Pressekodex, Pressegesetze, Meinungsfreiheit - was ist wirklich objektiv im Journalismus und wer kann diese Objektivität einfordern? Die Landespressegesetze sowie der Pressekodex des Deutschen Presserats fordern eine gewisse journalistische Sorgfaltspflicht, die im Optimalfall in eine objektive Berichterstattung mündet. Die vorliegende Arbeit soll die Problematik veranschaulichen, wie schwer dies ist, und dass dies nicht qua Gesetz so einfach einzufordern ist. Trotzdem macht die Analyse auch deutlich, - die Frage, ob es Objektivität im Journalismus überhaupt gibt, wird immer bestehen bleiben - dass Richtlinien eben keine Garantie dafür sein können.
Gliederung
1. Einleitung
2. Was heißt „objektiv“ im Journalismus?
2.1. Forderung der Landespressegesetze nach Objektivität
2.2. Medien und Objektivität
2.3. Die öffentliche Aufgabe der Presse
3. Anzeigenabhängigkeit contra Objektivität – Probleme des Lokaljournalismus
4. Analyse der Gesamtproblematik: Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit
5. Fazit
Anlagen: Literaturverzeichnis; Beispiele
1. Einleitung
Angesichts der Ergebnisse der Nachrichtenforschung und bestärkt durch Beobachtungen der Medien wird immer wieder die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Medien aufgeworfen. Kann die Berichterstattung im Journalismus bei den vielen verschiedenartigen Einflüssen auf die Nachrichtenauswahl und –übertragung überhaupt ein tendenz- und verzerrungsfreies, objektives Bild der Wirklichkeit vermitteln? Wolf Schneider, Journalist und Autor[1], kommt zu dem Ergebnis: „Wir werden nicht richtig informiert. Wir leben mit der Desinformation. Das liegt erstens an den Regierungen, zweitens an den Schwächen und Anfechtungen von Journalisten und drittens an den Sachzwängen des Journalismus.“ Eine solche Feststellung steht in Kontrast zur eigentlichen Verpflichtung des Journalismus auf Sorgfalt und Wahrheit in den verschiedenen Rechtsgrundlagen der Massenmedien. Sehr deutlich heißt es auch im Pressekodex, den vom Deutschen Presserat und den journalistischen Berufsorganisationen beschlossenen publizistischen Grundsätzen: „Achtung vor der Wahrheit und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberstes Gebot der Presse.“[2] So oder so ähnlich sieht auch die Forderung der Landespressegesetze nach Objektivität und journalistischer Sorgfaltspflicht aus.[3] Diese Forderung hat zwei zweckmäßige Gründe: 1. Der Berichterstatter soll dem Leser, Hörer, Zuschauer nicht das Denken abnehmen. Er soll nur die Fakten und Informationen bieten, die den Rezipienten in die Lage versetzen sollen, sich selbst ein Bild machen zu können und 2. Jeder ein Recht darauf hat, dass sein öffentliches Wirken nicht parteiisch dargestellt wird, sondern unvoreingenommen, sachlich und ohne Beigabe von Kommentaren. Wer in den Medien informiert, soll sich um Objektivität bemühen.[4]
Was heißt nun Objektivität für den Journalismus? Was kann, was muss ein Journalist leisten? Diese Frage und die Frage nach der Objektivität in der Wirklichkeit soll in dieser Arbeit behandelt und beantwortet werden. Kann der Journalist objektiv informieren? Wie verhält sich diese Frage zu Anzeigen- und Zeitdruck im redaktionellen Arbeitsalltag? Auch dies soll in dieser Arbeit thematisiert werden.
2. Was heißt „objektiv“ im Journalismus?
Objektivität, wenn man sie als Fähigkeit versteht, etwas sachgerecht wahrzunehmen, zu erkennen, zu erforschen und wiederum mitzuteilen, wird eingeschränkt durch die Subjektivität und Wertorientierung der Urheber, der Transporteure und der Rezipienten von Mitteilungen, sowie aus der Gegenständlichkeit der Kommunikationsmittel, und nicht zuletzt durch „die symbolische Gewalt des Zeitdrucks, unter dem alles geschieht“[5]. Der Journalismus arbeitet mit den Zeichensystemen Sprache und Bild. Bei Zeitschriften oder Zeitungen etwa bietet er die unterschiedlichen Symbolismen der visuellen Wahrnehmung dar. Das zwingt zur Hervorhebung durch unterschiedliche Schriftgrade und Platzierung und damit zur Steuerung des Blickkontaktes der Leser, der sogenannten Leserführung.[6] Links oben rangiert vor rechts oben, rechts unten und letztlich links unten in der Aufmachung und somit auch in der Wahrnehmung. Das Berichtete in seiner Objektivität anzuzweifeln und diese Objektivität durch Vergleich mit Kenntnis einzuschränken, ist der erste Gedankengang zum Sachverhalt für den Reporter wie den Rezipienten. „Die Objektivität beginnt nicht erst auf der Meinungsseite der Redaktion, sondern freilich schon in der Kennzeichnung der berichteten Meinungen als solchen.“[7] Objektivität bedeutet im Journalismus, dass das Informationsangebot objektiv, wahrheitsgetreu, sachlich, überparteilich und ausgewogen sein soll. Es muss strikt getrennt werden zwischen Nachricht und Meinung, und redaktionelle Veröffentlichungen dürfen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter beeinflusst werden. Weitere Kriterien für Objektivität sind die Verpflichtung auf Nachrichtenquellen, die in Beurteilung und Wiedergabe einen „objektiven“ Standpunkt erkennen lassen, und die Sorgfalt und Objektivität bei der Nachrichtenauswahl.[8] „Nur ist die absolute Objektivität ein Ideal, das nicht zu verwirklichen ist.“[9]
2.1. Forderung der Landespressegesetze nach Objektivität
Die gesetzliche Grundlage der Presse- und Meinungsfreiheit ist sehr allgemein gehalten. Fundament ist Artikel 5 des Grundgesetzes[10] der Bundesrepublik Deutschland. Dies wird in den Landespressegesetzen konkretisiert. Beim Stichwort „Objektivität“ stehen hier vor allem die öffentlichen Aufgaben der Presse im Vordergrund: Nachrichten beschaffen und verbreiten, Stellung nehmen und Kritik üben, an der Meinungsbildung mitwirken, einen Beitrag zur Bildung leisten. Damit sie diese Aufgaben wahrnehmen können, werden Journalisten mit einzelnen Sonderrechten, wie dem Zeugnisverweigerungsrecht oder dem Informationsrecht bei Behörden, ausgestattet. Gleichzeitig verpflichten die Landespressegesetze, bestimmte Auflagen zu erfüllen. Zu diesen Auflagen gehören: Die Sorgfaltspflicht, die bedeutet, dass Nachrichten vor ihrer Verbreitung auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft zu prüfen sind. Die Impressumspflicht, die besagt, dass Drucker, Verleger und verantwortliche Redakteure in jedem Druckwerk mit Anschrift genannt sein müssen. Des weiteren müssen Anzeigen entsprechend gekennzeichnet werden, das heißt eine Veröffentlichung, für die ein Entgelt gezahlt, gefordert oder versprochen wurde, ist als Anzeige zu kennzeichnen. Und schließlich die Pflicht auf Gegendarstellung: Von einer Tatsachenbehauptung individuell Betroffene können ihre Sicht der Dinge per Gegendarstellung in angemessenem Umfang öffentlich machen. Die Gegendarstellung muss dann im gleichen redaktionellen Teil und im gleichen Schriftbild erscheinen wie die reklamierte Veröffentlichung. In den publizistischen Grundsätzen des Deutschen Presserats, dem Pressekodex, werden noch ethische Pflichten gefordert: „Bei der Beschaffung von Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden.“[11] Ebenso fordert der Pressekodex die Vertraulichkeit bei Gesprächen, sofern sie vereinbart war.
Das Sächsische Gesetz über die Presse verankert die Aufgaben und Pflichten für Journalisten in den Paragraphen 3 („Öffentliche Aufgabe der Presse“), 5 („Sorgfaltspflicht der Presse“), 6 („Impressumspflicht“), 7 („Persönliche Anforderungen an den verantwortlichen Redakteur“), 8 („Offenlegungspflicht“), 9 („Kennzeichnung entgeltlicher Veröffentlichungen“) und 10 („Gegendarstellungspflicht“).
Das sind die wesentlichen gesamten Forderungen an die Presse. Die Forderung nach Objektivität wird hauptsächlich in den Paragraphen 3 und 5 relevant. Wichtig ist hierbei für die Presse die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht. Diese setzt wahrheitsgemäße und unabhängige Berichterstattung voraus, welche wiederum nur durch saubere Recherche gewährleistet werden kann. Der Zeitdruck unter dem Redakteure arbeiten müssen macht ein solches Arbeiten aber fast unmöglich. Des weiteren wird auf Kritik an Personen verzichtet, sollten diese Anzeigenkunden sein.[12] In solchen Fällen wird die Presse dem Gesetz nicht gerecht. Zwar versuchen die Medien durch interne Qualitätsleitbilder[13] den gesetzlichen Anforderungen Rechnung zu tragen, in der Praxis ist die Sorgfaltspflicht aber oft nur eine Floskel.
2.2. Medien und Objektivität
Im Zentrum des Selbstverständnisses pluralistischer Mediensysteme steht zwar nach wie vor die Objektivität von Nachrichten. Ihr wird ein hoher Stellenwert zugeschrieben, was sich ja auch in den entsprechenden Gesetzen postuliert. Das Objektivitätspostulat beschert aber auch einige Probleme. „Empirische Befunde zeigen, dass zum Beispiel bei den Tageszeitungen zumindest implizit gegen die Trennungsnorm von Nachricht und Meinung verstoßen wird, durch eine Anpassung der Nachrichtenauswahl an die Kommentierung.“[14]
Innerhalb der Redaktionen stehen der Objektivität oft folgende Probleme im Weg: Probleme mit der Sprache, d.h. es kommt keine richtige Vermittlung zum Rezipienten zustande; Probleme mit der Genauigkeit der Angaben; Probleme mit der Wirklichkeit; Probleme mit der subjektiven Individualität; Probleme mit Wissen aus zweiter Hand und Probleme mit den Bedingungen des Journalismus, wie dem Zeitdruck.[15] Solche Probleme schränken den Objektivitätsanspruch ein. „Deshalb werden vor allem von Berufspraktikern häufig Ersatzbegriffe für „Wahrheit“ und „Objektivität“ verwendet, die nicht so anspruchsvoll klingen: Ausgewogenheit, Fairness oder schlicht: Wahrhaftigkeit.“[16] Trotzdem ist der Objektivitätsanspruch weiter Bestand redaktioneller Arbeit. Würde der Journalismus auf Objektivität als Leitziel der Berichterstattung verzichten, würde er sich quasi selbst aufgeben bzw. „gehen lassen“. Dies verhindern eben die Qualitätsleitbilder, nach denen gearbeitet werden soll. Jeder Volontär wird frühzeitig geschult zu Aussagen in Berichten auch Fakten zu präsentieren. Fakten sollen für sich selbst sprechen. Weiter sollen Anführungszeichen ganz bewusst und gezielt eingesetzt werden, um dem Leser zu suggerieren, dass es eine klare Trennung zwischen dem Inhalt des Berichts und dem Berichterstatter selbst und seinen Überzeugungen gibt. Durch W-Fragen sollen Nachrichten so strukturiert sein, dass die stärksten Tatsachen am Anfang stehen. Und nicht zuletzt die Trennung von Meinung und Nachricht, denn eine Meinung kann keine Nachricht sein, ist sie doch eine Nachrichtenanalyse.[17]
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[1] Vgl. „Handbuch des Journalismus“, Wolf Schneider/Paul-Josef Raue, Hamburg 2001
[2] aus „Pressekodex“, Deutscher Presserat (Hrsg.)
[3] Vgl. dazu Punkt 2.1. der Hausarbeit
[4] Vgl. „Einführung in den praktischen Journalismus“, Walther von LaRoche, München 1995
[5] aus „Wie objektiv sind unsere Medien“, Günter Bentele und Robert Ruoff (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1982
[6] Vgl. Harry Pross: „Die Objektivität der Berichterstattung in Presse und Rundfunk“ aus „Wie objektiv sind unsere Medien“, Günter Bentele und Robert Ruoff (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1982
[7] aus „Wie objektiv sind unsere Medien“, Günter Bentele und Robert Ruoff (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1982
[8] „Massenmedien in Deutschland“, Hermann Meyn, Konstanz 1999
[9] „Die Presse“, Paul Noack/ Franz Schneider, München 1971
[10] Vgl. „Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“
[11] aus „Publizistische Grundsätze“ (Pressekodex), Deutscher Presserat
[12] Vgl. Punkt 3 der Hausarbeit
[13] siehe Beispiele: Qualitätsleitbild der „Schwäbischen Zeitung“, Leutkirch
[14] aus „Journalistik“ – Band 2, Siegfried Weischenberg, Opladen 1995
[15] siehe „Journalistik“ – Band 2, Siegfried Weischenberg, Opladen 1995
[16] aus „Journalistik“ – Band 2, Siegfried Weischenberg, Opladen 1995
[17] nach „Journalistik“ – Band 2, Siegfried Weischenberg, Opladen 1995