Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Frühe Kindheit
2. Bildung und Erziehung
3. Zum pädagogisches Verständnis von Bildung
3.1. Der Bildungsbegriff nach Wilhelm von Humboldt
3.2. Fröbels und Montessoris Beitrag zum pädagogischen Bildungsverständnis
3.2.1. Friedrich Fröbel
3.2.2. Maria Montessori
3.3. Zusammenfassung
3.4. Thesen zur frühkindlichen Bildung ( Gerd Schäfer)
4. Entwicklungspsychologische Perspektiven zur Bildung in der frühen Kindheit
4.1. Einfluss der Entwicklungspsychologie
4.2. Selbst und Bildung
4.3. Universelle Entwicklungsaufgaben- individuelle Entwicklungsverläufe
4.4. Bildung in sensiblen Phasen
4.5. Sichere Bindung
4.6. Zusammenfassung Entwicklungspsychologie
5. Beitrag der Hirnforschung- Neurobiologische Sicht auf Bildungs- und Lernprozesse
5.1. Das prä- und postnatale Gehirn
5.2. Neuroplastizität
5.3. Sensible Phasen
5.4. Selbst-Initiative
5.5. Emotionen und äußere Wirkungsfaktoren
5.6. Zusammenfassung: Bildung in der Hirnforschung/ Neurobiologie
6. Zusammenfassung Bildungsverständnis
6.1 Begriff der Bildung in der frühen Kindheit aus pädagogischer, entwicklungspsychologischer und neurobiologischer Sicht
6.1.1. Die neurobiologische Ebene - Bildung von neuronalen Netzwerken
6.1.2. Die psychologische Ebene - Bildung des Selbst
6.1.3. Die pädagogische Ebene- Selbstbildungspotenzial
7. Bildungsarbeit in der frühen Kindheit
7.1. Bildungsförderung in NRW
7.1.1. Bild vom Kind
7.1.2. Bildung als Selbstbildung
7.1.3. Rolle des Erwachsenen
7.1.4. Raum, Material und Zeit
7.7.5. Bildungsinhalte und Bildungsbereiche
8. Abschluss
9. Literaturverzeichnis
Einleitung
Der Begriff Bildung lässt sich in den letzten Jahren verstärkt in öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskursen finden und taucht somit immer wieder in den Medien, in Zeitungsartikeln, Fernsehbeiträgen, in zahlreichen Sach-und Fachbüchern auf Die Ergebnisse von PISA 2000 (Programme for International Student Assesment), einer internationalen Studie zu Schülerleistungen in Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften, zeigten, dass die Leistungen der Schüler in Deutschland unter dem Durchschnitt lagen (vgl.PISA 2000, S. 8f.)
Die Ergebnisse zeigten auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen den erworbenen Kompetenzen der Schüler und ihrer sozialen Herkunft. Dieser Zusammenhang besteht in allen untersuchten Staaten, jedoch ist dieser in Deutschland am engsten (vgl. PISA 2000, S.13).
Der aus den Ergebnissen folgende, so genannte „PISA-Schock“, zog nach sich, dass Bildung zu einem zentralen Thema in der Bundes- und Länderpolitik wurde.
Daraus folgt auch die politische Diskussion um Chancengleichheit in der Bildung und eine Fokus auf außerfamiliäre Förderung für bildungsbenachteiligte Kinder. Diese Bildungsförderung muss demnach verstärkt in Kindertageseinrichtungen und Schulen stattfinden.
Seit 1989 ist in der UN-Kinderrechtskonvention für Kinder auch das Recht auf Bildung festgeschrieben. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention über die Rechte des Kindes unterzeichnet und diese ist 1992 in Kraft getreten.
Längst wurde die Bedeutung der frühen Jahre erkannt.
Durch wissenschaftliche Erkenntnisse, wie etwa der Hirnforschung, die aufmerksam machen auf das enorme Entwicklungspotenzial von Kindern, gerade in den ersten Lebensjahren, entstehen veränderte Anforderungen an die Bildungs- und Erziehungsarbeit mit Kindern. Denn schon die ersten drei Jahre beeinflussen die Entwicklungsmöglichkeiten und -risiken. Somit gewinnt die Frühe Kindheit an Bedeutung und die Notwendigkeit entsteht, eine anregende Umwelt zu Verfügung zu stellen, die das Kind zur Entfaltung seiner kognitiven, emotionalen, motorischen und sozialen Potenziale benötigt (Andresen/Hurrelmann 2007, S. 43).
Mit diesen Erkenntnis und dem Wissen um die Bedeutung der Kindheit wächst ein Anspruch nach optimaler und kompetenter Bildungs- und Erziehungsarbeit mit Kindern. Und so stellen sich neue Anforderungen an die Qualität von Bildungsangeboten in Kindertageseinrichtungen und auch an die Ausbildung von Erzieher-innen.
In den letzten Jahren wurden neue Studiengänge an Universitäten und Hochschulen eingerichtet, wie etwa Elementar-, Früh- und Kindheitspädagogik.
Für die Bildungsarbeit im Elementarbereich haben nun alle 16 Bundesländer Pläne, Programme und Empfehlungen entwickelt.
Doch was ist eigentlich mit Bildung gemeint?
Die PISA-Studie erfasst die Kompetenzen von Schüler in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Doch lässt sich durch das Erfassen dieser Kompetenzen tatsächlich etwas über die Bildung von Schülern im Allgemeinen und etwas über Bildung in der frühen Kindheit sagen? Bildung lässt sich sicher nicht nur auf Kompetenzen im Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften reduzieren.
Was lässt sich unter dem Begriff Bildung aus pädagogischer, entwicklungspsychologischer und neurobiologischer Sicht verstehen?
Zunächst möchte ich den Bildungsbegriff in der Pädagogik der frühen Kindheit nach Gerd E. Schäfer betrachten und im weitern, sowohl die Perspektiven der Entwicklungspsychologie auf Bildung herausarbeiten, als auch Erkenntnisse der Neurobiologie, wie sie unter anderen Gerald Hüther und Manfred Spitzer beschreiben, aufzeigen. Ich möchte Gemeinsamkeit, Unterschiede und mögliche Ergänzungen der verschiedenen Disziplinen beschreiben, um die Bedeutung und das Verständnis des Begriffs Bildung in der frühen Kindheit ein stückweit zu klären.
Zum Schluss folgt die Betrachtung des Entwurfs zur Bildungsförderung in NRW, auch in Hinblick darauf, welches Verständnis von Bildung in der frühen Kindheit darin beschrieben wird.
1. Frühe Kindheit
Kluge (2009) beschreibt den Begriff Kindheit als eine eigenständige Entwicklungsphase des Menschen und verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen einem Bild vom Kind, der Bedeutung der Kindheit und einem wandelnden historischen bzw. sozialen und politischen Einfluss auf diese Bild. Somit unterliegen Kinderbilder einem gesellschaftlichen und historischen Wandel und sind vor allem durch die Vorstellungen von Erwachsenen über Kinder bestimmt.
„ Kindheit gilt heute als eigene, in jeder Hinsicht (körperlich, seelisch, geistig) produktive Lebensphase, die aus entwicklungspsychologischer Sicht von der Geburt bis zur Pubertät bzw. sexuellen Reife reicht.“ (Kluge 2009, S.22).
Ein genaues Alter zum Beginn der Pubertät und somit zum Ende der Kindheit und dem gleichzeitigen Beginn des Jugendalters, lässt sich auf Grund der sehr unterschiedlichen Entwicklungsverläufe nicht genau bestimmen. Es lässt sich lediglich festhalten, dass es zur heutigen Zeit in Deutschland bei Mädchen grob zwischen 8 und 14 Jahren und bei Jungen zwischen 10 und 16 Jahren liegen kann. Ein präzises Alter zum Ende der Kindheit wird nur rechtlich bestimmt, so dass nach deutschem Recht das Kindesalter mit dem vollendeten 14. Lebensjahr endet (Kluge 2009, S.22).
Die frühe Kindheit, als ein Teil der gesamten Phase der Kindheit, kann nochmals in einzelne Entwicklungsabschnitte unterteilt werden, in das Neugeborenen-, Säugling-, Kleinkind- Kindergarten- und Vorschulalter (vgl. ebd. S.28 ff.).
Der Begriff Frühe Kindheit wird oft verwendet, jedoch mit unklarer oder auch unterschiedlicher Eingrenzung der Altersspanne. So wird mit „frühe Kindheit“ sowohl die Zeitspanne vom 1.-3. Lebensjahr, die auch die pränatale Phase mit einschließt (vgl. Wicki 2010, S.23), bezeichnet oder auch die Zeitspanne vom 24 Lebensmonat bis 6 Jahre (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2009, S.13). In Kontext von Bildung und frühe Kindheit beginnt, laut Schäfer, Bildung bereits mit der Geburt. In seinem offenen Bildungsplan für Kindertageseinrichtungen zur Gestaltung von Bildungsprozessen bezieht er sich jedoch auf die Altersspannen von 3 bis 6 Jahren (vgl.Schäfer 2005, S.9).
2. Bildung und Erziehung
Schäfer führt eine Unterscheidung zwischen Erziehung und Bildung an:
„ Während unter Erziehung in der Regel ethisch vertretbare Formen eines absichtsvollen Einwirkens auf andere verstanden wird, rückt der Bildungsbegriff eher das eigenwillige und selbstständige Handeln des Individuum bei seinen Lernprozessen in den Mittelpunkt sowie deren Integration in einen übergreifenden soziokulturellen Zusammenhang.“ (Schäfer 2009, S.34).
Demnach unterscheidet sich Erziehung von Bildung durch die Rolle des Individuums. Wo bei der Erziehung die Absicht besteht von außen auf das Individuum einzuwirken, da steht bei der Bildung ein selbstbestimmter und eigenständiger Lernprozess des Individuums im Zentrum. Das Äußere stellt dabei einen kulturellen und sozialen Kontext dar, in dem Bildung stattfinden kann. So ließe sich daraus verallgemeinert sagten, dass bei der Erziehung das Individuum eher eine passive Rolle einnimmt, wohingegen bei der Bildung das Individuum eine aktive Rolle innehat.
Erziehung kann als Vermittlungstätigkeit und Bildung als Aneignungstätigkeit verstanden werden (Liegle 2008, S.99). Liegle beschreibt Erziehung als „ den Versuch einer Person (z.B. einer Erzieherin), einer anderen Person (z.B. einem Kind) etwas (z.B. Wissen über die Wachstumsprozesse einer Pflanze) zu vermitteln.“ (ebd., S.94). Damit wird die Vermittlertätigkeit der Erziehung hervorgehoben.
Als eine Form professioneller Erziehung kann der „Unterricht“ betrachtet werden. Wobei das Gelingen des Unterrichts bzw. der Vermittlung abhängig von der Fähigkeit und Bereitschaft des Empfangenden ist. Die Tätigkeit der Aneignung erfolgt beim Empfangenden und kann dann mit dem Begriff „ Lernen“ oder auch „ Bildung“ beschrieben werden (vgl. Liegle 2008, S.94). Liegle beschreibt auch einen wechselwirkenden Zusammenhang zwischen Bildung und Erziehung. Demnach bedarf Bildung, als Tätigkeit der Aneignung, einen Gegenstand und anregende, unterstützende Vermittlung von seiner Umwelt, genauso wie Erziehung, als Tätigkeit der Vermittlung, angewiesen ist auf die Aneignungsfähigkeiten und die Aneignungsbereitschaft der Empfangenden (ebd., S.99). Laut Laewen (2009) kann es eine Erziehung geben, die auf Bildung zielt. Er grenzt seinen Erziehungsbegriff deutlich ab von möglichen Vorstellungen einer konsequenten Anpassung oder Methoden der schwarzen Pädagogik, die auf kompromisslose Unterwerfung des Kindes zielte. Vielmehr versteht er unter Erziehung eine legitime Aufgabe den Stand bisher erreichter gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen weiterzugeben. Dabei wird das eigene Bestreben des Kindes, sich die Welt aneignen zu wollen, respektiert. Die Aufgabe der Erziehung besteht darin sich zuerst der zu vermittelnden Ziele bewusst zu sein und diese dann dem Wissen-Wollen und Können-Wollen des Kindes anzubieten und damit die Aneignungsfähigkeiten des Kindes herauszufordern. Das Erziehungshandeln findet dann statt in Form der Gestaltung der Umwelt und der Interaktion mit dem Kind. Dabei wird das Kind mit Themen konfrontiert, die aus Sicht der Erziehung relevant sind, aber ebenso gilt es die Themen des Kindes wahrzunehmen, aufzugreifen und zu beantworten (Laewen 2009, S.99 f.).
3. Zum pädagogisches Verständnis von Bildung
Schäfer beschreibt in seinem Beitrag Der Bildungsbegriff in der Pädagogik der frühen Kindheit (2009) eine ausgewählte Traditionslinie zum Bildungsbegriff, der auf die frühe Kindheit bezogen werden kann.
Zu den Wurzeln des Bildungsbegriffs verweist Schäfer auf drei Traditionslinien, die Bilstein (2004) herausgearbeitet hat:
- Metaphorisch- Mystische:
Grundlegende Idee ist die Formungsarbeit am Innere/ der Seele des Menschen
- Aufgeklärte:
An die Stelle Gottes tritt das Universalgenie (wie z.B. Leonardo da Vinci)
- Aufgeklärte-Bürgerliche-Ästhetische:
Am Ende des 18. Jahrhunderts besteht weiterhin die Orientierung an der Aufklärung und dem Universalgenie, hinzu kommt die Ausweitung der Bildung auf das Bürgerliche und Ästhetische. Bildung wird als Prozess gedacht, der nicht von außen herstellbar oder steuerbar ist.
„ Wilhelm von Humboldt denkt diese Traditionen nun so weiter, dass seine Grundgedanken bis heute als eine Art regulative Idee des Bildungsgedankens betrachtet werden können, an der sich die Diskussion zu messen hat.“ (Schäfer 2009, S.34)
3.1. Der Bildungsbegriff nach Wilhelm von Humboldt
Wilhelm von Humboldt (1767- 1835) prägte im 18. Jahrhundert ein humanistisches Bildungsideal. Zu dieser Zeit hatten gesellschaftliche und politische Veränderungen einen bürgerlichen Verfassungsstaat zum Ziel, für den allgemein gebildete und aktive Menschen gebraucht wurden. Zudem sollte Bildung als Grundrecht für alle zugänglich sein.
In humanistischem Sinn wurde Bildung als Prozess verstanden, in dem sich der Mensch erst zum Menschen entwickelt und bei dem die gesamte Persönlichkeit mit einbezogen ist. Das Ideal einer humanistischen Persönlichkeit, sollte sich durch Möglichkeiten zur Entfaltung intellektueller, emotionaler und kreativer Fähigkeiten verwirklichen. Zu dieser Persönlichkeitsbildung gehörte sowohl eine Allgemeinbildung (breit gestreutes Wissen) als auch eine Herzens- (im Einklang mit Gefühlen) und Charakterbildung (verantwortungsvoller Umgang mit Mitmenschen) (Keller, S.24f.).
Beim Bildungsbegriff, der in seiner Bedeutung auf Wilhelm von Humboldt zurückzuführen ist, wird Bildung nicht mit Kompetenzerwerb gleichgesetzt. Bildung wird als Anregung verstanden. Diese Anregungen ermöglichen Erfahrungen mit sich selbst und mit der Welt und können die Entfaltung aller menschlichen Kräfte anregen (Laewen 2009, S.98).
Nach Humboldt stellt Bildung ein Verhältnis zwischen dem individuellen Ich und der Welt her. Durch die Auseinandersetzung mit der Welt findet Bildung statt. Durch die Verbesserung der individuellen Kräfte und der Werkzeuge, die als Hilfe zur Auseinandersetzung mit der Welt nützlich sind, wird Bildung erreicht und nicht durch Aneignung von Inhalten oder Anhäufung von Kenntnissen. Die Aufgabe des Menschen zur Bildung seiner eigenen Kräfte in Beziehung zur Welt und seiner gesellschaftlichen Umwelt könne gelingen, wenn die Bildung des Menschen nicht gleichgesetzt werde mit Funktionen und dem Nutzen für die Gesellschaft Jedoch werden gesellschaftlich-kulturelle Kräfte nicht ignoriert. Denn sie stellen die Herausforderungen an das Subjekt, doch dürfen diese nicht als einzige und ausschlaggebende die Bildung des Menschen bestimmen (Schäfer 2009, S.34).
Schäfer leitet aus dem Humboldt’schen Bildungsverständnis Merkmale ab, die auch noch für das heutige Bildungsverständnis gelten können:
- Bildung als Selbsttätigkeit: Bildung ist mit der Selbsttätigkeit des Individuums verbunden. Dabei geht es um die Person selbst und nicht um die Verwirklichung von Bildungszielen der Gesellschaft. Bildung kann nicht von außen erzeugt werden, sondern nur vom Mensch selbst verwirklicht werden.
- Umfassender Bildungsanspruch: Bildung umfasst Denken und Handeln, Wissenschaft und Kunst, Können, Wissen und Ästhetik
- Subjektive Form: In der Auseinandersetzung mit kultureller und sozialer Wirklichkeit entsteht eine individuelle Gestaltungsform, mit der der umfassende Anspruch von Bildung immer wieder Balance findet (ebd., S.34).
3.2. Fröbels und Montessoris Beitrag zum pädagogischen Bildungsverständnis
Wenn es um die Auseinandersetzung mit Bildung in der frühen Kindheit geht und der historische Kontext aufgeführt wird, dann sind in der Fachliteratur (vgl. Fried 2003, Schäfer 2009, Keller 2009) stets zwei Namen zu finden: Friedrich Fröbel und Maria Montessori. Fröbel als der Pionier des Bildungsgedankens in der frühen Kindheit und Montessori, die den Bildungsgedanken auf eine empirische Basis stellte (Schäfer 2009, S.35).
3.2.1. Friedrich Fröbel
Friedrich Fröbel (1782 – 1852) gründete in Deutschland 1840 den ersten Kindergarten, den er als Teil des Bildungssystems zu etablieren versuchte. Dieser Versuch ist ihm u.a. aus politischen Gründen nicht gelungen (Fried 2003, S.56).
Unabhängig von sozialer Notwendigkeit einer institutionellen Betreuung, verstand Fröbel den Kindergarten als einen Ort frühkindlicher Bildung. Aber auch die Familie stellte für ihn einen Ort dar, der zur Bildung des Kindes beiträgt (Schäfer 2009, S.35).
Das Angebot des Kindergartens richtete sich an die Kinder des Bürgertums und des Adels. Das Bildungsangebot auch benachteiligten Schichten zugänglich zu machen scheiterte, denn dieser Versuch führte 1851 zum preußischen Kindergartenverbot, so dass Kindergärten polizeilich verboten wurden (Keller 2009, S.29).
Fröbel sah die frühe Kindheit als ganz besondere Phase für Bildung. Das Spiel des Kindes stand im Fokus seiner Pädagogik, so dass sich das Kind durch spielerische Übungen im motorischen, kognitiven und emotionalen Bereich entfalten und entwickeln konnte. Als Ziel von Bildung verstand Fröbel die Selbstbestimmung des Menschen, die in Zusammenhang mit einer allseitigen Entfaltung und Entwicklung des Individuums steht (ebd. S.28). Das Kind sollte durch Bildung zur „Lebenseignung“ gelangen können, in dem es darin unterstütz wird, ein eigenes Weltbild zu entwickeln, welches es befähigt, in Einklang zu kommen, mit der eigenen inneren und der äußeren Natur (Fried 2003, S.55 f.).
Zur Förderung des Kindes stellte Fröbel selbst geeignete Spielgaben her, Kästen mit farbigen Bällen, Kugeln, Würfeln, Walzen und Baukästen. Im Weiteren verwendete er Legetäfelchen, Stäbchen und Muscheln als Beschäftigungsmaterial und es wurde mit Ton modelliert, geflochten und ausgestochen. Durch das selbsttätige Spiel mit den Materialen, durch Zuordnen und Vergleichen, durch Wiederholen und Probieren werden mathematische Grunderfahrungen und das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten ermöglicht (Keller 2009, S.29). Im Umgang mit den Spielgaben können die Kinder die Welt als lebenspraktische, ästhetische und mathematische Ordnung erfassen und darüber ein Verhältnis zwischen innerer und äußerer Ordnung herstellen (Schäfer 2009, S.35).
3.2.2. Maria Montessori
Maria Montessori (1870-1952), war die erste Frau in Italien, die den Doktor in Medizin machte. Im Weiteren studierte sie Anthropologie und Erziehungsphilosophie und gründete danach 1907 in einem Armenviertel von Rom Kinderhäuser für Vorschulkinder. Hier entwickelte sie auf der Grundlage ihrer Beobachtungen und Einsichten ein pädagogisches System der „Selbsterziehung des Kindes“ in einer didaktisch „vorbereiteten Umgebung“, welches sich als Montessori- Pädagogik weltweit verbreitete (Michael 2009, S.5).
Ausgangspunkt für Montessoris pädagogisches Bildungsverständnis ist das Kind, welches von sich aus zum Lernen motiviert ist. Von außen gilt es das Kind in seiner Individualität zu betrachten, mit seinen Begabungen und Fähigkeiten.
Montessoris Pädagogik ist aus der Sicht des Kindes gedacht. Die Forderung des Kindes an den Erwachsenen formulierte sie als: ‚Hilf mir, es selbst zu tun!’(Keller 2009, S.29f.).
Montessori setzt an dem Verständnis der Selbsttätigkeit des Kindes an und entwickelt auf der Grundlage von Beobachtungen ein autodidaktisches Material, welches Kinder selbstständig benutzen und mit dem sie ein Verständnis von der Welt gewinnen können (Schäfer 2009, S.36). Für die Frühe Kindheit entwickelte sie vor allem das Sinnesmaterial und Übungen des praktischen Lebens und im Weiteren Material für Mathematik, Lesen, Schreiben, Biologie und Geographie. Der Erwachsene ist für die Gestaltung der vorbereiteten Umgebung zuständig, in der das Kind mit dem Material selbsttätig werden kann. Ansonsten ist der Erwachsene eher ein passiver Beobachter, der aber als Berater zur Verfügung steht, wenn das Kind seine Unterstützung benötigt. Für die pädagogische Interaktion ist eine bewusste Haltung dem Kind gegenüber nötig, die nach Montessori ausschließt, das Kind als ‚leeres Wesen’ zu betrachten und es nach eigenen Maßstäben zu beurteilen, denn dies würde die Persönlichkeit des Kindes auslöschen. Bestimmend ist Montessoris Bild vom Kind, das einen inneren Bauplan in sich trägt, der sensible Perioden durchläuft und sich dadurch entwickelt (Keller 2009, S.30f.).
3.3. Zusammenfassung
Für das Bildungsverständnis von Fröbel und Montessori ist die Eigenaktivität des Kindes wesentlich. Es zeigen sich auch starke Ähnlichkeiten zu den Bildungsgedanken von Wilhelm von Humboldt, der die Selbstbildung des Individuums ins Zentrum stellte. Fröbel verwendet den Begriff der Selbstbestimmung, die er als Ziel von Bildung versteht und Montessori den Begriff der Selbsttätigkeit, den sie sowohl als Ausgangspunkt und als Ziel von Bildung betrachtet. Das besondere an Fröbels und Montessoris Verständnis, im Vergleich zu Humboldt, ist, dass beide die besondere Bedeutung der frühen Kindheit für den Bildungsprozess erkennen. Beide setzten sich mit der praktischen Gestaltung zur Anregung der kindlichen Bildungsprozesse auseinander und beide entwickelten Materialen, die dem Kind eine Auseinandersetzung im Spielen und Ausprobieren ermöglichten, um darüber ein Gleichgewicht der inneren und äußeren Ordnung herstellen zu können. Diese praktische Herangehensweise knüpft an das Humboldt’sche Bildungsverständnis an, demnach Bildung als Anregung verstanden wird. Anregungen, die Erfahrungen mit sich selbst und mit der Welt ermöglichen. Gemeinsam ist den dreien, dass sie das Kind/den Menschen als Individuum betrachten, das sich durch Bildung entwickeln und entfalten kann. Bildung vollzieht sich durch die Eigenaktivität des Individuums und die äußeren Anregungen zur Entfaltung seiner Fähigkeiten. Alle drei thematisieren, dass durch Bildung ein Verhältnis zwischen innerer und äußerer Ordnung hergestellt werden kann und sich durch die Entfaltung der vielseitigen Fähigkeiten die Persönlichkeit eines Menschen bildet, die ihn im idealen Fall zur „ Lebenseignung “ (Fröbel) führt.
Der Bildungsbegriff, nach Humboldt, umfasst die Entwicklung von intellektuellen, emotionalen und kreativen Fähigkeiten, welche die Persönlichkeit bilden. Zu dieser gehören eine Allgemeinbildung (breit gestreutes Wissen) als auch eine Herzens- (im Einklang mit Gefühlen) und Charakterbildung (verantwortungsvoller Umgang mit Mitmenschen). Fröbel und Montessori stellen zu dem die lebens- und alltagspraktischen Fähigkeiten zur Übung.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass aus pädagogischer Sicht (nach Humboldt, Fröbel, Montessori) Bildung als Selbstbildung verstanden wird, da der Mensch als selbsttätiges, individuelles Wesen verstanden wird, das sich aktiv mit seiner Umwelt und sich selbst auseinandersetzt und dadurch vielseitige Fähigkeiten und ein Welt- und Selbstbild entwickelt. Was ihn wiederum befähigt als gebildete Persönlichkeit selbstbestimmt und lebensfähig zu sein.
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