Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Effizienzlohntheorien
2.1 Entwicklung und Definition von Effizienzlohntheorien
2.2 Arten von Effizienzlohntheorien
3. Der Gift-Exchange Ansatz
3.1 Das Prinzip der Reziprozität
3.2 Der Gift-Exchange Ansatz
3.3 Reziprozität und Arbeitseinsatz
3.4 Reziprozität und Lohnstarrheit
3.5 Reziprozität, Gewinn und Lohn
3.6 Der Effizienzlohn und Gift-Exchange Ansatz in der Praxis
3.7. Kritik an Effizienzlohnmodellen und dem Gift-Exchange Ansatz
4. Fazit und Ausblick
5. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
In einer globalisierten Welt ist eines der obersten Gebote eines Landes, wettbewerbsfähig zu sein. In diesem Zusammenhang werden verschiedenste wirtschaftliche und soziale Indikatoren genutzt, um Aussagen über die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt und dem allgemeinen Wohlstand einer Volkswirtschaft zu treffen. Handelsbilanzen, Bruttoinlandsprodukte oder aber Beschäftigungszahlen sind nur einige wirtschaftliche Kennzahlen, die in der Öffentlichkeit genannt werden, um die wirtschaftliche Lage eines Landes zu charakterisieren. Um zu verstehen, warum manche Nationen wie beispielsweise Deutschland, über Jahre Handelsüberschüsse erwirtschaften - vereinfacht ausgedrückt, mehr exportieren als importieren - und zu den führenden Industrienationen gehören, während die Wirtschaft anderer Länder stagniert oder ein Handelsdefizit aufweist, können verschiedene Theorien herangezogen werden.
Ein möglicher Ansatz wäre zu untersuchen, ob und inwieweit sich Arbeitsmarktstrukturen innerhalb eines hoch entwickelten Landes auf die Wirtschaftsleistung ausüben und diese mit den Strukturen innerhalb eines Entwicklungslandes zu vergleichen. Am Ende des Tages ist es die arbeitende Bevölkerung eines Landes die eine Volkswirtschaft ausmacht und zum Wohlstand beiträgt. Bei dieser Betrachtung könnten gezahlte Löhne, Motivation und Art der Verträge eine wichtige Rolle einnehmen, um Unterschiede in der Produktivität zu erklären. Solche Beobachtungen sind nicht nur auf gesamtwirtschaftlicher Eben wichtig, sondern kommen auch nationalen Unternehmen zugute, da diese in ständigem Wettbewerb um produktive und effiziente Mitarbeiter zu einander stehen. In erster Linie erwirtschaften Unternehmen Umsätze und Gewinne zu ihrem eigenen Wohl sowie Selbsterhaltungszweck und nicht mit dem Ziel, die Volkswirtschaft, in der sie angesiedelt sind zu unterstützen. In dem nachfolgenden Kapitel, wird daher näher auf Betriebs-basierte Theorien eingegangen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich diese Seminararbeit primär mit dem sogenannten „Gift-Exchange Ansatz“ sowie dem „Prinzip der Reziprozität“ beschäftigt. Diese beiden, eng miteinander verwobenen theoretischen Konzepte bilden einen Komplex innerhalb der sogenannten „Effizienzlohntheorien“ und stellen eine Neuerung und Weiterentwicklung zu den neoklassischen Modellen dar (Blien,1986). Um zu verdeutlichen, warum die oben genannten Ansätze von Bedeutung für die Erklärung bestimmter Ereignisse auf dem Arbeitsmarkt sind, wird zunächst erläutert, was unter dem Terminus „Effizienzlohn“ verstanden wird und wie sich der Gift-Exchange Ansatz und Reziprozität in diesem Zusammenhang einordnet. Des Weiteren werden weitere Ansätze im Rahmen der Effizienzlohntheorie kurz besprochen und zu den zwei oben genannten Ansätze abgegrenzt.
Im Anschluss werden die beiden Konzept mit Hilfe von Definitionen, Experimenten, Studien
und zu erklärenden Arbeitsmarktphänomenen beschrieben. Neben empirischen Befunden, die den Ansatz belegen und einer kritischen Auseinandersetzung mit der Theorie, enthält diese Arbeit einen Ausblick auf die zukünftige Weiterentwicklung dieser Konzepte.
2. Effizienzlohntheorien
2.1 Entwicklung und Definition von Effizienzlohntheorien
In der Vergangenheit haben sich zahlreiche Forscher mit Themen rund um den Arbeitsmarkt beschäftigt. Im Laufe der Jahre wurden Konzepte immer wieder weiterentwickelt oder um neue Annahme erweitert. Insbesondere die sogenannten „Neoklassischen Standardmodelle“ galten jahrelang als wegweisend. Zu diesen Modellen lassen sich einige Ansätze der Effizienzlohntheorie zählen, die in dem nachfolgenden Unterkapitel behandelt werden (Blien,1986). Der hier thematisierte Gift-Exchange Ansatz und das Prinzip der Reziprozität werden nicht zu den neoklassischen Theorien im engeren Sinne gezählt. Sie lassen sich in die sogenannte „Soziologische Effizienzlohntheorie“ einordnen, da sie auf soziologischen Beobachtungen basieren (Akerlof,1982).
Zu den wichtigsten Neuerungen, die den Weg für die Effizienzlohntheorien geebnet haben, zählen Annahmen bezüglich der Arbeitsverträge und der Perspektive. Wo früher unterstellt wurde, dass Arbeitsverträge „eine vordefinierte Arbeitsleistung“ beinhalten, „die auf dem Markt getauscht wird“ (Blien, 1986, S. 266), gehen Theoretiker nun davon aus, dass Verträge in bestimmter Hinsicht kaum Vorgaben beinhalten (Gerlach und Hübler, 1985). So wird von Blien (1986) aufgeführt, dass Arbeitsverträge gemäß neuerer Modellannahmen weder die Intensität der Arbeit, noch ihre qualitativen Merkmale beinhalten. Somit rückt laut Autor die Arbeit als solche in den Hintergrund - die Arbeitskraft ist entscheidend.
Die Perspektive, aus welcher der Arbeitsmarkt betrachtet wird, bildet ein weiteres zentrales Novum innerhalb der Arbeitsmarkttheorien. Das Unternehmen als solches steht nun mehr im Fokus. Gemäß Blien (1986, S.265), werden „Arbeitsmarktstrukturen aus dem Verhalten der Unternehmen abgeleitet“. Frühere Annahmen implizierten, dass Unternehmen ihre wirtschaftlichen Zielsetzungen automatisch umsetzen konnten. Heute wird hingegen angenommen, dass dies nicht mehr unterstellt werden kann. Ziel der aktuellen Forschungen ist zu ergründen, welche Art von Verträgen jene Anreize schaffen, die bewirken, dass Angestellte die Unternehmensvorgaben umsetzten (Blien, 1986). In diesem Zusammenhang sei eine weitere Annahmen zu nennen, die für vorherige neoklassische Standardmodelle typisch war. So suggerierten Theoretiker, dass Unternehmen lediglich als „Mengenanpasser bei vorgegebenen Preisen“ agierten - was so viel bedeutet, wie dass Löhne exogen bestimmt waren und Firmen nur die Anzahl der Beschäftigten variieren konnten um ihre Profite zu maximieren (Blien, 1986, S.267). Nachdem ein Umdenken in dieser Richtung stattgefunden hat, wurde der Grundstein für Effizienzlohntheorien gelegt.
Die theoretischen Konzept die unter diesem Begriff zusammengefasst werden, teilen die Grundannahmen, dass Firmen eine gewisse Vergütung an ihre Beschäftigten entrichten, um eine gewisse Produktivität zu gewährleisten. Damit geht der Glaube einher, dass höhere Löhne gleichbedeutend mit einer höheren Arbeitsleistung sind. Folglich, müssen Unternehmen monetäre Anreize für ihre Arbeiter schaffen, um sie zu höheren Leistungen zu motivieren (Blien,1986).
Die Notwendigkeit für neue Theorien beruht darauf, dass bis dahin gültige neoklassische Modelle nicht in der Lage waren, gewisse Probleme auf dem Arbeitsmarkt und seine Strukturen zufriedenstellend zu erklären (Blien,1986).
2.2 Arten von Effizienzlohntheorien
Wie bereits erwähnt, lassen sich Effizienzlohntheorien in zwei Arten unterteilen. Ein großer Theoriekomplex umfasst Inhalte, die sich an gängigen Annahmen der neoklassischen Ökonomie orientieren. Zu diesen gehören Modelle, die sich mit dem Fluktuations- und Drückebergerverhalten von Arbeitern beschäftigen sowie jene, die sich mit dem Finden und Halten von qualifiziertem Personal auseinandersetzen (Blien,1986).
Zur zweiten Kategorie der Effizienzlohntheorien gehört der hier thematisierte Gift-Exchange Ansatz. Er unterscheidet sich insoweit von den vorher genannten Modellen, als dass er nicht von einer reinen Nutzenfunktion als Motivation für das Erbringen einer gewissen Arbeitsleistung ausgeht. Soziale Normen und ein positives Miteinander zwischen den Arbeitern und dem Unternehmen spielen ebenso eine große Rolle wie finanzielle Anreizen (Akerlof,1982).
Da diese Seminararbeit den Fokus auf den Gift-Exchange Ansatz und das Prinzip der Reziprozität legt, werden die anderen Ansätze, die in diesem Abschnitt genannt werden nicht weiter konkretisiert. Sie zu benennen dient lediglich den Zweck den letzten Ansatz von ihnen abzugrenzen.
In dem nachfolgenden Kapitel werden zunächst die Grundannahmen auf denen der besagte Ansatz basiert vorgestellt. Anschließend wird das theoretische Konzept anhand von Studien erläutert und mit Arbeitsmarktphänomenen in Beziehung gesetzt. Zuletzt wird sowohl eine Fallstudien herangezogen - um die Relevanz des Gift-Exchange Ansatzes in der Praxis zu verdeutlichen - als auch eine kritische Würdigung der Theorie skizziert.
3. Der Gift-Exchange Ansatz
3.1 Das Prinzip der Reziprozität
Der Gift-Exchange Ansatz ist den soziologischen Effizienzlohntheorien zugeordnet und basiert auf dem Prinzip der Reziprozität. Dieses „Prinzip der Gegenseitigkeit“ bildet eine der Grundnormen der sozialen Interaktion und lässt sich über verschiedenen Kulturen und Gesellschaften beobachten.
Zu einem grundlegenden Verständnis des Phänomens, eignet es sich vorab eine kurze Definition des Begriffes vorzunehmen, um anschließend das Konzept des Gift-Exchange Ansatzes besser beschreiben zu können.
Robert B. Cialdiani, Sozialpsychologe an der Arizona State University, bezeichnete nach jahrelanger Forschung Reziprozität als eine „universelle Regel“ für Gesellschaften. Damit bezieht sich Cialdiani darauf, dass Reziprozität die Grundlage allen Handelns ist und ohne dieses Solidaritätsprinzip eine funktionierende Gesellschaft nicht entstehen kann. Erst die Sicherheit, die sich aus der Existenz von reziprokem Verhalten ergibt, ermöglicht es den Menschen in Frieden und Vertrauen zusammenzuleben (Cialdini, 2009).
Damit wird unter dem Prinzip der Reziprozität die Tendenz verstanden, freundliche Handlungen ebenso freundlich zu erwidern. Diese positive Form der Reziprozität bezeichnet den Aspekt, durch reziprokes Verhalten einen Ausgleich für eine vorausgegangene positive Verhaltensweise zu schaffen, um so das Gefühl der Verpflichtung gegenüber der anderen Partei zu verringern. Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass auch ein ursprüngliches reziprokes Verhalten erst dadurch motiviert ist, dass dieses in naher Zukunft erwidert wird. Erst diese Motivation, vereinbart mit der Möglichkeit auf einen eventuellen Gewinn, überzeugt zu einem reziproken Verhalten.
Cialdini (2009) bezeichnete dies in seinem Werk als „Die Tatsache, dass ihr Gegenüber zur Gegenleistung verpflichtet ist, ermöglicht es einer Person, als Erste ein Zugeständnis zu machen und damit den günstigen Austauschprozess in Gang zu setzen“ (Cialdini, 2009). Obwohl seit den 90er-Jahren das Prinzip der Reziprozität auch in der experimentellen Forschung starke Beachtung findet, existiert keine einschlägige Definition, die eine solch komplexe menschliche Verhaltensweise im Detail erfassen kann.
Die Konnotation der positiven Reziprozität impliziert jedoch auch, dass ein Gegenstück zu dieser existiert. Unter dem Begriff der negativen Reziprozität versteht man die menschliche Tendenz, negative oder gar feindlich gesinnte Verhaltensweisen zu bestrafen und damit unfaires Verhalten zu sanktionieren. Diese zweite Form der Reziprozität impliziert einseitiges Verhalten, wie es beispielsweise durch Diebstahl oder Betrug auftreten kann.
Sahlins (1972) definiert in seinem Werk die Häufigkeitsausprägungen von positiver und negativer Reziprozität und hält fest, dass negative Reziprozität vor allem bei einer „großen sozialen Distanz“ auftritt, also wenn eine Partei eine minderwertige Ausgangssituation im Vergleich zu einer positiv bevorzugten Partei aufweist.
Das Phänomen der negativen Reziprozität wird in Laborexperimenten oftmals als Ultimatum- Spiel modelliert, welches in der folgenden Abbildung von Falk (2014) umfassend dargestellt wurde.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das Ultimatum-Spiel (Falk, 2014).
In der Analyse seiner Ergebnisse hält Falk (2014) fest, dass Spieler 2 das Angebot von Spieler 1 dann ablehnt, wenn er es als unfair betrachtet, obwohl Spieler 2 damit bewusst einen monetären Verlust erleidet. Dieses Verhalten widerspricht der Theorie der Nutzenmaximierung und widerlegt somit das Bild eines rein rationalen Homo Oeconomicus.
Die Definitionen von positiver und negativer Reziprozität tragen dazu bei das Gesamtbild von reziprokem Verhalten in Gesellschaften besser zu verstehen. Fairness, Vertrauen und Gegenseitigkeit bilden innerhalb dieses soziologischen Ansatzes die Grundlagen menschlicher Interaktion. Haben sich diese Grundlagen erst einmal etabliert, umfasst eine umfangreiche und korrekte Definition des Begriffes auch den Blick in die Zukunft. Längerfristige Beziehungen, sowohl im Privat-, als auch Geschäftsleben, bilden hier das Hauptaugenmerkt der interagierenden Parteien. Anders als bei einem einfachen Warenaustausch endet die Beziehung der Subjekte nicht bei der Übergabe der Tauschobjekte, sondern vielmehr entstehen hier soziale Normen die eine gemeinsame zukünftige Interaktion erst ermöglichen.
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