Leseprobe
Inhalt
1.0 Einleitung
2.0 Verleumdete Vielfalt – Die Sprachenlandschaft Frankreichs
2.1 Das Katalanische – lengua puente zwischen den Extremen
2.1.1 Ein kurzer Überblick über die Geschichte des catalá
2.1.2 Das katalanische Sprachgebiet heute
3.0 Geschichte der französischen Sprachgesetzgebung – ein Abriss
4.0 Französische Sprachpolitik heute
4.1 Frankreichs Sprachgesetze des 20. und 21. Jahrhunderts
4.1.1 Der Staat greift ein: Loi relative à l’emploi de la langue française
4.1.2 Der Umgang Frankreichs mit den Regionalsprachen: Loi Deixonne und Circulaire Savary
5.0 Neue Hoffnung für das Katalanische in Frankreich: Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
6.0 Das Nachbarland Spanien – ein Vorbild für Frankreich im Umgang mit den Regional- und Minderheitensprachen?
7.0 Die neue Akzeptanz: La politique du plurilinguisme en France
8.0 Das Katalanische aus Sicht seiner Sprecher –Zwischen Prestige, Vorurteilen und auto-odi
9.0 Ausblick
Literaturverzeichnis
1.0 Einleitung
Bei der Lektüre von sprach- und kulturwissenschaftlichen Werken fällt auf, dass das Katalanische oft nur als Sprache Spaniens genannt wird und sich die meisten Autoren hauptsächlich mit dem Katalanischen in Abgrenzung zur kastilischen Nationalsprache beschäftigen. Es wird dabei leider häufig nicht berücksichtigt, dass das katalanische Sprachgebiet weitaus größer ist als dies zunächst den Anschein hat und dass die katalanische Sprache auch über die Staatsgrenzen Spaniens hinaus in verschiedenen Ländern – jeweils mit unterschiedlichem Status, wie etwa in Andorra, wo das Katalanische Amtssprache ist oder in der italienischen Stadt Alghero[1] – vertreten ist. Auch auf französischem Staatsgebiet findet sich eine katalanische Sprachgemeinschaft, was insofern überraschend ist, als hier das politische Leitmotiv einer einsprachigen, französischsprachigen Nation vorherrscht. Trotz einer Sprachpolitik, die das Überleben einer Minderheitensprache erschwert, scheint das Katalanische auch in Frankreich nicht existenziell bedroht zu sein.
Wieso verdient aber nun das Katalanische in Frankreich eine derart detaillierte Betrachtung, wie es in dieser Arbeit geschehen soll? Es ist festzuhalten, dass das Katalanische eben „kein Dialekt des Spanischen ist“[2], sondern eine eigenständige romanische Sprache, die immerhin von ungefähr sechs Millionen Menschen[3] weltweit aktiv gebraucht wird und somit zu deren Identitätsbildung beiträgt. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass das Problem der Erhebung genauer Sprecherzahlen[4] auch beim Katalanischen besteht und somit die Zahl der sechs Millionen Sprecher mit einer gewissen Vorsicht zu genießen ist. Nichtsdestotrotz bleibt die Tatsache bestehen, dass diese Sprache immerhin mehr Sprecher zu verzeichnen hat als viele offizielle Landessprachen, wie zum Beispiel das Dänische.[5] Auch wenn sich die genannte Sprecherzahl auf das gesamte katalanische Sprachgebiet bezieht und die Mehrheit auf spanischem Staatsgebiet angesiedelt ist, bleibt doch eine beachtliche Zahl an Katalanischsprechern auf französischem Boden (100.000-120.000)[6], die die katalanische Kultur jenseits des Zentrums Principitat de Catalunya [7] leben und die sich mit ihr identifizieren. Gerade aus soziallinguistischer Sicht ist das Phänomen der Identitätsstiftung über Sprache von besonderem Interesse. Auch Constanze Noufal sieht im französisch-katalanischen Sprachgebiet einen „bisher von der Forschung […] zu unrecht vernachlässigten, multilingualen romanischen Sprachraum“[8], und widmet sich in ihrem Aufsatz Der Sprachkontakt Französisch – Katalanisch im Rousillon [9] genau diesem Thema.
Die vorliegende Arbeit soll einen weiteren Beitrag dazu leisten, den Blick der Wissenschaft und der Politik auf die katalanische Sprachgemeinschaft im scheinbar monolinguistischen Frankreich zu werfen. Gerade in den letzten Jahren ist das Konzept eines Europas der Nationalstaaten und –sprachen immer mehr ins Wanken geraten, und es werden verstärkt Forderungen nach einem „Europa der Regionen“[10] laut. Dies führt zu einer vermehrten Auseinandersetzung mit Regional- und Minderheitensprachen und –kulturen sowie zu steigendem politischen Interesse an deren Rechten und deren Schutz. Der Begriff Minderheiten wird hier als rein wissenschaftlicher, neutraler Begriff verwendet, der „allgemein Gruppen, die in gewisser Weise sozial und oft auch zahlenmäßig unterlegen sind“[11] beschreibt. In diesem Prozess darf die Rolle der Linguisten nicht unterschätzt oder vergessen werden, denn gerade den Wissenschaftlern obliegt es, den Forschungsgegenstand Sprache möglichst objektiv zu beschreiben, damit die (Sprach-) Politik die richtigen Entscheidungen in puncto „Bewahrung oder Veränderung“[12] der Dinge treffen kann.[13]
Um bei dem Beispiel des Katalanischen zu bleiben: es ist Aufgabe des Wissenschaftlers, Mechanismen des Sprachkonflikts zu beschreiben, auch aufzuzeigen, wo der Sprachkonflikt zur Unterdrückung instrumentalisiert wurde oder wird, […] welche Strategien die heutige Sprachpolitik verfolgt, wo wann wie gesprochen wurde, welche Funktionen dem Katalanischen, welche dem Kastilischen [und Französischen] zukamen bzw. zukommen usw. Nicht wissenschaftlich, sondern politisch ist hingegen, sprachpolitische Forderungen zu stellen oder die Politik eines Landes zu kritisieren.[14]
Unter diesem Aspekt wird sich die vorliegende Arbeit zuweilen dem Vorwurf aussetzen, nicht rein wissenschaftlich-objektiv sondern auch politisch zu sein, da an mancher Stelle das Beurteilen an die Stelle des reinen Beschreibens treten wird. Dieser normative Blickwinkel ist jedoch notwendig, wenn es um den Schutz und das Überleben von so genannten Minderheitensprachen geht, da die sprachliche Situation im Allgemeinen bereits öfter beschrieben wurde, diese Ausführungen jedoch in bislang unzureichender Weise zu einem Umdenken in der französischen Sprach- und Sprachenpolitik geführt haben.[15] Daher sind die Beurteilung sowie das Einfordern von bestimmten Aktivitäten seitens des Staates im Verlauf der vorliegenden Arbeit unerlässlich und müssen hierbei zwar als persönliche Meinung der Autorin gewertet werden, aber dennoch auch als Ergebnis einer wissenschaftlichen und ausführlichen Lektüre und Analyse der einschlägigen Literatur.
Des Weiteren sollen die Chancen für den Fortbestand des Katalanischen in Frankreich auch in Hinblick auf eine fortgeschrittene Globalisierung untersucht werden, die zweifelsohne sprachlich vom Englischen dominiert wird. Das Problem der Minderheiten- und Regionalsprachen, neben dem Katalanischen auch das Baskische, Okzitanische, etc., ist gerade in Frankreich untrennbar mit der spezifisch zentralstaatlichen Organisation der Institutionen verbunden – auch im Hinblick auf die Sprachpolitik. Sollte Frankreich also aus Angst vor der Hegemonialstellung des Englischen in der Welt[16] – sei es wirtschaftlich oder kulturell – seine Regionalsprachen verleumden, um eine einzige Nationalsprache als Vertreterin für alle im Land lebenden Sprecher zu proklamieren, um somit dem Englischen ein gestärktes und geeintes Französisch entgegenzusetzen? Oder liegen die Gründe für die Zurückhaltung in Bezug auf die Regional- und Minderheitensprachen im eigenen Land woanders? Geht man davon aus, dass vom französischen Staat keine Förderung der Minderheiten- und Regionalsprachen zu erwarten ist, so stellt sich außerdem die Frage, inwieweit diese Sprachen in Frankreich fortbestehen können. Ist ein Überleben des Katalanischen also nur dadurch gewährleistet, dass im Nachbarland Spanien die Regionalsprache zumindest in der Autonomen Region Katalonien offiziellen Status genießt und von der Sprechergemeinschaft aktiv gefördert wird? Oder gibt es Anzeichen dafür, dass auch auf französischer Seite das Katalanische mittlerweile gefördert wird und sich die Regionalsprachen im französischen Nationalstaat letztendlich doch institutionalisiert haben? Diese Fragen gilt es im Verlauf dieser Arbeit zu beantworten. Im Folgenden soll nun zunächst die Sprachensituation in Frankreich dargestellt und ein erster Überblick über das Katalanische und seine Geschichte gegeben werden. Gerade die historischen Ereignisse in Verbindung mit dem Katalanischen als Regionalsprache unterstreichen die Wichtigkeit und Vielfalt dieser romanischen Sprache. Sie erleichtern das Verständnis, wieso gerade das Katalanische im Fokus der Untersuchungen steht und worin das besondere Interesse der Wissenschaft im 21. Jahrhundert für die Regionalsprachen liegt.
2.0 Verleumdete Vielfalt – Die Sprachenlandschaft Frankreichs
Une langue est un fait social: elle rend possible la communication par la parole, et elle exprime en même temps le vécu culturel d’une communauté, d’un peuple. [T]outes les langues de France contribuent à la richesse du patrimoine national, qu’elles ont leur raison d’être et leur utilité.[17]
Mit diesen Worten beginnt Hervé Abalain, emeritierter Professor der Université de Bretagne, seine Arbeit Le français et les langues historiques de la France, in der er ausführlich auf die sprachliche Vielfalt Frankreichs eingeht. Der Terminus „alle Sprachen“ umfasst hier neben der französischen Nationalsprache auch die Regionalsprachen, die auf französischem Staatsgebiet gesprochen werden: Katalanisch, Baskisch, Okzitanisch, Korsisch, Elsässisch, Bretonisch und Flämisch.[18] Clairis beziffert sogar neun Regionalsprachen[19] und Bernard Cerquiglini, Directeur de l’institut national de la langue française, kommt unter Berücksichtigung der französischen Überseegebiete Département d'outre-mer und Territoire d'outre-mer auf 75 Regionalsprachen[20]. Im Folgenden soll jedoch nur auf die in Europa gesprochene Regionalsprache Katalanisch und die mit ihr verbundene Problematik eingegangen werden. Die Betrachtung der jenseits des Atlantiks ansässigen Sprachgemeinschaften, wie etwa den créoles, und den weiteren reichhaltigen autochthonen Regionalsprachen Frankreichs würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Eine ausführliche Betrachtung der verschiedenen Sprachen Frankreichs findet sich bei Abalain[21] und Clairis[22].
2.1 Das Katalanische – lengua puente zwischen den Extremen
Wie in der Einleitung bereits erläutert, wird Katalanisch sowohl auf spanischem als auch auf französischem Staatsgebiet gesprochen. Es vereint somit, begründet durch seine geographische grenzüberschreitende Lage, Charakteristika aus beiden Sprachgebieten. Daher wird diese Sprache auch Brückensprache (lengua puente) genannt. Badía Margarit umschreibt den Begriff der Brückensprache wie folgt:
Aixi arribem, doncs, a la superació del gal.lo-romanisme i de l’ibero-romanisme del catalá: el catalá és una llengua-pont. Es, ni més ni menys que qualsevol llengua que té veins a cada costat, una llengua de transició entre ells. Aquesta expressió pot semblar una formula de compromís; en tot cas, no és un compromís fruit de transaccions de tipus diplomàticm sinó el resultat dels factors històrics ja esmentats [...].[23]
Doch obwohl das Katalanische offensichtlich zwei Nationalstaaten gemein ist, wird bei der genaueren Betrachtung der jeweiligen sprachpolitischen Situation schnell deutlich, dass die beiden Staaten auf dem Gebiet der Sprachpolitik weitaus weniger Gemeinsamkeiten aufweisen, als man annehmen könnte. So heißt es in Artikel 3 der spanischen Verfassung von 1978:
-El castellano es la lengua española oficial del Estado. Todos los españoles tienen el deber de conocerla y el derecho a usarla.
-Las demás lenguas españolas serán también oficiales en las respectivas Comunidades Autónomas de acuerdo con sus Estatutos.
-La riqueza de las distintas modalidades lingüísticas de España es un patrimonio cultural que será objeto de especial respeto y protección.[24]
Demgegenüber gilt in der französischen Verfassung das Prinzip „La langue de la République est le français“[25]. Die Regional- und Minderheitensprachen, die in Frankreich existieren, werden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Sie werden lediglich zum kulturellen Erbe gezählt, „das es zu schützen bzw. zu konservieren gilt, aber mehr in einem musealen Verständnis als durch Stärkung ihrer sozialen Praxis“[26], ähnlich den Exponaten, die in einem Museum verstauben. Beides scheint bedauerlich, denn genau wie die Ausstellungsstücke einer Sammlung vermag auch eine Sprache viel über die eigene Geschichte auszusagen, die im Falle des Katalanischen sehr bewegt ist.
2.1.1 Ein kurzer Überblick über die Geschichte des catalá
Der Ursprung des Katalanischen liegt, wie auch bei den romanischen Nationalsprachen Spanisch und Französisch, im Lateinischen bzw. in dessen mündlichen Varietät, dem Vulgärlatein. Die Sprache kam im Zuge der insgesamt zwei Jahrhunderte andauernden römischen Eroberung auf die iberische Halbinsel.[27] Nach der Vertreibung der Araber, bei der sich vor allem Jaume I durch die Eroberungen der Balearen (1229-1235) und Valencia (1238) verdient machte, konnte sich das katalanische Sprachgebiet besonders im Zuge der Wiederbevölkerung der rückeroberten Gebiete (Repoblación) entscheidend ausdehnen. Mittels Heirat konnte bereits 1137 die Grafschaft Barcelona mit dem Königreich Aragon vereint werden, was gegen Ende des 13. Jahrhunderts dazu führte, dass Aragon seine Hegemonie im Mittelmeerraum noch weiter ausbaute. Es folgten Eroberungen auf Sizilien, Sardinien, Athen und Neapel.[28]
Die Heirat von Isabella von Kastilien und Ferdinand II von Aragon führte 1479 zur Vereinigung der beiden Königreiche. Dadurch „[verlagerte sich d]er politische und kulturelle Mittelpunkt […] nach Kastilien, wodurch sich das Kastilische (Spanische) auf Kosten des Katalanischen ausbreiten konnte“[29]. Sprach man in der Zeit von 1350 und 1500 noch vom Goldenen Zeitalter der katalanischen Literatur, als dessen prominentester Vertreter Ramon Llull zu nennen ist, schloss sich nach der Personalunion von Kastilien und Aragon im 16. bis zum 18. Jahrhundert eine Periode der Decadència an.[30] Durch die steigende Popularität des Kastilischen in dieser Zeit stagnierte die katalanische Literaturproduktion praktisch vollkommen. Es machte sich überdies ein „mehr und mehr wachsendes Mißtrauen von Seiten der Schriftsteller gegenüber dem Katalanischen als Vermittler („vehicle“) von Gedanken und literarischem Werk“[31] bemerkbar, ein Resultat der erfolgreichen Propaganda der kastilischen Königshäuser. Letztendlich verlor Katalonien unter der Herrschaft von Philipp V seine Autonomie, nachdem es am Ende des spanisch-französischen Krieges im Zuge des Pyrenäenfriedens von 1659 bereits die nordkatalanischen Gebiete, darunter das Roussillon, an Frankreich abgeben musste. Das ursprünglich katalanische Rosselló wurde französisch,[32] die katalanische Bevölkerung im Anschluss durch Frankreichs Assimilierungsbestrebungen immer weiter französisiert.[33] Der Tiefpunkt der katalanischen Herrschaft schien erreicht zu sein. Doch nach der Renaixença, „deren Beginn Bonaventura Carles Aribau mit der Veröffentlichung seiner Ode La Pàtria markiert (1833)“[34], und einer Blütezeit des Katalanischen dank seiner Normierung durch Pompeu Fabra (1868-1948)[35] kam es in der Folge des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) erneut zur substanziellen Abwertung der katalanischen Sprache und Literatur. Katalonien verlor im Zuge der franquistischen Diktatur nicht nur seine Autonomie, sondern gleichsam jedes „Identitäts- und Nationalbewußtsein sowie die Idee einer – zumindest relativen – politischen Eigenständigkeit“[36]. Zu dieser Zeit war vor allem das französische Grenzgebiet Pyrénées Orientales als Exil bei katalanischen Schriftstellern und politischen Gegnern des Franco-Regimes sehr beliebt. Dadurch kam es auch in der Folgezeit immer wieder zum kulturellen und sprachlichen Austausch zwischen den Katalanen auf beiden Seiten der Grenze.
2.1.2 Das katalanische Sprachgebiet heute
Heute umfasst das katalanische Sprachgebiet die so genannten Països Catalans[37] und erstreckt sich insgesamt über vier europäische Nationalstaaten. Es umfasst die autonome Region Catalunya in Spanien, sowie deren angrenzende Gebiete in Aragonien und einer kleinen Enklave in den Pyrénées Orientales in Frankreich. Auch die Balearischen Inseln, die Regiona Carxe in Murcia, Andorra und die Enklave Alghero auf Sardinien gehören zu den Països Catalans. Auf französischem Staatsgebiet wird das so genannte Nordkatalonien zum katalanischen Sprachgebiet gezählt. Den größten Teil nimmt dabei das Département des Pyrénées-Orientales ein.[38]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[39]
Die Grenze zwischen den beiden Dialektgruppen Ostkatalanisch und Westkatalanisch verläuft quer durch Katalonien.[40] Die französische Provinz Roussillon zählt dabei zum Zentral- bzw. Ostkatalanischen, welches u.a. auch die Norm des Katalanischen von Barcelona beschreibt. Die Norm der katalanischen Hauptstadt, ausgehend von den Reformen Pompeu Fabras, ist auch heute noch für das Standardkatalanische von sehr großer Bedeutung.[41] Dies äußert sich selbstverständlich besonders im Bereich der Orthographie. So gilt beispielsweise:
r bedeutet im Anlaut [rr], im Inlaut [r] nach l, n, s [rr], im absoluten Anlaut wie auch vor –s ist es ohne Lautwert (por, segur, cantar, sentir, créixir, celler – cellers, senyor – senyors) mit Ausnahme einiger weniger einsilbiger Wörter, in denen es [r] lautet (llar, mar, par, per, tir, cor, or, llur).[42]
Auch der Akzentsetzung kommt im Standardkatalanischen eine entscheidende Bedeutung zu, da sie zum einen als Betonungszeichen dient, andererseits aber auch zur Unterscheidung von graphisch identischen, inhaltlich aber verschiedenen Lexemen.[43] Bereits anhand dieser beiden Beispiele lässt sich ablesen, wie detailliert und ausgearbeitet die Norm der katalanischen Sprache ist. Eine derart normierte und vereinheitlichte Standardsprache müsste einem nach Vereinheitlichung strebendem Betrachter eigentlich positiv ins Auge fallen. Dadurch, dass das Katalanische eine völlig ausgebaute, regularisierte Sprache und kein Dialekt ist, sollte Frankreich die Anerkennung der Rechte der Regionalsprache in diesem Fall eigentlich doch leichter fallen? Georg Kremnitz stellt auf drei verschiedenen rechtlichen Ebenen gesetzliche Rahmenbedingungen fest, auf denen die französische Verweigerungshaltung fußt:
Erste Konstante: Frankreich weigert sich offiziell noch immer, die Existenz sprachlicher Minderheiten auf seinem Boden anzuerkennen und unterzeichnet [bzw. ratifiziert] daher auch die einschlägigen internationalen Abkommen nicht bzw. macht für einzelne Paragraphen Vorbehalte. Zweite Konstante […]: es gibt immer noch keine zusammenhängende gesetzliche Regelung der Rechte und Existenzmöglichkeiten der Minderheiten. Dritte Konstante: alle Regelungen in Zusammenhang mit den sprachlichen Minderheiten sind punktuell, entsprechen kaum einer zusammenhängenden politischen Absicht und bleiben gewöhnlich unterhalb der Gesetzesebene; sie sind daher auch leicht außer Kraft zu setzen.[44]
Im Folgenden soll nun untersucht werden, wo die Gründe für diese Haltung, auch im Hinblick auf die bewegte Geschichte, in der Sprachgesetzgebung Frankreichs liegen.
3.0 Geschichte der französischen Sprachgesetzgebung – ein Abriss
Jede Sprachgeschichte, und damit auch die Sprachgesetzgebung eines bestimmten Staates, ist unweigerlich mit der Geschichte eines jeden Landes verknüpft. Die unterschiedlichsten geschichtlichen Ereignisse, wie etwa politisch motivierte Eheschließungen, können mittelbar, wie bereits oben beschrieben, zu einer fundamentalen Auf- oder Abwertung einer Sprache führen, wie zur Decadència der katalanischen Literatursprache. Ebenso haben Macht- und Dynastiewechsel erhebliche Einflüsse auf die politische Richtung, in die sich ein Staat im Anschluss bewegt – und somit selbstverständlich auch auf die nationale Sprachpolitik.
In Frankreich liegen die Ursprünge einer dem Namen gerecht werdenden Sprachgesetzgebung bereits im 15. Jahrhundert. Mittels verschiedener königlicher Edikte sollte zunächst das Lateinische als Gerichtssprache verdrängt werden. An seine Stelle sollte eine französische Nationalsprache treten, die zu diesem Zeitpunkt jedoch noch in keinster Weise normiert war[45] und „[k]eine einheitliche anerkannte französische Sprache im heutigen Sinne“[46] darstellte. Auch die Vermischung des Französischen mit der lateinischen Sprache sollte vermieden werden.[47] Die angestrebten Bemühungen verdeutlichen an dieser Stelle bereits, welche Bedeutsamkeit einer einheitlichen Nationalsprache für die Stärkung des Staates beigemessen wurde. Der Dialekt von Paris sollte sich hierbei als normgebende Sprache durchsetzen,[48] auch wenn sich
[d]ie Durchsetzung der französischen Sprache bei der Bevölkerung […] als wesentlich problematischer [erwies, da] in den verschiedenen Teilen des sich heranbildenden geschlossenen Nationalstaates in der Bevölkerung noch die verschiedensten Lokalsprachen vor[herrschten].[49]
Diese Lokalsprachen entsprechen den so genannten Langues historiques de la France [50], als deren Nachfolger die verschiedenen Regionalsprachen angesehen werden können, die heute auf französischem Gebiet gesprochen werden. Da die Regionalsprachen von der Bevölkerung für die alltägliche Kommunikation präferiert wurden, sah sich der französische Zentralstaat in der Aufgabe, eine allgemein gültige Sprachnormierung und durchgreifende Sprachgesetzgebung voranzutreiben. Wenn zu Beginn des 16. Jahrhunderts „[z]umindest die gebildeten Franzosen […] den Wert und die Bedeutung einer Nationalsprache [erkennen]“[51], so ist sich der französische König der Nützlichkeit eben dieser zum Ende des Hundertjährigen Krieges gegen England bereits ebenfalls bewusst. Ein großes Königreich erfordert entsprechende Verwaltungsstrukturen: „Der König muss sich deshalb schon aus innenpolitischen Gründen bemühen, in seinem Staat eine zentrale Sprache und somit das Französische durchzusetzen.“[52] Eine wichtige Rolle bei den Zentralisierungsbestrebungen Frankreichs spielt François Ier, der mit der Ordonnance de Villers-Cotterêts (1539)[53] das Französische endgültig für die Bereiche Verwaltung und Rechtsprechung festsetzt: „Verträge, Urteile, Gerichtsprotokolle usw. [seien] „en langage maternel fronçoys et non autrement“ abzufassen“[54]. Die Gründung der Académie française im Jahre 1635 untermauert den Willen der Regierung und der Oberschicht, die französische Sprache in ihrer Reinheit zu pflegen und zu bewahren.[55] Im Statuts et Réglements de l’Académie française heißt es dazu: „ La principale fonction de l‘Académie sera de travailler avec tout le soin et toute la diligence possibles à donner des règles certaines à notre langue et à la rendre pure, éloquente et capable de traiter les arts et les sciences. “[56] Der nach der Französischen Revolution veröffentlichte Fragebogen des Abbé Grégoire von 1790 verdeutlicht, in welchem Maße alle anderen Sprachen, wie etwa die verschiedenen Regionalsprachen, als unrein angesehen und in der Folge „als „patois“ verketzert“[57] wurden: „Faut-il détruire effectivement les patois?“[58].
Weitere ähnliche Bemühungen in der Geschichte Frankreichs sind unter anderem die loi n° 118 du 2 Thermidor von 1794, welche für eine Karriere im öffentlichen Dienst das Französische als Dienstsprache vorschrieb.[59] Das Beherrschen der französischen Sprache war damit für den beruflichen und sozialen Aufstieg unumgänglich. Man kann an dieser Stelle bereits von einem regelrechten „Schlag gegen die Minderheiten“[60] durch das Gesetz sprechen. Den Bürgern wurde mehr oder weniger subtil ein negatives Bild der eigenen Regionalsprache vermittelt, was zur Folge hatte, dass auch auf dem Land fortan versucht wurde, ein korrektes, reines Französisch zu sprechen und die eigene nun stigmatisierte Muttersprache verleugnet wurde.[61] Hier kann bereits eine Unterdrückung der Regional- und Minderheitensprachen durch die Sprachpolitik festgestellt werden.
Die Tatsache, dass für Abbé Grégoire zudem von Beginn an feststand, dass das Französische „– unabhängig vom Ergebnis seiner Untersuchung – auf jeden Fall die Sprache aller Bürger werden mußte“[62], verdeutlicht, dass gerade in der Zeit nach der Revolution die französische Sprache des Bürgertums im Zentrum des Interesses stand. Sie war die Sprache, die fortan im ganzen Land gesprochen werden sollte und die das Gesamtgefüge der neuen Nation stärken sollte. „In der Entwicklung vieler Nationen hat das Bewußtsein, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, eine wichtige Rolle gespielt […], und auch heute noch ist die Sprache das offensichtlichste Identifikationsmerkmal einer Nation.“[63] In Frankreich kommt hinzu, dass seit 1789 das „Prinzip [der] republikanische[n] Gleichheit“[64] besteht. Dies sieht die gemeinsame Nationalsprache „als Voraussetzung für eine zumindest virtuelle Teilhabe aller Bürger an der politischen Willensbildung“[65] an. Das Konzept der égalité aller Bürger vor dem Gesetz sollte fortan also auch auf die kulturelle und sprachliche Ebene im Land übertragen werden. Der französische Nationalstaat macht an dieser Stelle – zumindest formell – keinerlei Unterschiede mehr zwischen seinen Bürgern, egal welcher Kultur- oder Sprachgemeinschaft sie angehören.
Das französische Gleichheitsprinzip ist bis heute ein wichtiges und identitätsstiftendes Element des staatlichen Selbstverständnisses. Vor dem Gesetz ist jeder Bürger gleich, und Bürger ist jede Person, die auf französischem Staatsgebiet geboren ist. Somit wird der Minderheitenschutz nicht als Teil des Gleichheitsgedankens, sondern als Ausbruch aus dem Gefüge gleichgestellter Bürger verstanden. Der Zuspruch an spezifische Gruppen, eine gesonderte Stellung gegenüber Anderen einzunehmen, würde demnach zu einer Schwächung des Gesamtgefüges des Staates und zu einer Ungleichheit im Volke führen.[66] Dieser Gedanke setzt jedoch voraus, dass jeder Bürger über dieselben Ausgangsbedingungen verfügt, die de facto nicht gegeben sein können. Mit der Annahme, dass alle Bürger sprachlich gleichgestellt sind, schließt der Staat indirekt diejenigen von der Teilhabe aus, die der Sprache nicht mächtig sind, und wirkt konträr zu seinem Grundgedanken nicht egalitär, sondern elitär.
[...]
[1] Vgl. Brummer 1975, S. 10
[2] Röntgen 2000, S. 6
[3] Röntgen 2000, S. 10
[4] Vgl. Kabatek 2009
[5] Abalain 2007, S. 11
[6] Vgl. Cichon 2003, S. 29
[7] Vgl. Röntgen 2000, S. 10
[8] Noufal 2000, S.1
[9] Vgl. Noufal 2000
[10] Kabatek 1995, S. 27
[11] Rindler Schjerve 2002, S. 26
[12] Kabatek 1995, S. 26
[13] Vgl. Kabatek 1995, S. 26
[14] Kabatek 1995, S. 27
[15] Vgl. Cichon 2003, S. 29
[16] Vgl. Arnzt 1998, S. 75
[17] Abalain 2007, S. 5
[18] Vgl. Cichon 2003, S. 29
[19] Vgl. Clairis 1999, S. 26
[20] Cerquiglini 1999, S. 107
[21] Vgl. Abalain 2007
[22] Vgl. Clairis 1999
[23] Schlieben-Lange 1973, S. 20f
[24] http://www.lamoncloa.gob.es/Espana/LeyFundamental/titulo_preliminar.htm [27.07.12]
[25] Vgl. http://www.assemblee-nationale.fr/connaissance/constitution.asp [27.07.12]
[26] Cichon 2003, S. 30
[27] Vgl. Dietrich / Geckeler, S. 123
[28] Vgl. Röntgen 2000, S. 7
[29] Röntgen 2000, S. 8
[30] Vgl. Röntgen 2000, S. 8
[31] Brummer 1975, S. 69
[32] Vgl. Röntgen 2000, S. 9
[33] Vgl. Lüdtke 1991, S. 237
[34] Röntgen 2000, S. 9
[35] Rogge / Beinke 1991, S. 203
[36] Röntgen 2000, S. 9
[37] Vgl. http://www.maison-pays-catalans.eu/index.php/ca/presentacio/4-la-catalogne-et-les-pays-catalans [27.07.12]
[38] Vgl. Abalain 2007, S. 197
[39] Vgl. http://www.maison-pays-catalans.eu/index.php/ca/presentacio/4-la-catalogne-et-les-pays-catalans [27.07.12]
[40] Vgl. Brummer 1975, S. 12
[41] Vgl. Brummer 1975, S. 13
[42] Brummer 1975, S. 38
[43] Vgl. Brummer 1975, S. 39
[44] Kremnitz 1995, S. 81f
[45] Vgl. Haas 1991, S. 13
[46] Haas 1991, S. 13
[47] Vgl. Haas 1991, S. 15
[48] Vgl. Haas 1991, S. 14
[49] Haas 1991, S. 16
[50] Vgl. Abalain 2007, S. S. 147
[51] Haas 1991, S. 15
[52] Haas 1991, S. 16
[53] Schlieben-Lange 1973, S. 26
[54] Haas 1991, S. 18
[55] Vgl. Haas 1991, S. 20
[56] http://www.academie-francaise.fr/role/statuts_AF.pdf [27.07.12]
[57] Schlieben-Lange 1973, S. 28
[58] Schlieben-Lange 1973, S. 27
[59] [59] Vgl. Haas 1991, S. 27
[60] Haas 1991, S. 27
[61] Vgl. Schlieben-Lange 1973, S. 28
[62] Haas 1991, S. 25
[63] Arnzt 1998, S. 13
[64] Cichon 2003, S. 30
[65] Cichon 2003, S. 30
[66] Vgl. Abalain 2007, S. 141