In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass ausgehend vom Geschlechterdiskurs der Aufklärung ab 1700 Subkulturen in den Städten entstehen mit gleichgeschlechtlichem geschlechtsrollenstrukturiertem Sexualitäts-Muster. In diesen wird eine gleichgeschlechtliche Kultur hervorgebracht, die bestimmte Individuen "und nicht andere" definiert und die dazu beiträgt, dass das Bild von der Sodomie als Verfehlung abgelöst wird, die jeden treffen konnte; und das schon knapp 150 Jahre vor dem wissenschaftlich-medizinischen Diskurs der Moderne.
Zunächst soll jedoch geklärt werden, was man im Mittelalter unter Sodomie verstand und welche Rolle der wissenschaftlich-medizinische Diskurs des 19. Jahrhunderts bei der Fixierung der Homosexualität spielte.
Wie kommt es dazu, dass gleichgeschlechtliche Sexualität nicht mehr „sodomitische Sünde“ heißt? Was ist dafür verantwortlich, dass so etwas wie „homosexuelle Identität“ entsteht? Ist der Wandel, wie Foucault sagt, dem wissenschaftlich-medizinischen Diskurs der Moderne Ende des 19. Jahrhunderts geschuldet und entsteht durch diese die Spezies Homosexueller? Oder kommen schon früher Prozesse in Gang, die aus Sodomitern Homosexuelle machen?
Es gibt wohl schon in der Frühen Neuzeit verschiedene Entwicklungen, die dafür verantwortlich zu sein scheinen, dass aus Sodomie Homosexualität wird und die den Weg bereiten für die Homosexualitätstheorien des 19. Jahrhunderts.
Inhalt
1. Einleitung: Homosexualität in der Frühen Neuzeit?
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[…] Quicumque autem in incontinentia illa, quae contra naturam est, propter quam ira Dei venit in filios diffidentiae et quinque civitates igne consumpsit, deprehensi fuerint laborare, si clerici fuerint, eiciantur a clero et ad agendam poenitentiam in monasteriis retrudantur; si laici, excommunicationi subdantur et a coetu fidelium fiant penitus alieni.1 (Auszug aus Kanon 11 des 3. Laterankonzil im Jahre 1179)2
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„CXVI. Item Straff der vnkeusch, so wider die Natur beschicht. so eyn mensch mit eynem vihe, mann mit mann, weib mit weib, vnkeusch treiben, die haben auch das leben verwürckt, vnd man soll sie der gemeynen gewonheyt nach mit dem fewer vom leben zum todt richten.“ ( §116 der Constitutio Criminalis Carolina von 1532)3
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Die zwei hier aufgeführten Sätze des kanonischen und weltlichen Rechts aus dem 12. und 16. Jahrhundert belegen die Sünde bzw. das Vergehen „Sodomie“ mit den schwerstmöglichen Strafen im Mittelalter. In der Moderne werden aus Sodomitern Homosexuelle4, aus der Gewohnheitssünde wird eine Sondernatur, wie der Philosoph Titelbild: Alan Bray (1948-2001) im Jahre 1979; utor von ͣHomosexuality in Renaissance England“. Siehe Anm. 13. Quelle: reviews-and-ramblings.dreamwidth.org.
Michel Foucault in „Der Wille zum Wissen“ behauptet5. Die Strafen werden weniger drastisch, bis sie Ende des 20. Jahrhunderts ganz wegfallen6.
Wie kommt es dazu, dass gleichgeschlechtliche Sexualität nicht mehr „sodomitische Sünde“ heißt? Was ist dafür verantwortlich, dass so etwas wie „homosexuelle Identität7 “ entsteht? Ist der Wandel, wie Foucault sagt, in erster Linie dem wissenschaftlich- medizinischen Diskurs der Moderne Ende des 19. Jahrhunderts geschuldet und entsteht durch diese die Spezies Homosexueller oder kommen schon früher Prozesse in Gang, die aus Sodomitern Homosexuelle machen?
Es gibt wohl schon in der Frühen Neuzeit8 verschiedene Entwicklungen, die dafür verantwortlich zu sein scheinen, dass aus Sodomie Homosexualität wird und die den Weg bereiten für die Homosexualitätstheorien des 19. Jahrhunderts:
- Der in der Zeit der Aufklärung aufgekommene Geschlechterdiskurs, der aus dem einen, „wahren“ männlichen Geschlecht und dessen minderer weiblicher Ausprägung zwei miteinander unvereinbare Geschlechter hervorbringt und diese dichotomisch ausdifferenziert. Damit verbunden die unterstellte „unabdingbare“9 Verknüpfung von Männlichkeit und Heterosexualität, die dazu beigetragen hat, dass in Abgrenzung zu dieser „natürlichen“, der Fortpflanzung dienenden Heterosexualität, „der Homosexuelle“ entsteht10. Der Historiker Thomas Laqueur arbeitet in seinem Werk „Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud“11 diesen Wandel heraus und führt für das in der Antike vorherrschende Ein-Geschlechter-Modell Werke von Aischylos (525-456 v. Chr.), Platon (428/427-348/347 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.) auf. Texte des bis spät in die Renaissance wirkenden Galenos von Pergamon (ca. 130-200 n. Chr.) werden bei Laqueur ebenso besprochen wie anatomische Bildquellen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Thesen aus den Werken von Thomas Hobbes (1588-1679), John Locke (1632-1704) und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) werden als Wegweiser für das in der Zeit der Aufklärung entstehende Zwei-Geschlechter- Modell vorgestellt. Für die Moderne ebenso prägend sind die von Laqueur besprochenen Ausführungen von Charles Darwin (1809-1882) und Sigmund Freud (1856-1939).
- Der Wandel vom transgenerationalen gleichgeschlechtlichen- zum geschlechtsrollenstrukturierten Homosexualitäts-Modell. Jörg Hutter12 und Alan Bray13 sehen das transgenerationale gleichgeschlechtliche Modell als Hinderungsgrund für das Herausbilden einer homosexuellen Identität an. Diese entsteht, so die Forschung, erst mit dem geschlechtsrollenstrukturierten Homosexualitäts-Modell in den Großstädten Europas in der Frühen Neuzeit. Der Primärquellen-Befund bei Alan Bray ist breit und reicht von Archiv-und Gerichtsakten verschiedener englischer Bezirke über Gesetzestexte, von philosophischen und literarischen Texten wie Shakespeares (1564-1616) Gesamtwerk und den Briefen von Francis Bacon (1561-1626) bis hin zu Diskussionen des Themas in Zeitungsartikeln des Tagesgeschehens des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.
- Die Entstehung „sodomitischer Subkulturen“ in den europäischen Großstädten mit einer in erster Linie auf das gleiche Geschlecht abzielenden Sexualität und bestimmten nur dort vorzufindenden spezifischen Codes ab dem Ende des 17. Jahrhunderts. Das Herausbilden dieser Kulturen ist in der Forschung ausführlich besprochen worden. Mary McIntosh14, Jeffrey Weeks15, Randolph Trumbach16, Theo van der Meer17, Dirk Jaap Noordam18, L.J. Boon19 und Alan Bray20 sehen es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als gegeben an. Für die Erklärung dieses Phänomens werden von der Forschung in erster Linie offizielle Quellen zu Rate gezogen werden, da die Aufzeichnungen über diese Kulturen in erster Linie aus dem „kriminologischen“ Feld kommen, d.h. es handelt sich in den meisten Fällen um Prozessakten, die Geständnisse der Beschuldigten beinhalten und aus denen man die Häufigkeit der Verurteilungen herauslesen kann. Jeffrey Weeks und Randolph Trumbach weisen aber auf die Problematik hin, die diese Eindimensionalität der Quellenauswahl mit sich bringt. Um eine „realitätsnähere“ Interpretation des damaligen Sachverhalts zu gewährleisten, müssten die „statistischen“ Quellen durch andere Quellen unterfüttert sein21. Das erklärt auch die oben erwähnte Forschungsbreite Alan Brays. L.J. Boon zieht verschiedene Veröffentlichungen wie Flugblätter, Pamphlete, Gedichte und theologische Abhandlungen22 rund um die Sodomiter-Prozesse ab 1730 in den Niederlanden heran23.
Neben den sogenannten „Confession Books“, das sind Aufzeichnungen der Prozesse, verarbeitet Theo van der Meer auch die „Secret Confession Books“ mit persönlichen Aufzeichnungen der Verurteilten aus den Amsterdamer Stadtarchiven. Bezug nimmt van der Meer auch auf Korrespondenzen zwischen verschiedenen Beteiligten der Prozesse, Gerichtsdienern, Ratsherren, dem Gefängnis und auf Tagebuchaufzeichnungen von Privatpersonen und Offiziellen des damaligen Umfelds24. Mary McIntosh verweist auf ein anderes Problem: auf die historische „Projektions-Falle“, in die man zu leicht bei der Auswahl und Interpretation zurückliegender Quellen tappen kann, indem man das moderne Bild homosexueller Identität auf „prä- identitäre“ Quellen projiziere und homosexuelle Identität dort hineindichte, wo keine sei25. Susanne Hehenberger bemerkt einerseits, dass der Quellenbefund für das Thema „Sodomie“ prinzipiell mit Schwierigkeiten behaftet sei, weil sowohl das Verbrechen bzw. die Sünde der gleichgeschlechtlichen Sexualität überwiegend hinter vorgehaltener Hand bestraft wurde und die Prozessakten zu den Fällen zum Teil gleich mit verschwanden; auf der anderen Seite seien die Quellen für die Städte im Gegensatz zu den ländlichen Gebieten prinzipiell umfangreicher, was die leichtere Rekonstruierbarkeit der städtischen Vorgänge bzgl. der sodomitischen Subkulturen darin erleichtere26.
Im Hauptteil der Arbeit soll gezeigt werden, dass ausgehend vom Geschlechterdiskurs der Aufklärung ab 170027 Subkulturen in den Städten entstehen mit gleichgeschlechtlichem geschlechtsrollenstrukturiertem Sexualitäts-Muster. In diesen wird eine gleich- geschlechtliche Kultur hervorgebracht, die bestimmte Individuen „und nicht andere“28 definiert und die dazu beiträgt, dass das Bild von der Sodomie als Verfehlung abgelöst wird, die jeden treffen konnte; und das schon knapp 150 Jahre vor dem wissenschaftlichmedizinischen Diskurs der Moderne.
Zunächst soll jedoch geklärt werden, was man im Mittelalter unter Sodomie verstand und welche Rolle der wissenschaftlich-medizinische Diskurs des 19. Jahrhunderts bei der Fixierung der Homosexualität spielte.
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Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in der Einleitung "Homosexualität in der Frühen Neuzeit?"
Die Einleitung thematisiert die Transformation von der mittelalterlichen Sichtweise der "Sodomie" als Sünde oder Verbrechen zur modernen Konzeption von Homosexualität. Sie untersucht, wie sich die Wahrnehmung gleichgeschlechtlicher Sexualität von einer strafbaren Handlung zu einer Identität wandelt.
Welche Faktoren trugen laut dem Text zur Entstehung der Homosexualität bei?
Der Text nennt drei Hauptfaktoren:
- Der Geschlechterdiskurs der Aufklärung, der eine Dichotomie zwischen männlich und weiblich etablierte und Heterosexualität als Norm definierte.
- Der Wandel vom transgenerationalen gleichgeschlechtlichen zum geschlechtsrollenstrukturierten Homosexualitätsmodell.
- Die Entstehung "sodomitischer Subkulturen" in europäischen Großstädten.
Was wird unter dem Geschlechterdiskurs der Aufklärung verstanden?
Der Geschlechterdiskurs der Aufklärung beschreibt die Entwicklung von einem Ein-Geschlechter-Modell (in dem Frauen als minderwertige Versionen von Männern gesehen wurden) zu einem Zwei-Geschlechter-Modell, das männliche und weibliche Geschlechter als fundamental unterschiedlich und unvereinbar betrachtet. Diese Entwicklung trug zur Annahme bei, dass Männlichkeit untrennbar mit Heterosexualität verbunden ist.
Was ist der Unterschied zwischen einem transgenerationalen gleichgeschlechtlichen- und einem geschlechtsrollenstrukturierten Homosexualitätsmodell?
Das transgenerationale Modell bezieht sich auf gleichgeschlechtliche Beziehungen, bei denen ein Alters- und Machtunterschied besteht (z.B. älterer Mann mit jüngerem Mann/Jungen). Das geschlechtsrollenstrukturierte Modell hingegen bezieht sich auf Beziehungen, in denen Partner unterschiedliche Geschlechterrollen einnehmen (z.B. ein "aktiver" und ein "passiver" Partner). Laut Forschung gilt das transgenerationale Modell als Hinderungsgrund für die Herausbildung einer homosexuellen Identität, da die Unterschiede zwischen den Partnern die Bildung einer gemeinsamen Gruppenidentität erschweren.
Was sind "sodomitische Subkulturen"?
"Sodomitische Subkulturen" bezieht sich auf die Entstehung von Gemeinschaften in europäischen Großstädten, in denen gleichgeschlechtliche Sexualität praktiziert wurde und spezifische Codes und Verhaltensweisen entstanden. Diese Subkulturen sind ein Indikator für die beginnende Herausbildung einer homosexuellen Identität.
Welche Quellen werden für die Forschung zu "sodomitischen Subkulturen" verwendet?
Die Forschung stützt sich hauptsächlich auf offizielle Quellen wie Prozessakten und Geständnisse. Allerdings wird die Problematik dieser eindimensionalen Quellenauswahl betont, da diese primär ein kriminologisches Bild vermitteln. Es wird darauf hingewiesen, dass weitere Quellen (z.B. Flugblätter, Pamphlete, theologische Abhandlungen, private Aufzeichnungen) für eine umfassendere Interpretation notwendig sind.
Welche Kritik an der historischen Forschung zur Homosexualität wird geäußert?
Kritisiert wird vor allem die Gefahr der "Projektions-Falle", d.h. die unkritische Übertragung moderner Vorstellungen von homosexueller Identität auf historische Quellen, in denen diese Identität möglicherweise noch nicht existierte oder anders konstruiert war.
Was ist das Ziel des Hauptteils der Arbeit?
Der Hauptteil der Arbeit soll zeigen, dass ausgehend vom Geschlechterdiskurs der Aufklärung Subkulturen in den Städten entstehen, die ein gleichgeschlechtliches, geschlechtsrollenstrukturiertes Sexualitätsmuster aufweisen. In diesen wird eine gleichgeschlechtliche Kultur hervorgebracht, die bestimmte Individuen definiert und die dazu beiträgt, dass das Bild von der Sodomie als Verfehlung abgelöst wird.
Was wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch behandelt?
Zunächst soll geklärt werden, was man im Mittelalter unter Sodomie verstand und welche Rolle der wissenschaftlich-medizinische Diskurs des 19. Jahrhunderts bei der Fixierung der Homosexualität spielte.
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- Maik Dornberger (Author), 2015, Homosexualität in der Frühen Neuzeit? Von der Sodomie zur Homosexualität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305659