Flüchtlinge und der (illegale) Aufenthalt in der Bundesrepublik. Zur Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit medizinischer Grundversorgung für Menschen in Deutschland


Masterarbeit, 2015

62 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen

1. Einleitung

2. Flüchtling – Klärung und Definition eines Begriffs

3. Wandlung eines Begriffs: Vom Flüchtling zum Asylbewerber

4. Medizinische Versorgung von Flüchtlingen/Asylbewerbern in Deutschland

5. Das Asylbewerber-Leistungsgesetz und seine Leistungen

6. Entwicklung normativ-ethischer Maßstäbe zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen
a. Maßstab Nr. 1: Alle Menschen haben Würde, sind daher gleich zu achten und gleich zu behandeln
b. Maßstab Nr. 2: Gleichheit im Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für alle sich im Staatsgebiet aufhaltenden Menschen, ohne Repressalien
c. Maßstab Nr. 3: Bei jeglichen Beschwerden/Symptomen, die eine Erkrankung nicht ausschließen lassen, ist unmittelbar, d. h. so rasch wie möglich, ein Arzt zur Untersuchung und Einleitung ggfs. weiterer Diagnostik beizuziehen

7. Anwendung der definierten normativ-ethischen Maßstäbe auf die konkrete Situation

8. Lösungsvorschläge für Deutschland und Europa zur Verbesserung der ungenügenden medizinischen Versorgung von – insbesondere bestimmten Gruppen von – Flüchtlingen
a. Vorschlag Nr. 1: Ein Rechtsstatus für Flüchtlinge als Grundlage menschlicher Normalität im täglichen Leben in Deutschand und Europa
b. Vorschlag Nr. 2: Deutschland als reichster und wirtschaftlich stärkster Staat in Europas Mitte hat seine „splendid isolation“-Position bezüglich der Einreise von Flüchtlingen über einen „sicheren Drittstaat“ aufzugeben
c. Vorschlag Nr. 3: Deutschland- und Europa-weite Schaffung der Möglichkeit für Flüchtlinge zu arbeiten, Beiträge in Sozialversicherungen zu leisten sowie darüber Anerkennung und Selbstachtung (wieder) gewinnen zu können und letztlich eingebürgert zu werden
d. Vorschlag Nr. 4: Anpassung der Gesetze und Vorschriften

9. Fazit

10. Literatur

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes:

In der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der leichteren Lesbarkeit auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung von Personen verzichtet und die männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind damit im Sinne der Gleichbehandlung stets beide Geschlechter gemeint.

„Flüchtlinge leben in einer geteilten Welt, zwischen Ländern, in denen sie nicht leben können, und Ländern, die sie nicht betreten dürfen.“

Elie Wiesel (1997)

„Die Flüchtlinge leben im Schattenreich dieser Stadt. – Man sieht sie nicht sofort, weil sie sich verstecken. … sie tauchen kurz auf und sofort wieder ab; ein paar Minuten verbringen sie im Licht, nicht mehr. Migranten müssen so sein: unauffällig und brav, anonym und gehorsam, fleißig und still.“

Klaus Brinkbäumer (2006, S. 218)

1. Einleitung

„Flüchtling in Deutschland - Patient dritter Klasse“ war der Aufmacher des „Deutsches Ärzteblatt“ vom 28. März 2014. (Klinkhammer/Korzilius, 2014, S. 466-469). Der Kölner Diözesan-Caritasdirektor Dr. med. Frank Hensel wird in diesem Artikel mit der Aussage zitiert: „Das Asylbewerberleistungsgesetz hat so hochschwellige Barrieren in der gesundheitlichen Versorgung gesetzt, dass Krankheitsverläufe eher verschleppt werden und dann um so schwerer behandelt werden können.“ (Klinkhammer/Korzilius, 2014, S. B 468). Und er fährt in seiner Beschreibung fort, noch schlimmer seien Flüchtlinge dran, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Sie sind „… vom Zugang zur Gesundheitsversorgung so gut wie ausgeschlossen.“ (Korzilius, 2014, S. B 469).

Eine adäquate Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ist konfrontiert mit völlig unterschiedlichen Interessen der unmittelbar, aber auch mittelbar Beteiligten, die sich zum Teil gegenseitig aufheben, blockieren, zumindest aber drastisch beeinflussen. Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine staatliche Aufgabe und damit rechtlich geregelt. Dies beinhaltet viele zu berücksichtigende Einzelheiten, die jeweils interpretationsfähig sind. Die Gesundheitsversorgung der Menschen ist zum einen eine humane, individuelle, zum anderen aber eine speziell ärztliche Aufgabe. Weiter ist sie aber - zumindest in manchen Belangen - eine öffentliche Aufgabe. Dadurch wird sie politisch stets im bestehenden ökonomischen Umfeld betrachtet.

Durch die Katastrophe vom 3. Oktober 2013, als beim Untergang eines in der lybischen Stadt Misrata ausgelaufenen, mit etwa 545 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea beladenen Kutters vor der italienischen Insel Lampedusa nach Schätzungen etwa 390 Boots-Flüchtlinge aus Afrika ertranken sowie durch die kriegerische Eroberung großer Territorien in Syrien und im Irak durch die Gruppe „Islamischer Staat“ („IS“), mit menschenverachtender Brutalität und dem erklärten Ziel ein „Kalifat“ zu errichten, verschärfte sich in Deutschland und Europa die Wahrnehmung der Flüchtlingsprobleme. Inzwischen ist schon aufgrund der zahlenmäßigen Zunahme von Flüchtlingen seit gut einem Jahr dieses Thema politisch nicht mehr zu vernachlässigen.

Dass „es im medizinischen Alltag häufig zu Konflikten darüber kommt, wie sich Arzt und Patient in bestimmten Situationen verhalten sollen bzw. verhalten haben“ (Thiele, 2011, S. 13) ist eine Binsenweisheit. Grenzsituationen des menschlichen Lebens, wie Geburt, Krankheit, Leiden, Schmerz und Todesnähe werfen für jeden Menschen Fragen nach seiner Existenz, deren Sinnhaftigkeit sowie nach seiner selbstbestimmten Handlungsfähigkeit auf. Dabei ist zu beachten, dass Krankheit ein subjektives Empfinden im Sinne von Leiden ist: Der Kranke erlebt sich als krank. Dennoch hat seine Krankheit als ein „praktisches, überindividuell verständliches Phänomen“ (Gethmann, 2008, S. 46) in Erscheinung zu treten.

Die medizinische, medizinethische und medizinrechtliche Literatur beschäftigte sich umfangreich mit dem Arzt-Patienten-Verhältnis, welches sich in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zunehmend von der paternalistischen Expertendominanz des Arztes gelöst hat. Das Ungleichgewicht zwischen dem Experten Arzt und dem von ihm sowie dessen Kenntnissen abhängigen Patienten hat sich unter der Vorstellung der personellen Selbstbestimmung und Autonomie hin zu größtmöglicher Patientensouveränität entwickelt. Nach Thiele gilt: „Die Entscheidung über die Einleitung ärztlicher Maßnahmen soll nach verbreiteter Auffassung unter Medizinethikern und Medizinrechtlern vorwiegend oder sogar ausschließlich auf den Wünschen des Patienten beruhen.“ (Thiele, 2011, S. 13)

Zu einer möglichen Problematik des bilateralen Arzt-Patienten-Verhältnisses bei der ärztlichen Behandlung von Flüchtlingen, die aufgrund ihrer Sozialisation eventuell ganz andere Erwartungen an einen behandelnden Arzt hegen, treten die jeweiligen kulturellen Besonderheiten im Sinne von Moralvorstellungen, Überzeugungen und Prägung, die zu beachten sind.

Wenn es überhaupt zu einem Arzt-Patienten-Kontakt und zu dieser patientenseitigen Freiheit kommt. Der Zugang von Flüchtlingen zu ärztlicher Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland, die Möglichkeiten ärztlichen Handelns in Diagnostik und Therapie für Flüchtlinge sowie die Fragen der (Gleich-)Behandlung und allgemeinen gesundheitlichen Versorgung nach den Vorgaben der bundesdeutschen Sozialgesetzbücher stellt aufgrund vieler entgegenstehender oder gar konterkarierender Vorschriften ein Problem dar. Dies betrifft nicht allein die Individualversorgung einzelner Personen, die als Flüchtlinge in Deutschland direkt betroffen sind. Darüber hinaus sind mögliche Gefahren für die Bevölkerung in Deutschland zu bedenken, wenn z. B. Therapien oder präventiv-medizinisch Impfungen – besonders bei Kindern und Jugendlichen ausbleiben, oder Vorsorgeuntersuchungen nicht erfolgen. Der schlimmste denkbare Fall ist, dass z. B. die Ausbreitung einer Infektion nicht eingedämmt werden kann.

In der vorliegenden Arbeit wird eine Lösung dieser individuell menschlichen, gesellschaftlichen und genuin politischen Frage gesucht, die als Handlungsgrundlage vorgeschlagen wird. Ziel ist es, mit einem am antiken Verständnis von Wissenschaft: weniger kausal und empirisch orientiert, als wir heutzutage „Wissenschaft“ verstehen, sondern in einem empirischen Verständnis von Wissenschaft nach den jeweiligen Gründen des Handelns als „gut fundiert“ bzw. „wohl begründet“ zu fragen, um darauf aufbauend mit Hilfe von Handlungserklärungen und -bewertungen eine bessere, konfliktärmere, transparentere und letztlich gerechtere Organisation und Gestaltung der Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge in unserer deutschen Gesellschaft und korrespondierend in den Gesellschaften der gesamten Europäischen Union zu erzielen.

Im Sinne einer - in unserer Zeit immer stärker notwendigen Verständigung - von Medizin und Jurisprudenz wird letztere als praktische Wissenschaft betrachtet, die seit Menschengedenken der Bewertung menschlicher Handlungen dient. Die überwiegend somatisch orientierte Medizin hat diese Fähigkeit in ihrem heute dominierenden cartesianischen Weltbild weitgehend ausgeblendet. Aber eine in unserer Zeit als „wissenschaftlicher“ und damit „wahrer“ im Sinne von „zutreffender“ angenommene Kausalkette einer naturwissenschaftlich orientierten Betrachtung, kann zur Erklärung menschlichen Handelns nicht gelten, da das menschliche Zusammenleben und menschliches Handeln in dem vorgenannten nicht allein naturwissenschaftlich zu (er-)fassen sind, sondern zweifellos sowohl philosophische und moralische als auch rechtliche Anteile bei aller Individualität beinhalten und bei der Überlegung für Lösungen beachten muss.

2. Flüchtling – Klärung und Definition eines Begriffs

Laut Lexikon ist das Wort „Flüchtling“ ein „unscharfer Sammelbegriff“ für Personen, die „… durch politische (Zwangs-)Maßnahmen, Kriege und existenzgefährdende Notlagen veranlasst wurden, ihre Heimat vorübergehend oder auf Dauer zu verlassen. Dieser Begriff schließt neben Emigranten auch Vertriebene, Zwangsumgesiedelte, Deportierte und in fremde Gebiete verschleppte Zwangsarbeiter ein.“ (Das Lexikon mit dem Besten aus der Zeit in 20 Bänden, Hamburg, 2005, Band 4, S. 605/606)

Artikel 1 Absatz A des „Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951“, das im Sprachgebrauch als „Genfer Flüchtlingskonvention“ bezeichnet wird, definiert, dass „… der Ausdruck „Flüchtling“ auf jede Person Anwendung“ findet, die „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“ (UNHCR, 2014)

Nachvollziehbar einschränkend ist in der Genfer Flüchtlingskonvention festgehalten, dass die Bestimmungen dieses Abkommens keine Anwendung auf Personen findet, „in Bezug auf die aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit … begangen haben, … ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes …“ bzw. „… sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.“

Zur Gesundheitsversorgung wird in diesem Abkommen nicht explizit Stellung genommen. Im Kapitel IV „Wohlfahrt“ hält Artikel 23 fest: „Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren.“ - In Artikel 24 werden unter „Soziale Sicherheit“ unter anderem Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Alter und Tod sowie weitere Lebensrisiken erwähnt und beschrieben, dass die vertragsschließenden Staaten „… den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, dieselbe Behandlung gewähren wie ihren Staatsangehörigen … vorbehaltlich …“ einiger detaillierter beschriebener Ausnahmen.

Hier ist bereits die erste interpretationsfähige Hürde vorhanden, da von Flüchtlingen geschrieben ist, die sich „rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten“, also in dem jeweiligen Gebiet der GFK-Unterzeichnerstaaten.

Laut UNO-Flüchtlingshilfe befinden sich derzeit weltweit „… fast 51,2 Millionen Menschen auf der Flucht.“ (UNO Flüchtlingshilfe, 2015) Nach völkerrechtlicher Definition gelten 16,7 Millionen Menschen davon als Flüchtlinge im zuvor genannten Sinne. 86% der Flüchtlinge „… leben in Entwicklungsländern, da die meisten Flüchtlinge lediglich in ein angrenzendes Nachbarland fliehen.“ (UNO-Flüchtlingshilfe, 2015). Aktuell sind die „… größten Herkunftsländer von Flüchtlingen Afghanistan, Syrien, Somalia, Sudan, die Demokratische Republik Kongo, Myanmar und Irak …“ (UNO Flüchtlingshilfe, 2015).

Nach der Jura-Professorin Catherine Dauvergne, die sich mit dem rechtlichen Umgang der Staaten weltweit bezüglich Migration beschäftigt, wird die Zahl der Menschen weltweit, die sich illegal in einem Land aufhalten, auf ca. 50 Millionen geschätzt (Dauvergne, 2008, S. 12-14). Sie beschreibt ebenfalls im 4. Kapitel ihres Buches „Making People illegal“ unter der Überschrift „Making asylum illegal“ „… the decreasing availability of asylum in prosperous Western countries.“ (Dauvergne, 2008, S. 50) Nachfolgend beklagt sie, wie sich das internationale Flüchtlingsrecht verschränkt hat mit der weltweit zunehmenden Sorge um illegale Zuwanderung - „The vital theme here is how international refugee law has become intertwined with the global concern about illegal migration.“. Sie betont, dass Flüchtlinge keine illegalen Einwanderer sind. Und sie hält weiter fest, dass selbst wenn die Genfer Flüchtlingskonvention kein Recht ausweist, in ein anderes Land zu kommen, sie doch überwiegend so verstanden werde, dass sie es verbiete Asylsuchende („claimants“) von den Staatsgrenzen fernzuhalten und dass sie explizit verhindere, dass Staaten Flüchtlinge wegen illegaler Einreise bestrafen (Dauvergne, 2008, S. 50). Die zugrunde liegenden Motive seien sehr unterschiedlich. Dabei seien breite „… Kategorien von Flucht, Verfolgung und Vertreibung sowie Suche nach einer Verbesserung der ökonomischen, sozialen bzw. menschen- und sozialrechtlichen sowie individuellen Lage“ festzustellen. (Anderson, 2011, S. 174).

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte 2013 mit, dass seit dem Jahr 1953 3,5 Millionen Menschen einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben – rechnerisch 58 333/Jahr, davon mehr als 2,5 Millionen Menschen seit 1990. Zu lesen ist, dass 2013 mit 116 367 Asylanträgen der höchste Wert seit 1996 erreicht wurde (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, www.bamf.de, I, 1, 20.04.2014).

Der Presse war zu entnehmen, dass die Zahl der Asylanträge in Deutschland im laufenden Jahr 2014 „stark gestiegen“ sei. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2014 registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 77109 Anträge, fast genauso viele, wie im gesamten Jahr 2012. Für 2014 rechnet das Bundesinnenministerium mit 200 000 Anträgen, nachdem 127 023 Asylanträge im Jahr 2013 gestellt wurden (Rheinische Post, 19.06.2014, A 4). Bei den Herkunftsländern lag Syrien an erster Stelle, gefolgt von Eritrea und Serbien (Rheinische Post, 19.06.2014, A 4).

3. Wandlung eines Begriffs: Vom Flüchtling zum Asylbewerber

Im aktuellen Sprachgebrauch wird der Begriff „Flüchtlinge“ sehr vielfältig verwendet. Nicht immer schwingt dabei eine zuwendende Haltung mit. Geschichtlich waren Flüchtlinge lange als Personen anerkannt, die Hilfe und Unterstützung benötigten. Aber im 20. Jahrhundert änderte sich dies allmählich.

Hannah Arendt beschrieb die Lage von Flüchtlingen und sogenannter „displa-ced persons“ nach dem I. und II. Weltkrieg als geschichtliches Novum, da zu dieser Zeit selbst klassische Einwanderungsländer die Aufnahme von Flüchtlingen kontingentierten. So waren zahlreiche Menschen von der Möglichkeit der Einwanderung ausgeschlossen. (Arendt, 1949, S. 756-757) Gleiches gilt bis heute.

Flucht war und ist nicht nur weiterhin, sondern mehr denn je ein ständiges und drängendes Phänomen in der Menschheitsgeschichte. Die Aufnahme von Flüchtlingen, die Hilfe bei Verletzungen, Hunger oder auch zur Eingliederung in das neue Umfeld benötigten, war ein gängiges Verhalten der meisten Menschen. Dass heute etwa 50 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, zeigt, dass immer mehr Menschen einen Ausweg aus ihrer aktuellen bedrängenden Lebenssituation nur im Verlassen ihrer Heimat, ihres Landes sehen. Wohlhabende Staaten reagieren bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen inzwischen sehr restriktiv. Was bleibt von der Feststellung: „Zuflucht ist ein Menschenrecht. [?] Dieses scheinen vor allem Länder einzulösen, die selbst zu den armen Staaten gehören. Von den weltweit rund 43 Millionen Menschen auf der Flucht werden 80 Prozent in benachbarten Ländern aufgenommen.“ (www.caritas-international.de, 06.08.2014)

Das bundesdeutsche Asylrecht war 1949 in Anbetracht der aus den menschenverachtenden und menschenvernichtenden Schrecken des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren für die Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden. Im Grundgesetz wurde daher in Artikel 16 a ganz einfach formuliert: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ (Grundgesetz, 2015). Eine direkte Verbindung zwischen selbst erlebten Traumata durch Flucht und besonderem Engagement für die Schaffung eines Asylrechts mit Verfassungsrang ist aber bei den maßgeblichen Protagonisten des Grundgesetzes nicht zu belegen. (Tiedemann, 2009, S. 162)

Dies entsprach dem damals herrschenden Weltbild der wieder gewonnenen und neuen Freiheit. Ebenso passte es zum demokratischen Freiheitsgedanken der Weltmacht Vereinigte Staaten von Amerika, die nach dem II. Weltkrieg in Konfrontation mit dem Totalitarismus der den sogenannten Ostblock dominierenden Sowjetunion, des einstigen Alliierten, geriet.

Bis in die frühen 70er Jahre kamen die meisten Flüchtlinge in die Bundesrepublik als politisches Asyl Suchende aus diesem „Ostblock“. Diese Flüchtlinge wurden ganz selbstverständlich selbst dann in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen, wenn ihr Asylverfahren rechtskräftig abgelehnt worden war. Eine Abschiebung dieser Menschen erfolgte nicht.

Inzwischen wird - verwaltungstechnisch - unterschieden zwischen Flüchtlingen, je nach der Art ihres (Aufenthalts-)Status. Wer als Flüchtling in die Bundesrepublik Deutschland kommt, muss einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellen. Laut dem Flyer „Ablauf des deutschen Asylverfahrens“, herausgegeben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Stand Juli 2014, (BAMF, 2014, S. 4) wird jeder Schutzsuchende/Flüchtling als „Asylbewerber“ über seine Rechte und Pflichten im Asylverfahren aufgeklärt. Die Informationen erhält der Betreffende auch schriftlich in seiner Sprache. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge legt eine elektronische Akte an und erfasst die persönlichen Daten. Alle Antragsteller, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, werden fotografiert und es werden ihnen Fingerabdrücke abgenommen im Sinne einer erkennungsdienstlichen Behandlung. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geben diese “Maßnahmen … Aufschluss darüber, ob sich der Asylbewerber bereits zu einem früheren Zeitpunkt – eventuell unter anderem Namen – in Deutschland aufgehalten hat oder ob ein anderer europäischer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein könnte.“ BAMF, 2014, S. 4) Bei Stellung eines Asylantrages wird dem Antragsteller ein Ausweisdokument, die „Aufenthaltsgestattung“ ausgestellt. Diese muss der betreffende Mensch stets bei sich tragen und bei Personenkontrollen der Polizei vorlegen (BAMF, 2014, S. 4).

Jeder, der „… das Anliegen einen Asylantrag zu stellen“ äußert, wird „… an die nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung des jeweiligen Bundeslandes verwiesen (BAMF, 2014, S. 3). Die Erstverteilung erfolgt auf der Grundlage der Herkunftsländerzuständigkeit und eines Quotensystems, des sogenannten „„Königsteiner Schlüssels“, der eine Verteilung auf alle Bundesländer vorsieht.“ (BAMF, 2014, S. 3) Für die Stellung des Asylantrags, was nur persönlich bei einer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge möglich ist, wird ein Sprachmittler hinzugezogen.

Durch das Stellen eines Asylantrages wird auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) Folgendes beantragt:

1) Internationaler Schutz - § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG
2) Flüchtlingsschutz - § 3 Abs. 1 AsylVfG
3) Subsidiärer Schutz - § 4 Abs. 1 AsylVfG und
4) Asylberechtigung - Art. 16 a Abs. 1 GG

Kommen diese Zuerkennungen und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht in Betracht, entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ob Abschiebungsverbote vorliegen gemäß § 60 AufenthG. Seit dem 1. Januar 2014 ist die Dublin-Verordnung in 3. Fassung als Fortführung des Dubliner Übereinkommens aus dem Jahr 1990 in Kraft. Darin ist festgelegt, dass jeder im „Dublin-Raum“ gestellte Asylantrag „inhaltlich nur durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union sowie Norwegen, Island, der Schweiz oder Liechtenstein geprüft wird.“ Es handelt sich um ein Zuständigkeitsverfahren vor der eigentlichen Prüfung des Asylantrags. (BAMF, 2014, S. 5/6)

Ist Deutschland für die Prüfung des Asylverfahrens zuständig, wird der Asylbewerber von einem Entscheider, das ist ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), persönlich zu seinen Fluchtgründen angehört. Diese Anhörung ist grundsätzlich nicht öffentlich. Beteiligt sind der Antragsteller, sein Verfahrensbevollmächtigter - ein Rechtsanwalt oder auch Vormund – und der Entscheider. Ein Dolmetscher ist als Sprachmittler geladen. Auf Wunsch kann der Asylbewerber einen Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats = UNHCR an seiner Anhörung teilnehmen lassen. In der Anhörung muss der Antragsteller seine Fluchtgründe schildern, d. h. alle Tatsachen vortragen, die seine Flucht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen - § 25 AsylVfG. Als „ernsthafter Schaden“ sind diesbezüglich folgende Dinge definiert:

1) Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts.

Darüber hinaus muss der Asylbewerber alle sonstigen Tatsachen angeben, die einer Rückkehr in sein Heimatland entgegenstehen. (BAMF, 2014, S. 7)

Zusätzlich gilt, dass als Asylberechtigter nicht anerkannt wird, „… wer über einen „sicheren Drittstaat“ in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Als „siche-re Drittstaaten“ bestimmt das AsylVfG die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz (BAMF, 2014, S. 9). - Zusätzlich gibt es den Begriff: „sichere Herkunftsstaaten“, dies sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie Ghana und Senegal. (BAMF, 2014, S. 14)

Sprachlich fällt hierbei auf, dass gar nicht mehr von „Flüchtlingen“ die Rede ist, sondern ausschließlich der Begriff „Asylbewerber“ verwendet wird. Es stellt sich die Frage, warum der in Deutschland und Europa sozialisationsbedingt positiv besetzte Begriff „Flüchtling“ ersetzt wurde. „Asyl“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Zufluchtsort“. Nicht zuletzt durch das Schauspiel „Nachtasyl“ von Maxim Gorki, welches ein russisches Elendsquartier als Handlungsort hat, erfuhr der Begriff eine negative Konnotierung.

Liegen bei dem Asylbewerber formal keine Voraussetzungen für alle möglichen Schutzarten:

1) Flüchtling,
2) Asylberechtigung,
3) subsidiärer Schutz

vor und auch keine Abschiebungsverbote, so erhält der Asylantragsteller einen ablehnenden Bescheid mit Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Da-durch ist er verpflichtet auszureisen.

Aber im individuellen menschlichen Leben findet diese staatliche Vorgabe nicht immer den gesetzlich gewünschten Widerhall. So gibt es laut Schätzungen von 2008 allein in Deutschland zwischen minimal 196 000 und maximal 457 000 illegalen Flüchtlingen. Für die Europäische Union bewegen sich entsprechende Schätzungen zwischen minimal 1 900 000 und maximal 3 800 000 illegalen Flüchtlingen, die auch als „illegal aufhältige Drittstaatsangehörige“ bezeichnet werden. (wikipedia, Illegale Einwanderung, 01.02.2015)

Flüchtlinge vegetieren oft im Niemandsland von Flüchtlingslagern. „Menschen ohne Papiere“, also Menschen ohne Asylantrag und ohne Aufenthaltsstatus, existieren in immerwährender Furcht vor ihrer Entdeckung in Fremdstaaten quasi ausgeschlossen aus der Menschenwelt.

„Flüchtlinge sind nicht beliebt, nirgendwo auf der Welt, Flüchtlinge bringen Ärger und kein Geld. Flüchtlinge sind lästig, Regierungen wollen wenig mit Flüchtlingen zu tun haben, da Migration eines der Themen ist, bei denen Regierungen nur verlieren können.“ schreibt Klaus Brinkbäumer in seinem Buch „Der Traum vom Leben – Eine afrikanische Odyssee“ (Brinkbäumer, 2008, S. 185). Dabei werden Umstände, Hintergründe und Fakten von Flüchtlingen afrikanischen Ursprungs, die nach Europa aufbrechen, detailliert geschildert. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Menschen, die sich auf diesen Weg machen, die alles, was sie haben und lieben, hinter sich lassen, die jungen und starken sind. „Kluge Leute sind die meisten, Elektroingenieure, Ärzte, Lehrer, gebildet, witzig, arbeitslos und arm, darum versuchen sie zu gehen.“ (Brinkbäumer, 2008, S. 171). Dargelegt wird: „Wenn man auf der Suche ist nach den Gründen für die Massenflucht aus Afrika, wenn man wissen will, warum diese Menschen so viel riskieren, warum sie ihre Heimat und ihre Familien verlassen, dann landet man hier beim nüchternsten aller Motive. Es ist das Kalkül: Zu Hause ist das Leben schwer, in der Ferne müsste es leichter sein. Es ist ganz simpel, aber reicht diese Hoffnung nicht als Grund? „Globalisierung“ heißt ja auch, dass in Afrika die Verlockungen der industrialisierten Welt ständig präsent sind: als importierte Konsumgüter oder als Verheißungen über Fernsehen und Internet. Da viele Afrikaner längst ahnen oder wissen, dass es für ihre Staaten illusorisch sein wird, jemals den Lebensstandard Westeuropas zu erreichen, ziehen sie die Konsequenz, sich auf den Weg nach Westeuropa zu machen. Ist das nicht menschlich? Migrationsforscher sagen, dass Auswanderung immer mit „Druck“ und „Zug“ und meistens mit einer Kombination aus beidem zu tun habe – die lausigen Bedingungen drückten die Menschen fort, und die attraktiven Bedingungen in der Ferne zögen sie an. Aus diesen Gründen sind ja auch Deutsche, Iren, Italiener einst nach Amerika ausgewandert.“ (Brinkbäumer, 2008, S. 56/57)

Relativiert dies den Begriff „Flüchtling“? Wovor jemand floh war in früheren Zeiten für die Erlangung von Hilfe nicht so wesentlich. Die Tatsache, dass der Betreffende alles Bisherige aufgab und seine Heimat verließ, um sein (nacktes) Leben zu retten, war vielfach Grund genug, einen Flüchtling aufzunehmen. Das hieß aber nicht, dass ihm paradiesische Verhältnisse geboten wurden. Aber Existenzsicherheit durften Flüchtlinge erwarten. Das (Schimpf-)Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“ gab es damals noch nicht.

Nach, initial ab den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, großem Interesse der deutschen Unternehmensleiter an Produktivkräften die als „Gastarbeiter“, über im jeweils in Klammern angegebenen Jahr geschlossene Anwerbeabkommen nach Deutschland kamen, vor allem aus Italien (1955), Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968), führte die „Ölkrise“, das Ölembargo der OPEC-Staaten, 1973 zu einem deutschen Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer.

Etwa ab den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts kamen die Worte „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder auch „Scheinasylanten“ politisch polemisch verwendet auf, womit eine negative Konnotierung im Sinne einer Kriminalisierung erreicht werden sollte und wurde. Der erweiterte Begriff impliziert, dass „Wirtschaftsflüchtlinge“ von „echten Flüchtlingen“ klar abzugrenzen sind. Dies ist de facto nicht möglich. – De iure sind „Wirtschaftsflüchtlinge“ keine Flüchtlinge im Sinne des UNHCR und haben so in der Regel kein Recht auf Asyl.

Der Vertriebene, KZ-Überlebende, Flüchtling, Auswanderer in die USA, Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger von 1986 Elie Wiesel sagt als Betroffener treffend: „Ihr sollt wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“ (Wiesel, 1997). Damit spricht er die - gedankliche - Kriminalisierung von Menschen an, die neben dem Attribut „illegal“ durch die ebenfalls inzwischen verwendeten Begriffe „Armutseinwanderung“, „Sozialtourismus“ und „Freizügigkeitsmissbrauch“ ausgelöst wird. Mit diesen Begriffen wird schon sprachlich nahe gelegt, dass die Ankommenden, den deutschen Staat oder die deutsche Gesellschaft belügen, betrügen und ausnutzen wollen. Gute, lebenserhaltende bzw. lebensrettende Gründe für eine Flucht werden so abgesprochen.

Aufgrund der Ausweitung und gleichzeitigen Vernebelung des Begriffs „Flüchtling“, sind inzwischen unterschiedliche Flüchtlingsgruppen zu unterscheiden, selbst wenn nicht in jedem Einzelfall eine zweifelsfrei korrekte Zuordnung de facto und/oder de iure möglich ist. Aktuell sind in der Bundesrepublik Deutschland durch ihren (Anerkennungs-)Status vier verschiedene Gruppen von Flüchtlingen zu differenzieren:

a) Anerkannte Flüchtlinge
b) Asylbewerber = Flüchtlinge mit laufendem Asylantragsverfahren
c) Abgelehnte Asylbewerber, die sich formaljuristisch „illegal“ in der Bundesrepublik aufhalten oder geduldet werden
d) Flüchtlinge, die kein Asylbewerberverfahren durchlaufen haben und somit „illegal“ in der Bundesrepublik leben: Menschen ohne Papiere

a) Anerkannte Flüchtlinge sind als solche im Rahmen des Asylbewerberverfahrens anerkannt worden. Sie haben ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik, zunächst für drei Jahre und weit gehende soziale Rechte. Nach Ablauf der drei Jahre entscheidet sich, ob sie dauerhaft bleiben dürfen. Diese Menschen dürfen arbeiten, können krankenversichert werden vom Arbeitgeber, ggf. sich bei entsprechenden Voraussetzungen auch privat krankenversichern. Hier ergeben sich keine - flüchtlingsbedingten - Probleme bzgl. der medizinischen Versorgung. - Aber es gibt in der zu beobachtenden Entwicklung eine Gruppe von vornehmlich osteuropäischen Flüchtlingen, die zwar als solche anerkannt sind, aber dennoch ohne Arbeit und ohne Krankenversicherung in der Bundesrepublik leben. Das bedeutet, dass hier für die gesundheitliche Versorgung wesentlich sein kann, die Unterscheidung ob der anerkannte Flüchtling krankenversichert ist oder nicht. - Der Anteil der Asylantragsteller, die Schutz nach Artikel 16 Grundgesetz erhalten, lag in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich bei knapp 2%, etwa 12% wurden als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention eingestuft.
b) Asylbewerber sind Menschen auf der Flucht, die in der Bundesrepublik Deutschland angekommen sind, einen Asylantrag gestellt haben und auf den Ausgang des Verfahrens warten. Die Entscheidung über einen Asylantrag dauert nach Angaben des Ministeriums BAMF zwischen 12 und 24 Monaten. Dabei ist zu bedenken, dass in etwa 25% dieser Fälle die Asylanträge nicht inhaltlich geprüft werden, da ein anderer europäischer Staat dafür zuständig ist.
c) Abgelehnte Asylbewerber, die sich illegal in der Bundesrepublik aufhalten oder geduldet werden: Dabei handelt es sich um Menschen, die nicht die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen, aber dennoch als schutzbedürftig eingestuft werden und Abschiebungsschutz nach § 60 (2-7) AufenthG oder einen so genannten ergänzenden Schutz genießen. Oder es sind Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die zur Ausreise aufgefordert wurden, die aber dieser Aufforderung, die Bundesrepublik zu verlassen, nicht nachgekommen sind. - In den ersten beiden Fällen des geduldeten Aufenthalts wird ggf. ein befristetes Bleiberecht mit eingeschränkten sozialen Rechten erteilt. Dieser Anteil an BAMF-Entscheidungen liegt seit dem Jahr 2000 stabil bei ca. 2%. (www.proasyl.de, 24.02.2015)
d) Daneben gibt es Menschen, die in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und – aus welchen Gründen auch immer – einfach bleiben, ohne einen Asylantrag zu stellen. Sie haben keine rechtliche Grundlage für ein Leben und erst recht nicht zum Arbeiten in der Bundesrepublik, so dass sie rasch spürbar und damit - durch jeden, der dies von ihnen erfährt – erpressbar in der Rechtlosigkeit ihrer „Illegalität“ ohne Aufenthaltsstatus leben. Diese kann mit der resultierenden Angst davor, entdeckt und ausgewiesen zu werden, am ehesten mit dem historischen Begriff „vogelfrei“ verglichen werden. Da diese Menschen ohne Papiere verwaltungsrechtlich in der Bundesrepublik nicht existieren, sie keinen (Aufenthalts-)Status und keine Rechte haben, sind sie von allen Seiten angreifbar und in jeder Form verletzlich.

Die letztgenannte Personengruppe und diejenigen der davor genannten Grup-pe, die die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen haben, sind sogenannte „Menschen ohne Papiere“. Für sie fehlt jegliche - offizielle - Gesundheitsversorgung, da sie bei jeder Vorstellung im Krankenhaus oder einer Ambulanz mit einer behördlichen Meldung durch Nicht-Ärzte entsprechend § 87 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und daraus resultierender Abschiebung rechnen müssen.

§ 87 AufenthG „Übermittlungen an Ausländerbehörden“ lautet:

„(1) Öffentliche Stellen mit Ausnahme von Schulen sowie Bildungseinrichtungen haben bekannt gewordene Umstände den in § 86 Satz 1 genannten Stellen auf Ersuchen mitzuteilen, soweit dies für die dort genannten Zwecke erforderlich ist.

(2) Öffentliche Stellen im Sinne von Absatz 1 haben unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben Kenntnis erlangen von

1. dem Aufenthalt eines Ausländers, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
2. dem Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung,
3. einem sonstigen Ausweisungsgrund oder
4. konkreten Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Voraussetzungen für ein behördliches Anfechtungsrecht nach § 1600 Abs 1 Nr. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorliegen;

in den Fällen der Nummern 1 und 2 und sonstiger nach diesem Gesetz strafbarer Handlungen kann statt der Ausländerbehörde die zuständige Polizeibehörde unterrichtet werden …“ (Aufenthaltsgesetz, dejure.org, 14.01.2015)

In einer Information für Ärzte vom Jahr 2013 weist die Bundesärztekammer ausdrücklich darauf hin, dass diese Meldepflicht nicht für Ärztinnen und Ärzte, Arztpraxen oder medizinische Einrichtungen in freier Trägerschaft gilt. Diese sind danach nicht zur Datenübermittlung verpflichtet, sondern ausschließlich öffentliche Stellen (Bundesärztekammer, 2013).

Dies entspricht der im Oktober 1998 in Ottawa/Kanada vom Weltärztebund verabschiedeten Deklaration zur Medizinischen Versorgung von Flüchtlingen. In deren Abschnitt 1. heißt es, dass: „Ärzte die Pflicht haben, einem Patienten unabhängig von seinem Status die notwendige Versorgung zukommen zu lassen und Regierungen dürfen weder das Recht des Patienten auf medizinische Behandlung, noch die Pflicht des Arztes zu helfen, einschränken …“ (Weltärztebund, 50. Generalversammlung, Ottawa/Kanada, 1998) - De facto und de jure sind ausschließlich im öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) tätige Ärzte zur Meldung angehalten. Diesbezüglich herrscht aber große Unsicherheit und Unkenntnis bei vielen Kollegen.

Das „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“, kurz: Aufenthaltsgesetz, ist ein Bundesgesetz. § 1 bestimmt als „Zweck des Gesetzes“: „Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bunderepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet die Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern. Die Regelungen in anderen Gesetzen bleiben unberührt.“ (Aufenthaltsgesetz, 2013).

Das Aufenthaltsgesetz, früher „Ausländergesetz“, sowie die immer restriktiveren Verschärfungen des deutschen Asylrechts seit 1993 verdeutlichen, dass den deutschen Gesetzgebern verwaltungsbedingte Erfassung und Kontrolle von Personen offenkundig wichtiger sind, als die tragfähige Gewährleistung humanitärer Hilfe. Das Asylverfahrensgesetz (AsylVerfG) regelt das entsprechende Verwaltungsverfahren. - Aufgrund unterschiedlicher Verfahrensweisen in der Fassung von 2008 wurde 2009 eine „Erläuterung zu ausgewählten Vorschriften aus der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 18.09.2009“ erforderlich. Damit sollten „bindende Maßstäbe für die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe und bestehender Ermessensspielräume festgelegt“ werden (Erläuterung zu ausgewählten Vorschriften aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, 2009, S. 1).

Bei ärztlichen Behandlungen im deutschen Gesundheitssystem wird - außer im akuten Notfall bei hilflos aufgefundenen, nicht ansprechbaren oder anderweitig schwer beeinträchtigten, auskunftsunfähigen Patienten! - sehr rasch, wenn nicht sogar primär - die Kostenübernahme geklärt. So wird - häufig zuerst! - nach der Krankenversicherung gefragt: gesetzlich oder privat. Das bedeutet, dass jeder sich in einer Praxis oder Krankenhausambulanz zur ärztlichen Behandlung Vorstellende zunächst seine Krankenversicherungskarte zeigen muss. Kann keine solche vorgelegt werden, wie bei Flüchtlingen oder Menschen ohne Papiere, sogenannten „personnes sans papiers“, wird aufgrund dessen die weitest mögliche Vermeidung von Arztbesuchen durch diese Personen zur entsprechenden Strategie. Es resultiert eine - vom Gesetzgeber provozierte - Arzt-Vermeidungsstrategie bei „illegalen Flüchtlingen“, um nicht aufzufallen bzw. entdeckt zu werden. Aufgrund der permanente Angst verursachenden und stetigen Stress bedingenden Tatsache, dass die betroffenen Flüchtlin-ge ständig ihre Entdeckung, behördliche Meldung und resultierende Abschiebung befürchten müssen, ist weder eine qualifizierte Gesundheitsversorgung der betroffenen Menschen medizinisch zu gewährleisten, noch die Wahrung der öffentlichen Gesundheit als erforderliche Prävention vor Krankheitsrisiken für die bundesdeutsche Gesamtgesellschaft.

Wesentlich ist, und das spricht sich natürlich bei Betroffenen herum - dass der zitierte § 87 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sämtliche öffentlichen Stellen in Deutschland dazu verpflichtet, bisher nicht gemeldete Personen den Behörden anzuzeigen. Das ist einmalig in Europa! Daraus entwickelt sich im weiteren Verfahrensablauf die Abschiebung in den Ursprungsstaat - vom deutschen Gesetzgeber gewollt.

4. Medizinische Versorgung von Flüchtlingen/Asylbewerbern in Deutschland

Es gibt kein verbrieftes „Recht auf Gesundheit“ im Sinne eines Menschenrechtes, da die individuelle Gesundheit eines jeden Menschen von sehr vielen - genetischen, biologischen, persönlichen und nicht zuletzt sozialen (!) - Faktoren abhängt. Dieser individualitätsbedingten Vielfalt kann nur entsprochen werden mit einer medizinisch-anthropologischen Betrachtung des ganzen Menschen. Gemäß Nomenklatur des internationalen Gesundheitswesens der World Health Organisation (WHO) wird die Beschreibung von Gesundheit bzw. Krankheit gefordert gemäß dem bio-psycho-sozialen Modell der ICF, der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (WHO, 2001; deutsche Übersetzung, 2005, S. 12 - 20) mit notwendiger Betrachtung von Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Teilhabe, Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren als sogenannten Kontext-Faktoren (WHO, 2001; deutsche Übersetzung, 2005, S. 21 – 29). Dies entspricht einer positiven Beschreibung von erhaltenen Fähigkeiten, die sich von der negativen Auflistung der Diagnosen nach ICD-Klassifikation, der International Classification of Diseases, deutlich abhebt.

Diese Beschreibung der Fähigkeiten eines Menschen entspricht einem deutlich weiter reichenden, medizinisch-anthropologischen Menschenbild, und erlaubt eine umfassendere Beschreibung von Gesundheit oder Krankheit, als sie heutzutage im vielfach imponierenden cartesianisch-mechanistischen Bild vom Menschen als „Maschine“ vertreten wird. Der Mensch als körperliches und geistiges Wesen ist keinesfalls einer Maschine vergleichbar, deren Fehler repariert, Ausfälle behoben und der Ersatzteile eingesetzt werden können, oder die ggf. einfach durch ein neues Modell ersetzt wird. Eine aus diesem Menschenbild resultierende Vorstellung führt zu der irrigen, wenn auch verbreiteten Vorstellung, Gesundheit sei „machbar“ wie ein (Industrie-)Produkt.

Was der leidende, auf Heilung, Linderung, zumindest aber „Beistand“ hoffende Mensch empfindet und wie er sich in modernen „medizinischen Reparaturwerkstätten“ behandelt fühlt, wird ärztlich immer weniger hinterfragt. Der einstige „Patient“, inzwischen avanciert zum autonomen, selbstbestimmten Kunden oder Versicherten, bekommt ein medizinisches Angebot präsentiert, welches er annehmen oder ablehnen kann. In wie weit er für seine individuelle Situation ärztlich-menschliche Hilfe über den rein medizinischen Teil hinaus bekommt, im Sinne von Trost, Anwesenheit, Gesprächsbereitschaft, Geborgenheit, ggf. gemeinsamem Gebet und Unterstützung in lebenspraktischen Fragen, hängt ab vom persönlichen Engagement, dem Inter-esse und den Kenntnissen seines Arztes sowie dessen zeitlichen und nicht zuletzt auch ökonomischen Möglichkeiten.

Spätestens seit Aristoteles ist der Wunsch, gesund zu sein und ein glückliches Leben zu führen, das erklärte Ziel menschlichen Lebens (Aristoteles 1097 b). Hilfe und Fürsorge für kranke Menschen und deren Gestaltung durch ein institutionalisiertes Gesundheitssystem sind von der Überzeugung geprägt, dass es menschliche Pflicht ist, in bestimmten Fällen für das Leiden anderer aufzukommen, d. h. sich darum zu bemühen, Leid zu verhindern, zu beheben oder dessen Folgen so weit wie möglich zu lindern oder auch auszugleichen. (Gethmann, Gerok, Helmchen, Henke, Mittelstraß, Schmidt-Aßmann, Stock, Taupitz, Thiele, 2005, S. 18) Dabei sind ein für alle Menschen gleich gut möglicher Zugang zu einer und eine möglichst weitgehend gleiche Verteilung adäquater Gesundheitsversorgung das Ziel. Darüber hinaus ist die Rechtfertigung von Verpflichtungen und Berechtigungen oder Ansprüchen in einem Ethos des Heilens für die Bestimmung und Tragweite eines Gesundheitswesens grundlegend. (Gethmann, Gerok, Helmchen, Henke, Mittelstraß, Schmidt-Aßmann, Stock, Taupitz, Thiele, 2005, S. 18)

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Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Flüchtlinge und der (illegale) Aufenthalt in der Bundesrepublik. Zur Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit medizinischer Grundversorgung für Menschen in Deutschland
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin)
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
62
Katalognummer
V305508
ISBN (eBook)
9783668037939
ISBN (Buch)
9783668037946
Dateigröße
1418 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Abschlußarbeit zur Erlangung des Grades "Master of Arts" im weterbildenden Masterstudiengang am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Schlagworte
flüchtlinge, aufenthalt, bundesrepublik, zugangs-, verteilungsgerechtigkeit, grundversorgung, menschen, deutschland
Arbeit zitieren
Wolfgang Wagener (Autor:in), 2015, Flüchtlinge und der (illegale) Aufenthalt in der Bundesrepublik. Zur Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit medizinischer Grundversorgung für Menschen in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305508

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