Kombinierter Güterverkehr Schiene – Straße in Europa. Branchenstruktur und Wettbewerb


Masterarbeit, 2012

105 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungssverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Relevanz und Forschungsfragen
1.2 Bestimmung des Forschungsbegriffs
1.3 Forschungsstand und Themenabgrenzung
1.4 Forschungsansatz und Struktur der Arbeit

2 Rahmenbedingungen des Güterverkehrs in Europa
2.1 Der Güterverkehrsmarkt in Zahlen
2.2 Angebot, Nachfrage und Preiselastizität im Verkehrsmarkt
2.3 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
2.3.1 Integrationseffekt
2.3.2 Güterstruktureffekt
2.3.3 Logistikeffekt
2.3.4 Informationseffekt
2.4 Die europäische Verkehrspolitik
2.4.1 Liberalisierung des Straßengüterverkehrs
2.4.2 Die Deregulierung der Eisenbahnen in Europa
2.4.3 Zukunftsausrichtung des europäischen Verkehrsmarkts
2.5 Infrastrukturelle und technische Faktoren
2.6 Gesellschaft und Umwelt
2.7 Zwischenfazit und Zusammenfassung

3 Grundlagen des Kombinierten Verkehrs in Europa
3.1 Definition und Kurzhistorie
3.2 Die verschiedenen Systeme im Überblick
3.2.1 Überseeische Transportketten
3.2.1 Kontinentale Transportketten
3.3 Die Technik und Infrastruktur des Kombinierten Verkehrs
3.3.1 Ladeeinheiten
3.3.2 Techniken des Umschlags
3.3.3 Innovative Umschlagsysteme
3.3.4 Standort, Netzdichte und Kapazität der Terminals
3.3.5 Informations- und Kommunikationssysteme
3.4 Kosten und externe Effekte von Transportketten
3.4.1 Zusammenhang zwischen Transportkosten und Transportzeit
3.4.2 Transportkosten im Nord-Süd- und West-Ost-Verkehr
3.4.3 Externe Kosten des Kombinierten Verkehr und Lkw im Vergleich
3.5 Anbieter, Nachfrager und die Rolle des Staates
3.5.1 Die Angebotsseite
3.5.2 Die Nachfrageseite
3.5.3 Die Rolle der Verkehrspolitik

4 Branchenstrukturanalyse des Kombinierten Verkehrsmarktes
4.1 Der europäische Kombinierte Verkehrs in Zahlen
4.1.1 Entwicklung des Gesamtmarkts
4.1.2 Der unbegleitete und begleitete Kombinierte Verkehr
4.1.3 Geschäftsmodelle und Akteure der Anbieterseite
4.2 Theorie der Branchenanalyse nach Porter
4.3 Anwendung des Konzepts auf den Kombinierten Verkehrsmarkt
4.3.1 Verhandlungsstärke der Lieferanten
4.3.2 Verhandlungsmacht der Abnehmer
4.3.3 Bedrohung durch Ersatzprodukte
4.3.4 Bedrohung durch neue Konkurrenten
4.3.5 Rivalität unter den bestehenden Unternehmen

5 Erkenntnisse und Gestaltungsempfehlungen
5.1 SWOT-Analyse des Kombinierten Verkehrs
5.2 Generische Wettbewerbsstrategien
5.3 Empfehlungen an die Politik

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungssverzeichnis

Abbildung 1: Vergleich von ein- und mehrgliedrigen Transportketten

Abbildung 2: Begriffseinordnung Kombinierter Verkehr

Abbildung 3: Struktur der Masterarbeit

Abbildung 4: Europäische Güterverkehrsleistung je Verkehrsträger (1970 - 1999)

Abbildung 5: Europäische Güterverkehrsleistung je Verkehrsträger (2000 - 2009)

Abbildung 6: Verkehrsleistung Europäische Güterbahnen (2001 - 2006)

Abbildung 7: Gesamtsystem Güterverkehr

Abbildung 8: Kombinierter Verkehr Schiene - Straße

Abbildung 9: Systeme des Kombinierten Verkehrs nach Ladeeinheit

Abbildung 10: Vor- und Nachteile von UKV und RoLa

Abbildung 11: Innovative System der horizontalen Verladung

Abbildung 12: Terminals und Routen des Kombinierten Verkehrs in Europa

Abbildung 13: Vergleich der Transportkosten und Transportzeit von Lkw und KV

Abbildung 14: Transportrouten RECORDIT

Abbildung 15: Kosten je Transportglied im Kombinierten Verkehr

Abbildung 16: Externe Kosten im KV und Straßengüterverkehr

Abbildung 17: Die größten Logistikunternehmen Europas (Umsatz in Mrd. €)

Abbildung 18: Akteure des Kombinierten Verkehrsmarktes

Abbildung 19: Güterströme des unbegleiteten Kombinierten Verkehrs

Abbildung 20: Güterströme des begleiteten Kombinierten Verkehrs

Abbildung 21: Wertschöpfung der beteiligten Unternehmen im KV

Abbildung 22: Branchenstrukturanalyse nach Michael E. Porter

Abbildung 23: SWOT-Analyse des Kombinierten Verkehrs im Vergleich zum Lkw

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Mobilität verbindet Menschen, Märkte und Produktionsstätten. Sie bildet die Basis für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung. Für einen wettbewerbsfähigen europäischen Binnenmarkt ist ein nachhaltiges und effizientes Verkehrssystem daher von großer Bedeutung.

Der europäische Schienengüterverkehr, einst Sache staatlicher Monopol- unternehmen, wurde dereguliert und privatisiert und durchlebt derzeit einen historischen Umbruch. Der Wegfall der europäischen Grenzen, die EU- Osterweiterung und die zunehmende internationale Arbeitsteilung haben zu einem Anstieg der Warenströme in Europa geführt. Die Rahmenbedingungen für den traditionell stark regulierten Verkehrssektor haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt.

Wurden im 20. Jahrhundert hauptsächlich geringwertige Massengüter transportiert, nimmt der Anteil an hochwertigen, eilbedürftigen Stückgütern heute deutlich zu. Zusätzlich erhöhen moderne und flexible Logistikkonzepte, die das Marktgeschehen in der Industrie und im Handel bestimmen, den Anpassungsdruck auf alle beteiligten Markteilnehmer. Die Transportanforderung sowie die Art und Zusammensetzung der Warensendungen veränderten sich kontinuierlich.

Der Verkehrsmarkt und die Transportindustrie haben sich an diese neuen Veränderungen angepasst, wobei der wachsende Verkehr die Gesellschaft vor immer größere Herausforderungen stellt. Steigende Ölpreise, Staus, Schadstoffemissionen, Verkehrslärm und verbaute Landschaften zwingen die Menschen dazu, die heutige Organisation des Güterverkehrs in Europa zu überdenken.

In diesem Zusammenhang ist das hocheffiziente System des Kombinierten Verkehrs in aller Munde und stellt ein besonders interessantes Untersuchungsfeld dar. Ob der Kombinierte Verkehr im Vergleich zum Straßengüterverkehr wettbewerbsfähig ist und das Güterverkehrswachstum der Zukunft aufnehmen kann, das ist die zentrale Frage dieser Masterarbeit.

1.1 Relevanz und Forschungsfragen

Das System Güterverkehr ist durch die Verflechtung von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Umwelt gekennzeichnet und unterliegt komplexen Wirkungszusammenhängen. Dabei ragt die Rolle des Staats heraus, der durch die Verkehrspolitik die Rahmenbedingungen für die Mobilitätsentwicklung vorgibt. Durch Gesetzgebung und Subventionen werden die Wettbewerbsfaktoren des Güterverkehrsmarktes beeinflusst, mit dem Ziel den Anstieg des Verkehrsaufkommens zu steuern und umweltschonender zu gestalten.

Hier wird der Kombinierte Verkehr (KV) immer wieder als Alternative genannt. Die EU bezeichnet den KV als Güterverkehrssystem, „bei dem Güter in standardisierten Ladeeinheiten auf den langen Strecken mit der Bahn oder dem Schiff und auf kurzen Zustellstrecken mit dem Lkw transportiert“ werden.1 Er verbindet demnach die Vorteile verschiedener Verkehrsträger, wodurch der Transport von Waren und Gütern in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht effizienter abgewickelt wird. Diese Eigenschaft wollen die europäischen und nationalen Regierungen nutzen und fördern die Wettbewerbsfähigkeit des Kombinierten Verkehrs durch verschiedene gesetzliche Maßnahmen.2

Unternehmen des Kombinierten Verkehrs und deren Kunden agieren ferner in einem Spannungsfeld aus gegensätzlichen Strategien. Erstere verfolgen Ziele, die z.B. auf Wirtschaftlichkeit, hohe Auslastung und Effizienz ausgerichtet sind. Als Nachfragebedingungen werden niedrige Preise, Termintreue, Sicherheit und hohe Lieferfrequenzen gefordert. Das System des Kombinierten Verkehrs Schiene - Straße kann hier ein idealer Kompromiss sein. Es verbindet die Flexibilität des Lkw, der auf kurzen und mittleren Entfernungen für Sammel- und Verteilverkehre unschlagbar ist, mit der Massenleistungsfähigkeit der Bahn, die sich ideal für die Überbrückung großer Distanzen eignet. Die Systemvorteile beider Verkehrsträger werden verknüpft, wodurch sich die Wirtschaftlichkeit des Gütertransportes erhöht.

Gleichzeitig wird das Angebot flexibler und kann an die veränderten Nachfragebedingungen angepasst werden.

Die Liberalisierung des Bahnmarktes, die Integration der europäischen Schieneninfrastruktur und die Implementierung neuer Technologien werden die Leistungsfähigkeit des Schienengüterverkehrs in Zukunft weiter erhöhen. Von den Kostensenkungen der Eisenbahnverkehrsunternehmen wird der Markt des Kombinierten Verkehrs ebenfalls profitieren. Angesichts der hohen Marktdynamik, ergibt sich eine veränderte Wettbewerbssituation für die Unternehmen des Kombinierten Verkehrs und ein hohes Wachstumspotenzial für die Zukunft. Die Marktteilnehmer müssen folglich ihre unternehmensinternen Strategie- und Organisationskonzepte anpassen, um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen.

Die Forschungsmotivation dieser Arbeit besteht darin, die Wettbewerbsfähigkeit der Branche des Kombinierten Verkehrs Straße - Schiene in Europa zu bestimmen. Dadurch lässt sich erklären, ob und unter welchen ökonomischen Bedingungen der Kombinierte Verkehr konkurrenzfähig zum Straßengüterverkehr ist und ob eine dauerhafte Verlagerung des Güterverkehrs gewährleistet werden kann. Das Ziel ist, Marktpotenziale und Wachstumsbarrieren zu identifizieren, die das Marktwachstum des Kombinierten Verkehrs in der Zukunft beschleunigen oder bremsen.

Im Folgenden soll die Untersuchung diese Forschungsfragen beantworten:

- Welche Rahmenbedingungen umgeben für den Güterverkehrsmarkt und welche Bedeutung hat der Kombinierte Verkehr Schiene - Straße?
- Wie hat sich die Branche des Kombinierten Verkehrs in Europa entwickelt, welche Faktoren beeinflussen den Wettbewerb und welches theoretische Konzept kann man anwenden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu erklären?
- Welche Stärken und Schwächen hat das System des Kombinierten Güterverkehrs Schiene - Straße und welche Wettbewerbsstrategien lassen sich ableiten?

1.2 Bestimmung des Forschungsbegriffs

Da für den Kombinierten Verkehr immer wieder Begriffe wie multimodaler oder intermodaler Verkehr synonym verwendet werden, bedarf es für die Untersuchung einer präzisen Definition. Im Folgenden wird der Kombinierte Verkehr ausgehend von der Betrachtung der Transportkette eingeordnet. Eine Transportkette ist definiert als „Folge von technisch und organisatorisch miteinander verknüpften Vorgängen, bei denen Güter von einer Quelle zu einem Ziel bewegt werden”.3

Nach Pfohl wird dabei zwischen einer eingliedrigen und einer mehrgliedrigen Transportkette unterschieden. Der Direktverkehr zwischen Liefer- und Empfangspunkt wird als eingliedrige Transportkette bezeichnet.4 Im Kontrast dazu findet beim mehrgliedrigen Transport ein Wechsel des Transportmittels - der durch einen Umschlagprozess erfolgt - statt.5

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Vergleich von ein- und mehrgliedrigen Transportketten6

Werden bei einer mehrgliedrigen Transportkette das Transportmittel und der Verkehrsträger gewechselt, spricht man von multimodalem Verkehr.7 Dieser wird wiederum in Teilbereiche untergliedert. Der „Transport von Gütern in ein und derselben Ladeeinheit mit verschiedenen Verkehrsträgern, wobei ein Wechsel der Ladeeinheit, aber kein Umschlag der transportierten Güter selbst erfolgt“, ist als intermodaler Transport definiert.8

Die Europäische Union (EU), die Europäische Konferenz der Verkehrsminister (CEMT) und die UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN/ECE) haben sich im Jahr 2001 auf diese Terminologie geeinigt: „Intermodaler Verkehr, bei dem der überwiegende Teil der in Europa zurückgelegten Strecke mit der Eisenbahn, dem Binnen- oder Seeschiff bewältigt und der Vor- und Nachlauf auf der Straße so kurz wie möglich gehalten wird, wird als Kombinierter Verkehr (KV) bezeichnet“.

Diese Definition ist in der vorliegenden Arbeit noch um einen wichtigen Faktor verfeinert. Nach Arnold et al. kann nur dann von Kombiniertem Verkehr gesprochen werden, wenn alternativ parallele monomodale Transportketten möglich sind.9 In diesem Sinne würde der Kombinierte Verkehr also in direkter Konkurrenz zum reinen Straßenverkehr verstanden werden.

Zusammenfassend steht die Bezeichnung Kombinierter Verkehr als ein Oberbegriff für Gütertransporte, die in Konkurrenz zum Straßengüterverkehr stehen und folgende Merkmale erfüllen:10

- Die Transportkette ist intermodal, das heißt, sie findet zwischen zwei oder mehr Verkehrsträgern statt (Straße, Schiene, Binnenwasserstraße oder Seeweg).
- Güter werden in standardisierten Ladeeinheiten (Container, Wechselbehälter, Sattelauflieger oder ganze Lastzüge) transportiert, die den Umschlag von einem auf den anderen Verkehrsträger systematisch erleichtern.
- Bahn oder Schiff werden auf dem Großteil des Transportweges eingesetzt, der Hauptlauf genannt wird. Der Lkw leistet den Zustellverkehr.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Begriffseinordnung Kombinierter Verkehr11

Für diese Untersuchung ist der Begriff des Kombinierten Verkehrs folgendermaßen definiert: Beim Kombinierten Verkehr handelt es sich um eine mehrgliedrige Transportkette, die in direkter Konkurrenz zum eingliedrigen Straßengüterverkehr steht, bei der standardisierte Ladeeinheiten in Terminals zwischen zwei oder mehr Verkehrsträgern umgeschlagen werden, wobei die Eisenbahn oder das Schiff den langen Hauptlauf und die Straße den kurzen Zustellverkehr leistet.

In der englischsprachigen Fachliteratur werden die Begriffe multimodal transport, intermodal transport und combined transport verwendet. Nach der Definition für den Kombinierten Verkehr ist der korrespondierende englischsprachige Fachausdruck combined transport .

1.3 Forschungsstand und Themenabgrenzung

Der Kombinierte Verkehr wird von der europäischen Verkehrspolitik als wichtiges Instrument aufgeführt, wenn es um Konzepte zur Verlagerung des Güterverkehrs geht. Dieser Entwicklung folgte eine starke Zunahme der theoretischen und praxisorientierten Forschungsaktivitäten im Bereich des Kombinierten Verkehrs.12 Aufgrund der Komplexität der Thematik und der Vielzahl der miteinander verknüpften Einflussfaktoren ist der Kombinierte Verkehr nur schlecht mit dem Instrumentarium einer einzelnen Fachwissenschaft zu erfassen.13 Die Themenschwerpunkte der aktuellen Forschung lassen sich in sieben Hauptkategorien gliedern:14

- Planung und Organisation des Kombinierten Verkehrs
- Kommunikationstechnologien und elektronischer Datenaustausch
- Ausrüstungsgegenstände und Rollendes Material im Kombinierten Verkehr
- Qualität der Verkehrsnetze
- Integration und Standardisierung des Kombinierten Verkehrs
- Effizienz und Verteilung der Terminals
- Marktorientierte Strategien und sozioökonomische Szenarien

Diese Arbeit hat das Ziel, in der Kategorie der marktorientierten Strategien und sozioökonomischen Szenarien einen Beitrag zur Diskussion zu liefern. Diesen Themenschwerpunkt haben in der Vergangenheit mehrere Veröffentlichungen gehabt, allerdings wählten die Autoren hierbei stets einen sich von dieser Masterarbeit deutlich unterscheidenden Fokus.

Woxenius (1994) und Taylor/Jackson (2000) untersuchen die Rolle und Marktmacht der einzelnen Teilnehmer des Kombinierten Verkehrs. Sie argumentieren, dass der „Chain Leader“, also der mächtigste Markteilnehmer der Transportkette, die Entscheidungshoheit über die Gestaltung der Transportkette besitzt.15 Beide Studien haben zum Fazit, dass im Zusammenspiel mit überseeischen Transportketten Reedereien diese Führungsposition einnehmen. Da die Reedereien für den Schiffsverkehr nach Übersee Container als Ladeeinheiten einsetzen, haben sie dazu beigetragen, dass sich ein weltweiter Standard herausbildet.16 Im Vergleich dazu kommen die Autoren zu einem unterschiedlichen Ergebnis, wenn man die Entwicklung von kontinentalen Transportketten betrachtet, die in direkter Konkurrenz zum reinen Straßenverkehr stehen. Hier fehlen die dominanten Markteilnehmer und die einheitlichen Standards, was zu einer verminderten ökonomischen Effizienz der kombinierten Transportkette führt.17 Die Autoren blenden bei ihrer Untersuchung das makroökonomische Umfeld und andere wichtige politische Einflussfaktoren aus, die sich auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Nachfragebedingungen des Kombinierten Verkehrs auswirken.

Bukold (1996) stellt in einer vergleichenden Studie dar, von welchen Faktoren der Erfolg bzw. Misserfolg von Güterverkehrssystemen bestimmt wird.18 Anhand eines Vergleichs zwischen Deutschland, Frankreich und den Niederlanden zeigt er, wie sich der Kombinierte Verkehr Schiene - Straße in Europa entwickelt hat und dass die infrastrukturelle Anbindung an die Seehäfen dabei von großer Bedeutung war.19 Das Hauptaugenmerk seines Forschungsvorhabens legt Bukold dabei auf die Frage, ob die Wettbewerbsfähigkeit des Kombinierten Verkehrs allein vom technischen Fortschritt bestimmt wird oder durch die Politik gestaltbar ist. Bukold kommt dabei zu dem Schluss, dass gezielte politische Unterstützung notwendig ist, um die Entwicklung des Kombinierten Verkehrs in Europa zu forcieren und eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene zu realisieren.20

Büchner (2000) untersucht die Perspektiven des Kombinierten Verkehrs Schiene - Straße nach der Deregulierung des europäischen Verkehrsmarktes am Beispiel des Alpengüterverkehrs. Der Autor definiert zunächst die strukturellen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des europäischen Güterverkehrsmarktes und zeigt auf, dass sich die Liberalisierung des Eisenbahnverkehrsmarktes positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit des Kombinierten Verkehrs ausgewirkt hat.21 Ferner werden Entwicklungen, Hindernisse und Marktpotenziale für den alpenquerenden Güterverkehr diskutiert. Büchner kommt zu dem Schluss, dass der Kombinierte Verkehr aufgrund der geografischen Besonderheit der Alpen und der Verkehrspolitik der Transitländer Österreich und Schweiz klare Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Straßenverkehr hat, die in Europa einzigartig sind.22 Um die Wettbewerbsfähigkeit des Kombinierten Verkehrs weiter zu steigern, greift auch er die Angleichung der Gebührensysteme auf und spricht von der Internalisierung externer Effekte.23 Neben den politischen Maßnahmen sieht Büchner zusätzlich Potenziale für den Kombinierten Verkehr in der Beseitigung der Kapazitätsengpässe in der Infrastruktur, dem freien Netzzugang für Privatanbieter und der Transparenz der Trassenpreise.24

Der bisherige Forschungsstand lässt sich wie folgt zusammenfassen: Woxenius betrachtet die Macht der einzelnen Marktteilnehmer im Kombinierten Verkehr in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit, Bukold setzt sich mit der Transformierbarkeit des Güterverkehrssystem hin zum Kombinierten Verkehr in Europa auseinander und Büchner untersucht die Wettbewerbsfähigkeit des alpenquerenden Kombinierten Verkehrs. Hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit des Kombinierten Verkehrs Schiene - Straße in Europa besteht also Forschungsbedarf. Da alle Arbeiten außerdem noch vor der beschleunigten Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarktes entstanden sind, haben sich einige Faktoren wie z.B. die Vereinfachung des Marktzugangs geändert, wodurch das Forschungsvorhaben der vorliegenden Arbeit zusätzlich gerechtfertigt wird.

Bezüglich der beschriebenen Problemstellung und der Forschungsfragen sind Einschränkungen vorzunehmen, um eine präzise und erfolgreiche Zielerreichung zu garantieren. Erstens ist eine geografische Abgrenzung vorzunehmen, da unter dem Bezeichnung Europa verschiedene geografische Räume verstanden werden. In dieser Masterarbeit bezieht sich der Begriff Europa auf die Staaten der EU 25 sowie die Schweiz und Norwegen. Aufgrund von europäischen Gesetzen, geografischen Eigenheiten und Besonderheiten in der Infrastruktur unterscheidet sich der europäische Kombinierte Verkehr z.B. deutlich vom amerikanischen Kombinierten Verkehr. Für diese Untersuchung gelten deshalb die Rahmenbedingungen des europäischen Kombinierten Verkehrs. Zweitens ist eine Abgrenzung zu den verschiedenen Formen des Kombinierten Verkehrs vorzunehmen. Da der Kombinierte Verkehr mit dem Binnen- oder Seeschiff auf wenige Wasserstraßen begrenzt ist und der Einsatz des Flugzeugs auf dem Hauptlauf nur für extrem eilige und hochwertige Güter in Frage kommt, haben beide Verkehrsträger einen deutlich geringeren Marktanteil als die Schiene im Hauptlauf. Der Fokus dieser Untersuchung liegt auf dem Kombinierten Verkehr Schiene - Straße.

1.4 Forschungsansatz und Struktur der Arbeit

Die vorliegende Arbeit widmet sich der Untersuchung des Güterverkehrssystems des Kombinierten Verkehrs Schiene - Straße, indem sie zum einen eine qualitative Analyse der Rahmenbedingungen des Güterverkehrsmarktes darstellt, die theoretischen Charakteristika des Kombinierten Verkehrs erklärt und die ökonomischen Determinanten dem reinen Straßenverkehr gegenüberstellt. Zum anderen wird der bestehende Markt des Kombinierten Güterverkehrs untersucht, um Wachstumsbarrieren und Verlagerungspotenziale zu identifizieren. Ziel dieser Studie ist es, die Wettbewerbsfähigkeit des Kombinierten Verkehrs zu prüfen und zu untersuchen, ob und zu welchem Grad die komplexen Marktaktivitäten des Kombinierten Verkehrs in der Praxis mit einem theoretischen Modell adäquat dargestellt werden können.

Ausgehend von diesem Grundgedanken folgt die Arbeit einem qualitativ empirischen Ansatz. Grundsätzlich ist die qualitative Empirie und speziell der qualitative Case-Study-Ansatz nach Yin (2008) eine geeignete Methodik, wenn nach den holistischen Charakteristika eines realen Phänomens gesucht wird und die Fragen „wie“ und „warum“ untersucht werden.25 Laut Miles/Hubermann (2000) und Yin (2008) ermöglicht ein multipler Case-Study-Ansatz ein tiefgreifendes Verständnis eines bestimmten Phänomens und erlaubt erste Erkenntnisse umfassend zu prüfen, um dadurch die Validität zu erhöhen.26

Im Folgenden soll die Struktur der Arbeit vorgestellt werden. Die Gegenstandsphase markiert den Anfang der Untersuchung. Es werden die Rahmenbedingungen des Güterverkehrsmarktes erklärt, um das notwendige Verständnis für die nachfolgenden Phasen zu schaffen. Dabei wird besonders auf die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen eingegangen, die die Nachfrage und das Angebot beeinflussen. Im Anschluss folgt die Konzeptionsphase, in der ein Verständnis für die Grundlagen des Kombinierten Verkehrs erarbeitet wird. Die Identifikationsphase liefert mit Hilfe einer Branchenstrukturanalyse Erkenntnisse über die Wettbewerbsintensität des Kombinierten Verkehrsmarktes in Europa und lässt ferner Aussagen über Verlagerungspotenziale und Wachstumshindernisse zu. Die Auswertungsphase diskutiert abschließend Empfehlung, um die Wettbewerbsfähigkeit des Kombinierten Verkehrs in Europa zu steigern. Abbildung 3 stellt den Aufbau der Masterarbeit grafisch dar. Unter Berücksichtigung von Einleitung und Zusammenfassung weist die Untersuchung sechs Kapitel auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Struktur der Masterarbeit27

2 Rahmenbedingungen des Güterverkehrs in Europa

In diesem Abschnitt wird die bisherige Entwicklung des Güterverkehrs in Europa diskutiert. Aufbauend auf der Marktentwicklung des Güterverkehrs (Kapitel 2.1) und dem Verständnis der Funktion von Angebot und Nachfrage (Kapitel 2.2) werden die wichtigsten wirtschaftlichen Effekte (Kapitel 2.3) beschrieben, die die Rahmenbedingungen des Güterverkehrs verändern. Anschließend werden die zentralen politisch, infrastrukturellen und technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen (Kapitel 2.4) untersucht. Bei der Betrachtung der Rahmenbedingungen bleibt zu konstatieren, dass diese von vielfältigen Wechselwirkungen geprägt sind und ihre Wirkung nicht im Einzelnen gemessen werden kann. Die qualitative Untersuchung der Ursachen liefert eine Antwort auf die Frage, welche Verkehrsträger für den Transport von Gütern zum Einsatz kommen. Dadurch kann im Anschluss die Entwicklung der Güterverkehrsleistung sowie des Modal Splits erklären (Kapitel 2.5). Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wird im dritten Kapitel die Entwicklung des Kombinierten Verkehrs in Europa analysiert.

2.1 Der Güterverkehrsmarkt in Zahlen

Betrachtet man die Entwicklung der Gütertransportleistung (in Tonnenkilometern, im Folgenden mit tkm abgekürzt) zwischen 1970 und 1999 in Europa lässt sich feststellen, dass sich die Transportleistung über diesen Zeitraum mehr als verdoppelt hat.28 Sie stieg von rund 798 Mrd. tkm im Jahr 1970 auf 1675 Mrd. tkm im Jahr 1999.

Wie am Modal Split in Abbildung 4 abzulesen ist, hat der Straßengüterverkehr von diesem Marktwachstum überproportional stark profitiert. Untersucht man die jeweiligen Anteile der einzelnen Verkehrsträger an der gesamten Gütertransportleistung, so stellt man fest, dass der Anteil des Straßengüterverkehrs von 52% im Jahr 1970 auf 79% im Jahr 1999 gewachsen ist. Der direkte Vergleich der Zeitreihen zeigt, dass die anderen Verkehrsträger deutlich Marktanteile verloren haben. Während die Transportleistung der Binnenschifffahrt von 103 Mrd. tkm auf 120 Mrd. tkm leicht anstieg, sank der Marktanteil von 13% auf 7%. Für den Schienengüterverkehr ist sogar ein Rückgang der Transportleistung von 283 Mrd. tkm auf 237 Mrd. tkm zu verzeichnen. War die Eisenbahn im Jahr 1970 mit einem Marktanteil von 35% noch ein bedeutender Verkehrsträger, sank ihr Anteil an der Transportleistung auf 14% um die Jahrtausendwende.29

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Europäische Güterverkehrsleistung je Verkehrsträger (1970 - 1999) in Mrd. tkm30

Zwischen den Jahren 2000 - 2007 konnte bei allen Verkehrsträgern trotz leichter Schwankungen eine deutliche Steigerung der Verkehrsnachfrage verzeichnet werden. Die Verkehrsleistung erreichte 2007 mit 2639 Mrd. tkm den höchsten Wert der EU-Geschichte.31 Durch die im Jahr 2008 ausgelöste weltweite Finanzkrise wurden viele Banken insolvent oder gerieten in Liquiditätsengpässe. Die in Not geratenen Banken erschwerten Unternehmen den Zugang zu Krediten, dadurch verminderten sich die Wirtschaftsaktivitäten und der Handel mit Gütern sank weltweit.32 Infolge dessen wiesen im Jahr 2008 und 2009 alle Verkehrsträger einen deutlichen Rückgang der Verkehrsleistung auf.33

Abbildung 5 zeichnet das Wachstum der Güterverkehrsleistung von 2000 - 2007 und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Güterverkehrsleistung in Europa nach. Die Krise hat dazu geführt, dass die Güterverkehrsleistung im Jahr 2009 auf das Niveau von 2003 gesunken ist, auf die Marktanteile der einzelnen Verkehrsträger am Modal-Split hat sie aber keinen erwähnenswerten Einfluss ausgeübt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Europäische Güterverkehrsleistung je Verkehrsträger (2000 - 2009) in Mrd. tkm34

Im Jahr 2009 ist der LKW mit Abstand das wichtigste Verkehrsmittel für Europa. Der Straßengüterverkehr dominiert den Modal Split mit einem Anteil von 74% und konnte seine Transportleistung im Vergleich zu 1970 mehr als vervierfachen. Das Binnenschiff hat mit 120 Mrd. tkm und einem Marktanteil von 6% nur eine geringe Bedeutung für den europäischen Güterverkehrsmarkt. Lag der prozentuale Anteil des Schienengüterverkehrs an der Gesamttransportleistung um die Jahrtausendwende noch bei 13%, konnte er im Jahr 2009 auf 17% zulegen.35

Bis 2025 prognostiziert die Europäische Union ein weiteres Wachstum des Güterverkehrsaufkommens auf 3500 Mrd. (tkm), was einem Anstieg von mehr als 50% im Vergleich zum Niveau von 2009 entspricht.36

Im Folgenden werden die Ursachen untersucht, durch die sich die Wettbewerbsvorteile des LKW im Güterverkehrsmarkt begründen lassen, um in Kapitel 4 eine Wettbewerbsanalyse des Kombinierten Verkehrs zu ermöglichen.

2.2 Angebot, Nachfrage und Preiselastizität im Verkehrsmarkt

Der Güterverkehrsmarkt ist der ökonomische Ort, an dem Angebot und Nachfrage in Bezug auf Verkehrsleistungen zusammentreffen. Volkswirtschaftlich betrachtet ergeben sich Angebot und Nachfrage aus den aggregierten individuellen Entscheidungen der Marktteilnehmer im Güterverkehrsmarkt.37

Grundsätzlich leitet sich die Nachfrage nach Güterverkehrsleistungen aus den Bedürfnissen von Industrie und Handel ab, die je nach Branche und Größe des Unternehmens sehr unterschiedlich sind. Die Wirtschaftslage und die zukünftigen Erwartungen der Unternehmen wirken sich ebenfalls direkt auf die Güterverkehrsnachfrage aus, wie bereits in Kapitel 2.1 dargestellt wurde.38

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Tatsache, dass die verladende Wirtschaft - das sind alle Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, die als Nachfrager von Verkehrsleistungen auftreten - die Beförderungsbedingungen und die Wahl des Verkehrsträgers diktieren. Diese Entscheidung ist von den Beschaffungs- und Distributionsstrategien der Unternehmen abhängig und richtet sich nach folgenden Leistungsmerkmalen: Transportpreis, Transportdauer, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Frequenz, Transportsicherheit, Netzbildungsfähigkeit, Massenleistungsfähigkeit versus Stückgutbeförderung und Umweltfreundlichkeit.39

Transporte sollen ihr Ziel schnell und sicher erreichen. Dabei ist es aus Sicht des Nachfragers wichtig, dass die Qualität der Transportleistung und ihre Frequenz hoch sind, damit die Güter unbeschädigt und rechtzeitig an ihrem Bestimmungsort eintreffen. Ein niedriger Transportpreis ist für die Mehrheit der verladenden Wirtschaft das wichtigste Kriterium bei der Auswahl des Verkehrsmittels.40

Es ist anzumerken, dass die Preiselastizität relativ gering ist. Grund sind die historisch gewachsenen Abhängigkeiten der Unternehmen von ihren Standortstrukturen und etablierten Transportketten. Preissteigerungen führen demnach nur langsam zu einem Rückgang der Nachfrage oder der Umstellung der Transportkette, weil eine Verzögerung oder ein Ausfall der Transportleistung oft weit höhere Kosten zur Folge haben. In der Regel werden die Preissteigerungen von der verladenden Wirtschaft direkt an die eigenen Kunden weitergereicht.41

Das Angebot von Verkehrsleistungen wird durch Güterverkehrsunternehmen erbracht und ist ausgesprochen heterogen. Aufgrund der stark voneinander abweichenden Kostenstrukturen der Produzenten sowie der Vielzahl von Teilmärkten sind generelle Aussagen über Marktgegebenheiten nur begrenzt möglich. Als gesichert gilt, dass u.a. die Infrastruktur, Fahrzeuge, konkurrierende Wettbewerber, Systemübergänge und Kapazitäten die maßgeblichen Faktoren bei der Gestaltung der Verkehrsleistung sind. Aus Sicht der Güterverkehrsunternehmen sind folgende Merkmale für die Transportleistung von Bedeutung: Wirtschaftlichkeit, Auslastung, Effizienz und freier Marktzugang.42

Das Verkehrsangebot ist ebenfalls durch eine geringe Preiselastizität gekennzeichnet, denn sinkende Transportpreise und ein sinkendes Güteraufkommen führen nicht automatisch zu einer Anpassung der Angebotsmenge.43 Investitionen in Verkehrsmittel (Lokomotiven, Eisenbahnwaggons, Lkws etc.) und in die Verkehrsinfrastruktur (Terminals, Verladezentren etc.) sind für Unternehmen mit hohen Fixkosten verbunden und bedürfen einer langfristigen Planung. Die Investitionen sind zudem absolut zweckgebunden, so dass es sehr schwierig ist, Transportkapazitäten kurzfristig an neue Markterfordernisse anzupassen. Anders formuliert, in Zeiten geringen Bedarfs bleibt ein Teil der Kapazitäten ungenutzt, der zur Deckung des Maximalbedarfs an Verkehrsleistungen ausreichen soll, aber nicht vom Markt genommen werden kann. Die Nachfrage unterliegt jedoch starken saisonalen, konjunkturellen und räumlichen Schwankungen. Zusätzlich können Verkehrsleistungen nicht gelagert werden, also sind Güterverkehrsunternehmen darauf angewiesen, ihre Verkehrsträger so gut wie möglich auszulasten. Das Resultat sind nicht selten Überkapazitäten, die zu sinkenden Transportpreisen und einem erhöhten Wettbewerbsdruck führen. Um Einkommensverluste auszugleichen, kommt es gelegentlich sogar zu einer Steigerung des Angebots; dann besteht eine Tendenz zu ruinösem Wettbewerb.44

Viele der besprochenen Merkmale von Angebot und Nachfrage treten auch in anderen Wirtschaftssektoren auf, nur wenige sind verkehrsspezifisch.45 Trotzdem wurde lange Zeit in der verkehrswissenschaftlichen und verkehrspolitischen Diskussion argumentiert, „dass der sich im freien Wettbewerb ergebende Preis nur sehr eingeschränkt als Regulator von Angebot und Nachfrage auf den Verkehrsmärkten funktioniere“.46 Konsequenterweise greift die Politik durch Gesetze und Subventionen, die in Kapitel 2.4 analysiert werden, direkt und indirekt in die Preisgestaltung ein und verändert die Wettbewerbsbedingungen im Verkehrsmarkt.

2.3 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Die Funktion von Angebot und Nachfrage im Güterverkehrsmarkt ist durch die Verflechtung von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Umwelt gekennzeichnet.47 In den nachfolgenden Erläuterungen sollen die wirtschaftlichen Einflussfaktoren genauer beleuchtet werden, die Ursachen für die Zunahme der Transportnachfrage und die gewachsenen Anforderungen an die Transportleistung.

2.3.1 Integrationseffekt

In Kapitel 2.1 wurde gezeigt, dass die Auswirkungen der Finanzkrise 2008 zu einem Rückgang der Güterverkehrsnachfrage geführt haben, woraus man ableiten kann, dass die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung richtungsweisend für den Güterverkehrsmarkt ist. Das bedeutet, dass der Güterverkehrsmarkt durch eine hochgradige Konjunkturreagibilität gekennzeichnet ist.48 Im Umkehrschluss ist richtig, dass der Umfang der Warenströme zu nimmt, wenn mehr Güter in Europa produziert werden und der Welthandel expandiert. Die europäische Integration, die Erschließung der osteuropäischen Märkte und die Intensivierung des weltweiten Handels- und Wirtschaftsverkehrs haben das Wachstum in Europa in den letzten Jahrzehnten stimuliert.49 Gleichzeitig hat das den Preis- und Wettbewerbsdruck zwischen den Unternehmen erhöht. Dieser sogenannte Integrationseffekt hat zu einem quantitativen Bedarfssprung im Güterverkehr geführt.50

Im letzten Jahrzehnt ist die Güterverkehrsleistung in vielen europäischen Staaten sogar stärker gewachsen als die Wirtschaftsleistung.51 Grund dafür sind die zunehmende internationale Arbeitsteilung und die dadurch reduzierte Fertigungstiefe. Dementsprechend werden Fertigungsschritte in andere Standorte ausgelagert (Outsourcing) und es kommt zu einer Ausweitung der Transportentfernungen.52 Die Folge ist ein überproportional hoher Anstieg der Fahrleistung im Vergleich zum Güteraufkommen.

Das Verhältnis zwischen der Entwicklung des Güterverkehrsaufkommens und des realen Bruttosozialproduktes wird als Gütertransportintensität bezeichnet.53 Laut der Europäischen Kommission lag die Gütertransportintensität von 1970 bis zur Jahrtausendwende konstant um den Faktor Güterverkehrsentwicklung und der Entwicklung des BSP hat demnach stark korreliert.54 Zwischen 2000 und 2008 hat sich die Transportintensität um 10% erhöht.55 Es gilt festzuhalten, dass der Integrationseffekt eine immer größere Verkehrsleistung verursacht, die in den letzten Jahren sogar stärker gewachsen ist als die europäische Wirtschaft.

2.3.2 Güterstruktureffekt

In hoch entwickelten Volkswirtschaften sind die Märkte für geringwertige Güter (Massengüter) mehr und mehr gesättigt, während die Nachfrage nach hochwertigen Investitions- und Konsumgütern (Stückgüter) ihren Anteil kontinuierlich steigert. Dieses Phänomen wird als Güterstruktureffekt bezeichnet.56 Daraus resultierend nimmt der Transport von kostenempfindlichen Massengütern (z.B. Kohle, Steine, Erden etc.) ab und die Nachfrage nach Transporten von eilbedürftigen und in geringen Sendungsgrößen anfallenden Gütern (z.B. High-Tech-Produkte, halbfertige Waren der Industrie, Ersatzteile etc.) steigt.57

Durch den steigenden Wert der transportierten Güter werden die Transportkosten für die verladende Industrie weniger relevant, was als Güterwerteffekt bezeichnet wird.58 Das Resultat sind veränderte Anforderungen an die Transportleistung: Geschwindigkeit, Sicherheit und Termintreue werden wichtiger.59

Der Güterstruktureffekt führt zu häufigeren und kleingewichtigeren Gütertransporten, die in die Fläche verteilt werden müssen60 Da der Straßengüterverkehr diese Nachfrageanforderung aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit an Kundenwünsche gegenüber anderen Verkehrsträgern am besten erfüllen kann, haben sich die Gütertransporte in den allermeisten Branchen auf diesen Verkehrsträger verlagert. Im Kontrast profitieren Bahn und Binnenschiff hauptsächlich von der Kostendegression der Massengüter und stellen eher geringe Ansprüche an Transportqualität und Pünktlichkeit.61

Für den täglichen Warenaustausch und das wirtschaftliche Wachstum in Industriegesellschaften sind qualitative Aspekte des Transportes von hoher Bedeutung.62 Der Modal Split des europäischen Güterverkehrs hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zu Gunsten des Straßengüterverkehrs entwickelt.63

2.3.3 Logistikeffekt

Um die Konsumenten in einer globalisierten Welt für sich zu gewinnen, sind Wirtschaftsunternehmen darauf angewiesen, hoch individualisierte Produkte situationsgerecht anzubieten.64 Diese Massenindividualisierung bedeutet für die Unternehmen, dass die Variantenvielfalt in der Produktion steigt, Produktlebenszyklen kürzer werden und sich im Endeffekt die gesamte Komplexität der Logistik erhöht.65 Dabei ist die Wirtschaftlichkeit Primärziel eines jeden Unternehmens.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Lagerbestand so gering wie möglich gehalten werden, damit die Kapitalbindung im logistischen Apparat gesenkt und gleichzeitig die Flexibilität in der Produktion gesteigert wird.66 Als Reaktion haben die Unternehmen zusammen mit ihren Zulieferern strategische Supply-Chain- Management-Konzepte entwickelt und implementiert.67 Eine Standardisierung der Bauteile, auch Plattformstrategie genannt, minimiert das Problem der Variantenvielfalt durch eine späte Variantenbildung. Dazu kommt der Einsatz von Just-In-Time/Sequenz-Konzepten, die es ermöglichen, Komponenten abhängig von der Prozessstufe der Montage anzuliefern und zu verbauen.68

Gleichzeitig konzentrieren sich die Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen und lagern Aktivitäten an ihre Lieferanten aus.69 Ziel ist es, ihre eigenen Produktionskosten zu senken, Ressourcen für die wertschöpfenden Prozesse freizusetzen und ihre Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Das Resultat ist eine enge Integration mit den sogenannten Systemlieferanten, die vorgefertigte Baugruppen anliefern, aber von der eigenen Produktion räumlich getrennt sind.70

Der Logistikeffekt führt zu einer Zergliederung der Wertschöpfungskette und resultiert in kleinen Transportmengen, die in hohen Frequenzen zu exakten Terminen bewegt werden müssen.71 Diese enorm hohen Anforderungen können besonders gut vom Straßengüterverkehr bedient werden und sind eine weitere Erklärung für seine Dominanz im Güterverkehr.

2.3.4 Informationseffekt

Ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor bei der optimalen Planung und Steuerung der Unternehmenslogistik sind elektronische Datenverarbeitungs- und Kommunikationssysteme.72 Die Bedeutung von Informationen ist durch die zunehmende Komplexität und unternehmensübergreifende Schnittstellen in den vergangenen Jahrzehnten permanent gestiegen, was man als Informationseffekt bezeichnet.73

Um die Steuerung internationaler Wertschöpfungsketten zu gewährleisten, spielt die Bedeutung der Datensammlung und Datenauswertung zur Organisation des Materialflusses und des Gütertransportes eine immer wichtigere Rolle.74 Durch neue Technologien wie Tracking&Tracing, Barcodes und RFID werden Daten heute automatisch erfasst und können mittels internetgestützter Informationssysteme zu jeder Zeit und an jedem Ort weiterverarbeitet werden.75

Ein effizienter Informationsaustausch zwischen den am Logistikprozess beteiligten Akteuren ist eine wesentliche Voraussetzung, um das Supply-Chain-Management eines Unternehmens beherrschbar, kostengünstig und transparent zu gestalten. Für die Güterverkehrsunternehmen bedeutet es konkret, dass Transportketten ökonomischer geplant werden können und die Durchführung von Transportprozessen und Transaktionen erleichtert wird.76

Der Wandel in der räumlichen und zeitlichen, sowie art- und mengenmäßigen Güterverkehrsnachfrage, die durch das Zusammenspiel aus Integrations-, Güterstruktur- und Logistikeffekt verursacht wird, kann durch moderne Informationssysteme effizienter und effektiver bedient werden.

2.4 Die europäische Verkehrspolitik

Wie in Kapitel 2.2 angedeutet, hat die Verkehrspolitik die Entwicklung des Güterverkehrs in der Vergangenheit wesentlich beeinflusst.77 Nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 dauerte es allerdings erst einmal mehr als 30 Jahre, bis sich die europäischen Minister auf eine marktwirtschaftliche Konzeption für den Verkehrsmarkt einigen konnten.78 Im Voraus musste der Ministerrat sogar durch das Europäische Parlament wegen langjähriger Untätigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden, was bis zu diesem Zeitpunkt einmalig in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft gewesen war.79 Das Untätigkeitsurteil vom 22. Mai 1985 fordert die Herstellung der Dienstleistungsfreiheit auf den europäischen Verkehrsmärkten innerhalb eines angemessenen Zeitraums.80

[...]


1 Vgl. Europäische Komission (1997), S. 7.

2 Vgl. Europäische Komission (2009), S. 9 ff., Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2008), S. 40 ff.

3 Vgl. Deutsches Institut für Normung (Transportkette,1989).

4 Vgl. Pfohl (2004), S. 164.

5 Vgl. Holgeried (2005), S. 113.

6 Entnommen aus Fischer (2008), S. 142.

7 Europäische Union (2001), S. 16.

8 Europäische Union (2001), S. 3.

9 Vgl. Arnold et al. (2008), S. 737.

10 Vgl. Definitionen der Studiengesellschaft für den Kombinierten Verkehr (SGKV e. V.).

11 Quelle: Eigene Darstellung.

12 Vgl. Bontekoning et al. (2003), S. 1.

13 Vgl. Bukold (1996), S. 19.

14 Vgl. Meyer-Larsen, Duhme (2006), S. 3.

15 Vgl. Woxenius (1994), S. 3.

16 Vgl. Woxenius (1994), Taylor/Jackson (2000), S. 15.

17 Vgl. Woxenius (1994), Taylor/Jackson (2000), S. 17.

18 Vgl. Bukod (1996), S. 6.

19 Vgl. Bukold (1996), S. 70 ff.

20 Vgl. Bukold (1996), S. 225 ff.

21 Büchner (2000), S. 47ff.

22 Büchner (2000), S. 61 ff.

23 Büchner (2000), S. 80.

24 Büchner (2000), S. 87ff.

25 Vgl. Yin (2008), S. 4.

26 Vgl. Miles/Hubermann (2000), Yin (2008).

27 Quelle: Eigene Darstellung.

28 Vgl.: Europäische Kommission (2002): EU Energy and Transport in Figures: Statistical pocketbook (2002).

29 Vgl.: Europäische Kommission (2002): EU Energy and Transport in Figures: Statistical pocketbook (2002), in die Berechnung wurde der Straßengüterverkehr, die Binnenschifffahrt und die Eisenbahn miteinbezogen. Für diesen Zeitraum liegen keine gesicherten Zahlen für den Luftverkehr und den Rohrleitungsverkehr vor.

30 Quelle: Eigene Darstellung, Zahlenmaterial Europäische Kommission (2002): EU Energy and Transport in Figures“ Statistical pocketbook (2002).

31 Vgl.: Europäische Kommission (2011a): EU Energy and Transport in Figures: Statistical pocketbook (2011), die EU hat offiziell keine aktuelleren, belastbaren Zahlen veröffentlicht (Stand 02.03.2012).

32 Gleißner (2010), S.1.

33 Walter (2009), S.1.

34 Quelle: Eigene Darstellung, Zahlenmaterial Europäische Komission (2011a): EU Energy and Transport in Figures: Statistical pocketbook 2011, zur besseren Vergleichbarkeit mit den Zahlenreihen aus den Jahren 1970 - 1999 wurde der Rohrleitungsverkehr und Luftfahrtgüterverkehr ausgeblendet.

35 Vgl. Europäische Komission (2011a): EU Energy and Transport in Figures: Statistical pocketbook 2011.

36 Vgl. Europäische Komission (2011a): EU Energy and Transport in Figures: Statistical pocketbook 2011.

37 Vgl. Polzin (1999), S. 32 ff.

38 Vgl. Aberle (2003), S. 185-187.

39 Vgl. Eickenmeier (1997), S. 89.

40 Vgl. Holderied (2005), S.18 ff.

41 Vgl. Aberle (2003), S. 185-187.

42 Holderied (2005), S. 18 ff.

43 Vgl. Frerich/Müller (2004), S. 41.

44 Vgl. Frerich/Müller (2004), S. 41.

45 Vgl. Aberle (2003), S. 89ff.

46 Frerich/Müller (2004), S. 42.

47 Vgl. Brandenburg/Oelfke/Waschkau (2002), S. 13-17.

48 Vgl. Hugenschmidt, H. (1995), S. 20ff.

49 Vgl. Europäische Kommission (2011b), S. 30 ff.

50 Vgl. Polzin (1999), S. 32 ff.

51 Vgl. Europäische Kommission (2011b), S. 34 ff. und S. 443ff.

52 Vgl. Ruesch, M. / Benito M. (2002), S. 25.

53 Vgl. Glaser, J. (1993), S. 297. 1, der Trend zwischen

54 Vgl. Europäische Komission (2002): EU Energy and Transport in Figures: Statistical pocketbook 2002.

55 Vgl. Europäische Kommission (2011b), S. 34 ff. und S. 443ff.

56 Vgl. Aberle (2003), S. 93.

57 Vgl. Leonhardt-Weber (1990), S. 91f.

58 Vgl. Wittenbrink (1992), S. 21f.

59 Vgl. Janz (2003), S. 29 f.

60 Vgl. Berndt (2001), S. 73.

61 Vgl. Glaser, J. (1993), S. 288.

62 Vgl. Ihde (2001), S. 158.

63 Siehe Kapitel 2.1.

64 Vgl. Klaus/Kille (2006), S. 22.

65 Vgl. Vahrenkamp (2005), S. 4 f.

66 Vgl. Straube (2005), S. 16.

67 Vgl. Klaus/Kille (2006), S. 23.

68 Vgl. Sommer (1998), S. 41ff.

69 Vgl. Vahrenkamp (2005), S. 382.

70 Vgl. Ruesch/Benito (2002), S. 25.

71 Vgl. Klaus/Kille (2006), S. 22.

72 Vgl. Baumgartner/Walter (2000), S. 57.

73 Vgl. Zerdick (2000), S. 57.

74 Vgl. Ihde (2001), S. 193 ff.

75 Vgl. Ihde (2001), S. 193 ff.

76 Vgl. Prockl (2001), S. 59.

77 Vgl. Frerich/Müller (2004), S. 188ff.

78 Vgl. Aberle (2003), S. 170ff.

79 Vgl. Basedow (1989), S. 173.

80 Vgl. Europäischer Gerichtshof (Untätigkeitsurteil, 1985).

Ende der Leseprobe aus 105 Seiten

Details

Titel
Kombinierter Güterverkehr Schiene – Straße in Europa. Branchenstruktur und Wettbewerb
Hochschule
ESCP Europe Business School - Campus Berlin  (Lehrstuhl für Umweltökonomie und Allgemeine Volkswirtschaftslehre)
Veranstaltung
Umweltökonomie und Allgemeine Volkswirtschaftslehre
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
105
Katalognummer
V307106
ISBN (eBook)
9783668051614
ISBN (Buch)
9783668051621
Dateigröße
1774 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kombinierter, güterverkehr, schiene, straße, europa, branchenstruktur, wettbewerb
Arbeit zitieren
Florian Kuester (Autor:in), 2012, Kombinierter Güterverkehr Schiene – Straße in Europa. Branchenstruktur und Wettbewerb, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307106

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