Die moderne Demokratie im Spannungsfeld zwischen Diktatur und Anarchie


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2015

24 Seiten


Leseprobe


"Die Existenz des Staats und die Existenz der Sklaverei sind unzertrennlich."[i]

Die Gesellschaftswissenschaften haben ihren Grund und ihre Bedingung in der geschichtlichen Abfolge des Aufbaus und der Destruktion der Konstellationen von herrschenden und unterdrückten Klassen. Anarchistisch ausgerichtete gesellschaftliche Bewegungen tragen den Todeskeim dieser Wissenschaften in sich. Dagegen war die Bornierung in Herr-Knecht-Mechanismen eines der eilfertigsten Anliegen der abendländischen Geisteswissenschaft von Platons Politeia über Hegels Staatsphilosophie bis Hitlers „Mein Kampf.“ Plato hielt Ungebundenheit bei Menschen wie bei Tieren für schädlich, Kant sah im Menschen noch "...ein Thier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nöthig hat." [ii] In einem Aphorismus äußert Hegel, dass russische Frauen und die Völker der Weltgeschichte die Hundepeitsche verlangen.[iii] Heute kann ich ihnen zurufen: Sie haben sich alle gründlich geirrt, meine Herren! Denn wie es bei einer starken Eiche mit markigem Wuchs auch einige kleine, verdorrte Verästelungen geben kann, so in der langen Emanzipationsgeschichte des Affen zum Menschen, der wahrscheinlich erst von den Bäumen heruntergestiegen, auch einen Bruchteil, in dem er wieder künstlicher Affe wurde: Staatsbürger. Mit der Zeit fegt der Sturm die dürren Zweige ab, mit der Zeit wachsen Generationen heran, die in Revolutionsstürmen den ganzen Staatsplunder[iv] von sich abwerfen.

Es waren nicht die Philosophen Kant und St. Pierre, die zuerst die Vision des Ewigen Friedens in der Menschheit aufzeigten, sondern dieser Friede war bereits ein Begehren des Bundschuhs,[v] vor allem aber verlangten die Bauern die Abschaffung des Zehnten, also die Beseitigung aller Obrigkeiten, nach Engels "… die Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie ..."[vi] Und diese Idee des Kommunismus, sie taucht mit Babeuf wieder auf im Frankreich von 1795. In den Revolutionsjahren erhoben sich dort zeitweise die blutarm gesaugten Klassen, die die konservativen Historiker so gerne als Pöbel rubrizieren, und hegemonisierten für kurze Perioden die ganze Erhebung. Diese Klassen gingen aber bereits über den Horizont der bürgerlichen Gesellschaft hinaus, die für ihre antagonistischen Konflikte immer nur die Lösung: Staat - Armee - Affe in Uniform findet. Im Revolutionskapitel der Phänomenologie des Geistes, das die Dialektik der absoluten Freiheit und des Schreckens entwickelt, arbeitet Hegel diese die bürgerliche Gesellschaft bereits transzendierende Tendenz heraus: Er charakterisiert 1789 als "… die die Anarchie zu constituieren strebende Anarchie ..."[vii] Was es beinhaltet, mag auf den ersten Blick trivial erscheinen, aber in der Wissenschaft gibt es keine Wahrheit auf den ersten Blick. Wie die Ware in der bürgerlichen Gesellschaft auf den ersten Blick ein triviales Ding zu sein scheint, so auch der Kommunismus, obwohl er das Höchste der Freiheits- und Friedenssehnsüchte der Völker ist. Die Analyse der Ware ergibt, dass sie ein vertracktes Ding ist und der Kommunismus ist nach Bertolt Brecht das Einfache, das so schwierig „zu machen“ ist. Die Anarchie kann sich natürlich nur universell ausführen, auf der Erdkugel müssen alle staatlichen und sonstigen Unterdrückungsstrukturen völlig aufgehoben werden. Die Französische Revolution und ebenso ihr tiefsinniger Analytiker Hegel scheiterten noch an dieser Aufgabe, die nun immerhin gestellt war und nach Kant nicht mehr vergessen werden kann.

Es dauerte aber nach dem Sturz Robespierres gar nicht lange, da veröffentlichte Saint-Simon seine Genfer Briefe mit der Perspektive eines gesellschaftlichen Zustandes, in dem Produktionsprozesse statt Menschen geleitet und Sachen statt Strafgefangene verwaltet werden. War dies nur die Utopie eines originellen Kopfes? 1802 war es Träumerei; es fehlten, theoretisch gesehen, noch die Männer, die an die Stelle der Zukunftsphantasterei, der schnurrpfeifigen Auskonstruktion kommender Geschichte, die Wissenschaft setzten. Diese Männer waren Marx und Engels, aber warum? Weil sich zu ihrer Zeit der fundamentale Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat und dessen innerer Kampf so weit vereinfacht hatten, dass die wissenschaftliche Erkenntnis und Lösung der gesellschaftlichen Grundfrage der Herrschaftsfreiheit möglich wurde. Ihr Kommunistisches Manifest legt deshalb auch dar, dass gerade und nur das Proletariat die Klasse der modernen Gesellschaft ist, die als einzige ihre Diktatur nicht nur selbst negieren kann, sondern negieren muss: "Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf."[viii] Diese weltgeschichtlich genialen Überlegungen wurden 1847 aufgeschrieben, kurz vor der Februarrevolution. Als diese ausbrach, waren diese Einsichten in den kommenden Gang der Geschichte allerdings weit vorausgeeilt. Die Pariser Arbeiter forderten noch ein Ministerium der Arbeit, kein Volkskommissariat für diese, führten also im Grunde nur erst eine bürgerliche Revolution durch.

Aber 23 Jahre später wurde die Pariser Kommune proklamiert: das war die Diktatur des Proletariats, schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr. Sie hinterließ uns in demokratischer Hinsicht zwei Vermächtnisse: Die der Demokratie Verantwortlichen waren gesetzgebend und ausführend in einem und jederzeit absetzbar durch ihre Wähler. Damit hat sie uns nicht nur zwei Maßstäbe hinterlassen, mit denen wir ablesen können, dass es heute weltweit keine Demokratie gibt, sondern auch das schwere Vermächtnis, demokratische Maximen, wo auch immer, politisch durchzusetzen. Der aus einer Süffisanz der Überlegenheit hervorgebrachten Frage, wo denn heute ein Kommunismus existiere, ist zu erwidern, man solle zunächst einmal zeigen, wo denn heute Demokratie „herrsche.“ Ich mache in diesem Kontext kurz auf etwas aufmerksam, was eine Bagatelle zu sein scheint: In der akademischen Parlamentarismuskritik wird regelmäßig übersehen, dass sich die bürgerlichen Parlamente sogenannte Saaldienerinnen und Saaldiener halten. Die Bezeichnung eines Menschen als Saaldiener ist ehrenrührig und stellt eine Menschenrechtsverletzung dar. Sie zeigt vor allem auch die Unselbständigkeit, ja blöde Unbeholfenheit der Parlamentarier an. Selbst der bürgerlichen „Die Linke“ im deutschen Bundestag stößt nicht auf, dass es sich bei dieser „Institution“ um ein Relikt aus der Feudalzeit handelt, deren Prinzip nach Karl Marx die Menschenverachtung ist.[ix]

Das Jahr 1905 brachte eine machtvolle Erhebung in Russland. Streikten in der Zeit von 1895 bis 1905 nur 43 000 Arbeiter pro Jahr, so überstieg die Zahl der Streikenden allein im Januar 1905 die Grenze von 400 000. In dieser Revolution von 1905 schufen die Arbeiter eine eigentümliche Organisationsform, die Sowjets, die 12 Jahre später erneut auf den Plan traten und deren Wesen so hartnäckig verkannt und verleugnet wurde. Die Sowjets sind aber hauptsächlich die "… Vorboten des Absterbens jeden Staates ..."[x] In diesen Zusammenhang gehört auch der wichtige Gedanke Stalins, den er in seinen Vorlesungen an der Swerdlow-Universität darlegte: "Das Proletariat braucht die Partei dazu, um die Diktatur zu erobern und zu behaupten. Die Partei ist ein Instrument der Diktatur des Proletariats. Daraus folgt aber, daß mit dem Verschwinden der Klassen, mit dem Absterben der Diktatur des Proletariats auch die Partei absterben muß."[xi] Die Partei Lenins stirbt also ebenfalls ab, wird zu einem bestimmten Zeitpunkt selbst ein Hindernis der Produktivkraftentfaltung. Welche bürgerliche Partei, welche Bande politischer Spekulanten hat es bis zu dieser Höhe der Selbstnegation gebracht, welche hat sich selbst als historisch vorübergehende begriffen? Im Gegenteil, sie alle wollen ihr korruptes Schmarotzerdasein bis in alle Ewigkeit verankert wissen. "Wir bekennen uns zur repräsentativen Demokratie, die politische Führung und demokratische Verantwortlichkeit miteinander verbindet. In den Wahlen gibt sie die regelmäßige Möglichkeit zum Regierungswechsel."[xii] Dass der Bauer fortgesetzt einen Herrn über sich nötig hat, an dieser Argumentation versuchte sich bereits, aber nun müssen wir uns um einige Jahrhunderte zurückfallen lassen, Thomas von Aquin in seiner Schrift: "Über die Herrschaft der Fürsten", derselbe Thomas, der 300 Jahre vor dem deutschen Bauernkrieg das Licht der Welt erblickte. Insofern steht noch heute die deutsche Geschichte vor der Wegwahl: Thomas von Aquin oder Thomas Müntzer. Der letzte Weg aber führt eines Tages zum Wegfall von Wahlen.

Hier ist auch der Punkt erreicht, an dem ich in den Streit der philosophischen Fakultät mit der der Wissenschaft von der Politik eintreten muss. Reduzieren wir die Wissenschaft von der Politik auf ihr dürres Gerippe, so zeigt sich: Sie untersucht vor allem Herrschaftsverhältnisse unter Menschen bzw. unter Klassen. Und nun wird es für einen Fortschritt ausgegeben, es soll eine Erkenntnis der neueren Zeit sein, daß diese Herrschaftsverhältnisse sich ändern können, wechselhafte sind. Dieses Fortwälzen in die schlechte Unendlichkeit wird durch meine These unterbrochen: "Herrschaft über Menschen und politische Gesellschaftswissenschaften verhalten sich ebenso reziprok wie Anarchie und nur noch benötigter Naturwissenschaften. Erst hier wirklicher Freiraum und disponible time für Kunst und Musik."

Hand in Hand mit der Emanzipation der Völker geht der Niedergang der Geisteswissenschaften, der Abbau des Überbaus einher. Verfolgen wir kurz die Hauptzüge dieses Zerfalls.[xiii] Die im Mittelalter mächtigste geisteswissenschaftliche Disziplin, die Gebieterin der Philosophie war, hat sich für fortschrittliche Menschen zu einer immer rascher verschwindenden Spur verflogen und überlebt nur als notwendige ideologische Ergänzung einer warenproduzierenden Gesellschaft. Der seit der Renaissance einsetzende Ablösungsprozess von mittelalterlichen Weltbildern und die Dominanzverschiebung zu einer neuen Herrin, zur Politik,[xiv] mit einer neuen Selbstbestimmung der ganzen menschlichen Daseinsweise wird von Rousseau während seines Venedigaufenthaltes, der ihn zu Studien über Machiavelli veranlasste, 1743 prägnant erfasst. Er erkannte plötzlich, dass in Zukunft das Schicksal der Menschheit von der Politik bestimmt sein wird, wie bisher von Religion und Metaphysik. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Marat die Wissenschaft von der Politik für die wichtigste hielt; für Napoleon war die Politik eine unentrinnbare Schicksalsmacht. Und in der Tat, hätte es im Mittelalter schon Zeitungen gegeben, um welche, wenn nicht religiöse, Thematik hätten sich ihre Leitartikel konzentriert? Aber während die Politik in ihrer bürgerlichen Sattheit noch schwelgt, siehe die Füße derer, die dich nach draußen tragen werden, exerzieren schon vor der Tür: Die seit dem Aufkommen der Großen Industrie einsetzende Arbeiterbewegung intendiert die völlige Selbsterschöpfung der Politik durch die völlige Durchpolitisierung aller auf der ökonomischen Struktur beruhenden gesellschaftlichen Lebensbereiche. Die Dominanzverschiebung zur letzthin ohne politisch-juristischen Überbau am effektivsten sich steigernde materielle gesellschaftliche Produktion wurde von Friedrich Engels durch seinen ersten Manchesteraufenthalt (1842 - 1844) mit großem Weitblick erahnt. Wurde durch Engels Politik endlich als etwas Ableitbares begriffen, so blieb ihr im proletarischen Emanzipationsprozess nur noch eine Sekundanzfunktion: "Die Revolution überhaupt - der Umsturz der bestehenden Gewalt und die Auflösung der alten Verhältnisse - ist ein politischer Akt. Ohne Revolution kann sich aber der Sozialismus nicht ausführen. Er bedarf dieses politischen Aktes, soweit er der Zerstörung und der Auflösung bedarf. Wo aber seine organisierende Tätigkeit beginnt, wo sein Selbstzweck, seine Seele hervortritt, da schleudert des Sozialismus die politische Hülle weg."[xv] Auf dieses Fortschleudern der Politik kommt alles an.

Nicht nur hatten Marx und Engels zu diesem Zweck die Dialektik Hegels gerettet, sondern zeitlebens bewahrt, was drei junge Theologiestudenten im Tübinger Stift vermerkten: "Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also über den Staat hinaus. Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln, und das soll er nicht, also soll er aufhören."[xvi] Diese Sätze stammen von den Jünglingen Hegel, Hölderlin und Schelling, von denen ersterer eine eine bestimmte Methode enthaltende Prozesswissenschaft entwickelte. Durch ein gründliches Studium dieser von Marx materialistisch umgestülpten Methode, die dadurch aus einer für die Bourgeoisie annehmbaren zu einer unangenehmen wurde, würde sich dann den politischen Gesellschaftswissenschaften die Perspektive der mit Selbstnegation verbundenen Aufhebung von Herrschaft überhaupt eröffnen. Bilden Herr-Knecht-Mechanismen geradezu das Fundament der Disziplin „Wissenschaft von der Politik“, so muss man es zusammenbringen: die subjektive Weiterentwicklung und wissenschaftliche Qualifikation des Politikwissenschaftlers und den objektiven gesamtgesellschaftlichen Prozess, der das Aufhören des Staates intendiert. Die harte Arbeit an der Aufhebung der Herr-Knecht-Politologie birgt in sich die Aufhebung der Wissenschaft von der Politik überhaupt. Der Brotgelehrte ernährt sich von Herr-Knecht-Konstellationen, der Philosoph hungert, weil für ihn alle Menschen gleich sind.[xvii] Erst wenn alle ihren abstrakten Staatsbürger in sich zurückgenommen haben und also die Politik fortschleudernde Philosophen geworden sind, gibt es keine Philosophen im alten Hungersinne mehr. Philosophie der Freiheit (Revolutionstheorie) und Freiheit der Philosophie (die absolut reale, sich nicht mehr zum theoretischen Inhalt habende Anarchie) sind ineinander eins geworden.

Dieses Ende der Staatskunst mag zunächst ein greller Gedanke sein. Aber 1802, als Saint-Simon ihn visionierte, formulierte Hegel in seiner Erstveröffentlichung den schicksalshaften Satz: "Je besser die Methode ist, dsto greller werden die Resultate."[xviii] Dieser Satz steht ja unausgesprochen im Hintergrund der großen geschichtlichen Zuckungen des letzten Jahrhunderts, das für Eric Hobsbawm eines der Extreme war: Oktoberrevolution, Säuberungen in der Roten Armee, Moskauer Prozesse, chinesische Kulturrevolution, und schwebt auch heute unausgesprochen über den Häuptern der europäischen Konterrevolution, zumal die Philister und Spießbürger, die Friedrich Hölderlin in den Irrsinn und Ulrike Meinhof in den Tod getrieben haben, noch immer der Auffassung sind, die Völker könnten ohne Vormünder nicht leben;[xix] vornehmlich aber ist es dieser Gedanke, dass gerade sie, nämlich diese Brotgelehrten und Spießbürger es seien, die diese Vormundschaft zu übernehmen hätten und damit die historische Mission der Verewigung von Herrschaft und Knechtschaft. "Es war mit hie und da, als hätte sich die Menschennatur in die Mannigfaltigkeit des Tierreichs aufgelöst, wenn ich umherging unter diesen Gebildeten.“[xx]

Das Ende der Staatskunst und das Ende des Berufsrevolutionärs, das ist der Beginn des Anarchisten, der sich nicht mehr als dieser weiß. Anarchie als absolute hat den Wendungspunkt ihrer Überwindung in ihr selbst. Demokratie ist ein politischer Begriff, ebenso Anarchie. Denkt man beide isoliert schematisch, so bilden sie Elemente im gesellschaftlichen Leben der Völker, zwar sich wandelnde Elemente, aber notwendige im Kontext der Klassenkampfgeschichte. Gilt Demokratie als ein gewisses Ideal, so Anarchie als Utopie. Es ist aufzuzeigen, dass beiden Begriffen eine immanente Dialektik eignet, die sie in ihrer Entfaltung ineinander überführt und von ihrer Einseitigkeit befreit. Es gilt also, beide Begriffe von ihrem ideologischen Ballast, der sich durch das schematische Denken angesammelt hat, zu befreien. Diese Befreiung ist der historische Tod beider.

[...]


[i] Karl Marx, Kritische Randglossen zu dem Artikel eines Preußen, Werke Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,401 f.

[ii] Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, Kants Werke, Akademie Textausgabe Band VIII, Berlin 1968,28. In Kant begegnet uns die bisher größte Zwittergestalt in der Geschichte der Philosophie. In der Erkenntnistheorie ist er sowohl Idealist (das transzendente 'Ding an sich' ist für uns unerkennbar) als auch Materialist (es gibt außerhalb von uns ein 'Ding an sich'). In der politischen Philosophie ist er Realist, indem er zur Zeit der Leibeigenschaft das eingebildete bürgerliche Ideal, dass sich alles um den Menschen drehe, auf rüde Art umstößt (der Mensch ist ein Tier, das einen Herren über sich nötig hat) und diese reaktionäre Konstellation prägt auch noch die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, die in einem weltbürgerlichen Verband von rechtlich gleichgestellten Republiken gipfelt, der den Weltfrieden durch eine Herr-Knecht-Konstellation innerhalb der Republiken garantiert, er ist ein fortschrittlicher Idealist im Formalismus seines kategorischen Imperativs (die Menschheit als normatives Ideal). Im letzteren liegt der anarchistische Gehalt der bürgerlichen Emanzipation und zugleich die von Heinrich Heine festgestellte Affinität zu Maximilien Robespierre, genauer zu seinem Kosmopolitismus. Für Robespierre haben die Franzosen für die ganze Menschheit gekämpft und das Ziel der französischen Revolution ist es, so viele Freunde zu haben als es Menschen auf der Welt gibt. Es gab während der französischen Revolution ein heute nur noch Spezialisten bekanntes Dekret des Wohlfahrtsausschusses: es verbot den Franzosen 'Sie' zueinander zu sagen, das 'Duzen' war obligatorisch, was heute die Gewerkschaften beibehalten haben. Niemals hat eine bürgerliche Revolution die Anarchie näher tangiert, die französische trägt daher zu Recht den Ehrennamen, die 'Klassische bürgerliche Revolution' gewesen zu sein.

[iii] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Berliner Schriften, Theorie Werkausgabe Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, Band 11, 1980,561

[iv] Vergleiche Friedrich Engels, Einleitung zu "Der Bürgerkrieg in Frankreich" Ausgabe 1891, Werke Band 17, Dietz Verlag Berlin, 1960,625

[v] Vergleiche Friedrich Engels, Der deutsche Bauernkrieg, in: Karl Marx Friedrich Engels, MEGA 1,10 Berlin, 1977,400

[vi] a.a.O.,382

[vii] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Gesammelte Werke Band 9, Rheinisch Westfälische Akademie der Wissenschaften, Düsseldorf 1980,322

[viii] Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1976,482

[ix] Vergleiche Karl Marx, Brief an Ruge vom Mai 1843, Werke Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,340

[x] Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Werke Band 24, Dietz Verlag Berlin, 1960,72

[xi] Josef Stalin, Grundlagen des Leninismus, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1972,125 f.

[xii] Ludwigshafener Grundsatzprogramm der CDU, Oktober 1978

[xiii] Ich gehe hier nicht auf den Verfaulungsprozess des absoluten Geistes ein, weil dieser eine spezifisch deutsche Angelegenheit ist.

[xiv] Die Entideologisierung der Politik gelingt dann später Marx und Engels, immerhin billigen sie dieser in ihrer Entlarvung überbaulicher Illusionen in der "Deutschen Ideologie" zu, dass die politische Illusion "der Wirklichkeit noch am nächsten steht.“ (Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, Marx Engels Werke Band 3, Dietz Verlag Berlin, 1969, 39). Zugleich ist in diesem Zusammenhang der Bogen zu schlagen zu einer der letzten schriftlichen Äußerungen von Engels in der Einleitung zu den Klassenkämpfen in Frankreich von 1895: dort weist er auf die spezifische Schwierigkeit hin, das politische Tagesgeschehen aus den ökonomischen Ursachen zu erklären und schreibt von einer unvermeidlichen Fehlerquelle: "Bei der Beurteilung von Ereignissen und Ereignisreihen aus der Tagesgeschichte wird man nie imstande sein, bis auf die LETZTEN (kursiv von Engels) ökonomischen Ursachen zurückzugehen." (Friedrich Engels, Einleitung zu: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, Von Karl Marx (1895), in: Karl Marx, Friedrich Engels, Ausgewählte Werke, Progress Verlag Moskau, 1975,669)

[xv] Karl Marx, Kritische Randglossen zu dem Artikel eines Preußen, Werke Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,409

[xvi] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Das Älteste Systemfragment des deutschen Idealismus, Theorie Werkausgabe Suhrkamp Band 1, 1972, 234f.

[xvii] "Der Philosoph ist mit dem Politiker einig über das, was die Menschen sind; allein er fühlt, er weiß, was sie sein könnten, und von dem Augenblick kann er nicht umhin, treu und sorglich zu wirken, daß sie ihre Bestimmung erreichen mögen." (Georg Forster, zitiert in: Georg Forster, Über die Beziehung der Staatskunst auf das Glück der Menschheit und andere Schriften, Herausgegeben von Wolfgang Rödel, Einführung von Wolfgang Rödel, sammlung insel 20, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1966,31).

[xviii] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Differenz des Fichte´schen und Schelling´schen Systems der Philosophie, Gesammelte Werke Band 4, Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Düsseldorf, 1980,28

[xix] Exemplarisch dafür Heidegger: "Der Führerstaat - wie wir ihn haben - bedeutet die Vollendung der geschichtlichen Entwicklung, die Verwirklichung des Volkes im Führer." Vorgetragen im Seminar "Über Wesen und Begriff von Natur, Geschichte und Staat." (Wintersemester 1933/34), siehe: Thomas Thiel: Die Verwirklichung des Seins im Staat, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.8.2010, NR. 178, Seite N3

[xx] Friedrich Hölderlin, Hyperion, Werke Band III, Stuttgart, 1957,22. Das 21. Jahrhundert wird noch ein viel extremeres werden als das abgelaufene.

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Details

Titel
Die moderne Demokratie im Spannungsfeld zwischen Diktatur und Anarchie
Autor
Jahr
2015
Seiten
24
Katalognummer
V306963
ISBN (eBook)
9783668047839
ISBN (Buch)
9783668047846
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demokratie, Anarchie, Marx, Engels, Lenin, Rosseau, Hegel, Dialektik
Arbeit zitieren
Magister artium Heinz Ahlreip (Autor:in), 2015, Die moderne Demokratie im Spannungsfeld zwischen Diktatur und Anarchie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306963

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