, NJW 2000, 2857

[5] BVerfGE 69, 315 (343)

[6] BVerfGE 69, 315 (345)

[7] Artikel 8 Absatz 1 GG

[8] vgl. Artikel 23 SächsVerf

[9] BVerfGE 68, 193 (205f.)

[10] BVerfGE 69, 315 (360)

[11] Weber, SächsVBl. 2002, 25 (26)

[12] BVerfGE 73, 206; BVerfGE 92, 1; BVerfGE 104, 92

[13] BVerfGE 73, 206 (248)

[14] BVerfGE 73, 206 (249)

[15] BVerfGE 69, 315 (361)

[16] BVerfGE 69, 315 (343)

[17] Wrocklage, Vorwort zu Bull, Grenzen des grundrechtlichen Schutzes für rechtsextremistische Demonstrationen

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Friedliche Bürger demonstrieren gegen rechtsradikale Versammlungen (so genannte Blockadeaktionen)
Hochschule
Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung Meißen  (Allgemeine Verwaltung)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
46
Katalognummer
V30533
ISBN (eBook)
9783638317788
Dateigröße
620 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedliche, Bürger, Versammlungen, Blockadeaktionen)
Arbeit zitieren
Uwe Pinkert (Autor:in), 2004, Friedliche Bürger demonstrieren gegen rechtsradikale Versammlungen (so genannte Blockadeaktionen), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30533

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