Die soziale Situation der Heimarbeiter. Kampf für eine bessere Arbeitswelt


Hausarbeit, 2010

30 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis: 2

1.Einleitung

2. Allgemein - Was ist Heimarbeit?
2.1. Entwicklung in Deutschland
2.2. Sachsen - große Teile der Bevölkerung in Heimarbeit

3. Deutsche Heimarbeit-Ausstellung in Berlin 1906
3.1. Konzept der Ausstellung
3.2. Forderungen der Gewerkschaften
3.3. Resonanz der Ausstellung in der Öffentlichkeit

4. Sebnitz in Sachsen - ein aufstrebender Ort für die Kunstblumenindustrie
4.1. Geschichtlicher Abriss des Industriezweiges
4.2. Heimarbeit als weit ausgedehnte Erwerbsarbeit
4.2.1. Auswirkungen der sozialen Lage auf die Arbeitsbedingungen
4.2.2. Auswirkungen auf die Lebensbedingungen
4.3. Bestrebungen von Organisationen zur Verbesserung der sozialen Situation
4.4. Künstler zeigen das Elend auf

5. Die Sebnitzer Kunstblumenmacher als prägendes Beispiel während der Heimarbeit-Ausstellung
5.1. Die Öffentlichkeit wird aufmerksam
5.2. Das Heimarbeitsgesetz von 1911
5.3. Die Arbeitssituation der Kunstblumenarbeiter im 20.Jahrhundert

6. Fazit

Literaturverzeichnis:

Bildnachweis:

Anhang:

1. Einleitung

Mit Beginn des Industriezeitalters in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts setzten für große Teile der Bevölkerung vielfältige Veränderungen ein. „Die Industrialisierung brachte ein wachsendes Angebot an Arbeitsplätzen mit sich.1 “ Es hatte Auswirkungen auf die sozialen Bereiche wie Arbeitsmarkt, Stellung der Frau in Familie und Gesell- schaft sowie auf die Lebensbedingungen besonders für die untere Schicht der Bevölke- rung. Vor allem für Frauen gab es neue Herausforderungen durch die Erwerbsarbeit. Sie befanden sich im Konflikt zwischen traditioneller Rolle und neuen Anforderungen der Berufsarbeit. Deutschland war im Gegensatz zu England und Frankreich in der Ent- wicklung der Industrie rückständiger. Das Land war Anfang des 19. Jahrhunderts noch weitestgehend von agrarischen Produktionsformen geprägt.2 Eine rasante Entwicklung setzte Mitte des 19. Jahrhunderts nach der deutschen Revolution ein und erst nach Reichsgründung 1871 konnte Deutschland sein Potential als fortschrittliche Industriena- tion ausschöpfen. Der Begriff der Industrialisierung geht besonders in die Richtung der Darstellung von Markt vermittelter Lohnarbeit. Aber auch in anderen Bereichen der Er- werbsarbeit fanden im Zusammenhang des Industriezeitalters einschneidende Verände- rungen statt. Die vorindustrielle traditionelle Arbeit in Form von familiären Prinzip war im Begriff sich aufzulösen. Die wesentlichen Arbeitsbereiche der Bevölkerung waren im 19. Jahrhundert die Landwirtschaft, Dienste im häuslichen Bereich, die Heimarbeit und zunehmend die Fabrikarbeit. Für Frauen spielte die Fabrikarbeit eher eine unterge- ordnete Rolle. Außerdem arbeiteten im gewerblichen Bereich viel mithelfende Ehefrau- en ohne Bezahlung mit. Die Fabrikarbeit war im 19. Jahrhundert eher eine Domäne der Männer, Frauen waren meist nur bis zu ihrer Verheiratung erwerbstätig.3 Das heißt aber nicht, dass sie nicht arbeiteten, denn zu Hause wurde in Heimarbeit oft mehr Stunden als in der Fabrik gearbeitet. Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren alles andere als zufriedenstellend. Die soziale Lage der Heimarbeiter war katastrophal und in der Öf- fentlichkeit wenig bekannt. Erst durch die Heimarbeiterausstellung in Berlin 1906 wur- de die schwierige Situation publik und es gab erste Ansätze für einen Gesetzesentwurf.

2. Allgemein - Was ist Heimarbeit?

2.1. Entwicklung in Deutschland

„Die Heimarbeit ist aus der häuslichen Produktion der ländlich bäuerlichen Familien für den Eigenbedarf bzw. für den regionalen Markt hervorgegangen.4 Der Fortschritt infolge der Industrialisierung zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte den Wandel der traditionel- len Wirtschaft zur Folge. Es gab drei Voraussetzungen, welche erforderlich waren, um die Hausindustrie entstehen zu lassen. Erstens musste ein weit verbreiteter Absatz vor- handen sein. Zweitens bedurfte es einer ungünstigen wirtschaftlichen Lage der Produ- zenten und drittens musste ein Fabrikant, Verleger genannt, den erhöhten Absatz organi- sieren. Diese drei Bedingungen konnten durch die Industrialisierung erfüllt werden. Eine höhere Nachfrage war vorhanden, bedingt durch eine wachsende Bevölkerung und deren (allerdings teils eingeschränkter) Konsumkraft. Durch Absatz, der über die örtli- chen Grenzen hinaus ging, kam es zu Umbildungen der Gewerbe. Die Einführung von Maschinen beschleunigte die Produktionsgeschwindigkeit. Die Verkehrsanbindungen verbesserten sich, so dass noch größere Märkte erschlossen werden konnten. Zahlreiche Menschen strömten vom Land in die Stadt. An Menschen mit Unternehmergeist fehlte es nicht. Durch Arbeitsteilung kam es zu Spezialisierung und Rationalisierung. Die Fa- brikanten begannen vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Warenpro- duktion zu dezentralisieren und außerhalb der Betriebe zu verlegen. Es kam zu Rückbil- dung der Fabrikarbeit und zugleich Zunahme von Heimarbeit. Es gab hinreichende Gründe für den Unternehmer, die Arbeit aus der Fabrik zu verlagern. Der wichtigste Grund war Kosten zu sparen, um den Profit zu erhöhen. Die Kosteneinsparung betraf vor allem die Sozialversicherungsabgaben und Löhne für die Fabrikarbeiter. Hinsicht- lich der Arbeitszeit gab es in der Fabrik Regelungen, so dass die Produktion an Grenzen gelangte. Auch war der technische Einsatz von Maschinen nicht immer vorteilhaft, da nicht flexibel und schnell genug beispielsweise in der Textilindustrie auf Modewechsel reagiert werden konnten. Der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft erreichte auch die Handwerksbetriebe. Die Hausindustrie wurde auch als eine Zwischenstufe zwischen Handwerk und Fabrik gehalten. Der selbständige Handwerksmeister musste die Produk- tion verbilligen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Aber der Trend war nicht aufzuhalten. Selbständige Handwerksmeister alten Stils konnten sich nur selten behaupten und wur- den selbst zu „selbständigen“ Verlagsarbeitern. In der Textilindustrie wurde oft in Heim- arbeit gearbeitet, welche auch schon früher handwerksmäßig betrieben wurde. Die Ver- lagsarbeit wurde häufig als Nebentätigkeit zum Beispiel in der Stickerei oder Seidenwe- berei ausgeführt.5 Tendenziell waren die Unternehmen aus Kostengründen daran interes-siert, die Arbeit in Heimarbeit produzieren zu lassen. Trotzdem soll aufgezeigt werden, dass viele Heimarbeiter freiwillig zu Hause arbeiteten, weil die Heimarbeit auch eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit bedeutete. Sicherlich gab es regionale Unterschie- de. Von Unternehmer Seite existierten vereinzelt auch Bestrebungen, die Heimarbeit in die Fabrik zu verlegen. Durchgesetzt hatte sich aber das Verlagssystem, welches die Heimarbeiter in eine bedrückende Situation brachte und wo sie sich kaum wehren konn- ten.6

2.2. Sachsen - große Teile der Bevölkerung in Heimarbeit

Bereits um 1800 gab es in Sachsen Gewerberegionen, welche Handel mit Waren in Übersee sowie in weit entfernte Gebiete Europas betrieben. Die Industrialisierung setzte in Sachsen schon frühzeitig ein, bedingt durch die günstige Lage an wichtigen Handels- routen sowie günstigen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen.7 Schlüssel- faktoren der sächsischen Industrie waren die Textilbranche und der Maschinenbau. Die Mehrzahl der Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen waren in der Textilindustrie beschäf- tigt, welche aber teilweise in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Lohnarbeit in der Fabrik ersetzt wurde. Trotzdem gab es zahlreiche Zweige der Textilindustrie, die haupt- sächlich ihre Aufträge in Heimarbeit erfüllen ließen. Ein Beispiel dafür war die Spitzen- und Stickerei-Industrie im sächsischen Vogtland. Als Plauener Spitze waren und sind diese Erzeugnisse weltbekannt. Mit der Heimstickerei beschäftigten sich Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts im Vogtland etwa 20.000 Personen, in der Hauptsache Frau- en. Darunter waren eine große Anzahl Kinder, welche von frühester Jugend zur Arbeit mit heran gezogen wurden. Die Kinder mussten in ihrer freien Zeit bis teilweise spät in die Nacht beim Fadenschneiden und anderen einfachen Hilfsarbeiten helfen. Bis zum Zeitpunkt der Studie in den Zwanziger Jahren existierten keine Daten über die Anzahl der arbeitenden Kinder. Die niedrig bezahlte Arbeit begünstigte die Kinderarbeit. Vor al- lem in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg kam es zu einer Verarmung der Bevölkerungs- schichten und viele waren gezwungen, in der textilen Heimindustrie eine Beschäftigung zu suchen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die Unternehmer nutzten die Notsitua- tion der Menschen nach Krieg und Inflation aus, indem sie je nach Auftragslage die Zahl der Heimarbeiter vermehren oder vermindern konnten, da die Gesetzgebung noch nicht genügend Schutz für die Arbeitsverhältnisse der Heimarbeiter bot. Auch hier ver-lagerte man die Produktion aus den Betrieben, um erreichte tarifliche Lohnabsicherun- gen zu umgehen. Zwar kam es 1920 zu einer tariflichen Regelung der Heimarbeiterlöh- ne zwischen dem der Vogtländischen Fabrikanten-Schutzgemeinschaft E.V. Plauen und dem Deutschen Textilarbeiter-Verband. Nach Ablauf des letzten abgeschlossenen Tarif- vertrages im Jahr 1923 herrschte wieder ein tarifloser Raum. Bedingt durch die schwie- rige wirtschaftliche Lage in der Gesellschaft, aber auch durch das mangelnde Organisa- tionsinteresse der Heimarbeiter, führten die Unternehmer eine Änderung der Satzung durch, welche die tariffähige Fabrikanten-Schutzgemeinschaft in einen nicht tariffähi- gen Fachverein umwandelte. Um die Heimarbeiter aber nicht schutzlos den Fabrikanten auszuliefern, gab der Deutsche Textilarbeiter-Verband Richtlinien für die Entlohnung der Heimarbeiter heraus. Allerdings bestanden diese Bestimmungen nur auf dem Papier. Bedingt durch den tariflosen Zustand, wurden die in der Spitzen- und Stickerei-Indus- trie beschäftigten Heimarbeiter am schlechtesten entlohnt. Der Deutsche Textilarbeiter- Verband machte sich zur Aufgabe, den Heimarbeitern den Weg zur Organisation aufzu- zeigen, um ihre Lage zu ändern. Das ist nur ein Beispiel für die Ausbeutung der Arbeits- kraft. Ähnliche Beispiele findet man in vielen anderen Industriezweigen.8 Gravierende Zustände herrschten im Erzgebirge bei den hausindustriellen Seiffener Spielzeugma- chern. Das rapide Absinken des Lohnes bis unter das Existenzminimum wurde vom Verleger durch systematische Preisdrückerei betrieben. Die ökonomische und soziale Lage hinderte die Spielzeugmacher an gemeinsamen Aktionen.9 Vor allem in der Beklei- dungsindustrie und der Holzverarbeitung erhöhte sich die Zahl der Hausgewerbetreiben- den seit dem Jahr 1880.10

3. Deutsche Heimarbeitsausstellung in Berlin 1906

3. 1. Konzept der Ausstellung

Vom 17. Januar bis Ende Februar fand in Berlin die erste große Heimarbeitsausstellung statt. Es waren zahlreiche Verbände der Industrie vertreten.Teilnehmer waren unter vie- len anderen: der Verband der Wäschearbeiter, der deutschen Textilarbeiter, der Hand- schuhmacher, der Porzellanarbeiter, der Verband Deutscher Buchbinder, Deutscher Holzarbeiter, die Spielwarenindustrie und der christliche Gewerkverein der Heimarbei- ter Deutschlands sowie natürlich der Verband der Blumen- und Blätterarbeiter.

In Vorbereitung der Ausstellung wurden von den Gewerkschaften Auskunftsbögen an die Verbände gesandt, um Erhebungen für den Ausstellungskatalog zu erstellen. Um einen Vergleich der verschiedenen Industriezweige über den Stand der Heimarbeit im Deutschen Reich zu erzielen, wurden Kriterien für Fragestellungen erarbeitet. Diese Da- tenerhebung betraf Fragen zu Aussteller, Herstellungsort, Ausstellungsgegenstand, Ar- beitszeit pro Stück, Arbeitslohn, Stundenlohn, Arbeitslohn für denselben Gegenstand in der Fabrik, Nebenkosten, Nettoverdienst in der Stunde bzw. Woche bei durchschnittli- cher Arbeitszeit, Preis der Rohstoffe, Großhandelspreis, Ladenpreis, Alter der Heimar- beiter, Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen und Fremden und deren Alter und Geschlecht, Angaben über Arbeitsraum - ob er als Schlafraum oder Küche oder beides mit genutzt wird, Beschaffenheit der Wohnverhältnisse sowie Angaben über Teilarbeit und besondere Bemerkungen. Die in Heimarbeit gefertigten Produkte wurden mit Anga- ben zu Arbeitszeit, Lohn und Verkaufspreis versehen, so dass unmittelbar Vergleiche der Produkte möglich waren. Seitens der Gewerkschaften und der Sozialpolitik wurden an diese Ausstellung Erwartungen und Hoffnungen geknüpft, die praktische Umsetzung der Sozialpolitik zu beschleunigen. Auch sollte die überholte Anschauung der Wissen- schaft durch die Entwicklung der letzten Jahre korrigiert werden. Durch die Zunahme der industriellen Fabrikarbeit gab es ebenso eine enorme Ausweitung der Heimarbeit.11 Durch die Ausstellung sollten bedenkliche Tendenzen aufgezeigt werden wie die Verla- gerung von Fabrikarbeit in Heimarbeit. Die Fabrikanten umgingen auf diese Art und Weise, wie schon erwähnt, die tariflichen Bestimmungen für festgesetzte Mindestlöhne und sozialrechtliche Errungenschaften der Organisationen. Je präziser diese Fragebögen ausgefüllt wurden, um so eher konnte festgestellt werden, ob es sich um Übergangsfor- men vom handwerksmäßigem Betrieb zur verlegten Heimarbeit handelte. Aus der Me- tallindustrie wurde anhand eines gewissenhaft ausgefüllten Auskunftsbogen eindringlich ein bezeichnendes Beispiel der Herstellung einer Gießkanne von der Verlegung vom Handwerk zur abhängigen Heimarbeit dargestellt. Durch diese Tatsache entstanden ge- radezu lotteriehafte Schwankungen beim Wochenverdienst, welches negative Auswir- kungen auf die Führung eines Familienhaushaltes hatte. Der schwankende Wochenver- dienst war eine Ursache, dass der Preis für die Herstellung der Ware nicht vom „selb- ständigen“ Meister festgelegt wurde, sondern dass der Preis durch das Dazwischentreten des Verlegers vorgeschrieben war. So verkaufte der Handwerksmeister seine Ware nicht mehr unmittelbar an den Konsumenten, verlor dadurch seine wirtschaftliche Selbstän-

digkeit und wurde abhängiger Hausindustrieller. Das war volks- und privatwirtschaft-

lich eine sehr bedenkliche Erscheinung, welche beim Kauf von Produkten vielfach über- sehen wurde.12 Anlässlich der Ausstellung wurden zum Thema zahlreiche Vorträge ge- halten. Der Vortragende Simon Katzenstein referierte: „Es ist klar, daß der Weg der Ge- setzgebung in der Bekämpfung der Schäden der Hausindustrie und des ganzen Schwitz- systems13 die erste Stelle einnimmt.14 “ Er erklärte deutlich, dass man sich nicht auf die humane Rücksichtnahme der Konsumenten oder gar Unternehmer verlassen könnte. Die Missstände wurden offen angesprochen und sollten ein breites Publikum erreichen. Die Ausstellung fand an einem zentralen Ort in Berlin-Mitte statt. Zahlreiche Plakate mach- ten auf die Ausstellung aufmerksam. Berlin war Anfang des 20. Jahrhunderts eine auf- strebende und geschäftige Großstadt, wo unzählige Veranstaltungen und Ausstellungen statt fanden. Die Organisatoren der Heimarbeitsausstellung wählten sicher bewusst einen zentralen Platz dafür aus, um ein breites Publikum zu erreichen, was letztendlich auch gelang.

3.2. Forderungen der Gewerkschaften

Schon Ende des 19. Jahrhunderts befassten sich Organisationen wie die „Gesellschaft für soziale Reform“ mit bekannten Wissenschaftlern wie Professor Sombart15 mit den Fragen eines gesetzlichen Heimarbeiterschutzes. In ihren Schriften wandten sie sich mit Nachdruck diesen Themen zu. Als weitere Aktion rief die „Generalkommission der frei- en Gewerkschaften Deutschlands“ zu einem ersten Heimarbeiterschutz-Kongreß auf. Dieser Heimarbeiterschutz-Kongreß fand dreitägig im März 1904 in Berlin statt mit ei- ner beachtlichen Anzahl von teilnehmenden Organisationen und Vertretern aus der Wis- senschaft. Gemeinsam waren sich alle Vertreter einig, dass das Hauptproblem der Heim- arbeiterfrage die Lohnfrage darstellt.16

Der Orientierungspunkt der Gewerkschaften war die Angleichung der Lebens- und Ar- beitsbedingungen der Heimarbeiter an den der fest angestellten Arbeiter und Arbeiterin- nen in den Fabriken. Die Heimarbeiter befanden sich in Fragen der arbeits- und sozial- rechtlichen Bestimmungen stets im Rückstand. Egal, ob es sich um Fragen der Lohn- festsetzung, Regelung der Arbeitszeit oder Urlaubsregelung handelte, immer mussten sie auf Grund ihrer strukturellen schwächeren Situation kämpfen. Der „Normalzustand“ im arbeitsrechtlichen Bereich konnte nur verzögert angeglichen werden.17

Die übergroßen Missstände der Arbeitsverhältnisse von Heimarbeitern waren den Orga- nisationen und Gewerkschaften bekannt, die Zahlung von Hungerlöhnen bei teils 14-16- stündiger Arbeitszeit, die Ausbeutung der Kinder und die unzumutbaren Arbeitsräume. Dieses Arbeitssystem müsste eigentlich abgeschafft werden, aber zu viele Gründe spra- chen gegen eine radikale Bekämpfung dieser Arbeitsform. Durch die kapitalistische Marktwirtschaft hatte sich jedoch die Entwicklung der Heimarbeit vollzogen und der Gesetzgeber war nur beschränkt in der Lage, sich in wirtschaftliche Dinge einzumi- schen.18 Aber es war nicht nur im Interesse der Arbeitgeber diese Situation aufrecht zu erhalten, sondern auch die Heimarbeiter selbst hielten an der Verdienstmöglichkeit fest. Oft hatten sie zum Bestreiten des Lebensunterhalts keine andere Möglichkeit und somit wäre bei der Bekämpfung der hausindustriellen Arbeit auch ihre Existenz in Gefahr ge- raten. Aber eine Reform der Heimarbeitsverhältnisse musste dringend in Angriff ge- nommen werden. Es standen große Schwierigkeiten bei der Organisation der Heimar- beiter bedingt durch die Vereinzelung im Weg, welche einen Zusammenschluss verhin- derten, so dass auf die Selbsthilfe in manchen Industriezweigen nicht zu hoffen war. Die Organisationsbestrebungen in der Bekleidungsindustrie hatten bisher wenig Erfolg auf- zuweisen, weil oft genug die Leiter der organisierten Arbeiterschaft von den Heimarbei- tern im Stich gelassen wurden. Um so dringender wurde der Eingriff des Staates durch Maßnahmen für eine Arbeiterschutzgesetzgebung für Heimarbeiter gefordert. Die Tätig- keit der Gewerkschaften allein reichte nicht aus, um die Belange der Heimarbeiter zu vertreten.19

Schon bestehende Gesetze wie das Kinderschutzgesetz von 1903 wurden in der Ausfüh- rung stark eingeschränkt. Das betraf die in der Hausindustrie beschäftigten eigenen Kin- der, welchen wesentlich weniger Schutz gewährt wurde als die fremden Kinder.20

3.3. Resonanz der Ausstellung in der Öffentlichkeit

Die Künstlerin Käthe Kollwitz entwarf das Plakat für die Deutsche Heimarbeitsausstel- lung 1906 in Berlin.21 Sie zeichnete das Porträt einer Arbeiterfrau, welche aus müden und traurigen Augen das Publikum ansieht.

[...]


1 Schildt, Gerhard (1993): Frauenarbeit im 19. Jahrhundert, S. 22

2 Brinker-Gabler, Gisela (1979): Frauenarbeit und Beruf, S. 11-14

3 Kassel, Brigitte (1998): Frauenarbeit in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, S. 8 f.

4 Schulze, Christa (1983): Frauenarbeit in der Kunst, S. 36

5 Schwiedland, E. Dr. (1903): Ziele und Wege einer Heimarbeitsgesetzgebung, S. 5-18

6 Ebd., S. 168

7 Karlsch/Schäfer (2006): Die Wirtschaftsgeschichte Sachsens im Industriezeitalter S. 7

8 Die Heimarbeit in der deutschen Textilindustrie, S. 52-61

9 Bilz, Hellmut (1988): Stellung und soziale Lage der Spielzeugmacher im 19. Jahrhundert, S. 29

10 Karlsch,/Schäfer (2006): Die Wirtschaftsgeschichte Sachsens im Industriezeitalter, S. 103 f.

11 Deutsche Heimarbeitsausstellung 1906 (1906): S. 5

12 Deutsche Heimarbeitsausstellung 1906 (1906): S. 23

13 Karpf, Hugo (1980): Heimarbeit und Gewerkschaft, S. 32, Anmerkung: Der Begriff Schwitzsystem wird im Sinne von „Arbeitsvermittler“ und „Blutsauger“ gebraucht

14 Heimarbeit und Genossenschaftswesen (1906): S. 3

15 Anmerkung: Werner Sombart (1863-1941) Nationalökonom, lehrte von 1890-1906 an der Universität Breslau, dann Wechsel an die Berliner Handelshochschule

16 Karpf, Hugo (1980): Heimarbeit und Gewerkschaft, S. 42 ff.

17 Karpf, Hugo (1980): Heimarbeit und Gewerkschaft, S. 11

18 Schwiedland, Ziele und Wege einer Heimarbeitsgesetzgebung (1903): S. 166

19 Zwiedineck-Südenhorst, von Otto (1905): Arbeitsschutz und Arbeitsversicherung, S. 99 ff.

20 Heimarbeit und Genossenschaftswesen (1906): S. 4

21 Abbildung 1 im Anhang, S. 28

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die soziale Situation der Heimarbeiter. Kampf für eine bessere Arbeitswelt
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Neuere Geschichte)
Veranstaltung
Hausarbeit im Rahmen einer Präsenzveranstaltung im Januar 2010 in Dortmund
Note
2,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
30
Katalognummer
V306042
ISBN (eBook)
9783668040847
ISBN (Buch)
9783668040854
Dateigröße
2682 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
situation, heimarbeiter, kampf, arbeitswelt
Arbeit zitieren
Claudia Stosik (Autor:in), 2010, Die soziale Situation der Heimarbeiter. Kampf für eine bessere Arbeitswelt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306042

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die soziale Situation der Heimarbeiter. Kampf für eine bessere Arbeitswelt



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden