Die Eye-Tracking als Methode der Aufmerksamkeits- und Emotionsforschung


Bachelorarbeit, 2015

33 Seiten, Note: 6 (CH)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Emotionale Reaktivität
2.2 Emotionsregulation
2.3 Eye-Tracking

3. Eye-Tracking-Befunde im Bereich der Aufmerksamkeits- und Emotionsforschung
3.1 Aufmerksamkeitsausrichtung und Emotionsregulation bei psychisch gesunden Menschen
3.2 Aufmerksamkeitsausrichtung und Emotionsregulation bei depressiven Menschen
3.3 Der Einfluss des Serotonin-Transporter-Gens 5-HTTLPR auf Aufmerksamkeit und emotionales Erleben
3.4 Meditation als Aufmerksamkeitstraining

4. Diskussion

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, trägt zum grossen Teil dazu bei, welche Informationen wir aus der Aussenwelt aufnehmen und uns somit zur weiteren kognitiven Verarbeitung zur Verfügung stehen. Aufmerksamkeitsprozesse haben einen wichtigen Einfluss auf die Entstehung und die Regulation von Emotionen, andererseits können auch emotionale Prozesse die Aufmerksamkeitsausrichtung beeinflussen (Gross & Thompson, 2007).

Bis vor einigen Jahren wurde Aufmerksamkeit vor allem mit Reaktionszeit-Aufgaben wie der Dot-Probe-Task und der Stroop-Task zu messen versucht (Eysenck & Keane, 2010). Mit der Messung der Reaktionszeit (engl.: reaction time, RT) als Indikator für die Aufmerksamkeit kann jedoch nur ein unvollständiges Bild gegeben werden, da RT-Aufgaben die frühen Stadien der Aufmerksamkeitsausrichtung beurteilen, über deren Entwicklung über die Zeit und die genauen Blickbewegungen jedoch nichts aussagen können (Armstrong & Olatunji, 2012; Duque & Vazquez, 2014). Die herkömmliche Methode der Reaktionszeitmessung wird somit den verschiedenen Teilkomponenten der Aufmerksamkeit nicht gerecht. Die Beschreibung des zeitlichen Verlaufes und die Aufteilung der Aufmerksamkeit ist jedoch essentiell für ein tieferes Verständnis ihrer Ausrichtungsvorgänge und macht eine differenzierte Erforschung von etwaigen Verzerrungen oder Fehlausrichtungen erst möglich (Armstrong & Olatunji, 2012). Für genauere Analysen und Resultate ist deshalb eine angemessenere Messmethode nötig (Beevers, Ellis, Wells & McGeary, 2010).

Seit einigen Jahren wird vermehrt die Eye-Tracking-Methode (ET) verwendet, welche durch innovativen Gebrauch die bestehenden Forschungsgebiete und Erkenntnisse laufend verändert (Feng, 2011). Die Blickrichtung und -bewegungen einer Person können mittels ET relativ kontinuierlich (im Abstand von wenigen Millisekunden) und direkt gemessen werden (Armstrong & Olatunji, 2012). Mit dieser Methode können nicht nur die Komponenten der Aufmerksamkeitsorientierung, d.h. die erste Ausrichtung zu einem Stimulus und die Latenz-Zeit, die bis dahin verstreicht, sondern auch die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit auf einen Stimulus, d.h. die Fixationszeit, und die Weglenkung der Aufmerksamkeit aufgezeichnet werden (Duque & Vazquez, 2014). Ein weiterer Vorteil der ET-Methode gegenüber herkömmlichen RT-Messungen ist die Verhinderung eines Messfehlers durch verlangsamte oder schwankende motorische Reaktionsfähigkeit, was zum Beispiel bei depressiven Personen vorkommen kann, da die visuelle Aufmerksamkeit durch solche motorischen Defizite nicht beeinflusst wird (Beevers, et al., 2010). Wenn nun angenommen wird, dass die Blickrichtung ein Indikator für den Fokus der visuellen Aufmerksamkeit des Betrachters ist (Kowler, Anderson, Dosher & Blaser, 1995; Moray, Baddeley & Weiskrantz, 1993), macht es Sinn, für eine direkte und differenziertere Erforschung der Aufmerksamkeit und ihrer Komponenten Ergebnisse von Eye-Tracking-Analysen hinzuzuziehen.

In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwiefern Aufmerksamkeit und emotionale Prozesse zusammenhängen und sich beeinflussen. Es werden Erkenntnisse der Eye-Tracking-Forschung im Bereich der Aufmerksamkeitsausrichtung und Emotionsregulationsprozesse im Lichte der depressiven Störung und möglicher Einflussfaktoren angeschaut. Im Verlaufe der Arbeit sollen drei Bereiche beleuchtet werden, in denen die Rolle der Aufmerksamkeitsausrichtung auf emotionale Stimuli, mögliche Einflussfaktoren und Folgen davon untersucht werden.

In einem ersten Teil wird ein Überblick über die Aufmerksamkeitsausrichtung auf emotionale Information bei psychischen Störungen am Beispiel der depressiven Störung (engl. Major Depressive Disorder, MDD) gegeben. Dazu werden einige Emotionsregulationsstrategien genauer angeschaut. Weiter soll der Einfluss der unterschiedlichen Allel-Ausprägungen des Serotonin-Transporter-Gens 5-HTTLPR auf die Sensitivität für emotionale Stimuli, gemessen an der Aufmerksamkeitsausrichtung, betrachtet werden. In einem letzten Teil wird eine mögliche Rolle des Aufmerksamkeitstrainings Meditation zur Verbesserung oder Optimierung der Emotionsregulation erläutert.

Im folgenden Teil wird der theoretische Hintergrund von Emotionsregulation und der Eye-Tracking-Methode erläutert. Im Hauptteil der vorliegenden Arbeit wird auf die drei oben genannten Bereiche eingegangen und Ergebnisse der aktuellen Forschung dazu vorgestellt. Am Schluss werden diese Ergebnisse in einer umfassenden Diskussion zusammengetragen und integriert und Implikationen für weitere Forschungsansätze besprochen.

2. Theoretischer Hintergrund

Zuerst werden im Verlauf des Theorieteils die emotionale Reaktivität und die Emotionsregulation nach Gross und Thompson (2007) definiert und erläutert. Weiter wird eine Einführung in die Methode des Eye-Tracking und eine Beschreibung der Durchführung einer solchen Messung gegeben. Abschliessend müssen auch bestehende Limitationen der Messung und Interpretation der Daten erwähnt werden.

2.1 Emotionale Reaktivität

Das Erleben einer Emotion hängt laut Parkinson (1994) von vier verschiedenen, voneinander abhängigen Faktoren ab. Die als die wichtigste angesehene Rolle spielt dabei die individuelle Bewertung eines externen Stimulus oder einer Situation. Hinzu kommen die körperlichen Reaktionen (engl.: arousal), der Gesichtsausdruck und spezifische Handlungstendenzen. Eine Emotion wird als intensiv aber eher kurzanhaltend erlebt. In Abgrenzung dazu beschreibt der Begriff Stimmung einen weniger intensiven, dafür aber länger anhaltenden emotionalen Zustand (Eysenck & Keane, 2010).

Das Modale Modell der Emotionen (Gross & Thompson, 2007) beleuchtet verschiedene Schritte im Prozess der Emotionsentstehung und zeigt auf, wie sich Emotionen über die Zeit entwickeln und verändern. Zu Beginn des Prozesses muss sich die Person in einer für sie persönlich relevanten Situation befinden. Diese Situation kann sich external abspielen (z.Bsp. eine beleidigende Aussage eines Kollegen) oder als mentale Repräsentation innerhalb der Person auftauchen (z.Bsp. eine Erinnerung an ein schönes Erlebnis). Die Person richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Situation oder auf einen sich darin befindlichen Stimulus und bewertet diese oder diesen. Aus dieser Bewertung entspringt eine emotionale Reaktion, welche immer mit Reaktionen auf Ebene des psychischen und physischen Erlebens, des Verhaltens und der Neurobiologie einhergeht. Die dadurch entstehenden Veränderungen im Erleben und Verhalten werden emotionale Reaktivität genannt. Die hervorgerufene Reaktion kann wiederum die Ausgangssituation verändern, was den rekursiven Aspekt von Emotionen aufzeigt, da sie zu Veränderungen der Umwelt beisteuern können, durch welche sie erst hervorgerufen wurden (Gross & Thompson, 2007).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das Modale Modell der Emotionen gemäss Gross und Thompson (2007, S.10)

2.2 Emotionsregulation

Wenn eine Person nun implizit oder explizit einen Prozess aktiviert, um die Entstehung und das Erleben von Emotionen zu beeinflussen, wird von Emotionsregulation gesprochen. Die Einflussnahme erstreckt sich auf die Dauer, die Intensität, den Ausdruck und das spezifische Erleben der Emotionen (Gross, 1998). Die Regulation kann je nach Kontext verschiedene Formen annehmen, sie kann extrinsisch oder intrinsisch sein und auf unterschiedliche Strategien zurückgreifen. Dabei gibt es drei wichtige Faktoren, welche eine adaptive Regulation beeinflussen: Bewusstsein, Ziele und Strategien (Gross & Jazaieri, 2014). Das Bewusstsein für Emotionen erhöht die Menge an verfügbaren Regulationsstrategien und die nötige Flexibilität bei deren Benutzung. Das gewählte Ziel der Emotionsregulation erfordert entweder eine Abschwächung oder eine Verstärkung des Emotionserlebens. Als drittes werden spezifische, geeignete Strategien benötigt , welche die Mittel zur Zielerreichung zur Verfügung stellen (Gross & Jazaieri, 2014).

Gross und Thompson (2007) stellen dazu das Prozess-Modell der Emotionsregulation als weit verbreitetes Strukturmodell zur Organisation verschiedener Strategien vor. Darin werden fünf verschiedene Emotionsregulationsstrategien vorgestellt, welche sich durch den Zeitpunkt des Auftretens im Modalen Modell der Emotionsentstehung (Gross & Thompson, 2007) unterscheiden. Die fünf Strategien sind namentlich die Situationsauswahl, die Situationsveränderung, die Aufmerksamkeitsausrichtung, kognitive Neubewertung (Veränderung der Kognition) und die Reaktionsveränderung (Anpassung der emotionalen Antwort).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das Prozess-Modell der Emotionsregulation gemäss Gross und Thompson (2007)

Der Prozess spielt sich von links nach rechts ab und normalerweise werden verschiedenen Strategien in Kombination verwendet (Gross & Jazaieri, 2014). Menschen erleben demzufolge ihre Emotionen nicht passiv, sondern haben die Fähigkeit, aktiv in die Prozesse der Entstehung und Regulierung von Emotionen einzugreifen und diese zu beeinflussen. Entsprechend bestimmt die individuelle kognitive Bewertung einer Situation, nicht unbedingt die Situation selbst, die Qualität und Intensität einer emotionalen Antwort (Siemer, Mauss & Gross, 2007).

In der vorliegenden Arbeit wird der Fokus auf die Strategie der Aufmerksamkeitsausrichtung gelegt, welche laut verschiedenen Autoren eine zentrale Rolle in der Emotionsregulation spielt und als antecedent-focused Strategie bezeichnet wird (Gross, 1998; John & Gross 2004; Joormann & D’Avanzato, 2010). Das heisst, die Strategie tritt bereits vor der tatsächlichen Emotionsmanifestierung in Kraft und beeinflusst deren Qualität, indem die Person einen bestimmten Aspekt der Situation fokussiert. Die präferierte Aufmerksamkeitsausrichtung von psychisch gesunden Personen auf emotional positive Stimuli könnte demnach dem Schutz und der Aufrechterhaltung einer emotionalen Balance dienen (Duque & Vazquez, 2014). Auch wenn sich eine Situation objektiv nicht verändert, kann mit einer Verschiebung der Aufmerksamkeit eine andere Situationsbewertung erreicht und somit in den Prozess der Emotionsentstehung eingegriffen werden.

Der zeitliche Verlauf des Prozesses der Aufmerksamkeit kann in eine frühe und eine späte Phase eingeteilt werden. Die frühe Phase läuft meistens automatisch ab, beinhaltet das Enkodieren von Stimuli und wird von einem Wechsel der Aufmerksamkeit zu einem motivational relevanten Stimulus begleitet. In der späteren Phase ist vor allem eine vorsätzliche Aufmerksamkeitskontrolle involviert, welche durch Erwartungen und Motiven geleitet wird (Bar-Haim, Lamy, Pergamin, Bakermans-Kranenburg & van Ijzendoorn, 2007).

Wenn ein Stimulus die Aufmerksamkeit einer Person auf sich zieht, dann richtet diese typischerweise ihren Blick darauf aus (Jonides, 1981), und jede Veränderung der Blickrichtung wird durch eine Verschiebung der visuellen Aufmerksamkeit eingeleitet (Kowler et al., 1995; Moray et al., 1993). Entsprechend können die Blickrichtung und die Blickbewegungen als Indikatoren für die Aufmerksamkeitsausrichtung und Veränderungen in dieser betrachtet werden. Auf die Methode des Eye-Tracking zur Erfassung der Blickrichtung wird deshalb im nächsten Abschnitt näher eingegangen.

2.3 Eye-Tracking

Die ersten Entdeckungen zu grundlegenden Augenbewegungen wie zum Beispiel der Unterdrückung oder Latenzzeit von Sakkaden wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts gemacht (ca. 1879) und von Rayner (1998) als die erste Ära des Eye-Tracking bezeichnet. Mit dem Aufkommen des Behaviorismus um 1930 wurde der Fokus immer mehr auf angewandte Forschung gelegt und die Augenbewegungen wurden mithilfe von Experimenten kontrollierter untersucht. Ende des 20. Jahrhunderts (ca. 1970) wurde mit dem Aufkommen und der Entwicklung der Technologie eine genauere und einfachere Messung der Augenbewegung möglich. Die vierte Ära, in der sich die ET-Methode bis heute befindet, ist geprägt von neuen, interaktiven Anwendungen. Dabei reagieren und/oder interagieren die visuellen Stimuli während der ET-Messung auf/mit der Blickrichtung, was über eine rein diagnostische Analyse der Blickbewegungen hinausgeht (Duchowski, 2002). Eine solche interaktive Methode ist die blickkontingente Darstellung, bei der sich der Stimulus in Echtzeit verändert, je nachdem, wohin die Person ihren Blick richtet. Diese Methode wird zum Beispiel in der Forschung zum Leseverhalten sehr oft eingesetzt (Rayner, 1998).

Das Eye-Tracking hat sich somit zu einem wertvollen und beliebten Instrument entwickelt, welches in verschiedensten Bereichen der Psychologie, aber auch in anderen Forschungsgebieten wie dem Marketing oder den Computerwissenschaften Anwendung findet (Duchowski, 2002). ET kann Information bereitstellen, die oft über die Aussagekraft von Sprache oder Handlungen hinausgeht, indem sie über den visuellen Weg der Blickbewegungen einen Einblick in kognitive Prozesse und deren zeitliche Verläufe ermöglicht (Feng, 2011).

Die Augen sind die visuellen Sinnesorgane des Menschen und drei Viertel aller Umwelt-Informationen werden visuell aufgenommen (Elsbach, 2003). Da nur die Fovea, ein kleines Gebiet auf der Retina (Netzhaut mit Nervengewebe auf der Innenseite des Auges), ein hochaufgelöstes, scharfes Bild liefern kann, bewegen wir diese unaufhörlich, um unsere Umwelt wahrzunehmen (Leigh & Zee, 2006). Es gibt zwei verschiedene Arten von bewusst wahrnehmbaren Augenbewegungen. Um eine Szenerie zu überfliegen und von einem visuellen Fixationspunkt zum nächsten zu gelangen, macht das Auge schnelle, ruckartige Bewegungen, Sakkaden genannt. Dabei nimmt das Auge jedoch keine visuellen Informationen auf. Wenn sich der Blick auf einem Punkt festsetzt und dort verweilt, spricht man von einer Fixierung, welche eine stabile visuelle Wahrnehmung erlaubt. Die meisten Eye-Tracking-Systeme registrieren und messen diese zwei Typen von Augenbewegungen, es gibt jedoch gelegentlich auch Messungen des vestibulo-okulären Reflexes (langsame Bewegung zur Kompensation von Kopfbewegungen) und von Vergenzen (Feng, 2011).

Die am häufigsten eingesetzte ET-Methode ist die Cornea-Reflex-Methode, bei welcher Fixierung und Sakkaden mittels videobasierter Messung erfasst werden. Dabei nehmen eine oder mehrere Kameras jede Sekunde zwischen 30 und bis zu 1000 Bilder der Augenposition auf. Um die Bewegung aufzunehmen, verfolgt die dazugehörige moderne Video-Software das Zentrum der Pupille und den Ort der Reflexion auf der Hornhaut des Auges, deren Kontrast mit infrarotem Licht zusätzlich erhöht wird, um eine bessere Aufzeichnung zu ermöglichen (Feng, 2011). Aus der relativen Position dieser beiden Punkte wird die absolute Augenposition berechnet. Mit dieser Technik (pupil-centre-corneal-reflection) lassen sich Messfehler durch Kopfbewegungen vermeiden. Dadurch wird mobiles ET möglich, bei dem sich die Probanden frei bewegen und so auch Daten ausserhalb des Laborsettings erhoben werden können. Wird hingegen nur die Position der Pupille verwendet, muss der Kopf durch Stützen zusätzlich stabilisiert werden, da diese Technik für Kopf- oder Körperbewegungen sensitiv ist (Feng, 2011).

Nebst der Schwierigkeit, diese Messung korrekt durchzuführen, besteht eine weitere Herausforderung in der möglichst genauen Zuordnung der Blickposition zu Bereichen in der Aussenwelt. Um diese zu gewährleisten, wird bei jeder Person vor der Durchführung des ET eine Kalibrierung gemacht. Dabei geben mehrere festgelegte Kalibrierungspunkte, welche die Versuchspersonen vor Messungsbeginn fixieren müssen, ein Raster vor, in das die jeweiligen individuellen Augenbewegungen, die gemessen und zugeordnet werden wollen, eingefügt werden. Eine gute Kalibrierung ist essentiell für die Qualität der Daten, und je höher die Anzahl der Kalibrierungspunkte, desto genauer lässt sich die Blickposition berechnen. Die optimale Anzahl ist jedoch vom Alter, der individuellen Aufmerksamkeitsspanne, der Kontrolle der Augenbewegung und der Grösse der Stimuli abhängig und schwankt daher je nach Versuchspersonengruppe zwischen 2 bis 16 Punkten (Feng, 2011).

Die Beziehung zwischen Blickbewegung und Kognition ist komplex und darum birgt auch die Eye-Tracking Methode gewisse Limitationen in Bezug auf eine Eins-zu-Eins-Koppelung der Aufmerksamkeitsausrichtung mit dem Fixationspunkt. Erstens kann es bei der Messung zu Fehlern oder Ungenauigkeiten kommen. Um dieses Problem zu minimieren ist eine möglichst hohe Kalibrierungsqualität wichtig. Zweitens ist gemäss heutigen theoretischen Befunden unklar, wie gross die individuelle Aufmerksamkeitsspannweite (engl.: perceptual span) jeweils ist, da nicht nur in der Fovea, sondern auch in umliegenden Gebieten der Netzhaut Wahrnehmungsprozesse stattfinden können (Findlay & Walker, 1999). Drittens ist die Fähigkeit, die Augenbewegungen zu kontrollieren, unterschiedlich gut ausgeprägt, und eine Verfehlung des gewünschten Fixierungsziels aufgrund von okulomotorischen Defiziten kann ein Eye-Tracker nicht entdecken (Feng, 2011).

In der Aufmerksamkeits- und Emotionsforschung wird meistens mit Stimuli wie emotionalen Gesichtern oder Bildern gearbeitet, da diese eine stärkere interpersonelle Relevanz haben und mehr affektive Information vermitteln können als abstraktere Stimuli wie Wörter, die vor allem in herkömmlichen Reaktionszeitaufgaben benutzt werden (Duque & Vazquez, 2014). Die Probanden werden entweder aufgefordert, sich die Stimuli nach eigenem Belieben anzuschauen (engl.: Free-Viewing Task) oder ihren Blick gezielt auf gewisse Stimuli zu richten oder davon abzulösen. Vor jedem neuen Bild, das jeweils einige Sekunden bis zu einer halben Minute präsentiert wird und zwei oder mehr Stimuli unterschiedlichen emotionalen Gehalts enthält, muss ein Fixationskreuz fixiert werden. Dies verhindert mögliche Messverzerrungen und ermöglicht die Messung der initialen Blickausrichtung.

3. Eye-Tracking-Befunde im Bereich der Aufmerksamkeits- und Emotionsforschung

Die Aufmerksamkeitsausrichtung beeinflusst die Entstehung von Emotionen, welche wiederum Einfluss nehmen können auf die Aufmerksamkeitsausrichtung. In diesem Sinne kann eine gezielte Aufmerksamkeitsausrichtung und –kontrolle als Strategie zur Emotionsregulation eingesetzt werden. Im Folgenden wird genauer angeschaut, wie diese Prozesse unter verschiedenen Bedingungen miteinander agieren und aufeinander Einfluss nehmen. Als Ausgangslage für diese Analysen scheint es sinnvoll, zuerst einige Befunde zur Aufmerksamkeitsausrichtung bei psychisch gesunden Menschen nach Induktion einer schlechten Stimmung zu betrachten. Damit kann die Ausrichtung der Aufmerksamkeit als Strategie für eine gesunde Emotionsregulation (Gross & Thompson, 2007) und deren Effekte auf die Stimmung besser verstanden werden. In der Folge wird darauf eingegangen, wie sich die oben genannten Prozesse bei der depressiven Erkrankung, spezifischer genetischer Ausprägung und Aufmerksamkeitstraining verhalten und gegenseitig beeinflussen. Die nachfolgenden Befunde wurden mittels Eye-Tracking erhoben. Diese Methode erlaubt eine direkte, exakte Analyse der Blickrichtung und somit der verschiedenen Komponenten der Aufmerksamkeit im zeitlichen Verlauf.

3.1 Aufmerksamkeitsausrichtung und Emotionsregulation bei psychisch gesunden Menschen

Die Mood-Cognition-Frameworks-Hypothese von Beck (1967) besagt, dass stimmungskongruente Information präferiert verarbeitet wird. Menschen, die in einer traurigen Stimmung sind, tendieren demzufolge zur Verarbeitung von vorwiegend traurigen Stimuli, wohingegen glückliche oder zufriedene Menschen präferiert positive Information verarbeiten. Einige aktuelle Studien haben sich der Frage angenommen, welchen Einfluss eine induzierte negative oder positive Stimmung auf die Aufmerksamkeitsausrichtung haben kann. Entgegen der Mood-Cognition-Frameworks-Hypothese wurde ein stimmungsinkogruenter Effekt bei der Induktion von trauriger Stimmung auf die Aufmerksamkeitsausrichtung bei psychisch gesunden Menschen gefunden (Newman & Sears, 2015; Sanchez, Gomez, Vazquez & Joormann, 2014). Während nach der Induktion einer fröhlichen Stimmung1 bei nachfolgenden Eye-Tracking-Messungen eine präferierte Aufmerksamkeitsausrichtung auf stimmungskongruente, positive Stimuli (emotionale Gesichter) gefunden wurde, fand sich nach der Induktion einer traurigen Stimmung ebenfalls eine erhöhte Aufmerksamkeitsausrichtung auf positive Stimuli im Vergleich zur Aufmerksamkeitsausrichtung von Personen, bei denen eine neutrale Stimmung induziert wurde. Weiter korrelierte das Ausmass der Ausrichtung auf glückliche Gesichter positiv mit einer Verbesserung der traurigen Stimmung und der Wiederherstellung des vorhergegangenen emotionalen Zustandes (engl.: mood repair). Eine Aufmerksamkeitsausrichtung auf positive Stimuli reflektiert somit nicht nur eine gute Stimmung, sondern kann auch eingesetzt werden, um negative Emotionen zu regulieren und die Stimmung zu verbessern (Sanchez et al., 2014).

3.2 Aufmerksamkeitsausrichtung und Emotionsregulation bei depressiven Menschen

Laut verschiedenen kognitiven Modellen (Beck, 1967; Bower, 1981) sind für viele psychische Störungen eine ungünstige Aufmerksamkeitsausrichtung und Probleme mit der Emotionsregulation charakteristisch (Duque & Vazquez, 2014; Gross & Jazaieri, 2014). Schätzungen zufolge sind 40 % bis zu 75 % der psychischen Störungen von diesen Schwierigkeiten betroffen (Berenbaum, Raghavan, Le, Vernon & Gomez, 2003; Jazaieri, Urry & Gomez, 2013). Ein wichtiger Grund für problematische emotionale Zustände besteht in der emotionalen Dysregulation, welche sich entweder im Fehlen von Regulation oder in einer unangemessenen Regulationsstrategie (z.Bsp. Rumination oder Unterdrückung) zeigt (Gross & Jazaieri, 2014; Joormann & D’Avanzato, 2010). Dysfunktionale Muster können in der Intensität, der Dauer, der Frequenz und der Art des Erlebens und Verarbeitens von Emotionen auftreten. Bei der depressiven Störung wird hauptsächlich von einer problematischen Regulation der emotionalen Intensität ausgegangen, welche sich sowohl durch Hyperreaktivität (zu starke emotionale Antwort) als auch Hyporeaktivität (zu schwache emotionale Antwort) auszeichnet (Gross & Jazaieri, 2014). Laut der American Psychiatric Association (2013) wird eine depressive Störung einerseits über eine anhaltende negative Affektivität und andererseits über ein Fehlen von positiven Emotionen definiert. Es bestehen eine permanente depressive Stimmung, Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld und ein Verlust von Interesse oder Freude an vielen Aktivitäten, die früher positive Gefühle ausgelöst haben. Im Folgenden wird anhand von Befunden aus Eye-Tracking-Studien ein Überblick gegeben, wie depressive Personen ihre Aufmerksamkeit auf emotionale Information ausrichten und ob sich bestimmte Muster erkennen lassen.

Es besteht mittlerweile ein wachsender Konsens darüber, dass depressive Menschen ihre Aufmerksamkeit anders auf emotionale Information ausrichten als psychisch gesunde Personen (Armstrong & Olatunji, 2012; Gotlib & Joormann, 2010). So zeigen Depressive verminderte Aufmerksamkeit für positive Stimuli und erhöhte Aufmerksamkeit für negative, depressionsverwandte Stimuli (Newman & Sears, 2015; Sears, Thomas, LeHuquet & Johnson, 2010). Die Eye-Tracking-Methode bietet die Möglichkeit, diese Muster differenzierter zu betrachten. Zum einen lässt sich die Blickrichtung sowohl in der initialen Ausrichtung als auch in der Aufrechterhaltung zwischen depressiven und psychisch gesunden Personen vergleichen. Zum anderen lässt sich untersuchen, inwiefern depressive Menschen Probleme haben, ihre Aufmerksamkeit von negativen Stimuli loszulösen, wenn der Fokus erst einmal dort liegt.

Entsprechende Befunde haben gezeigt, dass sich depressive Personen in ihrer initialen Ausrichtung auf emotionale Gesichter nicht von psychisch Gesunden unterscheiden und nicht schneller oder präferiert zuerst auf negative Stimuli fokussieren (Duque & Vazquez, 2014). Was die Aufrechterhaltung des Blickes anbelangt, können jedoch Unterschiede festgestellt werden. Wenn die Aufmerksamkeit einmal auf einem negativen Stimulus liegt, lassen depressive Personen den Blick länger darauf verharren. Charakteristisch ist auch eine verminderte Fokussierung positiver Stimuli (Armstrong & Olatunji, 2014; Duque & Vazquez; 2014; Mogg, Millar & Bradley, 2000). Diese präferierte Aufmerksamkeitsausrichtung auf negative Stimuli wurde jedoch nur bei spezifisch depressions-verwandten (traurigen) aber nicht bei anderen negativen Gesichtsausdrücken (wütenden oder ängstlichen) gefunden (Duque & Vazquez, 2014; Gotlib et al., 2004).

Sanchez, Vazquez, Marker, LeMoult und Joormann (2013) haben sich der Frage angenommen, ob depressive Menschen tatsächlich Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit von negativen Stimuli wegzulenken, oder ob sie sich aufgrund einer erleichterten Verarbeitung von negativen Stimuli diesen vermehrt zuwenden. Zur Messung wurde eine neue Eye-Tracking-Aufgabe entwickelt. Diese erlaubt eine direkte Differenzierung zweier Komponenten der Aufmerksamkeit, erstens der Ausrichtung und zweitens der Weglenkung. Die Ergebnisse zeigen, dass depressive Personen länger brauchten um auf Aufforderung ihren Blick von einem traurigen Gesicht auf ein Gesicht mit neutralem Ausdruck wegzulenken. Auch hier waren die Ergebnisse spezifisch für depressionsverwandte Stimuli. Es wurden keine Unterschiede zu psychisch gesunden Personen gefunden, wenn die Aufmerksamkeit von anderen emotionalen Gesichtsausdrücken (wütende, ängstliche, glückliche) auf ein neutrales Gesicht gelenkt werden musste (Sanchez et al., 2013). Des Weiteren konnten die Autoren zeigen, dass individuelle Schwierigkeiten in der Weglenkung die Wiederherstellung der Ausgangsstimmung nach einer Stressbelastung (negative Stimmungsinduktion) vorhersagen. Je mehr Schwierigkeiten depressive Personen hatten, ihre Aufmerksamkeit von negativen Stimuli wegzulenken, desto höher war die traurige Stimmung nach einer Stressbelastung (Sanchez et al., 2013). Auch Joormann und D’Avanzato (2010) kommen in ihrem Review zu Kognition und Emotionsregulation zu dem Schluss, dass Depression vor allem mit Schwierigkeiten bei der Weglenkung der Aufmerksamkeit von depressionsverwandter, negativer Information assoziiert werden kann.

[...]


1 Engl.: Mood-Induction Procedure (MIP): Präsentation von emotionalen Bildern und emotionskongruenter Musik, um Emotionen und spezifische Stimmungszustände hervorzurufen

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Die Eye-Tracking als Methode der Aufmerksamkeits- und Emotionsforschung
Hochschule
Universität Zürich  (Psychologisches Institut)
Veranstaltung
Bachelorabschluss
Note
6 (CH)
Autor
Jahr
2015
Seiten
33
Katalognummer
V307514
ISBN (eBook)
9783668057449
ISBN (Buch)
9783668057456
Dateigröße
694 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eye-Tracking, Attention bias, emotion regulation, depression, 5-HTTLPR, Meditation, Aufmerksamkeit, Emotionsregulation
Arbeit zitieren
Monalisa Stiefel (Autor:in), 2015, Die Eye-Tracking als Methode der Aufmerksamkeits- und Emotionsforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307514

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