Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Diagnoseschwerpunkt
1.1 Konsum und Soziologie
1.2 Ökologisierung des Konsums
1.3 Konsum und Lebensstil
1.4 Genese des Konsums
1.5 Ökologischer Diskurs
2. Methodischer Schwerpunkt
2.1 Diskursanalyse und Konsum
2.2 Kritische Diskursanalyse
3. Analyseschwerpunkt
3.1 Konsum im ökologischen Diskurs
3.2 Grüner Konsum
3.2.1 Form, Inhalt und Rhetorik
3.2.2 Macht
3.2.3 Sicherheit
3.2.4 Lifestyle
3.2.5 Risiko
3.2.6 Prävention
4. Zusammenfassung
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Diagnoseschwerpunkt
"O hätt ich doch nie gehandelt! Um wie manche Hoffnung wär ich reicher!"1
1.1 Konsum und Soziologie
Wie in einer Gesellschaft konsumiert wird, verrät ihren Gegenwartszustand. Wo Konsum dazu dient, das Überleben zu sichern oder grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen, nimmt das gesellschaftliche Zusammenleben gänzlich andere Formen an als in hoch vermögenden Ge- sellschaften, wie sie in Westeuropa vorzufinden sind. Wenn durch die materiellen Bedingun- gen einer Gesellschaft die physische Not beseitigt oder zumindest marginalisiert2 worden ist, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich der Konsum in Form verschiedenster Konsumstile vervielfachen und ausdifferenzieren kann. Wesentliche Bedürfnisse, wie etwa die ausreichende Nahrungsaufnahme, verschwinden jedoch nicht ganz und gar; vielmehr werden gewöhnliche von luxuriösen Bedürfnissen überschattet. Nach den knappen, aber präzisen Worten Werner Sombarts ist „Luxus [...] jeder Aufwand, der über das Notwendige hinaus- geht“ (Sombart 1984: 85). Und tatsächlich: Die vermögenden Gesellschaften sind heute weit über das Notwendige hinausgekommen.
„In allem herrscht quasi Überfluß, nahezu an nichts Mangel [...].“ (Hellmann 2003: 377)
Konsumfragen stellen sich heute in erster Linie als Lebensstilfragen: Wie wollen wir leben? Wer wollen wir sein? Konsum hat in unberechenbarem Maße an Symbol- und Prestigefunkti- on zugenommen. Der ökologische Diskurs trägt seit den 1970er Jahren bis heute deutlich er- kennbare und kaum fassbare Blüten. Von der Nahrung über das Wohnen bis hin zu Freizeitak- tivitäten - die Wahl der Kartoffel, des Eigenheims oder des Friseurs kann zur ökologischen Frage werden.
Diese Arbeit möchte aufzeigen, wie aus der Sicht der deutschen Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (i.F. die GRÜNEN) Konsumfragen beantwortet werden sollten. Ferner, was es heißt nach gr ü nen Prämissen zu leben: Welche Handlungsempfehlungen werden von den GRÜNEN in Deutschland gegeben, wie können diese aus soziologischer Sicht verstanden werden und zu welchen sozialen Konsequenzen führt das Lob gr ü ner Tugenden? Mit dieser Dreiteilung - bestehend aus Diagnose, Analyse und sozialen Konsequenzen - sind die inhalt lichen Dimensionen dieser Arbeit bereits erklärt, wobei die Teile trotz einer Gliederung nicht als voneinander abgegrenzte und chronologische Einheiten zu verstehen sind, sondern durchaus ineinandergreifen.
Dabei gilt es stets zu beachten, dass es sich um eine sociology of consumption und nicht um eine sociology in consumption handelt: Eine sociology of consumption verfolgt weder ökolo- gische Objektivierungsversuche, noch orientiert sich ihr Erkenntnisinteresse an ökologischen, biologischen oder chemischen Parametern. Wo eine sociology in consumption gut beraten ist, ihr Verhältnis zum Konsum an naturwissenschaftlichen Messungen und Erkenntnissen auszu- richten und zu eruieren versucht, welches Verhalten tatsächlich ökologischer, effektiver oder nachhaltiger ist, besäße eine sociology of consumption mit der gleichen Ausrichtung nur we- nig Glaubwürdigkeit. Vielmehr fokussiert sich ihr Interesse am Konsum zuallererst darauf, wie Einzelne, Gruppen oder ganze Gesellschaften mit dem vorhandenen Wissensstand umge- hen und diesen als Verhaltensmaßstab nutzen. Demzufolge kann gefragt werden, durch wel- che Werte ein bestimmtes Konsumverhalten determiniert ist oder welche Funktionen es hat; ganz gleich, ob es sich nun um idealtypisch guten oder schlechten Konsum handelt. In diesem Sinne ist nur eine sociology of consumption soziologisch legitimierbar. Dahingegen wird bei einer sociology in consumption das soziologische Feld, durch den Einbezug nicht- soziologischer Felder (wie z.B. Biologie, Ökologie oder Chemie) aufgesprengt, woraufhin eine neuartige Interdisziplinarität entsteht, die vor allem empirische Ursachen- und Folgenfor- schung betreibt.3 Warum -Fragen werden von einer sociology of consumption eher vermieden, Wie -Fragen eher unterstrichen. Zu fragen bleibt, wie sich machtvolles Wissen (in diesem Fall gr ü nes Wissen) in Konsumeinstellungen und -verhaltensweisen niederschlägt. Wie mit Kon- sumwissen umgegangen wird und zu welchen sozialen Konsequenzen dieser Umgang führt.
1.2 Ökologisierung des Konsums
Im Alltag wie auch in den Wissenschaften kreist der heutige ökologische Diskurs um Debat- ten oder Schlagworte wie nachhaltiger Konsum, Bio-Siegel, Fair Trad e, Ö ko-Korrektheit, verantwortungsbewusstes Einkaufen etc. Anlässlich dieser Beobachtung lässt sich die These ableiten, dass die nahe Vergangenheit und die unmittelbare Gegenwart durch eine Ö kologisie- rung des Konsums gekennzeichnet sind. Die GRÜNEN, so die zentrale Annahme, tragen maßgeblich zu diesem Ökologisierungsprozess bei. Aus der sehr punktuellen Analyse einer Broschüre der GRÜNEN, sollte sich am Ende dieser Arbeit ein Bild abzeichnen, das dabei hilft, allgemeine Färbungen der westeuropäischen Gegenwartsgesellschaften sichtbar zu machen. In diesem Fall könnte man metaphorisch von einer gesellschaftlichen Grünfärbung sprechen. Ob sich der Verdacht einer Ökologisierung des Konsums langfristig aufrecht erhalten lässt, mag allein die Zukunft beantworten. Jeder Prozess ist immer auch Gegenprozessen unterworfen. Somit sind stets Entökologisierungskräfte am Wirken. Hiermit wird demzufolge keine wahnwitzige Zukunftsdiagnose aus weißen Blättern herausgelesen, sondern eine Gegenwartsdiagnose aus bereits beschriebenen Blättern vorgelegt.
Ö kologisierung des Konsums beschreibt einen Prozess, bei dem ehemals nicht unter ökologi- schen Kriterien betrachtete Produkte - wie z.B. Autos, Glühlampen, Kühlschränke oder auch Einkäufe von Lebensmitteln oder Kleidung - zunehmend unter ökologischen Gesichtspunkten thematisiert und behandelt werden. Der Ökologisierungsprozess kommt neben individuellen Verhaltensänderungen (etwa in Form eines gr ü nen Lebensstils, für den z.B. Bio -Etiketten zum primären Konsumentscheidungskriterium werden), die relativ autonom erfolgen können, auch im Bereich kollektiv verpflichtender (politischer) Entscheidungen zur Geltung. Dort wird ökologisches Verhalten entweder begünstigt (z.B. durch Vergünstigungen beim Kauf eines umweltfreundlichen Autos) oder sogar zum festen Gebot (z.B. durch das Verbot umweltun- freundlicher Leuchtmittel). Infolgedessen sind es sowohl weiche (selbstbezogene) als auch harte (politische) Faktoren, die zur Ökologisierung des Konsums beitragen. Mit Fokus auf eine von den GRÜNEN4 veröffentlichten Broschüre, die den Titel „Grün Leben: Nachhaltiger Konsum - Lebensstil mit Zukunft“ trägt, wird dieser Ökologisierungsthese nachgegangen.
1.3 Konsum und Lebensstil
Das individuelle Konsumverhalten stattet den Einzelnen mit einem Identitätsausweis aus. Die Art und Weise wie jemand konsumiert tangiert seinen Lebensstil. Umgekehrt beeinflusst der Lebensstil das Konsumverhalten. Beide Kategorien sind also auf das Engste miteinander ver- knüpft. Max Weber leitet den Begriff des Lebensstils (bei Weber: Lebensf ü hrung) aus dem Offenbarungscharakter prophetischer Heilsversprechen ab, die auf „einen einheitlichen As- pekt des Lebens, gewonnen durch eine bewußt einheitliche sinnhafte Stellungnahme zu ihm“ (Weber 1922: 257) abzielen. Nach Weber ist jede Lebensstilkonzeption mit dem „Ver- such der Systematisierung aller Lebensäußerungen, der Zusammenfassung des praktischen Verhaltens zu einer Lebensführung, gleichviel, wie diese im Einzelfall aussehen möge“ (ebd.), gleichzusetzen. Trotz aller Einschränkungen kann ein bestimmter Lebensstil als Summe aus (bestenfalls bewusstem und systematischem) Selektionsvermögen und Gestaltungskraft des Einzelnen verstanden werden. Deshalb ist ein Lebensstil „immer eine aktive Konstruktionsleistung der Person“ (Hellmann 2003: 394).
Konsum ist heute ein omnipräsentes Phänomen, das sich zuallererst auf den einzelnen Kon- sumenten bezieht, wohingegen der Begriff Konsumismus eine Gesellschaft als Ganzes auf eine Eigenschaft (übersteigertes oder pathologisches Konsumverhalten) einengt. Für die Kon- sumsoziologie ist Konsum ein sehr weites Feld, das sich nicht allein auf die - monetär bere- chenbaren - verfügbaren Mittel zur Konsumtion, auf die materiellen Konsumtionsmöglichkei- ten oder das zahlenmäßige Kaufverhalten beschränken lässt. Vielmehr besteht das soziologi- sche Interesse am Konsum darin, herauszufinden, wie Güter ge- oder verbraucht werden oder werden könnten, welche Bedeutung ihnen zu- oder abgesprochen und wie aus ihnen individu- eller und gesellschaftlicher Sinn abgeleitet wird. Insofern sind ökonomische und soziologi- sche Konsumforschung klar voneinander abzugrenzen (vgl. Hellmann 2009: 179).
Mit einem weiten Blick kann der Begriff Konsum idealtypisch zweigeteilt werden. Demnach steht dem „Konsum erster Ordnung“ (ebd.: 180) der „Konsum zweiter Ordnung“ (ebd.) ge- genüber. Die untere und erste Grenze des Konsums wird durch die Erfüllung körperlicher Grundbedürfnisse (wie Essen, Trinken, Schlafen) definiert. Diese Grenze kennt nur wenig Kontingenz - letztlich nur überleben oder sterben - und ist damit sehr starr (vgl. ebd.: 179f.). Die obere Grenze des Konsums ist durch die Erfüllung von Wünschen gekennzeichnet, die nicht unbedingt vonnöten sind. Im eigentlichen Sinne des Wortes handelt es sich dabei gar nicht mehr um eine klar zu definierende Grenze, da der Spielraum des sekundären Konsums unendlich ausgeweitet werden kann. Die obere Grenze des Konsums ist demzufolge sehr be- weglich, flüssig oder kontingenzreich. Im Ganzen betrachtet bedeutet Konsum:
„[…] Kaufen, Gebrauchen und Verbrauchen, wobei die entsprechenden Diskurse, Beziehungen, Rituale und Formen der Geselligkeit und Vergesellschaftung eingeschlossen sind.“ (König 2005: 42f.)
1.4 Genese des Konsums
Der Stellenwert des Konsums hat sich mit dem Übergang von traditionellen Gesellschaften zu unseren modernen (oder auch: spät-/nachmodernen) Zeiten enorm verschoben. Für die Be- friedigung der Grundbedürfnisse ist in den vermögenden Gesellschaften weitestgehend und in umfassendem Maße (bis hin zum unvorstellbarsten Überfluss) gesorgt.5 Exzessive Konsu- morientierungen wurden und werden immer wieder von verschiedensten Seiten in Form von Konsumkritik problematisiert. Dem Konsumismus auf gesellschaftlicher Ebene, wie ihn etwa Benjamin Barber den USA attestiert6, stehen etwa hedonistische Konsumverhaltensweisen von Einzelnen, die ihre Lust z.B. durch unaufhörliche Kaufakte und nicht durch die Nutzung der Dinge befriedigen, gegenüber. Inzwischen ist die Konsumkritik über jegliches Ziel hinaus geschossen, indem sie selbst kommodifiziert wurde:
„Konsumkritik ist ein konsumierbares Kulturprodukt geworden: 'Blackspot'- Turnschuhe, 'No-Logo'-Shirts und der Online-Shop der 'Adbusters' verdeutlichen, wie die Kritik am Konsum sich zum Konsum der Kritik wandelt.“ (Lenz 2007: 41)
Dass selbst Konsumkritik konsumiert werden kann, deutet an, wohin sich das heutige Verständnis von Konsum entwickelt hat: Es ist formbar geworden. Am Anfang dieser Verflüssigung, stehen gesellschaftliche Riesen-Ereignisse wie Industrialisierungs- und Technologisierungsprozesse, die Massenproduktion sowie -konsumtion ermöglicht haben. Damit ging gleichsam eine Veränderung von Werten und Lebensweisen einher, die zu einer gigantischen Fülle von unterschiedlichen Konsum- und Lebensstilen geführt hat.
Georg Simmel hat am Beispiel der Mode das Bewusstsein für die Bedeutung und Funktion von Konsumakten, als einer der ersten Soziologen bereits Ende des 19. Jahrhunderts ge- schärft.7 Nach ihm besitzt der Konsum in der Moderne primär identitätsstiftende Funktion. Jeder Konsumstil versucht eine Brücke zwischen gesellschaftlicher Zugehörigkeit und indivi- dueller Erlesenheit zu schlagen. Kurz: Konsum integriert und individualisiert; kein Konsum- stil bildet sich aus sich selbst heraus, sondern wird in Interaktion zwischen dem Einzelnen und seiner Umwelt generiert. Vormals, in traditionellen Gesellschaften, war das Konsumverhalten gebrauchsorientiert, wohingegen es heute distinktionsorientiert ist (vgl. Simmel 2009: 49ff.).
„Die Mode ist eine besondere Form unter jenen Lebensformen, durch die man einen Kompromiß zwischen der Tendenz nach sozialer Egalisierung und der nach individuellen Unterschiedsreizen herzustellen suchte.“ (Simmel 2009: 50)
Wie Simmel hat auch Thorstein Veblen (etwa zur gleichen Zeit) den Konsum in Hinblick auf seine soziale Prestigefunktion untersucht.8 Anhand von Analysen des Konsumverhaltens rei- cher Leute, kam er zu dem Schluss, Konsum diene insbesondere zur Demonstration dessen, was man besitzt oder hat, um sich dadurch von anderen abzugrenzen. Seitdem wird in der Konsumsoziologie auch vom demonstrativen Konsum („conspicious comsumption“) gespro- chen (vgl. Hellmann 2009: 181). Nach weiteren für die Soziologie bedeutsamen Schriften9, erschien 1970 „La société de consommation“ von Jean Baudrillard, womit das Thema Kon- sum auf eine ganz neue theoretische Ebene gehoben wurde. Baudrillard legte als Erster eine eigenständige Theorie des Konsums vor (vgl. ebd.: 182). Konsum ist demnach als ein beson- deres Zeichen- und Bedeutungssystem zu verstehen, das nicht mehr (wie etwa bei Marx) Nützlichkeitswerten, sondern vielmehr symbolischen Werten oder schlichtweg Zeichen ge- horcht (vgl. Baudrillard 1999: 61f.). Damit prägt Baudrillard noch immer das gegenwärtige Verständnis des Konsums, dessen Grundpostulat lautet, dass wir heute nicht mehr in einer Gesellschaft von Produzenten, sondern von Konsumenten leben und dass heutiger Konsum weniger auf Materialitäten als auf symbolischen Sinngehalten beruht.
Um den kleinen soziologiegeschichtlichen Überblick zu vervollständigen, sei noch das Werk „La distinction“ (1979) von Pierre Bourdieu erwähnt. Es entwirft ein empirisches Bild einer von Unterschieden geprägten Klassengesellschaft, wobei Bourdieu sich nicht auf Produkti- onsprozesse, sondern vielmehr auf die alltäglichen Konsumgewohnheiten von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Lagen, die den Einzelnen definieren und ihm unterschiedliche Be- dingungen (Konzept der Kapitalformen) bereitstellen, konzentriert (vgl. Hellmann 2009: 182). Nicht zuletzt weist auch Zygmunt Bauman in seinem Essay „Consuming Life“ (2007) darauf hin, dass der Konsum zum zentralen Wesen unseres heutigen Seins avanciert ist. Die Gegen- wart zwingt uns in Bahnen, in denen wir erst zum Subjekt werden, wenn wir konsumieren, spitzt Bauman die Relevanz des Konsums für die hoch vermögenden Wohlstandsgesellschaf- ten zu:
„Die bekannte, abgeänderte Version von Descartes' Cogito, 'Ich konsumiere, also bin ich ...', könnte und sollte man ergänzen mit: 'ein Subjekt'. Und da wir mehr und mehr Zeit damit verbringen, einzukaufen (real oder in Gedanken, persönlich oder elektronisch), vervielfachen sich die Gelegenheiten, diese Ergänzung vorzunehmen." (Bauman 2009: 27)
Kai-Uwe Hellmann sieht den heutigen „Konsumstil der meisten Menschen […] durch Überfluss und Verschwendung“ (Hellman 2009: 191) gekennzeichnet. Der Hunger nach mehr, verstanden als Eigenart des gegenwärtigen Konsumverhaltens, demzufolge „echte Notwendigkeit […] für den Großteil der Bevölkerung schlichtweg kein Thema mehr [ist]“ (ebd.), wird durch eine Welt von Gelegenheiten, die prinzipiell in alle Richtungen offen ist, mit Nahrung versorgt. Endlose Möglichkeitswelten, die unterschiedlichste Konsumstile (und damit auch den gr ü nen Konsum) eröffnen und umschließen, sind also wesentlich für die Beschaffenheit des heutigen Konsums (vgl. ebd.).
1.5 Ökologischer Diskurs
Obwohl man - in Analogie zu Paul Watzlawicks populärer Kommunikationsthese - sagen kann, dass nicht nicht konsumiert werden kann, ist der Konsum (wie wir ihn heute kennen) keine anthropologische Konstante und damit auch nicht selbstverständlich. Tatsächlich tauch- te die Figur des Konsumenten erst im 18. Jahrhundert auf, als ein äußerst seltenes und irrele- vantes Geschöpf. Nach einer (von Frank Trentmann vorgenommenen) Überprüfung einer In- ternetdatenbank, die mehr als 150.000 Arbeiten aus dem 18. Jahrhundert umfasst, wurden in lediglich sieben Werken Bezüge zum Begriff des Konsumenten gefunden (vgl. Trentmann 2006: 23).10 Die Karriere der Konsumentenfigur, in der sich heute jeder tagtäglich widerspie- gelt, liegt demnach zeitlich noch nicht sehr weit zurück. Dessen ungeachtet wurde immer schon konsumiert, ganz gleich, wie dieser Akt auch bezeichnet wurde. Es ist jedoch bemer- kenswert, dass der Konsument als extravagante und nicht als eine gewöhnliche Figur, die mehr als ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen sucht, an Relevanz gewonnen hat. Somit wur- de erst im Nachhinein, nach dem Aufkommen des Konsums als Luxusakt, auch die Befriedi- gung der Grundbedürfnisse als Konsumakt (z.B. als „primärer Konsum“ oder „Konsum erster Ordnung“) gewertet. Schließlich und endlich kommt man jedoch nicht umhin, anzuerkennen: „Everyone and at the same time no one is a 'consumer'.“ (Offe 1984: 228) Die Frage, die sich also fortlaufend stellt, lautet nicht, warum konsumiert wird (wo vielleicht einst produziert wurde) - vielmehr stellt sich die Frage, wie konsumiert wird.
Die 1970er und 1980er Jahre waren von als „Wachstumsdiskurs“ bezeichneten Debatten gekennzeichnet. Die nicht-kommerzielle Organisation „Club of Rome“ veröffentlichte 1972 die maßgebliche Schrift „Die Grenzen des Wachstums“11, aus der sich zwei Postulate für die Menschheit ableiten ließen: „Nullwachstum“ oder „Schrumpfung“ (vgl. Huber 2002: 4). Bei- de Ansprüche sind im Fortlauf nicht mehr nur Gegenstand vereinzelter Umweltaktivisten ge- wesen, sondern zu Leitzielen technologischer und gesetzgeberischer Entwicklungen auf Welt- niveau (z.B. gerätetechnische Effizienzsteigerungen oder Klimakonferenzen) geworden. Von Mitte der 1980er bis zum Anbruch der 1990er Jahre wurde der ökologische Diskurs vom so- genannten Risikodiskurs bestimmt. Dieser thematisierte größtenteils die möglichen Gefahren gro ß er Technologien (wie etwa den Atom-, Chemie-, Gentechnik-Bereich oder auch den Komplex der Landwirtschaft sowie den Autoverkehr). Seit der Klimakonferenz 1992 in Rio bis hin zu jener in Cancun im Jahre 2010, bestimmt der (inzwischen fast schon inflationär und missbilligend verwendete) Begriff der Nachhaltigkeit (welcher immer wieder auf die Grenzen unseres weltweiten Ökosystems rekurriert) den gegenwärtigen ökologischen Diskurs (vgl. ebd.).
Es zeigt sich, dass der Kreis der Akteure stetig gewachsen ist: Angefangen von ersten Aufklärungsversuchen im Kleinen (z.B. vonseiten vereinzelter Umweltgruppen oder Wissenschaftlern), über nationalstaatliche Akteure und Institutionen (z.B. gr ü ne Parteien, nationale Umweltverbände) sowie Nichtregierungsorganisationen (z.B. NABU, Greenpeace) und soziale Bewegungen (z.B. utopia.de, Adbusters), bis hin zu verrechtlichten Weltgesellschaftsgremien (z.B. UNO, internationale Klimakonferenzen).
Nicht zuletzt schlagen sich gr ü ne Themen ebenso in Werbekampagnen, populären Zeitschrif- ten oder auch Tageszeitungen nieder wie in neuen Geschäftsmodellen. Der verantwortungs- bewusste Konsument wird damit zu einer relevanten und mächtigen Größe. Parallel dazu kam es zur Standardisierung und Demokratisierung von ges ü nderen, ö kologischeren oder nachhal- tigeren Produkten, indem einerseits ihre Zugänglichkeit nach und nach erleichtert und auf der anderen Seite die Konsumenten zum Kauf gr ü ner Waren motiviert wurden. Konsumverhalten hat sich somit zu einem sozialen Verhalten entwickelt, das in verschiedene institutionelle Fel- der eingebettet ist (vgl. Zukin/Maguire 2004: 176f.). Um den diskursiven Weg gr ü nen Kon- sums knapp zusammenzufassen, lassen sich folgende aufeinander folgende Stationen heraus- kristallisieren: Aufklärung, Aktivismus, Institutionalisierung und zunehmende weltweite Vermarktung sowie Verrechtlichung von ökologischen Themen.
An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass sich hier nicht die Frage stellt, ob die heutigen Akteur- und Entscheidungskonstellationen am Ende in der Lage sind, die Welt (wie wir sie kennen) zu bewahren, zu verbessern oder zu retten. Aus der Perspektive einer sociology of consumption, leitet sich das Interesse ab, wie mit gesellschaftlich gewachsenen Leit- und Feindbildern (wie etwa der Nachhaltigkeit oder dem Klimawandel) umgegangen wird und was aus bestimmtem Diskurssträngen folgt. Ferner befasst sich diese Arbeit auch damit, wie die GRÜNEN innerhalb des ökologischen Diskurses einen bestimmten Lebens- und Konsum- stil konstruieren. Als Analysemethode wird ein diskursanalytischer Weg eingeschlagen.
2. Methodischer Schwerpunkt
2.1 Diskursanalyse und Konsum
Konsum kann im heutigen Motto-Zeitalter12 alles und damit zugleich nichts sein. Wo (wie in modernen Gesellschaften) Komplexität und Kontingenz vorherrschen, stehen unendliche Möglichkeitswelten bereit, aus denen geschöpft werden muss. Auch wenn es unvermeidbar bleibt, bestimmte Aspekte der Wirklichkeit zulasten anderer hervorzuheben, um Klarheit und Verständlichkeit zu bewahren, heißt dies noch nicht, dass die Wirklichkeit tatsächlich nur so und nicht anders beschaffen ist. Wenn beispielsweise von Konsumgesellschaft gesprochen wird, bedeutet dies noch nicht, dass wir in einer neuen, nur noch konsumierenden, Gesell- schaft leben und die alte Produktionsgesellschaft einfach verschwunden wäre - es wurde stets konsumiert und es wird nach wie vor produziert. Die Absicht dabei besteht lediglich darin, den Untersuchungsgegenstand zu schärfen und unnötige Komplexität aus dem Analyseraum auszusperren. Die Innenwelt dieser Arbeit versucht konkret und ganz zu sein. Nichtsdestotrotz bleibt die Außenwelt diffus und zerbröckelt. Zuerst gilt es, das Riesenfeld Konsum diskurs- analytisch einzugrenzen und für die These der Ökologisierung des Konsums fruchtbar zu ma- chen. In jedem Fall (ob nun etwa ein modernes oder postmodernes Gesellschaftsbild zugrunde gelegt wird) ist das soziale Miteinander an sehr vielen Stellen der Gegenwart von gr ü nen Konsummustern durchtränkt, die es verstehbar zu machen gilt. Da die Soziologie versucht, universalistisches Wissen zu produzieren und die soziale Gegenwart sichtbarer zu machen, bleibt dem Soziologen unweigerlich nichts anderes übrig, als immer wieder Versuche über Beschaffenheiten des Einzelnen und des Ganzen anzustellen. Soziologische Griffe zu den Sternen (wie von Modernisierungstheoretikern in der Vergangenheit oder Zukunftsforschern in der Gegenwart) wird es wohl immer wieder geben. Aber auch hier gilt: Es bleiben eben nur Versuche.
„Alle unsere Urteile [sind] durch historische Zufälligkeiten bedingt, die dafür gesorgt haben, dass wir über dieses Vokabular und nicht über jenes verfügen, dass diese Überzeugungen de Common sense zu entsprechen scheinen und nicht jene, dass diese Wünsche normal wirken und nicht jene.“ (Rorty 1987: 5)
Kontingenz und Ethnozentrismus sind unumgängliche Grundprämissen des Wissens und damit auch dieser Untersuchung.13 Schlussfolgernd sind die dieser Arbeit zugrunde liegenden Versuche, gr ü ne Konsummuster im Speziellen sowie im Allgemeinen zu fassen zu bekommen, (west-)europäischer Prägung.
2.2 Kritische Diskursanalyse
„Keine Rede, in der nicht Macht am Werk wäre, hinter der nicht ein Begehren kommandierte. […] Jedes soziale System verfolgt eine Wahrheitspolitik, die von einer diskursiven Polizei gesichert wird. Sie sichert das reibungslose Funktionieren des wahren Diskurses, indem sie verhindert, daß nach dem Willen gefragt wird, der ihn treibt.“ (Bolz 1990: 4f.)
Angenommen die Diskursanalyse besäße auf der breit gefächerten methodischen Farbpalette der Sozialwissenschaften die Farbe grün, hätte diese heute keinerlei Mühe aus einem riesigen Arsenal grüner Farbtöne wählen zu können. Viele rote (marxistisch angehauchte) Farbnuan- cen scheinen eingetrocknet zu sein. Ist die Diskursanalyse nun einfach nur hip, in Mode also, oder eignet sie sich tatsächlich als beste Methode um sozialwissenschaftliche Gegenwartsbil- der zu malen? Die eine wie die andere Antwort würde einer mächtigen Deutung gleichkom- men, womit sogleich ein erster und wichtiger diskursanalytischer Pinselstrich getan wäre. Jede Aussage findet, ob gewollt oder nicht, in einem sozialen und historischen Kontext statt. Jede Aussage nimmt Bezug (sei es auf Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft), sie deutet und kann dadurch (jedoch nicht aus sich selbst heraus) Macht ausüben.
[...]
1 Zitat aus Friedrich Höderlins „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“ von 1797.
2 Wie Bevölkerungsgruppen mit wenig bis gar keinem Drohpotential (etwa Asylanten oder desillusionierte DDR- Sozialisierte) an die gesellschaftlichen Ränder gedrängt werden, zeigt etwa der Soziologe Heinz Bude in seinem Werk "Die Ausgeschlossenen - Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft" (2008), der das Problem der Exklusion beleuchtet und den Ausgeschlossenen-Milieus in Deutschland eine Stimme verleiht.
3 Die hier getroffene Unterscheidung zwischen sociology of und in consumption steht analog zu Robert Straus' Gedanken über das Wesen der Medizinsoziologie, wobei er nach den gleichen Prämissen eine sociology of von einer sociology in medicine unterscheidet (vgl. Straus, Robert, 1957, The Nature and Status of medical Sociology, in: American Sociology Review, Nr. 22, S. 203).
4 Genau genommen tritt nur die Bundestagsfraktion, also ein kleiner Teil der GRÜNEN, als Schöpfer dieser Broschüre auf. Um aber auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand fokussiert zu bleiben, werden innerparteiliche Zersplitterungen nicht berücksichtigt. Somit bleiben die GRÜNEN in dieser Arbeit eine homogene Masse, was über den Gegenstand der Arbeit hinaus auch angesichts der Mitgliederzahl von nur etwa 50.000 Personen vertretbar sein sollte.
5 Zweifellos haben sich auch die Grundbedürfnisse an sich gewandelt. So werden heute etwa auch, einst sekundäre Bedürfnisse, wie z.B. der freie Zugang zu Informationen, das Recht auf eine eigene Wohnung, auf Arbeit und Freizeit oder der Besitz eines Fernsehers, als Grundbedürfnisse verhandelt und teilweise sogar juridifiziert. Nichtsdestotrotz bleiben neuartige Primärbedürfnisse im Ausnahmefall sekundär und sind Wandlungen unterworfen. Beispielsweise können in der Konsequenz von straf-, sicherheits- oder sozialpolitischen Maßnahmen (wie z.B. Sicherheitsverwahrung, Terrorismusbek ä mpfung oder Hartz- Reformen) menschliche Bedürfnisse auch heute bis auf das Ur-Primärste reduziert werden.
6 Barber diagnostiziert in „Consumed“ (2007) eine, durch konsumismusfördernde Marktdominanz verursachte, maßlose Konsumorientierung breiter Bevölkerungsteile der USA, die zur Infantilisierung der gesamten us- amerikanischen Gesellschaft führt. Die Infantilisierung bringt er bissig auf den Punkt: „[...] the new consumer penchant for age without dignity, dress without formality, sex without reproduction, work without discipline, play without spontaneity, acquisition without purpose, certainty without doubt, life without responsibility, and narcissism into old age and unto death without a hint of wisdom or humanity. In the epoch in which we now live, civilization is not an ideal or an aspiration, it is a video game.“ (Barber 2007: 7)
7 Bereits 1895 wurde der Artikel „Die Psychologie der Mode“ von Georg Simmel erstmalig veröffentlicht.
8 1899 erschien „The Theory of the Leisure Class“ von Thorstein Veblen.
9 U.a. Hazel Kyrk (1923): A Theory of Consumption; David Riesman (1950): The Lonely Crowd; John K. Galbraith (1958): The Affluent Society.
10 „The consumer was virtually absent from eighteenth-century discourse. Significantly, it only appears in seven of the 150,000 works of the eighteenth-century collections on line - twice as private customer (Defoe's 'last consumer'), once as the customer paying an import duty on colonial goods, once as the customer suffering from traders high prices and excessive profits of stockowners, and, more metaphysically, twice with reference to time with 'the speedy consumer of hours'.“ (Trentmann 2006: 23)
11 Originaltitel: The Limits of Growth; Autoren: Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers, William W. Behrens III. Deren zentrale Schlussfolgerung lautet folgendermaßen: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ (Böschen, S./Weis, K (2007): Die Gegenwart der Zukunft - Perspektiven zeitkritischer Wissenspolitik, VS Verlag Wiesbaden, S. 156)
12 Damit sei auf die wissenschaftliche wie alltägliche Vorliebe zur voreiligen und schlagwortartigen Charakterisierung der Gegenwartsgesellschaften verwiesen, die suggeriert, „Altes“ sei gänzlich durch „Neues“ verdrängt worden: u.v.a. z.B. Postmoderne (Jean-François Lyotard), Erlebnisgesellschaft (Gerhard Schulze), Risikogesellschaft (Ulrich Beck), McDonaldisierung (George Ritzer), Flüchtige/Flüssige Moderne (Zygmunt Bauman) oder Generation X (Douglas Coupland), Generation Golf (Florian Illies), Generation Doof (Stefan Bonner, Anne Weiss), Generation Porno (Johannes Gernert), Zeitalter der Digital Natives (Marc Prensky).
13 Auch wenn Erkenntnis zu einem gewissen Grad immer partikularistisch bleibt, gibt es dennoch politische wie kulturelle Grenzen überschreitende Phänomene mit einer derartigen Breitenwirkung, dass daraus allgemeine Strukturen sozialer Einstellungen und Verhaltensweisen abgeleitet werden können. Dazu zählt auch der Konsum.