Ursachen und Auswirkungen des (Neo-)Nationalismus in Europa


Seminararbeit, 2001

27 Seiten, Note: Gut (2)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Nationalismus – ein Problem im zusammenwachsenden Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts?

2. Zu den Begriffen „Nationalität“, „Nation“, „Nationalismus“, „Staat“ und „Volk“
2.1 Nationalität
2.2 Nation
2.3 Nationalismus
2.4 Staat
2.5 Volk

3. Ursprünge und Ausbreitung europäischer Nationalismen: Ein geschichtlicher Rückblick
3.1 Von der Frühzeit bis ins 19. Jahrhundert
3.2 Die Geburt des Nationalismus im 19. Jahrhundert und seine Veränderungen in der Folgezeit
3.3 Ernest Gellner: Eine alternative Theorie zum Nationalismus
3.4 Periphere Nationalismen und Regionalismen im 20. Jahrhundert

4. Neonationalismus als Übel unserer Zeit
4.1 Nationalismus in Osteuropa nach der Wende
4.2 Der österreichische (Deutsch)nationalismus

5. Die Zukunft Europas

Quellenverzeichnis

1. Nationalismus – ein Problem im zusammenwachsenden Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts?

Nach dem 2. Weltkrieg, der den furchtbarsten Höhepunkt des Nationalismus seit dessen Geburt darstellte, waren sich die europäischen Mächte einig: Solche nationalistischen Auswüchse gefährden die europäische Stabilität, verstoßen gegen grundsätzliche Menschenrechte und dürfen nie wieder vorkommen. In den folgenden Jahrzehnten wuchs (West)europa immer mehr zusammen, v.a. wirtschaftlich, aber auch politisch. Die globale Mobilität von Kapital, Gütern und Dienstleistungen wurde forciert und ein durch die Europäische Union geeintes Europa propagiert. Die geplante EU-Osterweiterung soll einer weiteren Einung von Europa dienen.

Zugleich bestehen in zahlreichen Regionen quasi als Gegenreaktion zu Zentralisierung und Vereinheitlichung Abschottungstendenzen, die teils sogar in gewaltsamen (ethnischen) Konflikten zum Ausdruck kommen. Verstärkt werden sie durch die neoliberale Politik des Sozialabbaus und deren allgemein verunsichernde Folgen. Hielt man den Nationalismus für ein bald der Vergangenheit angehörendes Relikt, so flammt er heute oft umso stärker auf und bedroht die europäische Integration, indem er einen Nährboden für ethnische Konflikte bildet. Überall erwachen ethnische oder nationalistische Interessen und wird größtmögliche Autonomie gefordert. Manche Autoren gehen so weit zu behaupten, dass jetzt, wo der 2. Weltkrieg zu Ende ist, der 1. Weltkrieg wieder beginnen könne – in Anbetracht nationalistischer, ethnischer und rassistischer Ambitionen in zahlreichen Regionen Europas (Vgl. Langer 1992:57). Ich persönlich halte diese Sichtweise zwar für etwas überzogen, da ich mir derzeit keinen gesamteuropäischen Krieg, wie das die beiden Weltkriege waren, vorstellen kann; dennoch gibt es in zahlreichen Regionalgebieten unleugbar gewaltigen Zündstoff: Man denke nur ans Baskenland, an Korsika, an Nordirland,... Ex-Jugoslawien erinnerte Europa schmerzhaft daran, dass der längst besiegt geglaubten Gottheit des Nationalismus weiterhin gehuldigt wird – Menschenopfer inklusive (Vgl. Kessler/Vitzthum/Wertheimer 1997:7).

Kaum ein europäisches Land besteht aus einer ethnisch homogenen Bevölkerung, sodass Konfliktpotential fast überall gegeben ist – sowohl in West-, als auch in Osteuropa. Trotzdem scheinen derzeit vom Nationalismus im ehemaligen Ostblock mehr Gefahren auszugehen, da in Zeiten der (politischen) Neuorientierung Menschen am anfälligsten für einfache „Lösungen“, wie der Nationalismus eine verspricht, sind. Auf jeden Fall tritt Nationalismus in Europa in verschiedensten Spielarten und aus verschiedensten Gründen auf, die noch zu klären sein werden. Generell gilt: Nationalistische, ethnische und religiöse Bewegungen bergen heute wesentlich mehr Massenmobilisierungspotential als Klassenunterschiede. Die Meinungen über Völker, die nach größtmöglicher Autonomie streben (z.B. Armenier, Kurden, Lappen), gehen auseinander: Manche sehen darin eine gesunde Reaktion gegen Zentralismus, Bürokratie und Dominierung einer Mehrheit, andere fürchten dagegen mögliche daraus resultierende Konflikte und Kriege (Vgl. Langer 1993:57f).

Nationalismus geht oft mit offener rassistischer Gewalt von Seiten der Bevölkerung (alltäglicher Rassismus) und mit gesetzlichen Diskriminierungen von Seiten des Staates (institutioneller Rassismus) einher (Vgl. Caglar 1997:7). Die Opfer sind Minderheiten im Staat oder auch Migranten und Flüchtlinge aus dem Ausland, deren Präsenz in Europa in den letzten Jahren stark zunahm. Ebenfalls durch Rassismus und Nationalismus bedroht sind Menschenrechte und demokratische Errungenschaften. Nationalistische Tendenzen spiegeln sich auch in der steigenden Popularität rechter und rechtsradikaler Parteien wider, welche in immer mehr Ländern die politische Landschaft verändern – das beste Beispiel dafür ist vor unserer Haustür, nämlich die FPÖ, welche sich zur Regierungspartei mauserte.

Bevor ich mich im Folgenden dem eigentlichen Thema widme, nämlich „(Neo)nationalismus in Europa“, halte ich eine Definition verschiedener Begriffe (Nationalität, Nation, Nationalismus, Staat, Volk) für unumgänglich für das weitere Verständnis.

In einem nächsten Schritt wird ein Rückblick auf die Geschichte des Nationalismus in Europa zu werfen sein. Wann führten welche Faktoren zu seiner Geburt und wie entwickelte er sich in Folge in den unterschiedlichen Regionen?

Danach werde ich neonationalistische/neokonservative Tendenzen in der heutigen multikulturellen Gesellschaft Europas unter die Lupe nehmen. Besonders möchte ich mich beziehen erstens auf Nationalismus in den postkommunistischen osteuropäischen Staaten und zweitens auf Österreich mit seinem wesentlich von der FPÖ getragenen (Deutsch)nationalismus.

Schließlich wird ein Ausblick auf die Zukunft von Nationalismus/ethnischen Konflikten in Europa den Kreis schließen. Wird die Europäische Union stark genug sein, um nationalistischen Tendenzen erfolgreich die Stirn zu bieten?

Auf den angekündigten Abstecher zu den drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam bzw. ihrer Pluralismusfähigkeit möchte ich jedoch verzichten, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Zu den Begriffen „Nationalität“, „Nation“, „Nationalismus“, „Staat“ und „Volk“

Für zahlreiche der folgenden Begriffe existieren keine allgemeingültigen Definitionen, sondern vielmehr Beschreibungen, auf die sich Politik und Wissenschaft geeinigt haben. Manche der Begriffe sind sogar mit Vorsicht zu genießen: Spätestens seit der NS-Zeit ist z.B. der Volksbegriff mit negativen Assoziationen behaftet. Da er aber im Sprachgebrauch (z.B. Vielvölkerstaat) eine Rolle spielt, möchte ich hier auf eine Definition nicht verzichten.

2.1 Nationalität

Darunter versteht man

eine nationale Minderheit, eine ethnische Gruppe oder ein indigenes Volk innerhalb des Rahmens sozio-politischer und völkerrechtlich relevanter Kategorisierung (Vgl. Scherrer 1997:29ff).

Die Begriffsverschiebung ist Ergebnis eines meist konfliktiven politischen Prozesses, in dem politische Machtfaktoren eine bedeutende Rolle spielen. Bilden sich Ethnien nicht zur Nation(alität) um, droht die interne oder externe Kolonisation und als Folge die Vernichtung als eigenständige Einheiten.

Was sind nun Charakteristika von Nationalitäten ? Eine sozial nicht dominante Ethnie gilt als Nationalität, wenn sie trotz der Dominanz- und Souveränitätsansprüche von außen

- als Kommunikations- und Interaktionsraum fungiert
- eine besondere Produktions- und Lebensweise hat und reproduziert
- eine politische Organisation entwickelt
- ein angebbares Territorium besiedelt
- unverwechselbar ist, da ihre Mitglieder sich als solche deklarieren und von anderen dieser Gemeinschaft zugeordnet werden.

Diese fünf Charakteristika, die eine Verbindung von subjektiven und objektiven Merkmalen bilden, stellen eine Maximaldefinition dar, d.h. je mehr Eigenschaften auf eine bestimmte Nationalität zutreffen, desto näher kommt sie dem Idealtypus.

Eine ethno-nationale Gemeinschaft entwickelt eine unverwechselbare Kollektividentität, weshalb im politischen Kampf oft das völkerrechtliche Prinzip der Selbstbestimmung beansprucht wird. Häufig wird in der Praxis das Selbstbestimmungsrecht und das daraus folgende Recht auf ein eigenes Territorium nicht respektiert; die meisten Völker werden somit als Minderheiten innerhalb eines Staatsgebiets betrachtet. Rechtsbasis für Minderheitenrechte sind die Menschenrechte als Rechte des Individuums. Rechte ethno-nationaler Gemeinschaften befinden sich in einer Grauzone zwischen Völkerrecht und individuellen Menschenrechten. International sind sie schwer durchsetzbar, da die einzelnen Staaten ihre nationale Souveränität betonen und auf Nichteinmischung in innere Angelegenheiten pochen. Laut UNESCO muss ein Volk, das legitimerweise das Recht auf Selbstbestimmung einfordern kann, folgende Merkmale aufweisen: 1. gemeinsame geschichtliche Tradition, 2. ethnische Identität, 3. kulturelle Homogenität, 4. gemeinsame Sprache, 5. religiöse oder ideologische Affinität, 6. Verbindung zu einem Territorium, 7. ein gemeinsames ökonomisches Leben, 8. eine (nicht präzisierte) „bestimmte Anzahl“ von Mitgliedern, 9. einen einheitlichen politischen Willen, 10. das Bewusstsein ein Volk zu sein und 11. die Existenz politischer Institutionen.

2.2 Nation

Lateinisch bedeutete „natio“ zunächst „Geburt, Ankunft“, später auch Gruppe, Stamm. Im Altertum verstand man unter Nation die durch Abstammung verbundene Bevölkerung einer Stadt, einer Landschaft oder eines Territoriums, im Mittelalter meinte man damit Studenten an Universitäten und Teilnehmer an Reformkonzilien. In der französischen Revolution wurde die Identität von Volk, Staat und Nation als höchste politische Ordnung angestrebt. Heute spricht man von der Nation als

einem Volk, dem Teil eines Volkes oder dem Verband mehrerer Völker, die jeweils im Laufe der Geschichte einen eigenen Staat als „höchste Entwicklungsform“ bildeten (oder noch bilden wollen), ein zentralisiertes politisches System aufweisen, sich aus einer heterogenen Population zusammensetzen (sozial geschichtet, wirtschaftlich spezialisiert, etc.), ein bestimmtes Territorium bewohnen, über ein Zusammengehörigkeitsgefühl sowie über ein nach Vereinheitlichung der kulturellen Normen strebendes staatspolitisches Willenselement verfügen.

Nationen sind Ergebnis geschichtlicher Prozesse. Die Zugehörigkeit wird durch das Bewusstsein bestimmt (Vgl. Boden 1993:17f).

Das Mystifizieren der Nation als „natürliche Schicksalsgemeinschaft“ diente der Verschleierung der angestrebten Staatlichkeit (Vgl. Scherrer 1997:33f). Die Erfindung der Nation, deren Voraussetzungen der Industriekapitalismus einerseits und die Philosophie der Aufklärung andererseits waren, erfolgte in Europa in drei Phasen: Zunächst wurde ethnische Multiplizität erzwungenermaßen (oft kriegerisch) vereinheitlicht und gleichgeschaltet – das „Staatsvolk“ musste erst systematisch hergestellt werden, indem das Ethnische als Basis des Nationalen manipuliert wurde. Es folgte die Errichtung eines Staates als Herrschaftsstruktur und Machtinstrument. Zuletzt war ein inhärenter Expansions- und Eroberungsdrang konstatierbar.

Im Zuge der Nationenbildung entwickeln sich eine spezifische nationale Ideologie sowie nationale Institutionen bzw. die Institutionalisierung gesellschaftlicher Instanzen und politischer Regelungen. Der Kampf um Selbstbestimmung trägt oft entscheidend zur Konstituierung eines Volkes als Nation bei.

Die Grenzen der Nation sind häufig willkürlich und unklar bzw. stimmen nicht mit Staatsgrenzen überein, was zwangsläufig zu Konflikten führt (Vgl. Boden 1993:12f). Grenzen nach ethnischen Gesichtspunkten ziehen zu wollen wäre dagegen unmöglich, weil viele Gruppen keine zusammenhängenden Siedlungsgebiete bewohnen. Die Geschichte zeugt von Umsiedlungsaktionen, die aus Mehrvölker- und Nationalitätenstaaten homogene Nationalstaaten machen sollten (z.B. Türken/Griechen) und von Versuchen, ein neues Staatsvolk aus mehreren zusammenzuschweißen (z.B. Lenin). Ob es einen rechtmäßigen, historischen Anspruch eines Volkes bzw. einer Nation auf ein Territorium gibt, ist offen – Demokratie, Menschenrechte, Minderheitenschutz, Toleranz und Offenheit müssen jedenfalls bei jeder Forderung nach Selbstbestimmung Berücksichtigung finden.

Der Unterschied zwischen Nation und Klasse besteht darin, dass die Klasse eine gesellschaftliche Großgruppe unter anderen darstellt, die Nation sich hingegen als die mobilisierte Gesamtgesellschaft versteht (Vgl. Puhle 1997:27ff). Laut Max Weber gehört der Begriff der Nation der Wertsphäre an, weil er gewissen Menschengruppen ein spezifisches Solidaritätsempfinden anderen gegenüber zumutet. Außerdem argumentiert er, dass die Fiktion der Nation ein gesellschaftliches Phänomen als ein gemeinschaftliches ausgibt. Die Nation als „Produkt vorsätzlicher Gestaltung“ wird gemacht, gebaut, manchmal erfunden. Abgrenzungskriterien – Ausschluss ist beim Konzept der Nation stets wichtiger als Einschluss – wie Sprache, Kultur, Religion und Tradition müssen bloß für genügend Leute hinreichend plausibel sein. Darin liegt der Nachteil aufgeklärter und abstrakter Nationsbegriffe, die vom Bürgerrecht und von der Staatsnation ausgehen und gegenüber greifbaren Kriterien wie Kultur, Phänotyp und Territorium von vielen als zu „blutleer“ empfunden werden.

Der Bau der Nation, das „nation building“, kann sehr unterschiedlich vor sich gehen, je nachdem, ob ein Staat schon vorhanden ist oder nicht bzw. wie weit die Gesellschaft bereits politisch mobilisiert und organisiert ist (Vgl. Puhle 1995:30ff). In staatenlosen Nationen Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas, die sich seit dem 19. Jahrhundert aus den diversen Vielvölkerreichen lösen wollten, wurde nation building wesentlich „von unten“ betrieben. Dagegen erfolgte in den neuen Staaten des europäischen Zentrums wie Deutschland und Italien, wo es um die Integration kleinerer Territorien zu einem größeren Gebilde ging, ein nation building mehr „von oben“, da die Nationalbewegungen bald von den hegemonialen Territorialmächten übernommen wurden. Nur in Westeuropa, v.a. in Frankreich und Großbritannien, konnte nation building von oben wie von unten vor sich gehen; die Staaten existierten nämlich schon als potentielle „Nationalstaaten“, bevor nationale Ideen aufkeimten. Genau dort entwickelte sich daher der Typ des klassischen Nationalstaats, in dem sich Staat und Nation einigermaßen decken. Von Westeuropa breitete er sich über Mittel- und Osteuropa schließlich in alle Welt aus und galt dank seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit, seines Mobilisierungspotentials, seiner Rechtsstaatlichkeit, etc. lange als der moderne Staat schlechthin. Nach dem Bau des neuen Nationalstaates geht es überall darum, wer die prägende Nation sein soll, wer also das Sagen über Geld, Ressourcen, Sprache und Kultur haben soll.

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Ursachen und Auswirkungen des (Neo-)Nationalismus in Europa
Hochschule
Universität Wien
Note
Gut (2)
Autor
Jahr
2001
Seiten
27
Katalognummer
V30621
ISBN (eBook)
9783638318389
ISBN (Buch)
9783638682947
Dateigröße
874 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ursachen, Auswirkungen, Europa
Arbeit zitieren
MMag. M.A. Gisela Spreitzhofer (Autor:in), 2001, Ursachen und Auswirkungen des (Neo-)Nationalismus in Europa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30621

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