Mittelhochdeutsch. Einführung in die mittelalterliche Grammatik

Mitschrift der Vorlesung und Zusätzliche Anmerkungen


Vorlesungsmitschrift, 2012

13 Seiten


Leseprobe


Über den ehemaligen -j-
Durch die HdLV verschwindet
der -j-, der auf das mhd. Wort
beispielerweise so wirkt:
Er lässt den Hauptsilbevokal wenn möglich
umlauten und verschiebt den Konsonant,
wenn so muss sein.
Ehemalige Präsenz
des -j- ist also hauptsächlich durch die des
Umlautes zu spüren. (s.u.)
vahd/ahd: s
e t
j
an
hdLV: t Verschiebung des j: tt (Geminate) tz (Affrikate)
e Umlauten wird zum i
mhd: s
i tz
en
Phonologische Schreibung des Mittelhochdeutschen
Jeder Buschstabe wird ausgesprochen, wie er geschrieben ist: Graphie = Phonologie
ritter = [t.t]
Dazu wird ein langer Vokal anhand eines diakritischen Zeichens (Zirkumflex) hingewiesen
â = [a:]
Hier wird der mhd. ,,ë" durch einen normalen ,,e", und der ,," durch ,,z" ersetzt.
wësen: wesen, lâ
en: lâzen
Übrigens:
sK, -s=[]
st=[t], ës=[]
,
z
=[s], s-=[z], hK=[x]
brâhte
, Ausdehnungs-h=[h],
v=f
Diphthonge im mhd. Vokalismus
j-Umlaute
mhd. nhd.
a
, â
e
, ae
e- i
î ei, ie, i
belîben (belîp) bleiben (blieb)
ei
ie, ê - ei
uo u, ü
buochen Bücher
o, ô ö, oe
ou, û (öu) au (äu)
vrouwe Frau hûs Haus
u
,
û
ue
,
iu [y:]
iu
[y:]
eu, äu
diuten deuten hiuser Häuser
ou [a] öu []
ie i
lieht Licht
uo üe
Grammatischer Wechsel
Auslautverhärtung
Am Ende eines Wortes, nach einem langen Vokale
oder nach einem Diphthong
wird der weiche Laut
(stimmhafter Lenis) zum harten Laut (stimmlosem
Fortis) verhärtet:
Rhotazismus:
h g/c-ch
sehen du sach
g-k c [k]
du hünke ich hanc
v/f b/p
heven ich huop/huoben
d t
werden ich wart
s r
wesen wir wâren, ich waere
Lenisierung
Nach einem ,,n" (bzw. ,,l")
wird danach folgender tenuis (stl Pl) zum media (sth Pl) erweicht:
hiulen nicht *hûlten sondern hûlden
Degiminierung
Im Auslaut, nach einem Langvokal, nach einem Diphthong, sowie vor einem Konsonant
wird der
Geminate (der Zwillingskonsonant) vereinfacht:
rennen nicht *rannte sowie *rannde sondern rande
Apokope und Synkope
Bei der
Verbindung von kurzem Vokale und einem Liquid (l, r)
fällt stets der danach folgende Schwalaut:
im Wortinnen spricht man von Synkope
*varen wird zu varn, der heled den *heleden = den helden
am Wortende von Apokope
ich *vare wird zu ich var
Verneinung
Anhand ,,ne" bzw. ,,en" wird verneinet:
ez was // ez enwas [s.nv]
iht [xt] (etwas) -- ne iht -- niht (nicht), ne+ieman - niemen (niemand)
2

Das PRONOMEN: kongruierendes Für-Wort
Personal-Pronomina
1.Pers
2.Pers
3.Pers
Maskulina
Feminina Neutra
Reflexivpronomina
ungeschlechtig Singular geschlechtig
NomSg
ich
d
û
er
siu
1
ez
(er/ez/siu)
GenSg
mîn
dîn
sîn
ir
e
s
sîn
DatSg
mir
dir
im(e)
ir
im(e)
(im/ir)
AkkSg
mich
dich
in
si
e
1
ez
sich
Plural
1
: NomSg wurde nach
AkkSg heute
morphologisch
ausgeglichen
2
: ebenfalls
morphologischer Ausgleich
NomPl
wir
ir
si(e)
2
siu
2
GenPl
unser
iuwer
ir
DatPl
uns
iu
in
AkkPl
unsich
iuch
si(e)
2
siu
2
Interrogativ-Pronomina:
keine Feminina
Maskulina
Neutra
NomSg
wer
waz
GenSg
wes
wem(e)
DatSg
AkkSg
wen
waz
der Definitartikel, auch Relativpronomen
Maskulina
Feminina
Neutra
Singular
NomSg
der
di
u
daz
GenSg
des
der
des
DatSg
dem(e)
der
dem(e)
AkkSg
den
di
e
daz
Plural
NomPl
die
di
u
GenPl
der
den
DatPl
AkkPl
die
di
u
Demonstrativ-Pronomina
Maskulina
Feminina
Neutra
Singular
NomSg
dirre
disiu
ditze
GenSg
dises
dirre
dises
DatSg
disem(e)
dirre
disem(e)
AkkSg
disen
dise
ditze
Plural
NomPl
dise
disiu
GenPl
dirre
disen
DatPl
AkkPl
dise
disiu
3

Das SUBSTANTIV
Hauptklasse des Maskulinums
- starke a-Deklination: im Plural nicht umgelautet
ahd: gota - der got-Ø, der last
Unterklassen: ahd ja-Stämme: Umlaut überall
der kaese, der hirte (e-i), der künic (ahd. kuninga)
Nomen agentis:
singen der säng
ae
re der säng
er
ritten der ritt
ae
re der ritt
er
nicht zu verwechseln mit er-Stämmen:
der vater, die veter/vater
ahd wa-Stämme:
der sê, des sêwes
- starke i-Deklination: Plural mit Umlaut
ahd (j-Maskulina): troumi - der troum-Ø
- starke nicht entscheidbare/ unklare Deklination: mit nicht umlautfähigen Vokalen
der lîp: der Leib/Leben
- schwache n-Deklination: mit en-Endung, doch bei NomSg e-Endung
der bot-e,
auch apokopiert: der ar-Ø
nicht zu verwechseln mit den umgelauteten ja-Stämmen, hier ist nicht umgelautet:
der bl
uo
me
Hauptklasse des Neutrums
- starke a-Deklination:
daz liut (das Volk), daz lant
aber
Länder-, Völker- sowie Personennamen sind meist schwach dekliniert
Unterklassen: er-Stämme mit Apokope und falls AV, sowie Umlauten des Vokales
(ahd: -ir)
blat/bleter, kalp/kelber, lamp/lember, rint/rinder, ei/eiger, rîs/rîser, huon/hüener
wa-Stämme
: daz knie, den kniewen
- schwache n-Deklination: Substantiven mit en-Endung, außer bei NomSg und AkkSg e-Endung
daz herz-e
nicht zu verwechseln mit ja-Stämmen: umgelautet mit (heute entfallende) e-Endung:
daz kriuz-e, daz bild-e
Hauptklasse des Femininums
- starke i-Deklination: Stammauslaut auf t und Nullendung + Umlauten wo möglich
diu rîterschaft-Ø
bei Singular Gen. und Dat. sind stetig ältere (UL + e-Endung) Formen zu finden:
diu kunst, der kunst/der künste, der kunst/der künste, die kunst // Plural: künste, DatPl: den künsten
Unterklassen: Restklasse/ u-Deklination:
diu hant den hand-en (nhd: vorhanden)
Wurzelnomen:
ohne Umlaut bei normalerweise umgelauteten Formen
ze den wîhen nahten, diu jugent
und
diu tugent
:
der jugent/der jugente
er-Stämme
: diu muoter, die müeter/muoter
- starke ô-Deklination: mit e-Endung bei NomSg
diu schuld-
e
,
auch apokopiert
: diu vinster-Ø, diu nâdel-Ø
Unterklassen: jo-Stämme:
diu süeze/die süeze (fem) aber
daz vuoz/diu vüeze (neut)
auch von Maskulina abgeleitet:
künigîn, Pl. küneginne aus künic, künige
diu
minne aus man, manne (
a-Wurzelnomen
)
wo-Stämme:
diu diu, die diuwe (das Magd), auch diu triuwe aber nicht vrouwe
- schwache n-Deklination: mit en-Endung überall, außer bei NomSg e-Endung
diu vrouw-e
Bestimmung von den Substantiven
1/ Kasus, Numerus
2/ Genus (Maskulinum, Femininum, Neutrum) + Deklinationsklasse
3/Paradigma
der ritter
1/der + Null-Endung = Nominativ Singular
2/Mask., -er = nomen agentis - ja-Stämme, Unterklasse der starken a-Deklination
3/der ritter, des ritters, dem ritter, den ritter, die ritter, der ritter, den rittern, die ritter
oder Sg.: der ritter-Ø, -s, -Ø, -Ø, Plural: -Ø, -Ø, -n, -Ø ; gegebenfalls synkopiert oder apokopiert
4

Beispiele von Flexion-Deklination für die Substantive
MASKULINUM
starke a-Deklination
starke i-Deklination
schwache n-Deklination
Singular
der tac -
ø
(
Auslautverhärtung
)
der gast -
ø
der bot-
e
des tag-
es
des gast-
es
des bot-
en
dem tag-
e
dem gast-
e
dem bot-
en
den tac -
ø
(
Auslautverhärtung
)
den gast-
ø
den bot-
en
Plural
die tag-
e
die g
e
st-
e
die bot-
en
der tag-
e
der g
e
st-
e
der bot-
en
den tag-
en
den g
e
st-
en
den bot-
en
die tag-
e
die g
e
st-
e
die bot-
en
unklare Deklination wie a- und i- Dekl.
NEUTRUM
starke a-Deklination
er-Stämme
schwache n-Deklination
Singular
daz wort-
ø
daz blat-
ø
daz herz-
e
des wort-
es
des blat-
es
des herz-
en
(ohne S)
dem wort-
e
dem blat-
e
dem herz-
en
daz wort-
ø
daz blat-
ø
daz herz-
e
Plural
diu wort-
ø
diu bl
e
t-
er
diu herz-
en
der wort-
e
der bl
e
t-
er-
ø
(Apokope)
der herz-
en
den wort-
en
den bl
e
t-
er-n
(Synkope)
den herz-
en
diu wort-
ø
diu bl
e
t-
er
diu herz-
en
FEMININUM
starke i-Deklination
starke ô-Deklination
schwache n-Deklination
Singular
diu kunst-
ø
diu gâb-
e
diu
vrouw-
e
der kunst/
der künst-
e
der gâb-
e
der vrouw-
en
der kunst/
der künst-
e
der gâb-
e
der vrouw-
en
die kunst-
ø
die gâb-
e
die vrouw-
en
Plural
die k
ü
nst-
e
die gâb-
e
die vrouw-
en
der k
ü
nst-
e
der gâb-
en
der vrouw-
en
den k
ü
nst-
en
den gâb-
en
den vrouw-
en
die k
ü
nst-
e
die gâb-
e
die vrouw-
en
diu werdekeit: der werdekeit/werdekeit
e
diu werlt: die werlde (
Lenisierung
), diu art: die arde
diu burc (
AV
), die bürge
-
ø
:
Nullendung
5

Das ADJEKTIV
Im Mittelhochdeutschen sind die Adjektive entweder attributiv und flektiert als Attribut eines
Substantives oder prädikativ und unflektiert als Teil eines Prädikates verwandt.
Historisch folgen sie drei Klassen:
die a/ô-Stammklasse:
GF mit Nullendung
und
kein Umlaut
, selbst wenn möglich
grôz-ø (ahd: grôzo)
die ja/jô-Stammklasse:
GF + -e
(
ahd ­i
), daher
UL
wenn möglich
schoen-e (ahd: skôn-i)
die wa/wô-Stammklasse: selten mit Erscheinung eines ,,w" bei der Flexion
blâ-ø, blâw-es
Wenn die Hauptsilbe nicht umlautfähig ist, ist entweder die Grundform zu analysieren oder bleibt nicht
entscheidbar (d.h. bei e, i, ê, î, ei, ie, wie
breit-Ø
)
Wie im Neuhochdeutschen ist das Adjektiv für
die Steigerung
benutzt:
Positiv = Grundform
grôz-
Komparativ = GF + UL +
-er
groezer-
Regional wird auch nicht umgelautet
Superlativ = GF + UL +
-est
groezest-
(vor allem im bairischen MHD)
guot, bezzer, beste
//
übel, wirser, wirsest
//
lützel (klein), minner, minnest
//
michel (viel), mêre, meiste
Meist so verwandt:
tiefer
: ziemlich tief,
t.
danne
: tiefer als,
t.
baz
: noch tiefer,
desto baz
: umso besser
Das attributive Adjektiv ist seinem Substantiv kongruierend: er assimiliert dessen Kasus, Numerus und
Genus. Ursprünglich folgt es der Flexion der Substantive: starke a-Dekl. bei Maskulinum und Neutrum,
starke ô-Dekl. bei Femininum. Allerdings flektiert sich das Attribut praktisch wie ein Pronomen, und steht
doch manchmal stattdessen. Jedoch existiert in Mhd. die Verteilungsregel
nicht
, also ist die Flexion des
Attributes von dessen Gebrauch unabhängig (nicht wie heute), und übrigens kann beliebig das Attribut
eine pronominal-starke Flexion übernehmen, sowie eine schwache Flexion. Es ist nicht klar festgestellt,
aber es schien, dass die starke Flexion gebraucht wurde, wenn es allgemeine Bezeichnungen betraf, und
die schwache Flexion bei individuelleren Fällen.
Pronominal-starke Flexion
Maskulina
Feminina
Neutra
Singular
NomSg
-er
-iu
-ez
GenSg
-es
-er
-es
DatSg
-em
-er
-em
AkkSg
-en
-e
-ez
Plural
NomPl
-e
-i
u
GenPl
-er
-en
DatPl
AkkPl
-e
-iu
Schwache Flexion
Maskulina
Feminina
Neutra
Singular
NomSg
-e
-e
-e
GenSg
-en
-en
-en
DatSg
-en
-en
-en
AkkSg
-en
-en
-e
Plural
NomPl
-en
GenPl
DatPl
AkkPl
6

Die Adjektive können auch als
Adverbien
verwandt werden. In diesem Fall übernimmt die Grundform eine
e-Endung, die Hauptsilbe keinen Umlaut und bei der ja/jô-Stammklasse ist rückumlautet (siehe unten).
schoen-e - RUL schôn-e ; grôz-Ø - grôz-e
Die Adverbien auf ­lîch haben einen besonders adverbiellen Kasus und sind als Akk.Sg. erstarrt, d.h. sie
übernimmt immer eine en-Endung
(herlîch-en)
. Sogar ist ­lîchen auch bloß als Suffix an Adverbien gehängt
(groez-lîchen).
Bei der Steigerung ist das Adjektivadverbien nicht umgelautet:
grüenest- GF: grüen
Das Adjektiv kann auch durch eine syntaktische Konversion substantiviert werden und auf das Substantiv
anspielen. In diesem Fall flektiert sich es noch wie ein Adjektiv (
diu groez-e
).
Bestimmung von einem Adjektiv
wie gebraucht? prädikativ oder attributiv und indes wem und wie kongruierend
wie flektiert? Grundform oder pronominal-starke oder schwache Flexion
welche Klasse? ohne UL= a/ô ; mit UL= ja-jô ; mit e-Endung oder nicht ; ansonsten nicht entscheidbar
Paradigma: Grundform und flektierte Formen
von grôzer arebeit
1/ attributives Adjektiv; arebeit kongruierend: Fem., Gen.Sg.
2/er-Endung: pronominal-starke Flexion
3/umlautfähige Hauptsilbe aber nicht umgelautet: a/ô-Stammklasse
4/GF: grôz-Ø
Femininum-Paradigma: Sg.: grôz-iu, -er, -er, -e, Plur.: -e, -er, -en, -e
si kunden hôher êren pflegen
1/attributives Adjektiv; êren kongr.: pflegen+Gen.: Fem., Gen.Pl. (diu êre: schwache Femininum)
2/er-Endung: pronominal-starke Flexion
3/umlautfähige Hauptsilbe aber nicht umgelautet: a/ô-Stammklasse
4/GF: hôh-Ø (manchmal auch hôch-Ø geschrieben)
Fem.-Paradigma: hôh-iu, -er, -er, -e, Plur.: -e, -er, -en, -e
aller grüenest waenet sîn
1/prädikatives Adjektiv
2/Grundform, nicht zu flektieren
3/umgelautete Hauptsilbe (aus uo, ahd: gruon-i): ja/jô-Stammklasse
4/est-Endung: Superlativ von der Grundform grüen-e
sît lebte diu vil guote
1/ substantiviertes, attributives Adjektiv; einem Fem., Nom.Sg. kongruierend
2/e-Endung: schwache Flexion (keine Verteilungsregel im mhd.)
3/ umlautfähige Hauptsilbe aber nicht umgelautet: a/ô-Stammklasse
4/GF: guot-Ø
Fem.-Paradigma: NomSg guot-e, ansonsten: -en
andere häufige Wörter
âne: ohne ode: oder unde: und unz: bis hin: bei
staete: ständig
gnuoc: genug = adv. viel (adj. michel) aber
vîl + Gen. ; von + Gen. ; in + Dat.
milte: milde = großzügig
swaz: was auch immer (bzw. : swer, swes: wessen, swem, swen, swie, swelch)
swâ: wo auch immer (überall); swan: wann auch immer
7

Das VERB
Im Mittehochdeutschen dekliniert sich das Verb nach 3 Personen und 2 Numeri, nach 2 Modi: Indikativ und
Konjunktiv, und 2 Tempora: Präsenz und Präteritum, und dazu 2 Imperativ-Formen und 3 Infinitiv-Formen.
Alle starken Verben
folgen immerhin der folgenden Personnalendung-Tabelle: (StF= Stammform)
Indikativ Präsenz
Konjunktiv Präsenz
Indikativ Präteritum
Konjunktiv Präteritum
1.Sg
StF2
e
StF1
e
StF3
ø
StF4a
e
2.Sg
est
est
StF4a
e
est
3.Sg
et
e
StF3
ø
e
1.Pl
StF1
en
en
StF4
en
en
2.Pl
et
et
et
et
3.Pl
ent
en
en
en
Imp Sg
StF2
ø
Imp Pl
StF1
et
Partizip
Präsenz
StF1
ende
Partizip
Präteritum
StF5
ge + en
Infinitiv
StF1
en
ge- entfällt stets bei ge-, miß-, zer-,
be-, er-, emp- ent- ver-
Beispiel von Konjugation mit wërfen
Indikativ Präsenz
Konjunktiv Präsenz
Indikativ Präteritum
Konjunktiv Präteritum
1.Sg
ich wirfe
ich werfe
ich warf
ich würfe
2.Sg
du wirfest
du werfest
du würfe
du würfest
3.Sg
er wirfet
er werfe
er warf
er würfe
1.Pl
wir werfen
wir werfen
wir wurfen
wir würfen
2.Pl
ir werfet
ir werfet
ir wurfet
ihr würfet
3.Pl
sie werfent
sie werfen
sie wurfen
sie würfen
Imp Sg
wirf
Imp Pl
werfet
Partizip
Präsenz
werfende
Partizip
Präteritum
geworfen
Infinitiv
werfen
Grammatischer Wechsel der Wurzel
StF1 = werf-
StF2= wirf-
StF3= warf-
StF4= wurf
StF4a = würf
StF5 = -worf-
Um die Stammformen zu finden, sind Regeln in der folgenden Tabelle ,,Ablautreihen" gesammelt.
8

Ablautreihen
StF1
StF2
StF3
StF4
StF4a
StF5
Folgenkonsonant
I
A
î
î
ei
i
i
i
-
B
ê
h, w
II
A
ie
iu
ou
u
ü
o
-
B
ô
h, t, d, s, sch
III
2K
A
i
i
a
u
ü
u
m, n +K
B
e
o
l, r +K
IV
e
i
a
â
ae
o
Sonorant:
MiNeRaL
+ Sondergruppe von
sprechen:
ch, sch
V
e
i
a
â
ae
e
Obstruent
VI
a/e
a/e
uo
uo
üe
a
-
VII
sonstige
ie
ie
ie
sonst.
-
I : êhwei (éveil)
II : oui gôttsched
III : miau au lëo
IV-V : eau minérale est obstruante
VI : bairisch
VII : ie
bei der V. :
sehen, sihe,
sach!
(
AV
), sâhen (saehe), gesehen
geschehen, geschihe,
geschach
(
AV
), geschâhen (geschaehe), geschehen
we
s
en, wi
s
e, wa
s
, wâ
r
en (wae
r
e), gewe
s
en (
Rhotazismus
)
jehen,
giht
, ja
ch
(
AV
), jâhen (jaehe), gejehen
j-Präsentien der V. :
biten, sitzen, ligen
j-Präsentien der VI. :
heven, schepfen, swern (bzw. verswern
mit Synkope
)
VI.
stehen
: stuont
s.u. gân/stân
Umlauten bei der VI. und der VII. (StF1, 2.Sg und 3.Sg)
siehe unten: Wurzelverben
h
a
lten/h
e
ltest ; v
a
llen / v
e
llest, v
e
llet
kontrahierte Verbe: hân und lân
r
uo
fen/r
üe
fest
das Verb wellen
l
ou
fen/ l
öu
fest
die Präterito-Präsentien
st
ô
zen / st
oe
zest
Perfektive Verben
Kein ge- bei StF5
vinden (IIIa), vinde, vant (
AV
), vunden (vünde),
vunden
werden (IIIb), wirde
(wirdest - wirst)
, wart (
AV
), wurden (würde),
worden
komen/quemen (IV), kume, kam, kâmen (kaeme),
komen
treffen (IV) , triffe , traf (
Deg.
), trâfen (traefe),
troffen
lâzen (VII) , lâze (lezest, lezet), liez , liezen (lieze),
lâzen
kontrahiertes Verb: lân
perfektive Mischverben:
Mischung von perfektiv-starken und schwachen Formen (s.u.)
beginnen (IIIa), beginne, began (
Deg.
) /begunde (
Len.
) , begunden, begunnen/begunst
bringen (IIIa), branc
(AV)
/brâht (
PBE
), brungen/brâhten, brâht
(s:
Verstärkungspartikel)
9

Lautgesetzliche Ausnahmen
AV
d-t
:
d
en, mîde, mei
t
, miten (mite), gemiten (Ia)
Rhot.
s-r
: kie
s
en, kiuse, kô
s
, ku
r
n (kür),
er
korn (IIb,
wählen: Kurfürst
) (
mit Synkope, sowie Apokope
)
verliesen, verliuse, verlôs, verlurn (verlür), verlorn (IIb,
verlieren:
das Verlies
) (
idem
)
AV
h-g/ch
: zie
h
en, ziuhe (Imp: ziu
ch
), zô
ch
(
AV
), zu
g
en,(zügen), gezogen (IIb)
g/c
: sla
h
en, slahe (slehest, slehet), sluo
c
(
AV
),, sluo
g
en (slüege), geslagen (VI,
schlagen
)
Verdopplung
z- zz
: die
z
en, diuze, dôz, du
zz
en (düzze), gedozzen (IIb,
rauschen
)
Bestimmung von einem starken Verb
1/ Tempus, Modus, Person, Numerus
2/ Begründung dessen Unregelmäßigkeit (stark)
Stammform: Vokal? Folgenkonsonant? Sonderfall
Ablautreihe
3/Paradigma
Begründung von der Unregelmäßigkeit starken Verbes
StF1 und 2 : Vergleich mit nhd
StF3, 4, 4a : kein Dentalsuffix (-te wie bei den regelmäßigen Verben)
StF5 : en-Endung statt Dentalsuffix, und ge-Präfix nach dem Fall
Bestimmungsbeispiele
er las
1/ er - 3. Sg, Null-Endung = Ind Prät
2/ kein Dentalsuffix = starkes Verb
StF3, Vokal = a ; FK = s = Obstruent AR V
3/lesen, lise, las, lâsen (laese), gelesen
gewinnen (IIIa): StF3: gewan (Deg)
gezemen (IV): gezam
rechen: rach (ARV)
du vünde
1/ du - 2.Sg, Umlaut und e-Endung = Ind Prät
2/kein Dentalsuffix=starkes Verb
StF4a, Vokal = ü, FK = nd = Nasal + Konsonant perfektives Verb der AR IIIA
3/ vinden, vinde, vant (Auslautverhärtung am Ende des Wortes), vunden (vünde), vunden
vallen
1/ Infinitiv
2/ starkes Verb bei Vergleich mit nhd
StF1, vokale : a FK: ll, Gruppe der AR VII
3/vallen, valle (vellest, vellet), viel (Apokope nach langem Vokale), vielen (viele), gevallen
was versworn
1/ Part Prät
2/ en-Endung, kein Dentalsuffix = starkes Verb
StF5, Vokale: o, FK= r, Sondergruppe der j-Präsentien der AR VI
3/verswern, verswer, verswuor, verswuoren (verswüere), versworn
(Synkope, bzw. Apokope bei StF1, 2, 5)
er sprach
1/er-3.Sg, Null-Endung = Ind Prät
2/ kein Dentalsuffix = starkes Verb
StF3, Vokale : a, FK : ch - Sondergruppe der AR IV
3/sprechen, spreche, sprach, sprâchen (spraeche) gesprochen
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Die schwachen Verben
folgen auch der oben Konjugation-Tabelle, haben aber diese Kennzeichen:
-
Dentalsuffix bei Präteritum ­ete oder ­te oder ­t bei Part Prät, auch mit Synkope-Apokope:
nern
-
keine Sonderheit bei StF2 (Präsenz) und keinen Umlaut sowie Ablaut bei Konjunktiv Präteritum
-
können auch sekundäre Verben sein
starkes Verb: varen, vare, vuor, vuoren, (vüere), gevaren
schwaches Verb: vüeren
Klasse der schwachen Verben
jan-Verben: Umlaut bei Präsenz
ü, ö, ä/e, iu, oe, ae, öu, üe
Dentalsuffix ­te bei Präteritum (ohne Bindevokal BV)
ahd: -ita
heil-ita - heil-te
ên/ôn-Verben: kein Umlaut bei Präsenz
o, u, a, â, ô, û, ou, uo
Dentalsuffix ­ete bei Präteritum (mit Bindevokal)
ahd: -ôta,- êta
salbôta - salb-ete
Wenn bei Präsenz das Verb nicht umlautfähig ist, ist entweder nicht entscheidbar (synchrones Verb
: heilen
)
oder dessen Präteritumform ist zu sehen, sowie der Bindevokal.
der Rückumlaut (RUL)
Bei umlautfähigen Verben ohne Bindevokal (d.h. umlautfähigen jan-Verben) kann der Umlaut bei
Präteritum verschwinden.
Beispiele von rückumlautenden Verben
küssen: kuste (
Deg.
)
nennen (e=Umlaut von a): nande (
Deg.,
Lenisierung nt- nd, lt - ld
)
senden: sande
wenden: wande
Dazu hat das schwache rückumlautende, sowie das synchrone Verb zwei Formen bei Partizip Präteritum:
ge + Umlaut + et (flektiert)
gefüeget
ge + ohne Umlaut + t (unflektiert)
gefuogt geseit: kontrahierte Form von gesaget
der Primärberührungseffekt (PBE)
Bei Präteritum erscheinen konsonantische Besonderheiten
wegen dem t. Beispielerweise gibt das Verb
denken
nicht
*dânkte
(
RUL
) sondern
dâht
also erscheint ein
Nasalschwund mit Ersatzdehnung. Dies Phänomen wird
PBE genannt und wirkt auf etliche Verben so:
l. scribere - mhd. schrîben (AR Ia)
k/c/ck + t ht
dünken - dûhte
g + t ht
sagen- sahte
b/p + t ft
geben- gift
s/t + t ss
wissen
PP
-wisse
Bestimmungsbeispiel
er hûlte
1/ er - 3.Sg, Dentalsuffix ­te = Ind Prät
2/ Dentalsuffix ­te : schwaches Verb
kein BV, û = umlautfähig: iu aber mit RUL jan-Verb
3/ hiulen, hûlte, (flektiert) gehiulet / (unflektiert) gehûlt
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Präterito-Präsentien
Das lateinisch ,,novi" bedeutet: kennengelernt haben, d.h. mir ist etwas neu, bedeutet ich habe es schon
kennengelernt (der Resultat des Prädikates ist schon da). Diese Verschiebung der Vergangenheit in der
Präsenz beweist eine resultative Benutzung der Vergangenheit, die im Mhd. bei manchen Verben
wiederzufinden ist.
Die Präsenzform entspricht also einer vergangenen Bedeutung, die nicht unbedingt der heutigen
Bedeutung gleich ist.
ich darf: bei mir ist ein Mangel entstanden
und einer starken Präteritumform, die der Ablautreihe-Tabelle folgt, während in
Präteritum eine schwache Form zu finden ist, wennschon eine Vielfalt von Parallelformen existiert.
Solche PP-Verben sind daher so gebildet:
Ind. Präz:
stark, der Ablautreihe entsprechend
wie
warf, wurfen: darf, durfen oder dürfen (jan-Verben)
besondere Endung für 2.Ind.Präz: du darft und nicht du dürfe
Konj.Präz:
nach der Ind.Präz.-Pluralform gebildet
ich durfe, wir dürfen
Ind.Prät:
schwach ohne Bindevokal und mit Brechung zur Präsenzform (meist Verdumpfung)
*durfte - dorfte
Konj.Prät:
umgelautete Ind.Prät-Form
dörfte
Während der Part.Präs erhalten ist, ist statt des Part.Prät ersatzweise der Infinitiv gebraucht.
ARI
(î, î,
ei/ê, i, i
, i)
wizzen
(aus l. vidi: ich wußte): ,,wissen, erkennen"
ich weiz (
Deg.
), du weist (
Deg.
,
AV vor K
), wir wizzen, ich wisse, bzw. ich wesse (
RUL
,
PBE
), ich wisse (
k. UL
)
ARII
(ie, iu
,
ou/ô,u, ü
, o)
tugen
:
,,taugen, nutzen"
touc (
AV
), tugen (tügen), tohte (
PBE
), töhte
ARIII
(i/e, i
,
a, u, ü
, u/o)
gunnen
:
,,gönnen, gern sehen an"
gan (
Deg.
), ganst, gunnen (günnen), gunde (
Len.
), günde
kunnen
:
,,können, kennen"
kan (
Deg.
), kanst, kunnen (künnen), kunde, künde
durfen
:
,,nötig haben"
darf, darft, durfen (dürfen), dorfte, dörfte (
Verdumpfung
)
turren
:
,,wagen"
tar (
Deg.
), tarst, turren (türren), torste, törste (
Vdfg.
)
ARIV
(e, i,
a, â, ae
, o)
soln
(
Synkope
):
,,sollen, Zukunft"
sal/sol, solt, suln/soln, solde (
Len.
), sölde
ARV
(e, i,
a, â, ae
, e)
mugen
:
,,können, vermögen"
mac (
AV
), maht (
PBE
), mugen (mügen), mahte/mohte, mähte/möhte
ARVI
(a/e, a/e,
uo, uo üe
, a)
müezen
:
,,müssen, Zukunft"
muoz, muost (
Deg.
,
AV
), müezen, muose (
PBE
), müese (
PBE
)
Bestimmungsbeispiel
er muoste
1/ er - 3.Sg, Dentalsuffix ­te = Ind Prät
2/ Dentalsuffix ­te: schwache Form, jedoch besondere Verben der AR VI (,,uo"): Präterito-Präsentien
3/ muoz, muost, müezen, muoste (bzw. muose mit PBE), müeste (id.)
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Wurzelverben
Die Präsenzformen der sog. Wurzelverben sind athematisch gebildet: das normalerweise anwesende
Thema des Verbes, das Stammbildungselement zwischen dem Stamm des Verbes und der Personalendung
entfällt, sodaß statt des thematischen Schwalautes nur die Wurzel des Verbes steht.
Stamm-
Thema
-
Personalendung
: nem-
e
-
n
, doch ehemalige
*idg -mi-Verben
: *dô-
Ø
-
mi
- mhd. tuo-
Ø
-
n
sîn:
,,sein"
verbum substantivum
athematische Präsenzbildung + doppelte Wurzel
aus *gem. *bhui - idg: *bhes-mi wie lateinisch fui
Ind:
ich
sîn / bin
, dû sîst/ bist, ër ist
,
wir sîn oder sînt/bi
r
n, ir sîrt/birt, sie sînt
Konj.:
ich sî-Ø
; Partizip Präsenz:
sînde
(
Len.
)
suppletive Präteritumformen nach dem starken wësen (ARV):
was, wâren (Rhot.) (waere), gewesen
tuon:
,,tun"
athematische Präsenzbildung: Ind.:
ich tuon, dû tuost
; Konj.:
ich tuo-Ø
; PP:
tuonde
(
Len.
)
Prät. durch *idg. Rückverdopplung (Reduplikation) des Hauptsilbevokales:
tëte, tâten (taete), getân
stên:
,,stehen"
mit regionalen Formen: alemannisch stân, bairisch stên
athematische Präsenzbildung:
Ind:
ich stên, dû stêst
; Konj.:
ich stê-Ø
; PP:
stênde
(
Len.
)
suppletive Präteritumformen nach dem ahd. standan, starkem Verb stehen (ARVI) mit GW
stuont (AV), stuonde (Len.) (stüende), gestanden
gên:
,,gehen"
mit regionalen Formen: alem. gân, bair. gên
athematische Präsenzbildung:
ich gên, dû gêst
; Konj.:
ich gê-Ø
; PP:
gênde
(
Len.
)
suppletive Präteritumformen nach dem ahd. gangan, starkem Verb gangen (ARVII)
gienc (AV), giengen (giengen), gegangen
Der Regel über die Quantität des Vokales entsprechend steht im Nhd. ein Dehnungs-,,h" statt des mhd. ,,^".
Ohne diesen ,,h"-Laut könnte bei etlichen Formen der Vokal nicht lang ausgesprochen werden.
Würde der mhd. gên zu *gen, wäre es problematisch wegen zwei konsonantischen Personalendungen:
*gen = [g:n] aber du *gest = [gst]. Damit der Vokal lang bleibt, ist ein ,,h"-Laut eingebaut: gehst = [g:st].
wellen/weln
,,wollen"
ist ein besonderes Verb mit Modusverschiebung bei den 1.,2., 3. Ind.Präs (optative Formen).
ich wil (Apokope, Deg.), dû
wilt
, ër wil
sämtliche andere Formen sind nach dem ahd. walljan gebildet
Präs.Ind:
wir weln
(
Synkope
) ; Konj:
well-e
; PP:
wellende
(
Len.
)
Prät.Ind:
wolde
(
Verdumpfung und Len.
) ; Konj:
wölde
;
ohne PP
Kontrahierung
Bei häufigen Verben steht neben den Vollformen eine athematische kontrahierte Bildung des Verbes:
hân
ist die kontrahierte Form des schwachen Verbes haben
Vollform in Konj.Präs., ansonsten kontrahiert zu hân
Präs.Ind.:
ich hân, dû hâst
; Konj.:
ich hab-e
;
ohne PP
Prät.:
hete/hâte (haete), gehât
lân
ist die kontrahierte Form des starken Verbes lâzen (ARVII)
Vollform bei Prät., ansonsten kontrahiert zu lân
Präs.Ind.:
ich lân, dû lâst
; Konj.:
ich lâ-Ø
;
ohne PP
Prät:
liez, liezen (liezen), gelâzen
auch kontrahiert zu
ich/ër lie, gelân
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Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Mittelhochdeutsch. Einführung in die mittelalterliche Grammatik
Untertitel
Mitschrift der Vorlesung und Zusätzliche Anmerkungen
Hochschule
Universität Augsburg  (Ältere Kulturwissenschaft)
Autor
Jahr
2012
Seiten
13
Katalognummer
V306828
ISBN (eBook)
9783668050211
ISBN (Buch)
9783668050228
Dateigröße
1710 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mittelhochdeutsch, Mittelalter, Grammatik, Lautlehre, Mitschrift
Arbeit zitieren
Arnaud Duminil (Autor:in), 2012, Mittelhochdeutsch. Einführung in die mittelalterliche Grammatik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306828

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