Der Bedeutungswandel von Gewalt in "Über den Prozeß der Zivilisation" und "Engagement und Distanzierung" von Norbert Elias


Seminararbeit, 2015

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis ... 1

1. Einleitung ... 2

2. Gewalt in der feudalen Rittergesellschaft ... 3

2.1 Die mittelalterliche Feudalgesellschaft ... 3

2.2 Die Bedeutung von Gewalt ... 5

3. Gewalt in der höfisch-aristokratischen Adelsgesellschaft ... 8

3.1 Vom Mittelalter zur Neuzeit ... 8

3.2 Die Bedeutung von Gewalt ... 9

4. Gewalt in der modernen Gesellschaft ... 12

4.1 Die Bedeutung von Gewalt im innerstaatlichen Bereich ... 12

4.2 Die Bedeutung von Gewalt im zwischenstaatlichen Bereich ... 14

5. Fazit ... 16

6. Literaturverzeichnis ... 17

1. Einleitung

Norbert Elias gilt als bedeutender Soziologe und selbsternannter Menschenwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Sein Schwerpunkt lag darauf, eine Verbindung zwischen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wie Psychologie, Soziologie und Politologie zu schaffen. Eingeordnet wird er dennoch als Soziologe. Dabei beschäftigte er sich tiefgründig mit den Aufgaben der zu seiner Zeit jungen Wissenschaftsdisziplin. Er grenzte sich von einer reinen Gesellschaftsbetrachtung ohne Individuen ab. Er sah die Gesellschaft als ein Interdependenzgeflecht von Individuen. Dieses wirkt nie losgelöst von Zeit und Raum und dennoch nicht zielgerichtet und prozesshaft. In seinem Hauptwerk "Über den Prozess der Zivilisation" zeichnete er eine Entwicklung der europäischen Gesellschaft nach und stellte konkrete Entwicklungslinien fest. In seinen Spätwerken baute er diese Thesen u.a. mit aktuellen Themen weiter aus. Eine von Elias herausgearbeitete Entwicklungslinie bezieht sich auf die Bedeutungsänderung von Gewalt. Diese Entwicklung soll in der folgenden Arbeit herausgearbeitet werden. Elias thematisiert dies in einigen Werken, z.B. in "Studien über die Deutschen" (1989). Es würde den Rahmen der Arbeit sprengen, alle Werke zu diesem Thema einzubeziehen. Daher wird sich auf das Hauptwerk "Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 1 und 2" gestützt. Im ersten Band legt Elias den Fokus auf eine Psychogenese des Abendlandes. Im zweiten Band weitet er dies auf eine Soziogenese aus. Zur Unterstützung und Ergänzung wird das Spätwerk "Engagement und Distanzierung. Arbeiten zur Wissenssoziologie I" hinzugezogen.

In dieser Arbeit soll sich der Frage gestellt werden, ob und wie sich die physischen Gewaltanwendungen vom Mittelalter bis zur heutigen modernen Gesellschaft verändert haben. Gewalt meint in der Arbeit immer physische Gewalt, außer es wird explizit auf psychische Gewalt hingewiesen. Um sich dieser Thematik zu nähern, werden Elias‘ Beschreibungen zu den Gesellschaftsformen der mittelalterlichen Feudalgesellschaft im Abendland, der höfischaristokratischen Adelsgesellschaft in Frankreich und der modernen Gesellschaft in der westlichen Welt gegenübergestellt und jeweils die Bedeutung von Gewalt herausgearbeitet.

2. Gewalt in der feudalen Rittergesellschaft

In seinem Werk "Über den Prozess der Zivilisation" (1990) beschreibt Elias die Entwicklung des Abendlandes. Er konzentriert sich dabei vorrangig auf die heutigen Staaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien in der Zeit vom 11. bis 18. Jahrhundert. Er stellt konkrete Staatsentwicklungs- und Zivilisationsprozesse heraus. Elias thematisiert die Entwicklung von einer feudalen Rittergesellschaft zu einer höfisch- aristokratischen Adelsgesellschaft. Im Vergleich der Gesellschaftsformen wird der Schwerpunkt auf Affektsteuerung gelegt, da diese die Ausübung körperlicher Gewalt beeinflusst. Elias benutzt die Begriffe Freuds und sieht Gewaltausübung im Zusammenhang mit natürlichen Trieben.

Bevor die Bedeutung von Gewalt in der Rittergesellschaft bearbeitet wird, soll zunächst die Situation in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft allgemein dargestellt werden.

2.1 Die mittelalterliche Feudalgesellschaft

Die mittelalterliche Feudalgesellschaft im Abendland bestand aus vielen Provinzen, denen häufig ein König bzw. Kaiser gegenüberstand. Der König bzw. Kaiser hatte zwar die faktische Macht über das Herrschaftsgebiet, konnte dies aber nicht allein verwalten. Daher unterteilte er sein Gebiet in kleinere Herrschaftsgebiete, die von jeweils einer Adelsfamilie verwaltet wurden. Sie regierten meist autonom und lebten dennoch in ständigen Machtkämpfen gegen den König.[1] Außerdem kämpften die Barone und Schlossherren, aber auch Städte und Dörfer ständig miteinander zur Erhaltung und Vergrößerung ihres Herrschaftsgebietes. Dieses Monopolgerangel entstand aus Privatinitiative und ohne einheitliches Steuerelement.[2] Die herrschende Adelsfamilie im jeweiligen Gebiet hatte auch die Polizei- und Gerichtsfunktion inne. Hieraus wird deutlich, dass innerhalb des Herrschaftsgebietes eine Machtverteilung mit Schwerpunkt auf den Grundbesitzer besteht, der seine Macht durch Waffengewalt erhält.[3]

In der mittelalterlichen Gesellschaft lag der wirtschaftliche Schwerpunkt auf Naturund Landwirtschaft.[4] Die Lebensformen waren berufsspezifisch vorbestimmt. Eine Lebensform war die des Ritters. Der Ritter war ein Feudalherr, welcher seine Macht u.a. durch Waffengewalt sicherstellte. Dabei handelte es sich um einen Teil der adligen Bevölkerung. Das Rittertum war bis ins späte 15. Jahrhundert hinein präsent und wurde danach durch die höfische Aristokratie abgelöst.[5] Elias zeichnet die Lebensgewohnheiten der Ritter anhand eines Buches aus dieser Zeit nach. Es handelt sich um "Das Mittelalterliche Hausbuch", welches 1912 durch den E.A. Seemann Verlag in Leipzig herausgegeben wurde. Die Weltauffassung des Mittelalters wird durch praktische Hinweise wie Rezepte, aber vor allem durch detailgetreue Zeichnungen dargelegt. Elias nimmt an, dass die Bilder von einem Ritter aus dem 15. Jahrhundert gezeichnet wurden. Anhand der Zeichnungen folgert Elias allgemeine Verhaltensgewohnheiten für Ritter des Mittelalters.

Auffällig sind die Darstellungen des Lebens auf dem Lande. Sie sind sehr realistisch gezeichnet und schließen Handlungen, die heute als vulgär angesehen werden, nicht aus. So werden z.B. der Galgen, schwer arbeitende, verschmutze Bauern oder auch erotische Beziehungen Adliger dargestellt. Diese Selbstverständlichkeit weist auf eine geringere Peinlichkeitsschwelle im Vergleich zur späteren Zeit hin. Der Galgen hat neben der Allgegenwärtigkeit des Todes auch noch eine andere Bedeutung. Er macht die Gerichtsherrschaft des Ritters und damit die Rangordnung in der Gesellschaft deutlich. Diese Rangordnung galt als natürlich und gottgewollt. Es galten nicht alle Menschen als gleichrangig. Elias vermutet, dass deshalb die sozialen und materiellen Unterschiede auch nicht verdeckt werden mussten.[6] In den Zeichnungen wird das Verhalten der Adligen immer "edel und courtois"[7] dargestellt und das der Unterschicht vulgär, "grob und ungeschlacht"[8]. Dieser Kontrast wird durch die Oberschicht bewusst gelebt und als positiv wahrgenommen. Dadurch ergibt sich eine veränderte Affektsteuerung des Adels. Auf diese wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.

2.2 Die Bedeutung von Gewalt

Der Adel hat sich durch seine stärkere Waffengewalt von der Unterschicht relativ unabhängig gemacht. Dies hat eine geringere Notwendigkeit der Triebzurückhaltung gegenüber der Unterschicht zur Folge. Elias spricht sogar von einer Verachtung der Oberschicht gegenüber der Unterschicht.[9] Durch die schlechtere finanzielle Lage der Unterschicht war für diese kaum Lösegeld zu erwarten. Daher waren sie die vorrangige Zielgruppe für Gewaltanwendungen.[10]

Elias beschreibt verschiedene Szenen, wie die des Turniers oder des Kriegslagers. Er geht näher auf Plünderszenen ein, in denen Ritter ihnen unterlegene Bauern überfallen, quälen und töten. Durch das Darstellen dieser Szenen in den mittelalterlichen Zeichnungen schließt Elias auf eine generell ungebundenere Affektlage. Das Leben in dieser Zeit bewege sich stärker zwischen Extremen und sei damit auch schwächer geregelt als in der Neuzeit. Wobei Elias innerhalb der Bevölkerungsschichten Unterschiede einräumt. Generell stellt er aber ein stärkeres Zeigen der körperlichen Funktionen und der Angriffslust heraus.[11]

Elias gibt an, dass die Affektentladung im Mittelalter schon gedämpfter war als noch im Altertum. Dennoch beschreibt Elias Raub, Kampf und die Jagd auf Tiere oder Menschen als Lebensnotwendigkeiten für das Leben im Mittelalter. Notwendig deshalb, da der Machterhalt durch die Schwächung des Gegners gesichert wurde. Dies schließt Verstümmelung der gegnerischen Krieger und Bauern mit ein.[12] Für den Adel war das "Kriegsgetümmel" zudem ein spaßiger Zeitvertreib. Er spricht von einer "ursprünglichen Wildheit des Gefühls".[13] Dies macht Elias am Text einer Kriegshymne eines Minnesängers deutlich. Für die Gewaltanwendungen der Adligen gab es keine strafende Gesetzgebung. Diese "Grausamkeitsentladung", wie sie Elias benennt, galt als gesellschaftlich erlaubte Freude, die sich durch das ganze Leben des Ritters zog. Schon als Kind wurde er im Kämpfen geschult und als junger Mann zum Ritter geschlagen. Gekämpft wurde dann so lang es die körperliche Verfassung erlaubte. Zu kämpfen war die gesellschaftliche Funktion des Ritter(berufes). Daher gab es auch Turniere und Tierjagden, für Zeiten in denen kein Krieg herrschte[14].

[...]


[1] Vgl. Elias 1990²: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band. Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 15. Auflage S. 17

[2] Vgl. Elias 19901: : Über den Prozess der Zivilisation: soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 15. Auflage, S. 278

[3] Vgl. Elias 1990², S. 18

[4] Vgl. Elias 19901, S. 268

[5] vgl. ebd., S. 283ff

[6] vgl. ebd., S. 286ff

[7] ebd., S. 290

[8] ebd., S. 291

[9] vgl. ebd.

[10] Vgl. ebd., S. 267

[11] Vgl. ebd., S. 292ff

[12] Vgl. ebd., S. 268f

[13] ebd., S. 266

[14] Vgl. ebd., S. 265ff

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der Bedeutungswandel von Gewalt in "Über den Prozeß der Zivilisation" und "Engagement und Distanzierung" von Norbert Elias
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Volkskunde / Kulturgeschichte)
Veranstaltung
Norbert Elias - Vom Außenseiter zum bedeutenden Menschenwissenschaftler
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V306195
ISBN (eBook)
9783668041066
ISBN (Buch)
9783668041073
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziologie, Gewalt, Kultur, Zivilisationsprozess, Interdependenzen, Volkskunde, Rittergesellschaft, Adel, moderne Gesellschaft, psychische Gewalt, Staatlichkeit
Arbeit zitieren
Nancy Reichel (Autor:in), 2015, Der Bedeutungswandel von Gewalt in "Über den Prozeß der Zivilisation" und "Engagement und Distanzierung" von Norbert Elias, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306195

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