Leseprobe
Inhalt
1 Persönlicher Zugang
2 Annäherung an den Begriff Sexualstraftäter
3 Psychologische Dimensionen von Verbrechen
3.1 Handeln
3.2 Fühlen
3.3 Denken
3.4 EXKURS: Pädosexualität und die Freiheit zur Wahl
4 Stigmatisierung
4.1 Experten bewerten Sexualstraftäter
4.2 Der Begriff der Stigmatisierung
4.3 Die Strafe – ein Helfer der Stigmatisierung?
4.3.1 Rache
4.3.2 Vergeltung
4.3.3 Abschreckung
4.4 Schutz der Gesellschaft
5 Resümee
6 Literaturverzeichnis
7 Internetverzeichnis
1 Persönlicher Zugang
„Wegsperren – für immer!“ „Ich bin ja normalerweise nicht für die Todesstrafe, aber bei solchen Monstern …!“ „Man sollte die alle kastrieren!“ „Am besten in den Knast – und den anderen `nen Freifahrtsschein geben – diese Tiere sollten auch mal ran genommen werden!“
Das sind nur einige der Kommentare, die mir begegnet sind, wenn ich versucht habe mich mit anderen Menschen aus meinem Umfeld über das Thema, welches mich schon immer fasziniert und beschäftigt hat, zu unterhalten. Ich möchte mich bestimmt nicht als Samariter darstellen, ich bin nur im Vergleich zur Mehrheit ein Mensch mit einer anderen Perspektive.
Es gibt zwischen Menschen und Tieren einen, in diesem Fall entscheidenden, Unterschied. Das Tier ist getrieben von seinen natürlichen Bedürfnissen wie Hunger, Durst, Arterhaltung und so weiter. Der Mensch hat die Wahl; er hat die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen. Es ist ihm möglich, komplett wider seine Bedürfnisse zu hungern, um schlank zu sein; es ist ihm möglich seinen Körper mit Hormonen zu beeinflussen, um gerade keine Nachkommen in die Welt zu setzen. Meiner Meinung nach liegt es nicht in der Macht eines jeden einem anderen Menschen das Merkmal der Entscheidungsfähigkeit abzusprechen. Und auch wenn sich ein Sexualstraftäter für den Missbrauch eines Kindes oder die Vergewaltigung einer Frau entschieden hat, dann trotz alledem auf der Grundlage einer menschlichen Entscheidungsfähigkeit und nicht auf der Grundlage tierischer Triebhaftigkeit. Wenn sich nun der Täter für die Straftat entscheiden kann, dann kann er sich in Zukunft schlussfolgernd auch gegen diese entscheiden.
Meine Perspektive, wenn ich über sexuelle Gewalttäter spreche und nachdenke, ist die mit dem Blick auf den Menschen. Für mich gibt es in dieser Thematik keine Monster, für mich gibt es nur Menschen, die sich aus der Sicht der Gesellschaft, d.h. unter der Annahme unserer westlichen Werte und Normen, falsch entschieden haben. Die Aufgabe der Psychologie ist es, nicht nur das Handeln, egal in welche Richtung, eines Menschen zu beschreiben, sondern auch die Handlung, die Emotionen davor, währenddessen und danach und auch die Gedanken dahinter zu verstehen. Und es ist unter anderem meine Aufgabe als Psychologin in thematischen Bereichen, in denen ich mir als Wissenschaftlerin gesellschaftlich die Finger verbrennen kann, eine Perspektive anzubieten, die Menschen mit Fehlern dennoch nicht ihr Dasein als Mensch abspricht.
Zu Beginn meiner Arbeit möchte ich mich mit dem Begriff des „sexuellen Gewalttäters“ auseinandersetzen. Was kann ich mir selbst darunter vorstellen und wie könnte eine breite Masse ohne jegliche Fachkenntnis den Begriff definieren? In diesem Abschnitt erarbeite ich auch eine begriffliche Eingrenzung aus dem juristischen Bereich. Welche Typen von sexuellen Gewalttätern werden hier unterschieden und welche Tatbestände liegen den Beurteilungen und Verurteilungen zugrunde?
Nach einer kritischen Betrachtung des Begriffs des sexuellen Gewalttäters wird ein Fokus meiner Arbeit auf den psychologischen Dimensionen von Verbrechen im Allgemeinen und sexuellen Gewalttaten im Speziellen liegen. Eine wichtige Frage hierbei ist die nach dem Grund für Verbrechen. Was bringt einen Menschen dazu ein Verbrechen zu begehen und dabei anderen Menschen Schaden zuzufügen? Und im gleichen Atemzug: Was hält andere Menschen davon ab? Welche Ressourcen können das Handeln, das Fühlen und das Denken hierbei beeinflussen? Ich werde versuchen alle diese Bereiche ausführlich zu beleuchten und damit zu Überlegungen, bezüglich des freien Willens und der Entscheidungsfähigkeit des Menschen, gelangen. In einem kurzen Exkurs möchte ich mich mit der Pädosexualität, also von der Norm abweichenden sexuellen Phantasien und Vorlieben im Bezug auf Kinder und deren Zusammenhang mit kriminellem Verhalten befassen.
Im letzten Teil meiner Arbeit steht der Begriff der Stigmatisierung im Vordergrund. Wie entsteht diese und warum ist sie im Zusammenhang mit Sexualstraftätern so häufig? Ich beleuchte die Funktionen der Strafe und ihren Zusammenhang mit der Stigmatisierung.
2 Annäherung an den Begriff Sexualstraftäter
„Das Gewaltverbrechen hat einen sexuell motivierten Hintergrund“ (Wöste 2012, S.1). Diese Worte verwendet der Chef der Mordkommission, Werner Brand, in den aktuellen Ermittlungen eines Kindsmords im norddeutschen Emden, nachdem sich herausstellte, dass der Tötung eine Vergewaltigung vorausging. Es ist ein realer Fall, der klingt, als wäre er einer von vielen. Denn auch in der Filmbranche und der Literatur sind Krimis und Thriller, die sich häufig mit ähnlichen Themen befassen, nicht mehr wegzudenken. Dadurch hat fast jede Person, mit der ich mich unterhalte, eine eigene Vorstellung davon, was ein Sexualstraftäter oder ein sexueller Gewalttäter ist. Allerdings ist es meist nur eine Vorstellung davon, was ein Sexualstraftäter sein könnte ! Ich möchte im Folgenden versuchen eine verständliche Beschreibung dessen zu geben, wer tatsächlich als ein Sexualstraftäter bezeichnet wird und von wem. Außerdem werde ich dabei auch die Betitelung des Trieb täters kritisch betrachten.
Im Abschnitt 13 des deutschen Strafgesetzbuches werden unter der Überschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ die Tatbestände umrissen, unter welchen ein Mensch bei einer Verurteilung vor Gericht als ein Sexualstraftäter gilt. (vgl. Fischer 2008)
Betrachten wir aber zunächst die historische Entwicklung der Rechtsprechung. Im römischen Recht galten, verglichen mit dem heutigen Strafrecht, andere Regeln. Unter Sexualstraftat verstand man zu jener Zeit einen Verstoß gegen die Sittenordnung und es war Zweck des Strafrechts die Sittenreinheit zu schützen. Das bedeutet vor allem, um Ehelockerungen und Geburtenrückgänge zu verhindern und damit die Familienbande zu stärken. Die kanonische Auffassung der Kirche drang allerdings immer weiter in die weltliche Rechtssprechung ein. Der Sakramentscharakter der Ehe wurde zum Mittelpunkt und damit jeder außereheliche Geschlechtsverkehr strafrechtlich verfolgt. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Strafbare auf den Freiheits- und Gefühlsschutz reduziert. (vgl. Maurach 2009, S. 182) Nach historischer Auffassung war ein Sexualstraftäter demnach anders definiert als in unserer heutigen Zeit, denn die sexuelle Selbstbestimmung spielte nur eine untergeordnete Rolle. Erst in der vierten großen Strafrechtsreform 1973 wurde auch der Titel des Abschnitts 13 von Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit zum heutigen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung umformuliert. (vgl. Maurach 2009, S. 7)
Eine, meines Erachtens, umständliche Darstellung verschiedenster Tatbestände, die heutzutage im Strafgesetzbuch dieser Kategorie zugeschrieben sind, halte ich in meiner allgemeinen Erörterung der Thematik für unbrauchbar. Dölling (2009, S. 421) bildet in seinem Handbuch der forensischen Psychiatrie eine verständliche Unterscheidung der Täter in vier Gruppen ab. In der klinischen Kriminologie werden die Täter demnach wie folgt untergliedert:
Männer, die
- Vergewaltigungen oder sexuelle Nötigungen begehen
- eine destruktive Sexualität ausleben
- Kinder sexuell missbrauchen
- abnorme Gewohnheiten im sexuellen Sinne pflegen
Die Councel of European veröffentlicht seit 1993 europaweite Studien zu Tatverdächtigen, Angeklagten und Verurteilungen. Nach der aktuellen vierten Version des European Sourcebook of Crime and Criminal Justice Statistics – 2010 liegt der prozentuale Anteil verurteilter Frauen in Deutschland für Vergewaltigung bei 0,9% und für sexuelle Übergriffe bei 1,5%. (vgl. Council of Europe 2010, S.201f.)
Aufgrund dieser statistischen Werte beziehe ich mich in meiner Arbeit hauptsächlich auf männliche Sexualstraftäter. Die juristische Definition eines Sexualstraftäters bezieht sich auf ein sehr weites Spektrum an Straftaten, die sich auf der motivationalen Ebene erheblich unterscheiden. So können Bereicherungsmotive und sexuelle Beweggründe zur selben Straftat motivieren. Die psychologische Perspektive fokussiert sich bei der Definition eines Sexualstraftäters hingegen auf diese motivationale Ebene und stellt den sexuellen Beweggrund zu einer Tat in den Vordergrund. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, beschränke ich mich daher in meinen Ausführungen auf die Tätergruppen der Vergewaltigung und Nötigung (sexuellen Gewalt) (§177) und des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§176) unter Voraussetzung einer sexuellen Motivation. (vgl. Dejure 2012)
Sexuell motivierte Kriminalität umfasst, in einfachen Worten, jede Handlung, die in irgendeinem Zusammenhang mit sexuellen Faktoren steht und demnach objektiv als sexualbezogen gelten kann.
Nach deutschem Recht gilt ein Mensch, der an einer Person unter 14 Jahren sexuelle Handlungen vornimmt oder an sich vornehmen lässt oder diesem pornographisches Material vorführt als Sexualstraftäter und kann zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren verurteilt werden. Außerdem gilt als Sexualstraftäter, wer eine andere Person durch Gewalt, Drohung oder Ausnutzen besonderer Umstände zu sexuellen Handlungen zwingt. Nun wissen Personen, die nicht Jura studiert haben, in den meisten Fällen nicht den genauen Wortlaut des deutschen Strafgesetzbuches und können dennoch eine subjektive Definition für einen Sexualstraftäter liefern. Seien es die Bezeichnungen Kinderschänder oder Frauenvergewaltiger, so kann ich der Richtigkeit der Bezeichnung nur zustimmen und die Vermutungen ergänzen. Doch in nicht wenigen Fällen begegneten mir die Bezeichnungen Tier, Monster oder Triebtäter, weswegen ich es für wichtig halte, die Bezeichnung Triebtäter genauer zu analysieren.
Triebtäter: Trotz mehrfacher Revidierung ist der Triebbegriff ein steter Begleiter in der Diskussion um Sexualstraftäter. Wie schon der Begriff klarstellt, steht bei dieser Bezeichnung weniger die Tat als eine Handlung gegen die sexuelle Selbstbestimmung eines anderen Menschen im Vordergrund, sondern eine vermeintlich ursächliche Bezeichnung, die zur Tat geführt haben soll. Im Wesentlichen steckt hinter dem Begriff Trieb täter eine Theorie, welche unter anderem aus mehreren Aspekten der Psychologie und Ethologie gebildet wird. Alle Perspektiven haben gemeinsam, dass dem Menschen angeborene Bedürfnisse zugeschrieben werden, die durch bestimmtes Verhalten erfüllt werden müssen. (vgl. Kuttner 2008, S.105ff) Die wichtigsten Aspekte stammen allerdings aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds, der speziell die Sexualität und sexuelle Triebhaftigkeit zur Begründung menschlichen Verhaltens heranzieht. Er selbst beschreibt den Trieb im Laufe seiner Publikationen unterschiedlich; der archaische Ansatz bleibt dabei dennoch erhalten. Doch durch die Bekanntheit seiner Gedankenkonstrukte wurde der Triebbegriff immer häufiger mit dem alltagsverständlichen Geschlechtstrieb assoziiert. (vgl. Quindeaqu 2005, S. 195) Zusammenfassend wäre nach der Triebtheorie ein Sexualstraftäter ein Mensch, der sich willenlos seinem Trieb ergibt und auch ergeben muss, da er keine andere Wahl hat - vergleichbar mit einem Tier. Doch steckt hinter dem Begriff Trieb täter notwendigerweise ein Mensch, denn ein Trieb tut nichts, sondern der Mensch tut etwas. Konrad Lorenz entwickelte eine Theorie des stammesgeschichtlichen Schichtenbaus von Verhalten, Denken und Fühlen, anhand dessen anschaulich dargestellt wird, welche Merkmale dem Menschen zugeschrieben sind und welche dem Tier. Die Reflexion des eigenen Denkens und Handelns sowie die Entwicklung verantwortlicher Moral und des Gewissens gehören zu diesen typisch menschlichen Merkmalen. (vgl. Medicus 2000, S.176)
Im hier diskutierten Zusammenhang spielt außerdem die Entscheidungsfähigkeit als Resultat menschlicher Eigenschaften eine entscheidende Rolle. Es ist dem Menschen offensichtlich möglich sich situationsbedingt selbst zu einer Handlung zu entschließen und diese letztlich auszuführen. Der Begriff des Triebes ist in der Bezeichnung Triebtäter lediglich die Diskriminierung des Menschen auf die Stufe tatsächlich triebgesteuerter Tiere. In keinem Fall wird deren Handlungspotential dem vielfältigen des Menschen gerecht.
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