Filmdidaktik im Deutschunterricht. Zwischen filmischer und literarischer Lektüre

Ein Blick auf die aktuelle Debatte um den schulischen Einsatz von (Spiel-)Filmen


Unterrichtsentwurf, 2010

14 Seiten, Note: 1,0

Alexander Bauerkämper (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung oder: Wozu eine Filmdidaktik?

2 Zu den Grundlagen filmdidaktischer Überlegungen
2.1 Der Film: ein semiotisch-medialer ‚Alleskönner‘?
2.2 Zur Kanonfrage
2.3 Filmwissen: ein weites Feld
2.4 Filmbildung, Spielfilmkompetenz und Visual Literacy

3 Literatur und Film im Deutschunterricht: intermediales Lernen

4 Schlussbemerkung

5 Bibliographie

1 Einleitung oder: Wozu eine Filmdidaktik?

Die Rolle des Films innerhalb der Unterrichtspraxis an deutschen Schulen war jahrzehntelang geprägt von dem ihm entgegenschlagenden Argwohn sowohl vonseiten der Lehre als auch der Forschung. So beschränkte man sich in den meisten Fächern darauf, Filme in den Unterricht einzubinden, wenn sie speziell für diesen konzipiert waren, also entweder ein fixiertes pädagogisches Ziel verfolgten oder aber als bloße Informationsträger fungierten. Jeder, der mal Schüler war, dürfte um das Schreckenspotenzial wissen, dass diese sogenannten ‚Lehrfilme‘ allzu oft mit sich brachten: Manchmal veraltet, oft zu trocken und fast immer falsch eingesetzt, nämlich als bloße Lückenfüller oder als Möglichkeit, eine unwillige Klasse zu besänftigen. Vor allem aber wurde das Medium Film in der Schule immer nur als Mittel zum Zweck verwendet, auch dann, wenn es sich – was als Seltenheit gelten darf – dabei um Spielfilme handelte. Neben dem Deutsch- und Sprachunterricht wurden Spielfilme auch in Kunst, Musik und anderen Fächern hin und wieder gezeigt, sie dienten dabei aber in aller Regel nur als unterstützendes oder ‚auflockerndes‘ Medium. So wurden Spielfilme im Deutschunterricht beispielsweise nur dann verwendet, wenn es sich dabei um Verfilmungen des jeweils behandelten literarischen Werkes handelte, niemals aber wurde der Film „als eigenständiges ästhetisches Medium ernst genommen“ (Pfeiffer/Staiger 2008: 2).

Heute erfreut sich der Spielfilm zwar einer zaghaften Popularisierung an den Schulen. Werden Spielfilme im Unterricht behandelt, dann geschieht das aber nach wie vor auf individuelle Initiative der Lehrer_innen hin, da die Curricula immer noch jeder strukturellen Einbindung des Films sowie einer umfassenden fachdidaktischen Begründung ermangeln. Fragen wir uns, woran dies liegen mag, so können wir feststellen, dass dies wohl eine der wenigsten Fragen ist, in deren Beantwortung die Meinungen in der Forschung so einhellig sind: So erstaunlich es angesichts des gesellschaftlichen und künstlerischen (!) Stellenwerts von AV-Medien heutzutage ist, die Fachdidaktik, also diejenige Wissenschaft, deren Arbeit stets eine gewisse Pionierfunktion gegenüber der schulischen Praxis für sich beansprucht, hat sich bis vor Kurzem erfolgreich um jegliche filmdidaktische Auseinandersetzung herum-gedrückt. „Eine Filmdidaktik existiert nicht“, auch heute noch nicht, „sie ist nur in Ansätzen sichtbar“ konstatierten Pfeiffer/Staiger (2008: 2) in ihrem Basisartikel der Ausgabe von Der Deutschunterricht, die sich erstmals dezidiert der Filmdidaktik widmete. Die beiden Autoren stellen dieses Versäumnis in einen historischen Zusammenhang: Der Film hatte schon in seinen frühen Jahren mit der Ablehnung des bürgerlichen Publikums zu kämpfen, welches in seinem subtilen einen vielmehr subversiven Charakter sah und ihn außerdem aufgrund seines Aufführungsambientes (Jahrmärkte, Varietés, Ladenkinos) als Bestandteil einer Unkultur betrachtete (vgl. Pfeifer/Staiger 2008: 3). Hat sich der Film im Zuge seiner Geschichte inzwischen auch dergestalt etabliert, dass ihm seine künstlerische Kraft und ein ästhetischer Selbstwert nicht mehr abgesprochen werden, so bestehen doch noch immer zahlreiche hartnäckige Vorurteile, die die Entwicklung einer Filmdidaktik bisher verhinderten. Begründet lagen diese ‚Berührungsängste‘ seitens der Didak-tiker_innen und Lehrer_innen wohl zu einem großen Teil in einer konservierenden Fortführung einer grundlegenden Minderbewertung filmischer Kunst. Dabei entstand auch die beliebte Floskel, dass zu viel Medienkonsum schlecht für Kinder sei. Dem wollen wir hier nicht unbedingt wiedersprechen, doch – und darin ist sich die Forschung inzwischen einig – würde eine schulische Auseinandersetzung mit Filmen im Idealfall natürlich nicht zu einer Steigerung des Medienkonsums führen sondern dazu beitragen, dass sich Kinder diejenigen Kompetenzen aneignen können, welche nötig sind, um das Konsumierte reflektierend zu verstehen, die allzu oft angemahnten Gefahren also selbst erschließen und sich diesen damit entziehen zu können.

Hiermit hätten wir uns bereits die grundlegende Antwort auf das ‚Wozu?‘ einer Filmdidaktik gegeben. Gerade weil an „die Stelle von buchsozialisierten Generationen […] film- und mediensozialisierte getreten [sind]“ (Pfeiffer/Staiger 2008: 2), weil der Medienkonsum dieser Generation so gewachsen ist, ist es auch unverzichtbar, sich dieser Erkenntnis zu stellen und sie für den Schulunterricht fruchtbar zu machen. Einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung stellte unter anderem die Veröffentlichung des Filmkanons der Bundeszentrale für politische Bildung dar[1]. Weitere Bemühungen, Impulse für die Entwicklung einer Filmdidaktik zu schaffen folgten, wobei es sich dabei meist um die Vorstellung konkreter Unterrichtsvorschläge handelte. Es wurden bis heute also nur relativ wenige Modelle struktureller Art entwickelt[2], trotzdem ist der Einzug der Thematik in den fachdidaktischen Diskurs inzwischen so massiv, dass sich dies in den nächsten Jahren hoffentlich auch in der Praxis niederschlagen dürfte.

Im Folgenden wollen wir zunächst die grundlegenden Überlegungen betrachten, welche diesen Diskurs vorantreiben. Es soll also darüber aufgeklärt werden, auf welchem Stand der Entwicklung die Filmdidaktik sich derzeit befindet. In einem zweiten Schritt werden wir auf diejenigen Aspekte eingehen, die den Deutschunterricht betreffen, wobei insbesondere die Frage nach der Verknüpfung von Literatur und Film sowie nach einem intermedialen Deutschunterricht betrachtet werden soll.

2 Zu den Grundlagen filmdidaktischer Überlegungen

Die Filmdidaktik steckt also noch in den Kinderschuhen. Trotzdem, es ist lohnenswert und aufschlussreich, einen Blick auf die aktuelle Situation der Debatte zu werfen, da dort bereits erste Grundzüge einer zukünftigen Praxis anklingen. Worin bestehen diese Grundzüge? Welche Fragen müssen noch geklärt werden, bevor es möglich sein wird, eine Art „Spiralcurriculum, das den Spielfilm von der ersten Klasse bis zum Abitur aufgreift“ (Abraham/Kepser 2006: 145), zu entwerfen?

Diese Fragen wollen wir zu beantworten versuchen, indem wir die zentralen Aspekte dieser fachdidaktischen Diskussion aufgreifen und hier – wenngleich wohl nur ausschnitthaft – nachzeichnen. Dabei gehen wir zunächst auf mediale und semiotische Besonderheiten des Films ein, welche ihn als Unterrichtsgegenstand sowohl interessant als auch unerlässlich machen. Anschließend betrachten wir Standpunkte zu der Notwendigkeit eines Kanons sowie zu demjenigen Wissen, das ein Filmunterricht fördern sollte. Zuletzt werden wir nochmal etwas vertiefend darauf eingehen, welche Kompetenzen durch die Auseinandersetzung mit Filmen und dem dabei geschaffenem Wissen im Unterricht entwickelt werden sollten.

2.1 Der Film: ein semiotisch-medialer ‚Alleskönner‘?

„Alles ist Text!“ – Eine Aussage, die zunächst verwundert, doch umreißt sie im Grunde, was uns die Erkenntnisse der Semiotik lehren: In einem Bild kann mehr Information stecken als in einem Busfahrplan, sprachliche Zeichen können in verschiedenen Formen auftreten, nicht nur in Form dessen, was wir herkömmlich als ‚Sprache‘ oder ‚Text‘ bezeichnen. Durch diese Erweiterung des Textbegriffs haben sich auch die Betrachtungsperspektiven auf die AV-Medien gewandelt. Ein Film hat seine eigenen Textebenen, sein eigenes Zeichensystem. Das Besondere an eben diesem ist die poly- oder intermediale Eigenheit des Films, sich der Zeichensysteme vieler Medien zu bedienen und diese zu vereinen. Michael Staiger unterscheidet in dieser Hinsicht drei grundlegende Ebenen des Films: „die visuelle, die auditive und die narrative Ebene “ (Staiger 2008: 8, auch im Original hervorgehoben). Ulf Abraham spricht dagegen von den „zwei permanente[n] (Bild und Geräusche) und drei semi-permanente[n] Kanäle[n] (Schrift, Musik, Sprache/Dialog)“ (Abraham 2009: 12) filmischer ‚Texte‘. Der Film vereint also die Symbolsysteme der anderen Medien, aus denen er ursprünglich hervorgegangen ist: die Sprache entnimmt er der Print-Literatur, das Bild der Fotografie, den Ton der Musik und dem Hörfunk und die Kulisse dem Theater (vgl. Abraham 2009: 13). Insofern können wir den Film getrost als ‚Alleskönner‘ bezeichnen, der sich aufgrund dieser Eigenheit hervorragend für einen intermedialen Unterricht anbietet[3].

Doch nicht nur in Bezug auf die Verwendung verschiedener semiotischer Kanäle ist der Film extrem vielseitig, auch seine Fähigkeit, verschiedene literarische Formen zu verschmelzen ist dafür bezeichnend. Denn er ist nicht einzig ein erzählendes Medium[4], er vereint in sich auch dramatische und lyrische Elemente. Deshalb wird der Spielfilm insbesondere in der Fachdidaktik gerne als „‘vierte literarische Gattung‘“ (Staiger 2008: 8) mit einer „eigenen Text-Bild-Ton-Poetologie“ (Möbius 2006: 92) verstanden.

Nun haben wir diese film- bzw. literaturästhetischen Aspekte zwar nur in allgemei-ner Weise umrissen, es dürfte aber bereits deutlich geworden sein, dass hier allen voran Fragen verhandelt werden, die den Deutschunterricht betreffen dürften!

[...]


[1] Im Anschluss an den Kongress „Kino macht Schule“ im Jahr 2003 wurde von einigen Expert_innen aus verschiedenen Fachrichtungen (es waren jedoch keine Lehrer_innen involviert!) ein Filmkanon für die Schule vorgelegt. Zwei Jahre später erschien auch ein dazugehöriges Buch (Der Filmkanon wurde 2005 von Alfred Holighaus herausgegeben), welches erstmals eine didaktische Basis für einen modernen Filmunterricht zu bieten versuchte.

[2] Wir denken dabei beispielsweise an das „Freiburger Filmcurriculum“, welches sich zum Ziel gesetzt hat, „ein fächerübergreifendes Kompetenzmodell für die zukünftige Filmbildung an Schulen zu entwerfen“ (Fuchs 2008: 84).

[3] Im dritten Kapitel werden wir noch näher auf diesen Aspekt eingehen.

[4] Zu der Frage, inwiefern der Film als ‚erzählend‘ oder ‚darstellend gelten darf vgl. u.a. Paefgen 2006: 176-179.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Filmdidaktik im Deutschunterricht. Zwischen filmischer und literarischer Lektüre
Untertitel
Ein Blick auf die aktuelle Debatte um den schulischen Einsatz von (Spiel-)Filmen
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Veranstaltung
Einführung in die Didaktik der deutschen Sprache und Literatur
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
14
Katalognummer
V306637
ISBN (eBook)
9783668048232
ISBN (Buch)
9783668048249
Dateigröße
627 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Film, Deutschunterricht, Filmdidaktik, Kino, Kanon, intermediales Lernen, Spielfilmkompetenz, Visual Literacy, Filmwissen, Literatur und Film im Deutschunterricht
Arbeit zitieren
Alexander Bauerkämper (Autor:in), 2010, Filmdidaktik im Deutschunterricht. Zwischen filmischer und literarischer Lektüre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306637

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