Die funktionalistische Ethnologie hatte das Thema „Matriarchat“ schon ad acta gelegt – dennoch wird heute erneut debattiert, ob nichtpatriarchale Gesellschaften eine archaische Wirklichkeit, einen „Mythos“ oder eine Utopie verkörpern. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Forschungssituation zum Thema sehr zum Positiven gewandelt: Untersuchungen von Ethnologinnen beschäftigten sich mit dem lange in der Wissenschaft vorherrschenden „male bias“, der Prägung durch männerzentrierte Sichtweisen und Aussagen. Empirische Fallstudien von Wildbeutern bis zu bäuerlichen Gesellschaften, darunter etwa die Studien Eleanor Leacocks über die historischen Geschlechterverhältnisse bei den Montaignais in Kanada oder Alice Schlegels Studien über die Frauen in den Hopi-Reservaten, wurden begleitet von neuen theoretischen Ansätzen jenseits der Matriarchatsdebatte, die der Erfassung sozialer und politischer Prozesse in „geschlechtsegalitären“ oder „geschlechtssymmetrischen“ Gesellschaften dienen sollten. Das neu erwachte Interesse an „Frauenmacht ohne Herrschaft“ ist unter anderem darin begründet, dass der androzentrisch geprägte, mit Herrschaft verbundene Machtbegriff zunehmend hinterfragt wird. Lange galt es als patriarchale Selbstverständlichkeit, dass jede Gesellschaft Befehlende und Gehorchende kennt; dabei wurde übersehen, dass sich bis heute trotz Kolonisierung und Missionierung matriarchale Gesellschaften mit Beratenden und freiwillig Akzeptierenden erhalten haben.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich zunächst einen Überblick über die frühen Matriarchatsdebatten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bieten: MatriarchatsforscherInnen der ersten Stunde wie Bachofen und Morgan werden erläutert werden. Danach werde ich neuere Ansätze über „herrschaftsfreie Gesellschaften“, etwa von Leacock, Schlegel oder Göttner-Abendroth, zur Sprache bringen. Es folgt die Suche nach Erklärungsmodellen für den historischen Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat. Schließlich werde ich zwei ethnografische Beispiele noch heute existierender matriarchaler Gesellschaften im mesoamerikanischen Raum (Cuna, Juchitán) besprechen. Eine Conclusio wird am Ende meiner Arbeit stehen.
Inhaltsverzeichnis
- MATRIARCHATSFORSCHUNG: EIN ZEITGEMÄBES THEMA?
- EINIGE „KLASSIKER“ DER MATRIARCHATSDEBATTE
- JOSEPH-FRANÇOIS LAFITAU
- JOHANN JAKOB BACHOFEN
- LEWIS HENRY MORGAN
- JOHN FERGUSON MCLENNAN
- EDWARD ALEXANDER WESTERMARCK
- WILHELM WUNDT
- FRIEDRICH ENGELS
- MATHILDE VAERTING...
- BERTHA ECKSTEIN-DIENER ..
- NEUERE ANSÄTZE: MATRIARCHATE ALS HERRSCHAFTSFREIE
RÄUME
- DEFINITION VON MATRIARCHAT
- EMPIRISCHE ZUGÄNGE
- THEORETISCHE ZUGÄNGE...
- WIE DAS PATRIARCHAT DAS MATRIARCHAT BESIEGTE ....
- BEISPIELE MATRIARCHALER GESELLSCHAFTEN AUS
MESOAMERIKA....
- DAS,,GOLDENE VOLK“ DER CUNA.......
- JUCHITÁN – EIN STÄDTISCHES MATRIARCHAT.
- ZUSAMMENFASSUNG DER STRUKTUR MATRIARCHALER GESELLSCHAFTEN IN MESOAMERIKA.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die historische Entwicklung und die gegenwärtige Relevanz des Matriarchats. Sie befasst sich mit den frühen Matriarchatsdebatten und den wichtigsten Akteuren, die sich mit dem Thema auseinandersetzten. Darüber hinaus werden neuere Ansätze zur Erforschung von „herrschaftsfreien Gesellschaften“ vorgestellt.
- Die Entstehung und Entwicklung des Matriarchatskonzepts
- Die Rolle von Frauen in matriarchalen Gesellschaften
- Der Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat
- Beispiele für noch heute existierende matriarchale Gesellschaften
- Die Bedeutung von Geschlechterrollen und Machtstrukturen in der Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Debatte um das Matriarchat und seine Bedeutung in der gegenwärtigen Gesellschaft. Kapitel 2 stellt einige „Klassiker“ der Matriarchatsforschung vor, wie Bachofen und Morgan, und analysiert deren Argumentation. Im dritten Kapitel werden neuere Ansätze zur Erforschung von Matriarchaten als herrschaftsfreie Räume vorgestellt. Kapitel 4 untersucht die Gründe für den historischen Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat. Die beiden letzten Kapitel konzentrieren sich auf Beispiele für matriarchale Gesellschaften in Mesoamerika, nämlich die Cuna und die Stadt Juchitán.
Schlüsselwörter
Matriarchat, Patriarchat, Geschlechterrollen, Machtstrukturen, Ethnologie, Sozialgeschichte, Feminismus, Gender-Studies, Mesoamerika, Cuna, Juchitán.
- Quote paper
- MMag. M.A. Gisela Spreitzhofer (Author), 2002, Matriarchatsforschung in Vergangenheit und Gegenwart - zwei verbliebene Matriarchate in Lateinamerika, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30619